Entscheidungsstichwort (Thema)
Begriff Betrieb und Betriebsabteilung
Leitsatz (amtlich)
Ein Betriebsteil, in dem ihrer Art nach winterbauförderungsfähige Arbeiten verrichtet werden, ist nur dann eine rechtlich selbständige Betriebsabteilung, wenn er von dem nicht förderungsfähigen Gesamtbetrieb nach dem Organisationsplan eindeutig und auf Dauer abgegrenzt ist.
Orientierungssatz
1. Betrieb ist die organisatorische Einheit, innerhalb der ein Unternehmer mit Hilfe sächlicher und sonstiger Betriebsmittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt (vgl BSG 1978-05-30 7/12 RAr 100/76 = BSGE 49, 218, 1972-03-17).
2. Unter einer Betriebsabteilung versteht man einen räumlich, personell und organisatorisch vom Gesamtbetrieb abgegrenzten Betriebsteil, der mit eigenen technischen Betriebsmitteln einen eigenen Betriebszweck verfolgt, der auch nur ein Hilfszweck sein kann (vgl BSG 1972-03-17 7 RAr 50/69 = BSGE 34, 120).
Normenkette
AFG § 75 Abs 1 Nr 2 Fassung: 1972-05-19, § 76 Abs 1 Fassung: 1972-05-19, § 186a Abs 1 S 1 Fassung: 1972-05-19; BaubetrV § 2 Fassung: 1972-07-19
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 08.05.1980; Aktenzeichen L 9 Ar 74/78) |
SG Duisburg (Entscheidung vom 10.05.1978; Aktenzeichen S 6 Ar 303/77) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob die klagende Gesellschaft für einen ihrer Betriebsteile Winterbauumlage zu zahlen hat.
Die Klägerin stellt in drei Werken - N, W an der I und G - Baufertigteile (Großflächenplatten, Kleinflächenplatten, Stahlankerplatten) her. Die Verwaltung des Unternehmens ist in E. Die Klägerin bietet ihre Fertigteile auf dem Markt auch zusammen mit deren Verlegung an. Baukolonnen führen im ganzen Bundesgebiet die Verlegung durch. Der Betriebsleiter des Werkes G leitet technisch den Unternehmensbereich "Verlegung".
Die Beklagte hält den Unternehmensbereich "Verlegung" für eine Betriebsabteilung, die Bauleistungen erbringt und meint, die Klägerin sei daher insoweit verpflichtet, Winterbauumlage zu zahlen (Bescheid vom 20. November 1975, Widerspruchsbescheid vom 5. Oktober 1977).
Die Klägerin hat wegen ihrer gegenteiligen Auffassung Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat der Klage stattgegeben. Auch die Verlegearbeiter der Klägerin könnten nach dem auf sie angewendeten Tarifvertrag, der kein Tarifvertrag des Baugewerbes sei, nicht die Voraussetzungen für Schlechtwettergeld erfüllen. Die Klägerin könne daher nicht einmal theoretisch in den Genuß bestimmter Leistungen der Winterbauförderung kommen (Urteil vom 10. Mai 1978).
Das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat dieses Urteil im Ergebnis bestätigt, nachdem es ein Gutachten über die innerbetriebliche Organisation der Klägerin eingeholt und den Prokuristen der Klägerin als Zeugen vernommen hatte. Es sei jedenfalls nicht festzustellen, daß der Verlegebereich eine Betriebsabteilung iS des § 75 Abs 1 Nr 2 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) sei; der Verlegebereich sei in den Gesamtbetrieb eingegliedert (Urteil vom 8. Mai 1980).
Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung der §§ 75 Abs 1 Nr 2, 186a Abs 1 AFG sowie der §§ 103 und 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 10. Mai 1978
und das Urteil des Landessozialgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 8. Mai 1980 aufzuheben und
die Klage abzuweisen,
hilfsweise:
das Urteil des Landessozialgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen aufzuheben und die Sache zu
neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht
zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen.
Das LSG hat ohne Rechtsverstoß festgestellt, daß die Klägerin nicht winterbauumlagepflichtig ist.
