Entscheidungsstichwort (Thema)
Erziehungsgeldanspruch. Arbeitslosengeldbezug. befristete Teilzeitbeschäftigung. gesetzliche Gleichstellung. volle Erwerbstätigkeit. Verfassungsmäßigkeit. Härtefallklausel
Leitsatz (amtlich)
1. Der Bezug von Arbeitslosengeld schließt den Anspruch auf Erziehungsgeld auch dann aus, wenn die Bemessung des Arbeitslosengeldes auf einem Arbeitsentgelt für eine Teilzeitbeschäftigung von nicht mehr als 19 Wochenstunden beruht.
2. Zu den Voraussetzungen der Härteklausel in § 2 Abs 3 BErzGG.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
BErzGG § 2 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3, § 15 Abs. 4; GG Art. 3 Abs. 1; BErzGG § 4 Abs. 3 S. 1; SGB X § 48 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. September 1997 geändert. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. November 1996 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beklagte bewilligte der Klägerin für ihre am 17. Januar 1995 geborene Tochter Erziehungsgeld (Erzg) bis zum Ablauf des 12. Lebensmonats des Kindes (Bescheid vom 22. März 1995). Streitig ist, ob die Beklagte die Leistungsbewilligung mit Wirkung ab dem 11. Lebensmonat wegen des Bezugs von Arbeitslosengeld (Alg) aufheben und das für diesen Monat bereits ausgezahlte Erzg zurückfordern durfte.
Die Klägerin war zuletzt aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrages in der Zeit vom 1. August 1993 bis zum 15. Oktober 1995 bei der Bundesanstalt für Arbeit als Arbeitnehmerin mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 19 Stunden beschäftigt. Ab dem 16. Oktober 1995 war sie arbeitslos. Sie stellte sich dem Arbeitsmarkt wegen der Betreuung ihrer Tochter nur für eine Teilzeitbeschäftigung von 19 Stunden wöchentlich zur Verfügung. Dementsprechend wurde das Alg nach einer wöchentlichen Arbeitszeit von 19 Stunden bemessen. Nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 22. November 1995 die Arbeitslosigkeit und den Bezug von Alg der Beklagten mitgeteilt hatte, hob diese durch Bescheid vom 27. Dezember 1995 den Leistungsbescheid ab dem 11. Lebensmonat des Kindes auf. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 19. August 1996).
Das Sozialgericht (SG) hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 28. November 1996). Das Landessozialgericht (LSG) hat das erstinstanzliche Urteil und den die Leistungsbewilligung aufhebenden Bescheid der Beklagten aufgehoben (Urteil vom 30. September 1997): Zwar enthalte § 2 Abs 2 Nr 1 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) nach seinem Wortlaut keine Einschränkung bei der Gleichstellung des Bezuges von Alg mit einer vollen Erwerbstätigkeit. Doch müsse die Regelung im Hinblick auf Art 3 Grundgesetz (GG) dahingehend ausgelegt werden, daß der Bezug von Alg bei einer zulässigen Beschränkung der Verfügbarkeit auf 19 Wochenstunden und einer entsprechenden Bemessung der Höhe des Alg dem Anspruch auf Erzg nicht entgegenstehe.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 2 Abs 2 Nr 1 BErzGG. Diese Vorschrift enthalte im Gegensatz zu § 2 Abs 2 Nr 2 BErzGG keine Einschränkung für den Fall, daß der Bemessung der Leistung ein Arbeitsentgelt für eine Beschäftigung mit einer wöchentlichen Arbeitszeit bis zu 19 Stunden zugrunde gelegt wird. Der eindeutige Wortlaut der Vorschrift lasse eine Auslegung, wie sie das LSG gewählt habe, nicht zu.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. September 1997 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. November 1996 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. September 1997 zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Klägerin steht für die Zeit ab dem 11. Lebensmonat ihres Kindes wegen des Bezugs von Alg Erzg nicht zu. Die Beklagte durfte die Leistungsbewilligung rückwirkend für einen Monat aufheben und das überzahlte Erzg zurückfordern. Das die Klage abweisende Urteil des SG war daher wiederherzustellen.