Die auf eine Verletzung der §§ 103 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG gestützte Verfahrensrüge greift nicht durch. Wenn die Klägerin in einem anderen Zusammenhang ihren Unternehmensbereich Verlegung selbst als "Betriebsabteilung" angesehen haben sollte, ist dies kein sicherer Anhalt dafür, daß sich diese Ansicht der Klägerin auf besondere Tatsachen gründet, die dem LSG noch nicht bekannt waren. Das LSG konnte nach der Vernehmung der Prokuristen der Klägerin als Zeugen und der Einholung eines Sachverständigengutachtens den Sachverhalt für genügend aufgeklärt halten, zumal die Beteiligten keine Beweisanträge mehr gestellt haben.
Nach § 186a Abs 1 AFG (in der insoweit durch das 5. Änderungsgesetz -5. ÄndG- vom 23. Juli 1979 - BGBl I 1189 - nicht geänderten Fassung) werden die Kosten der produktiven Winterbauförderung "von den Arbeitgebern des Baugewerbes, in deren Betrieb die ganzjährige Beschäftigung durch Leistungen nach den §§ 77 bis 80 zu fördern ist (§ 76 Abs 2)", durch eine Umlage aufgebracht. Dadurch wird die Umlagepflicht von der Förderungsfähigkeit abhängig gemacht. Welche Betriebe förderungsfähig sind, ist in § 76 Abs 2 AFG nicht im einzelnen angegeben. Diese Vorschrift gibt nur Hinweise darauf, wie diese Betriebe beschrieben werden sollen. § 76 Abs 2 Satz 1 AFG ermächtigte idF vor dem 5. ÄndG den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA), durch Rechtsverordnung zu regeln, in welchen "Betrieben" des Baugewerbes die ganzjährige Beschäftigung zu fördern ist.
Die hier maßgebende Rechtsverordnung ist die auf diese Ermächtigung gestützte Verordnung über die Betriebe des Baugewerbes, in denen die ganzjährige Beschäftigung zu fördern ist (Baubetriebe-Verordnung -BauBetrVO 1972- vom 19. Juli 1972 - BGBl I S 1257 -, geändert durch Verordnung vom 30. April 1975 - BGBl I 1056 -), weil die hier angefochtenen Bescheide vor der aufgrund des 5. ÄndG ergangenen BauBetrVO vom 28. Oktober 1980 (BGBl I 2033 - BauBetrVO 1980) ergangen sind und auch Zeiten vorher betreffen.
Der Unternehmensbereich für Verlegearbeiten der Klägerin wird von der BauBetrVO 1972 nicht erfaßt.
In § 1 Nr 1 und 2 dieser Verordnung wird die Förderungsfähigkeit von der Art der Arbeiten abhängig gemacht. § 1 Nr 1 Buchst h zählt dazu auch die Fertigbauarbeiten, unter die die hier streitigen Verlegearbeiten möglicherweise zu zählen sind. In dieser Vorschrift wird schon klargestellt, daß das Herstellen von Fertigbauteilen, das das Unternehmen der Klägerin vorwiegend betreibt, nicht dazu gehört. § 2 der BauBetrVO 1972 macht die Förderungsfähigkeit von der Art der Betriebe abhängig. Hier heißt es, daß Betriebe, die Betonwaren herstellen, nicht förderungsfähig sind, "soweit nicht in Betriebsabteilungen nach deren Zweckbestimmung überwiegend Bauleistungen im Sinne des § 1 ausgeführt werden" (so § 2 Buchst b BauBetrVO 1972). Der Heranziehung von Betriebsabteilungen entspricht der Verordnungsermächtigung des § 76 Abs 2 Satz 1 AFG, weil unter Betrieb des Baugewerbes im Sinne der Förderung der ganzjährigen Beschäftigung auch Betriebsabteilungen zu verstehen sind, die überwiegend Bauleistungen erbringen (so die Definition des Betriebs in § 75 Abs 1 Nr 2 AFG).
Die Förderungsfähigkeit des Unternehmensbereichs für Verlegearbeiten, der Fertigbauarbeiten durchführt, wäre nach § 1 Nr 1 Buchst h BauBetrVO 1972 förderungsfähig, wenn er ein Betrieb wäre. Er wäre nach § 2 Buchst b BauBetrVO 1972 förderungsfähig, wenn er wenigstens eine Betriebsabteilung wäre. Der Unternehmensbereich für Verlegungsarbeiten der Klägerin ist aber weder Betrieb noch Betriebsabteilung.