1. Rechtsgrundlage für das Vorgehen der Beklagten ist § 48 Abs 1 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch – (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlaß des Verwaltungsakts vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt (Satz 1). Dabei soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlaß des Verwaltungsakts Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (Satz 2 Nr 3), oder soweit der Betroffene wußte oder nicht wußte, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, daß der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (Satz 2 Nr 4). Nach § 4 Abs 3 Satz 1 BErzGG endet der Anspruch auf Erzg vor Ablauf der Höchstbezugsdauer (§ 4 Abs 1 BErzGG) mit Ablauf des Lebensmonats des Kindes, in dem eine der Anspruchsvoraussetzungen entfallen ist. Diese Vorschrift ist im Verhältnis zu § 48 Abs 1 SGB X nicht als „lex specialis” für die Aufhebung einer Erzg-Bewilligung anzusehen, sondern konkretisiert lediglich den „Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse” iS des § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X.
2. Der Bezug des Alg stellt im Hinblick auf die vorangegangene Bewilligung des Erzg eine „wesentliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse” iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X dar. § 1 Abs 1 Nr 4 BErzGG macht den Anspruch auf Erzg davon abhängig, daß der Berechtigte keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt; nach § 2 Abs 2 Nr 1 BErzGG steht der Bezug von Alg einer vollen Erwerbstätigkeit gleich und schließt die Erzg-Berechtigung daher aus. Während eine Teilzeitbeschäftigung mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 19 Stunden nicht als Ausübung einer vollen Erwerbstätigkeit gilt (§ 2 Abs 1 Nr 1 BErzGG), steht der Bezug von Alg nach dem Wortlaut des Gesetzes einer vollen Erwerbstätigkeit auch dann gleich, wenn die Bemessung des Alg auf einem Arbeitsentgelt für eine Teilzeitbeschäftigung von nicht mehr als 19 Wochenstunden beruht.
§ 2 Abs 2 Nr 1 BErzGG läßt die von der Klägerin gewünschte und vom LSG befürwortete einschränkende Auslegung, daß auch der Bezug von Alg nur dann einer vollen Erwerbstätigkeit gleichsteht und damit für das Erzg anspruchsausschließend wirkt, wenn die Bemessung des Alg auf einem Arbeitsentgelt für eine Teilzeitbeschäftigung von mehr als 19 Wochenstunden beruht, nicht zu. Während § 2 Abs 2 Nr 1 BErzGG den Bezug von Alg, Arbeitslosenbeihilfe und Eingliederungsgeld ohne Einschränkung der Ausübung einer vollen Erwerbstätigkeit gleichstellt, sieht § 2 Abs 2 Nr 2 BErzGG allerdings beim Bezug von Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld, Übergangsgeld und Unterhaltsgeld eine Gleichstellung nur dann vor, wenn der Bemessung dieser Sozialleistungen ein Arbeitsentgelt für eine Beschäftigung mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von mehr als 19 Stunden oder ein entsprechendes Arbeitseinkommen zugrunde liegt. Von der Gleichstellung mit einer vollen Erwerbstätigkeit gänzlich ausgenommen hat der Gesetzgeber ua den Bezug von Arbeitslosenhilfe (Alhi). Die Gleichbehandlung des Alhi-Bezugs mit einer Erwerbstätigkeit hätte zur Folge gehabt, daß die von einer Bedürftigkeit abhängige Alhi den Anspruch auf Erzg ausgeschlossen hätte, während die gleichfalls vom Einkommen und Vermögen abhängige Sozialhilfe nach § 8 Abs 1 BErzGG sich nicht auf das Erzg auswirkt. Um einen darin liegenden möglichen Anreiz für den Bezug von Sozialhilfe zu vermeiden, hat der Gesetzgeber die Alhi deshalb aus dem Katalog des § 2 Abs 2 BErzGG herausgenommen (BT-Drucks 10/4212, S 3 und 5; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, Mutterschutzgesetz – Mutterschaftsleistungen – BErzGG, 7. Aufl 1994, § 2 BErzGG RdNr 61) und darüber hinaus die sich aus den Einschränkungen der Verfügbarkeit aufgrund der Kindererziehung ergebenden negativen Folgen für die Voraussetzungen des Alhi-Anspruchs nach §§ 134 und 103 Abs 1 Satz 1 Nrn 1 und 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) und die Bemessung der Alhi (§ 136 Abs 2 AFG) als unschädlich erklärt (§ 2 Abs 4 BErzGG).
Angesichts der Tatsache, daß der Gesetzgeber die Ausübung einer auf 19 Wochenstunden begrenzten Teilzeitbeschäftigung sowie den Bezug des Arbeitsentgelts hieraus als mit den Zielen des BErzGG und dem Zweck des Erzg grundsätzlich vereinbar ansieht (§ 2 Abs 1 Nr 1 BErzGG), erscheint es zwar auf den ersten Blick widersprüchlich, daß der Bezug von Alg generell, also auch während der Suche nach einer solchen Erzg-rechtlich „erlaubten” Teilzeitbeschäftigung, anspruchsausschließend wirkt. Einer den Wortlaut einschränkenden Gesetzesauslegung, wie sie das LSG seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, steht jedoch schon entgegen, daß der Gesetzgeber bewußt zwischen dem Bezug von Alg (sowie Arbeitslosenbeihilfe und Eingliederungsgeld) und – wie bereits dargelegt – dem Bezug von Alhi (§ 2 Abs 4 BErzGG) sowie anderer Lohnersatzleistungen (§ 2 Abs 2 Nr 2 BErzGG) differenziert hat.
Als das BErzGG vom 6. Dezember 1985 (BGBl I S 2154) am 1. Januar 1986 in Kraft trat, war die während des Erzg-Bezugs zulässige Teilzeitarbeit über eine entsprechende Verweisung an die Grenze für eine kurzzeitige Beschäftigung iS von § 102 AFG gekoppelt (§ 2 Abs 1 Nr 1 BErzGG aF), die damals bei „weniger als 19 Stunden” lag (§ 102 Abs 1 AFG idF des Art 1 des 7. AFG-Änderungsgesetzes vom 20. Dezember 1985, BGBl I S 2484). Während ab 1. Januar 1988 die Grenze hier auf „weniger als 18 Stunden” gesenkt wurde (§ 102 Abs 1 AFG idF des Art 1 des 8. AFG-Änderungsgesetzes vom 14. Dezember 1987, BGBl I S 2602), wollte der Gesetzgeber für den Bereich des Erzg-Rechts jedoch an der Grenze von weniger als 19 Stunden für eine zulässige Teilzeitarbeit festhalten, um die Ausübung einer Teilzeitbeschäftigung während des Erziehungsurlaubs zu fördern. Er hat deshalb für die Zeit ab 1. Januar 1988 die bis zum 31. Dezember 1987 geltende Fassung des § 102 Abs 1 AFG „weniger als 19 Stunden”) für zunächst weiter anwendbar erklärt (§ 2 Abs 1 Satz 2 BErzGG idF des Art 10 des 8. AFG-Änderungsgesetzes). Zum 1. Januar 1989 wurde dann die Verweisung auf § 102 AFG aufgegeben, die Zeitgrenze geringfügig angehoben und die jetzige Regelung des § 2 Abs 1 Nr 1 BErzGG geschaffen, nach der die wöchentliche Arbeitszeit „19 Stunden nicht übersteigen” darf (Art 1 Nr 2 und Art 8 Abs 2 des Gesetzes zur Änderung des BErzGG und anderer Vorschriften vom 30. Juni 1989, BGBl I S 1297). Bei der Regelung der Gleichstellung des Bezugs von Lohnersatzleistungen mit einer den Anspruch auf Erzg ausschließenden „vollen Erwerbstätigkeit” verhielt sich der Gesetzgeber ähnlich. Auch hier gab es anfangs eine Koppelung an § 102 AFG. Nach § 2 Abs 2 Satz 1 und 2 BErzGG in seiner ab 1. Januar 1986 geltenden ursprünglichen Fassung stand der Bezug von Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld, Übergangsgeld, Unterhaltsgeld, Kurzarbeitergeld, Schlechtwettergeld und Alg sowie vergleichbarer Leistungen (jedoch mit Ausnahme von Alhi und Mutterschaftsgeld) einer vollen Erwerbstätigkeit immer dann gleich, wenn der Bemessung dieser Leistung ein Arbeitsentgelt für eine mehr als kurzzeitige Beschäftigung iS des AFG oder ein entsprechendes Arbeitseinkommen zugrunde lag. Seine derzeitige Fassung erhielt § 2 Abs 2 BErzGG zum 1. Januar 1989 durch das oa Gesetz vom 30. Juni 1989 und, soweit es die Einbeziehung von Arbeitslosenbeihilfe und Eingliederungsgeld und deren Gleichbehandlung mit dem Bezug von Alg betrifft (§ 2 Abs 2 Nr 1 BErzGG), zum 1. Juli 1990 (Art 1 Nr 2 und Art 2 des Ersten Gesetzes zur Änderung des BErzGG vom 17. Dezember 1990 ≪1. BErzGGÄndG≫, BGBl I S 2823).
Diese Entwicklung des Erzg-Rechts zeigt, daß der Gesetzgeber zunächst nicht jeden Bezug von Alg einer vollen Erwerbstätigkeit gleichgestellt hatte, sondern – wie bei allen anderen genannten Lohnersatzleistungen auch – nur den Bezug von Alg, soweit es nach einem Arbeitsentgelt für eine mehr als kurzzeitige Beschäftigung bemessen worden ist. Erst zum 1. Januar 1989 ist die Differenzierung zwischen dem Bezug von Alg einerseits, der grundsätzlich für das Erzg anspruchsausschließend wirken soll, und dem Bezug der in § 2 Abs 2 Nr 2 BErzGG genannten anderen Lohnersatzleistungen andererseits, der nur unter bestimmten Voraussetzungen anspruchsausschließend wirken soll, eingeführt worden (vgl BT-Drucks 11/4687, S 6). Diese Differenzierung hat der Gesetzgeber durch die ausdrückliche Einfügung des Bezugs von Arbeitslosenbeihilfe und Eingliederungsgeld in § 2 Abs 2 Nr 1 BErzGG statt in § 2 Abs 2 Nr 2 BErzGG bestätigt (vgl BT-Drucks 11/7103, S 4).
Der einschränkenden Interpretation des § 2 Abs 2 Nr 1 BErzGG iS der Regelung der Nr 2 dieser Vorschrift steht ferner die zeitgleich zur Differenzierung des Bezugs von Alg und anderer Lohnersatzleistungen zum 1. Januar 1989 eingeführte Regelung des § 2 Abs 3 BErzGG entgegen. Danach wird während des Bezugs von Alg ausnahmsweise Erzg gewährt, wenn dem Arbeitnehmer nach der Geburt des Kindes aus einem Grund gekündigt worden ist, den er nicht zu vertreten hat, die Kündigung nach § 9 des Mutterschutzgesetzes (MuSchG) oder § 18 BErzGG zulässig war und der Wegfall des Erzg für ihn eine unbillige Härte bedeuten würde (Härteklausel). Während der Schwangerschaft (§ 9 MuSchG) und des Erziehungsurlaubs (§ 18 BErzGG) besteht ein umfassender Kündigungsschutz für das bisherige Arbeitsverhältnis. Das gilt auch dann, wenn ein Vollzeitarbeitsverhältnis während des Erziehungsurlaubs durch Vereinbarung zwischen dem Arbeitnehmer (Erzg-Berechtigter) und dem Arbeitgeber – endgültig oder vorübergehend – in ein Teilzeitarbeitsverhältnis (§§ 15 Abs 4 Satz 1 und 2 Abs 1 Nr 1 BErzGG) umgewandelt wird (BT-Drucks 11/4687, S 7; Zmarzlik/ Zipperer/Viethen, aaO, § 2 RdNr 60, § 18 RdNrn 9 bis 11). Im Normalfall kann also während dieser Zeit Arbeitslosigkeit nicht eintreten. Tritt sie ausnahmsweise dennoch ein, soll der Erzg-Berechtigte seinen Anspruch unter den Voraussetzungen der Härteklausel des § 2 Abs 3 BErzGG trotz gleichzeitigen Bezugs von Alg behalten. Betroffen hiervon sind grundsätzlich nur Teilzeitbeschäftigungen beim bisherigen Arbeitgeber (BR-Drucks 261/89, S 13) mit einer Wochenarbeitszeit von 18 bis 19 Stunden. Teilzeitbeschäftigungen mit längerer Wochenarbeitszeit und Vollzeitbeschäftigungen scheiden wegen der Überschreitung der Zeitgrenze von 19 Stunden in §§ 2 Abs 1 Nr 1 und 15 Abs 4 BErzGG und des darauf beruhenden Ausschlusses des Erzg-Anspruchs aus. Teilzeitbeschäftigungen von weniger als 18 Stunden scheiden deshalb aus, weil sie zwar den Anspruch auf Erzg wahren, aber für den Anspruch auf Alg nicht ausreichen. Die Ausübung einer „kurzzeitigen Beschäftigung” von weniger als 18 Stunden (§ 102 AFG) konnte keine Anwartschaftszeit begründen (§§ 104, 168, 169a AFG), die Bereitschaft eines Arbeitslosen zur Ausübung nur kurzzeitiger Beschäftigungen konnte die den Alg-Anspruch erst ermöglichende Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung nicht begründen (§§ 103, 168, 169a AFG).
Die Voraussetzungen dieser Härteklausel liegen bei der Klägerin nicht vor. Der Wortlaut des § 2 Abs 3 BErzGG erfaßt nicht den hier vorliegenden Fall eines von vornherein befristeten Arbeitsverhältnisses, das vereinbarungsgemäß ohne das Erfordernis einer Kündigung durch den Arbeitgeber nach der Geburt des Kindes endet. Die Regelung kann auf diesen Fall auch nicht entsprechend angewandt werden, weil Ausnahmevorschriften wegen ihres Zweckes eng auszulegen sind. Einer erweiternden Auslegung wäre die Vorschrift nur dann zugänglich, wenn der vorliegende Fall in seinen wesentlichen Merkmalen mit dem geregelten vergleichbar wäre und mit einiger Sicherheit davon ausgegangen werden könnte, daß der Gesetzgeber auch diesen Fall einbezogen hätte, wenn er ihn vorausgesehen hätte. Diese Feststellung läßt sich nicht treffen. Der Gesetzgeber hat den eher seltenen Fall geregelt, daß eine erziehende Mutter ihren geschützten Teilzeitarbeitsplatz aus nicht von ihr zu vertretenden Gründen verliert, etwa durch Konkurs des Arbeitgebers. Es kann kaum angenommen werden, daß der Fall des Auslaufens eines befristeten Arbeitsverhältnisses, der im Arbeitsleben wesentlich häufiger vorkommen dürfte, übersehen worden sein könnte, obwohl sich den Gesetzgebungsmaterialien dazu konkret nichts entnehmen läßt (BT-Drucks 11/4687, S 6 f). Selbst wenn aber von einem Übersehen dieses Sachverhaltes ausgegangen werden müßte, könnte aus dem geregelten Härtefall nicht mit Sicherheit der Schluß gezogen werden, daß gleiches auch für den vorliegenden Fall angeordnet worden wäre. Denn die Sachverhalte stimmen zwar darin überein, daß eine erziehende Mutter ihren Teilzeitarbeitsplatz schuldlos verliert; sie unterscheiden sich aber darin, daß im gesetzlich geregelten Fall der Arbeitsplatzverlust plötzlich erfolgt, während er bei einem befristeten Arbeitsverhältnis vorhersehbar ist und damit weniger hart erscheint. Dieser Unterschied läßt einen sicheren Schluß auf den mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers nicht zu. Es muß ihm vorbehalten bleiben, einen entsprechenden Willen durch eine Gesetzesänderung zum Ausdruck zu bringen.
Entgegen der Auffassung des LSG ist die unterschiedliche Behandlung einer Teilzeitbeschäftigung mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 19 Stunden einerseits und dem Bezug von Alg bei nur halbschichtiger Verfügbarkeit andererseits auch im Hinblick auf den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG nicht verfassungswidrig. Für die nur sach- und nicht personenbezogene Differenzierung lassen sich sachliche Gründe finden, die einer Prüfung am Maßstab des Willkürverbots standhalten. Zwar erscheint die Tatsache, daß das BErzGG Erwerbstätigkeit in beschränktem Umfang zuläßt, den Bezug von Alg jedoch generell als leistungsausschließend behandelt, dem mit dem Erzg verfolgten Ziel, eine stärkere Hinwendung zum Kind zu unterstützen, gerade zuwiderzulaufen, da der Betroffene während des Bezugs von Alg zeitlich weniger gebunden ist. Der Senat hat jedoch bereits im Hinblick auf die Privilegierung der Berufsausbildung, die auch bei ganztägiger Inanspruchnahme die Erzg-Berechtigung nicht ausschließt, deutlich gemacht, daß der Gesetzgeber neben der verstärkten Hinwendung zum Kind zunehmend die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten gerade der mit Erziehungsaufgaben vorrangig belasteten Frauen als gleichgewichtig ansieht (SozR 3-7833 § 2 Nrn 1, 3 und 4). Diesem Ziel diente auch die durch das 2. BErzGGÄndG (vom 6. Dezember 1991, BGBl I S 2142) in § 15 Abs 4 BErzGG eingeführte Möglichkeit, während des wegen Erziehungsurlaubs ruhenden Arbeitsverhältnisses bei einem anderen Arbeitgeber eine Teilzeitbeschäftigung auszuüben. Die Förderung von Teilzeitbeschäftigung während des Erzg-Bezugs verpflichtete den Gesetzgeber jedoch nicht, beim Fehlen einer entsprechenden Beschäftigungsmöglichkeit den Bezug von Alg gleich zu behandeln, und damit unter Umständen einen Anreiz zu bieten, einen Teilzeitarbeitsplatz aufzugeben oder nicht in Anspruch zu nehmen.
3. Die Beklagte durfte den Erzg-Bescheid auch vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufheben. Die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X sind erfüllt. Das SG hat bereits zutreffend darauf abgestellt, daß die Klägerin selbst eingeräumt habe, vom Wegfall des Erzg-Anspruchs durch den Bezug von Alg gewußt zu haben. Der angefochtene Bescheid ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte nicht angegeben hat, auf welchen Erwägungen die Rücknahme des Bescheides für die Vergangenheit beruht. Der Verwaltung ist im Hinblick auf die rückwirkende Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts mit Dauerwirkung gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X nur bei atypischen Ausnahmefällen ein Ermessen eingeräumt, das sie im Aufhebungsbescheid zum Ausdruck bringen muß. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein atypischer Fall dann anzunehmen, wenn die Umstände des Einzelfalls im Hinblick auf die mit der rückwirkenden Aufhebung verbundenen Nachteile von den Normalfällen der in § 48 Abs 1 Satz 2 Nrn 1 bis 4 SGB X geregelten Tatbestände signifikant abweichen und der Leistungsempfänger durch die rückwirkende Aufhebung in eine Notlage gerät (BSGE 59, 111, 116 = SozR 1300 § 48 Nr 19). Nach den vom SG hierzu getroffenen Feststellungen, die im Berufungsverfahren nicht angegriffen worden sind, liegen keine Anhaltspunkte vor, die auf das Vorliegen eines solchen atypischen Falles schließen lassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
NJWE-FER 1998, 263 |
NJ 1999, 278 |
SGb 1998, 363 |
SozR 3-7833 § 6, Nr.17 |
ZMV 1998, 246 |
SozSi 2000, 70 |