Diese Begriffe sind im AFG und in der BauBetrVO 1972 nicht umschrieben. Sie müssen hier daher so verstanden werden, wie sie die herrschende Verkehrsauffassung versteht. Dies gilt nur soweit nicht, als der Sinn der einschlägigen Vorschriften eine Abweichung gebietet. Die herrschende Verkehrsauffassung ist vorwiegend durch die Lehre und die Rechtsprechung zum Arbeitsrecht geprägt worden, weil auf diesem Rechtsgebiet der Betrieb und die betrieblichen Gegebenheiten rechtliche Grund- und Schlüsselbegriffe sind.
Unter einem Betrieb versteht man die organisatorische Einheit, innerhalb der ein Unternehmer mit Hilfe sächlicher und sonstiger Betriebsmittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt (vgl BSGE 46, 218, 219 = SozR 4100 § 63 AFG Nr 1 mit arbeitsrechtlichen Nachweisen). Ob eine so beschriebene Einheit innerhalb einer größeren Einheit - Unternehmen - besteht, kann mit der Testfrage geprüft werden, ob sie selbständig im Wirtschaftsleben bestehen könnte (BSGE 32, 177, 178 = SozR Nr 6 zu § 245 RVO mit arbeitsrechtlichen Nachweisen). Die rechtliche Selbständigkeit hängt also von der denkbaren wirtschaftlichen Selbständigkeit ab. Die Frage nach der denkbaren wirtschaftlichen Selbständigkeit ist hier - von den Beteiligten unbestritten - zu verneinen, weil die die Verlegearbeiten betreffenden kaufmännischen, personellen und technischen Aufgaben von Personen durchgeführt werden, die nicht besonders dem Unternehmensbereich "Verlegung" zugeordnet sind, sondern dem Unternehmen auch in anderen Funktionen dienen. Der Unternehmensbereich "Verlegung" hat keine eigene technische Leitung und keine eigene Verwaltung. Er ist deshalb kein Betrieb.
Der Unternehmensbereich "Verlegung" ist auch keine Betriebsabteilung. Unter einer solchen versteht man einen räumlich, personell und organisatorisch vom Gesamtbetrieb abgegrenzten Betriebsteil, der mit eigenen technischen Betriebsmitteln einen eigenen Betriebszweck verfolgt, der auch nur ein Hilfszweck sein kann (BSGE 34, 120, 122 ff, = SozR Nr 1 zu § 129 AVAVG; vgl auch Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl, 2. Halbband, S 1113; Nikisch, Arbeitsrecht, 3. Aufl, S 154; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 4. Aufl, § 18 II 3 S 63). Entscheidendes Kriterium für die rechtliche Selbständigkeit einer Betriebsabteilung ist hier nicht die Selbständigkeit, sondern die Abgrenzbarkeit von dem Gesamtbetrieb.
Das LSG hat zutreffend erkannt, daß ein Betriebsteil nach dem Organisationsplan deutlich von dem Gesamtbetrieb abgegrenzt sein muß (so auch das vorgenannte Schrifttum), damit die rechtliche Selbständigkeit gerechtfertigt ist. Das ist allerdings entgegen der Meinung des LSG nicht eine Frage des Beweisrechts, sondern des materiellen Rechts. Da die rechtliche Selbständigkeit als Betriebsabteilung auf Dauer berechnete Folgen hat, sind zufällige oder vorübergehende Ausgrenzungen eines Betriebsteils von dem Gesamtbetrieb nicht entscheidend (zur deutlichen Abgrenzung vgl auch BAG AP Nr 4 zu § 3 BetrVG 1952 mit Anm Küchenhoff). Deutlich abgrenzbar von den übrigen betrieblichen Tätigkeiten der Klägerin sind allenfalls die Arbeiten an den einzelnen Baustellen. Sämtliche kaufmännischen, technischen und personellen Maßnahmen, Planungen und Berechnungen werden aber von Personen ausgeführt, die in den Gesamtbetrieb eingegliedert und nicht erkennbar ausschließlich dem Unternehmensbereich "Verlegung" zugeordnet sind. Der Unternehmensbereich "Verlegung" ist daher nur ein Betriebsteil und keine Betriebsabteilung.
Es besteht kein Grund anzunehmen, in §§ 186a Abs 1, 76 Abs 2 AFG und der BauBetrVO 1972 sei ein anderer Begriff der Betriebsabteilung gemeint. Gefördert werden sollen nicht nur Betriebe, wenn sie überwiegend Bauleistungen erbringen, sondern auch Betriebsabteilungen, wenn nur sie überwiegend Bauleistungen erbringen. Der Sinn und Zweck der rechtlichen Verselbständigung der Betriebsabteilung bei der produktiven Winterbauförderung ist, einerseits baugewerbliche Betriebsabteilungen fachfremder Betriebe in die Förderung miteinzubeziehen und andererseits fachfremde Betriebsabteilungen baugewerblicher Betriebe von der Förderung auszuschließen (vgl BT-Drucks VI/2689 S 11 zu § 75 AFG). Eine Förderung ist dann nicht angezeigt, wenn erwartet werden kann, daß witterungsbedingte Schwierigkeiten durch den Betrieb selbst überwunden werden. Das ist regelmäßig der Fall, wenn die von Witterungseinflüssen betroffenen Arbeiter in der Schlechtwetterperiode an anderer Stelle in den Gesamtbetrieb eingeplant werden können. Die Überwindung witterungsbedingter Schwierigkeiten durch eigene Anstrengungen des Betriebs ist nur dann nicht zu unterstellen, wenn der witterungsabhängige Betriebsteil von dem witterungsunabhängigen Betriebsteil so deutlich abgegrenzt ist, daß eine Risikogemeinschaft mit dem Gesamtbetrieb nicht zu sehen ist. Daß hier diese Risikogemeinschaft besteht, wird dadurch unterstrichen, daß dem Grundsatz der Tarifeinheit (vgl dazu Schnorr von Carolsfeld, Arbeitsrecht, 2. Aufl S 113; Schaub, aaO, § 203 VII 2 b S 1049) gefolgt werden konnte. Die in dem Unternehmensbereich mit Verlegearbeiten beschäftigten Arbeiter unterliegen nicht einem Tarifvertrag für das Baugewerbe, obwohl dies der Art der Arbeiten nach denkbar gewesen wäre.
Auch die Änderung des § 76 Abs 2 AFG durch das 5. ÄndG und die Neufassung der BauBetrVO geben keinen Anhalt dafür, daß der Begriff der Betriebsabteilung anders zu verstehen ist. Das 5. ÄndG hat § 76 Abs 2 Satz 1 AFG insofern geändert, als der BMA nicht mehr ermächtigt ist, zu regeln, in welchen "Betrieben" des Baugewerbes die ganzjährige Beschäftigung zu fördern ist. Er ist nunmehr ermächtigt, zu regeln, in welchen "Zweigen" des Baugewerbes diese Förderung stattfindet. Damit sollte nach Auffassung des sozialpolitischen Ausschusses des Deutschen Bundestags, der diese Änderung vorgeschlagen hat, klargestellt werden, daß die erstrebte Belebung der Bautätigkeit in der Schlechtwetterzeit nicht einzelbetrieblich, sondern gesamtwirtschaftlich zu verstehen sei (BT-Drucks 8/2914 S 43 zu Art 1 Nr 19 b). Es ist nicht ersichtlich, wie sich diese Änderung auf die Leistungsberechtigung und die Zahlungsverpflichtung des einzelnen Betriebsinhabers auswirken kann. Auffallend ist zunächst nur, daß der Hinweis in § 186a Abs 1 AFG auf den Betriebsbegriff des § 76 Abs 2 AFG iVm der Verordnung des BMA nicht mehr stimmt. Dies dürfte aber ein offenkundiges Versehen des Gesetzgebers sein.
Von größerer Bedeutung könnte die Änderung des § 76 Abs 2 Satz 3 AFG sein. Danach soll der BMA - entgegen der von dem Bundessozialgericht (BSG) vertretenen Meinung (SozR 4100 § 186a Nr 8) - nach Möglichkeit den fachlichen Geltungsbereich tariflicher Regelungen berücksichtigen. Dies könnte darauf hindeuten, daß dem Fachtarifprinzip in Zukunft mehr Bedeutung beizumessen sein wird als bisher. Hier hätte dies allerdings zur Folge, daß dem Argument der Klägerin und des SG mehr Gewicht beizumessen wäre, daß die Arbeitnehmer im Bereich der Verlegung gerade nicht bautariflichen Regelungen unterliegen und die Förderungsfähigkeit nach § 83 AFG schon deshalb nicht zu begründen sei.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen