Leitsatz (amtlich)
1. Versicherter und Versicherungsträger haben alles in ihren Kräften stehende und ihnen Zumutbare zu tun, um sich gegenseitig vor vermeidbarem, das Versicherungsverhältnis betreffenden Schaden zu bewahren; danach hat der Versicherungsträger ua die Pflicht, dem Versicherten eine von diesem erbetene Auskunft richtig, unmißverständlich und vollständig zu erteilen.
2. Zum Folgenbeseitigungsanspruch bei einer unrichtigen, mißverständlichen oder unvollständigen Auskunft des Versicherungsträgers, auf die sich der Versicherte verlassen durfte.
3. Ist ein Rentenanspruch verjährt, weil der Versicherte im Vertrauen auf eine unrichtige, mißverständliche oder unvollständige Auskunft des Versicherungsträgers, auf die er sich verlassen durfte, die rechtzeitige Antragstellung versäumt hat, so darf der Versicherungsträger die Einrede der Verjährung nicht erheben.
4. Der Versicherte darf sich auf eine unrichtige, mißverständliche oder unvollständige Auskunft des Versicherungsträgers nur dann nicht verlassen, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig dazu beigetragen hat, daß die Auskunft unrichtig, mißverständlich oder unvollständig geworden ist, oder wenn er - ohne daß dies der Fall ist - die Unrichtigkeit, Mißverständlichkeit oder Unvollständigkeit der Auskunft erkannt oder grob fahrlässig nicht erkannt hat.
Normenkette
RVO § 29 Abs. 3 Fassung: 1924-12-15; BGB § 242
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. November 1969 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes für die Zeit vom 1. Januar 1957 bis zum 30. November 1963 zu zahlen.
Die am 31. Januar 1913 geborene Klägerin beantragte am 7. Dezember 1967 die Witwenrente aus der Versicherung ihres am 13. April 1943 verstorbenen Ehemannes. Die Beklagte gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 28. März 1968 die Witwenrente vom 1. Dezember 1963 an. Die Beklagte nahm an, für die Zeit vom 1. Dezember 1963 bestehe ein Rentenanspruch nach § 29 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht, da der Anspruch verwirkt sei.
Das von der Klägerin angerufene Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat die Beklagte am 13. November 1968 unter Abänderung des Bescheides vom 28. März 1968 verurteilt, der Klägerin die Witwenrente für die Zeit vom 1. Januar 1957 bis zum 30. November 1963 nachzuzahlen; es hat die Berufung zugelassen. Die Beklagte hat dieses Urteil mit der Berufung angefochten. Während des Berufungsverfahrens hat sie zusätzlich die Einrede der Verjährung erhoben und insoweit ein Vorverfahren durchgeführt. Mit Bescheid vom 15. Juli 1969 wurde der Widerspruch gegen den Bescheid vom 28. März 1968 zurückgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 5. November 1969 auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG abgeändert und die Beklagte unter entsprechender teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 28. März 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 1969 verurteilt, der Klägerin einen neuen Bescheid über den Anspruch auf Gewährung von Witwenrente für die Zeit vom 1. Januar 1957 bis zum 30. November 1963 zu erteilen. Das LSG ist davon ausgegangen, der Anspruch auf Witwenrente bestehe seit dem 1. Januar 1957. Für die streitige Zeit sei er zwar nicht verwirkt, wohl aber verjährt. Die Erhebung der Verjährungseinrede stehe zwar im Ermessen des Versicherungsträgers. Die Beklagte habe aber bisher für die Ausübung dieses Ermessens die in Betracht kommenden Gründe nicht umfassend gegeneinander abgewogen. Sie habe die von ihr zur Begründung ihrer Ermessensentscheidung herangezogenen Gründe in ihrer Bedeutung unzutreffend bewertet und damit dem Wesen und dem Zweck der gesetzlichen Rentenversicherung, die sie bei ihrer Entscheidung hätte berücksichtigen müssen, nicht ausreichend Rechnung getragen. Die Erhebung der Verjährungseinrede sei dann grundsätzlich ermessensfehlerhaft, wenn nur die regelmäßig anzunehmende Rechtsunkenntnis des Berechtigten die rechtzeitige Antragstellung verzögert habe. Die Klägerin habe glaubhaft vorgebracht, sie habe sich in ihrer Rentenangelegenheit mehrfach vergeblich, und zwar auch in der Zeit nach der Rentenreform an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) und an die Beklagte selbst mit der Bitte um Auskunft gewandt. Sie habe auch glaubhaft vorgetragen, daß es ihr erst im Jahre 1967 gelungen sei, wieder an den Wehrpaß ihres Ehemannes heranzukommen und damit die Ersatzzeit nachzuweisen, mit der die Wartezeit erfüllt sei. Zu Unrecht stütze sich die Beklagte für die Verjährungseinrede auf das neue Finanzierungsverfahren der Rentenversicherung. Es stehe nicht im Ermessen der Beklagten, die Grundsätze festzulegen, nach welchem sie ihr Ermessen ausübe. Es stehe auch nicht in ihrem Ermessen, ob und welches Gewicht sie den einzelnen von ihr vorgebrachten Gründe beimessen wolle.
Da die vorgebrachten Gründe die von der Beklagten getroffene Ermessensentscheidung nicht trügen, andererseits aber nicht feststehe, ob die Beklagte sämtliche von ihr bei der Begründung ihrer Ermessensentscheidung im konkreten Einzelfall zu berücksichtigende Gesichtspunkte beachtet und zutreffend gewertet habe, sei die Sache noch nicht zur Entscheidung über das Leistungsbegehren reif. Die Beklagte habe einen neuen Bescheid zu erteilen.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision macht die Beklagte geltend, das LSG habe ihr Ermessen in unzulässigerweise eingeschränkt. Jedes sachliche Motiv rechtfertige die Entscheidung des Versicherungsträgers, die Einrede der Verjährung zu erheben oder davon abzusehen. Es sei nicht Aufgabe des Gerichts, bei derartigen Ermessensentscheidungen seine Wertung an die Stelle des Versicherungsträgers zu setzen. Da mit der Verjährungseinrede nicht nur zweifelhafte Ansprüche, sondern auch begründete Ansprüche abgewehrt werden dürften, widerspräche es nicht dem Zweck der Verjährungsvorschrift, wenn der Versicherungsträger im Hinblick auf das Finanzierungsverfahren in der Rentenversicherung auch einem eindeutig begründeter Rentenanspruch gegenüber die Verjährungseinrede erhebe.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile die Klage abzuweisen.
Die Klägerin ist in der Revisionsinstanz nicht vertreten.
Der Senat hat mit Beschluß vom 29. Juli 1971 dem Großen Senat des Bundessozialgerichts (BSG) die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die Verjährungsfrist des § 29 Abs. 3 RVO bei Rentenansprüchen aus der Rentenversicherung der Arbeiter grundsätzlich mit der Entstehung des Rentenanspruchs oder erst mit der Antragstellung beginne. Der Große Senat hat mit Beschluß vom 21. Dezember 1971 (GS 4/71) entschieden, die Verjährungsfrist des § 29 Abs. 3 RVO beginne bei Rentenansprüchen aus der gesetzlichen Rentenversicherung, sofern dem Antrag keine materiell-rechtliche Bedeutung zukomme, mit der Entstehung des Rentenanspruchs.
Die zulässige Revision der Beklagten ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen wird. Die vom LSG getroffenen Tatsachenfeststellungen reichen zur abschließenden Entscheidung nicht aus.
Der Anspruch der Klägerin auf Witwenrente besteht, wie das LSG zutreffend entschieden hat, seit dem 1. Januar 1957.
Die seitdem bis zum 30. November 1963 entstandenen Einzelansprüche auf die Witwenrente sind nicht verwirkt, wie das LSG mit Recht angenommen hat. Von Verwirkung kann nur dann die Rede sein, wenn ein Recht erst ungewöhnlich spät geltend gemacht oder ausgeübt wird und zu dem Zeitablauf noch besondere Umstände hinzutreten, die in Verbindung mit der langen Untätigkeit des Berechtigten in dem Verpflichteten den Eindruck erweckt haben, jener werde von seinem Recht keinen Gebrauch mehr machen. Hat sich der Verpflichtete im Vertrauen hierauf so eingerichtet, daß es für ihn einen unbilligen zusätzlichen Nachteil bedeuten würde, wenn er gleichwohl noch in Anspruch genommen würde, liegt ein Fall der wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben unzulässigen Rechtsausübung, und zwar der Sonderfall der Verwirkung vor (vgl. BSG in SozR Nr. 9 zu § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB - = NJW 1969, 767). Das bloße Untätigwerden des Berechtigten führt also noch nicht zur Verwirkung. Es sind im vorliegenden Fall außer der späten Antragstellung der Klägerin jedoch keine besonderen Umstände vorhanden, die in der Beklagten den Eindruck hätten erwecken können, die Klägerin werde von ihrem Recht keinen Gebrauch mehr machen.
Die Einzelansprüche der Klägerin auf die Witwenrente sind allerdings für die streitige Zeit verjährt. Nach § 29 Abs. 3 RVO verjähren die Ansprüche auf Leistungen der Versicherungsträger in vier Jahren nach der Fälligkeit. Wie der Große Senat in seinem - in dieser Sache erlassener Beschluß vom 21. Dezember 1971 (GS 4/71) klargestellt hat, tritt die Fälligkeit mit der Entstehung des Anspruchs ein, so daß auch die Verjährungsfrist mit der Entstehung des Anspruchs beginnt. Die Vorschrift des § 201 BGB, wonach die Verjährung in bestimmten Fällen erst mit dem Schluß des Jahres beginnt, in welchem der Verjährungstatbestand eingetreten ist, kann nicht entsprechend angewandt werden. § 29 RVO regelt insoweit selbst - also unabhängig von den Vorschriften des BGB -, wann die Verjährungsfrist beginnt Während nach Abs. 1 und 2 dieser Vorschrift, vergleichbar mit der Regelung des § 201 BGB, die Verjährungsfrist mit dem Ablauf des Jahres beginnt, in welchem das maßgebende Ereignis (Fälligkeit, Beitragsentrichtung) eingetreten ist, läßt Abs. 3 die Verjährung mit dem maßgebenden Ereignis, selbst also mit der Fälligkeit des Anspruchs beginnen. Aus der gegenüber den Absätzen 1 und 2 insoweit anderen Fassung des Gesetzes ist zu schließen, daß der Gesetzgeber diese Regelung bewußt getroffen hat, und es daher keinem Zweifel unterliegen kann, daß die Verjährungsfrist mit der Fälligkeit selbst, d.h. grundsätzlich mit der Entstehung des Anspruchs beginnt und vier Jahre danach endet. Der letzte der streitigen Einzelansprüche ist am 1. November 1963 entstanden, so daß er und die vorher entstandenen Einzelansprüche bei der Rentenantragstellung am 7. Dezember 1967, die die Verjährung unterbrach, bereits verjährt waren.
Nach den Gründen des angefochtenen Urteils besteht allerdings die Möglichkeit, daß die Klägerin durch eine unrichtige Auskunft der Beklagten veranlaßt worden ist, den Rentenantrag nicht früher zu stellen. Man könnte daran denken, daß in Fällen solcher Art ein öffentlich-rechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch besteht, der den Versicherungsträger verpflichtet, den Versicherten (Hinterbliebenen) so zu stellen, als habe er sich einer richtigen Auskunft entsprechend verhalten, d.h. im vorliegenden Fall den Rentenantrag unverzüglich gestellt (vgl. BSG 32, 60). Der Folgenbeseitigungsanspruch setzt nicht unbedingt voraus, daß ein rechtswidriger Verwaltungsakt erlassen und vorzeitig vollzogen wurde, sondern ist darüberhinaus allgemein bei rechtswidrigem hoheitlichen Handeln, durch welches nachteilige Folgen eingetreten sind, gegeben (vgl. dazu BVerwG in NJW 1972, 269). Er würde also auch gegeben sein, wenn die für den Versicherten eingetretenen versicherungsrechtlichen Nachteile auf einer unrichtigen Auskunft des Versicherungsträgers beruhen, auf die sich der Versicherte verlassen durfte. Im vorliegenden Fall braucht jedoch nicht abschließend entschieden zu werden, ob ein solcher Anspruch besteht. Dieselben Voraussetzungen, die diesen Anspruch begründen könnten, führen nämlich nach dem Grundsatz von Treu und Glauben dazu, daß der Versicherungsträger die Verjährungseinrede nicht erheben darf.
Durch eine eingetretene Verjährung bleibt der Anspruch in seinem Bestand unberührt, dem Versicherungsträger steht lediglich die Möglichkeit der Erhebung der Verjährungseinrede offen. Die Erhebung der Verjährungseinrede steht grundsätzlich in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Es sind allerdings Fälle denkbar, in denen für die Ausübung dieses Ermessens kein Raum ist, weil das Gesetz den Versicherungsträger zwingt, von der Erhebung der Verjährungseinrede abzusehen. Das könnte hier der Fall sein, wenn die Beklagte der Klägerin eine unrichtige Auskunft, auf welche sich diese verlassen durfte, erteilt hat, und die Klägerin dadurch abgehalten worden ist, den Rentenantrag rechtzeitig zu stellen. Nach den Grundsätzen von Treu und Glauben dürfte die Beklagte in einem solchen Fall die Verjährungseinrede nicht erheben, weil sie sich dadurch zu ihrem vorhergehenden Verhalten in Widerspruch setzen würde. Der Große Senat hat demgemäß in seinem Beschluß vom 21. Dezember 1971 (S. 30) im Anschluß an die Rechtsprechung des früheren Reichsversicherungsamtes ausgeführt, bei einer unrichtigen oder unvollständigen Auskunft des Versicherungsträgers werde der Berechtigte regelmäßig von den Folgen der etwa eingetretenen Verjährung dadurch verschont bleiben, daß der Versicherungsträger nach Treu und Glauben auf die Einrede der Verjährung verzichten müsse, wenn sich der Berechtigte auf die Richtigkeit der Auskunft habe verlassen dürfen.
Zwar darf sich der Versicherte grundsätzlich auf die Richtigkeit einer von ihm erbetenen Auskunft des Versicherungsträgers verlassen. Die Frage der Folgen einer nicht erbetenen - unrichtigen - Auskunft und die Folgen einer allgemeinen versicherungsrechtlichen - unrichtigen - Aufklärung der Versicherten kann hier unerörtert bleiben. Begehrt ein Versicherter eine Auskunft, so hat der Versicherungsträger sie richtig, unmißverständlich und vollständig zu erteilen. Andernfalls muß er für einen aus seinem Fehlverhalten entstehenden versicherungsrechtlichen Nachteil einstehen. Aus dem Versicherungsverhältnis heraus erwächst den Beteiligten eine Reihe von Nebenpflichten; sie haben alles in ihren Kräften Stehende und ihnen Zumutbare zu tun, um den anderen Beteiligten vor vermeidbarem, das Versicherungsverhältnis betreffenden Schaden zu bewahren. Insbesondere hat der Versicherte die Obliegenheit der Mitwirkung, Mitteilung und Anzeige, der Versicherungsträger die Pflicht zur versicherungsrechtlichen Betreuung des Versicherten, wozu auch die Pflicht zu rechnen ist, dem Versicherten eine erbetene - richtige - Auskunft zu erteilen (vgl. dazu auch Urteil des 3. Senats vom 22. Februar 1972 - 3 RK 56/70 - mit weiteren Hinweisen auf Schrifttum und Rechtsprechung). Demgemäß hat der Senat in seinen Urteilen vom 25. März 1971 (SozR Nr. 3 zu § 98 a RKG) und vom 28. Januar 1972 - 5 RKn 51/70 - den Versicherten grundsätzlich für verpflichtet erklärt, nach Kräften dazu beizutragen, den Versicherungsträger vor vermeidbarem versicherungsrechtlichen Schaden zu bewahren. Naturgemäß hat auch der Versicherungsträger seinerseits eine entsprechende Verpflichtung dem Versicherten gegenüber.
Wie bereits festgestellt darf sich der Versicherte grundsätzlich auf die Richtigkeit einer von ihm erbetenen Auskunft verlassen. Dies gilt ebenso für die Frage, ob ein Folgenbeseitigungsanspruch besteht wie für die Frage, ob der Versicherungsträger nach Treu und Glauben die Verjährungseinrede erheben darf. Der Versicherte darf sich nur dann nicht auf eine unrichtige Auskunft verlassen, wenn er selbst vorsätzlich oder grob fahrlässig - etwa durch unrichtige, mißverständliche oder unvollständige Angaben - dazu beigetragen hat, daß die Auskunft unrichtig geworden ist, oder wenn er - ohne daß dies der Fall ist - die Unrichtigkeit der Auskunft erkannt oder grob fahrlässig nicht erkannt hat. In diesen Fällen kann von einem Vertrauen des Versicherten überhaupt nicht, zumindest aber von einem schutzwürdigen Verhalten nicht die Rede sein.
Der Grundsatz des Vertrauensschutzes findet seine Grenze in dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die sich beide aus dem Verfassungsgrundsatz der Rechtsstaatlichkeit ableiten. Der Vertrauensschutz kann also nicht uneingeschränkt gewährt werden, sondern es muß berücksichtigt werden, daß der Versicherungsträger verpflichtet ist, gesetzmäßig zu handeln. Es darf im vorliegenden Fall nicht übersehen werden, daß der Vertrauensschutz - sei es über den Folgenbeseitigungsanspruch, sei es über den Grundsatz von Treu und Glauben - dazu führen würde, daß im Ergebnis die gesetzlichen Folgen der Verjährung unberücksichtigt blieben. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes steht also in einem Spannungsverhältnis zu den gesetzlichen Folgen des Tatbestandes und damit zu dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Eine beiden Verfassungsgrundsätzen ausreichend Rechnung tragende Regelung kann nur unter Berücksichtigung der Besonderheiten und der sachlichen Erfordernisse des jeweiligen Rechtsgebiets gefunden werden. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß dem Berechtigten Vertrauensschutz zu gewähren ist, wenn er weder die unrichtige Auskunft schuldhaft verursacht oder mitverursacht hat, noch erkannt hat oder erkennen konnte, daß die ihm erteilte Auskunft unrichtig ist. Andererseits muß aber darüber Klarheit bestehen, daß dann, wenn der Versicherte vorsätzlich die unrichtige Auskunft verursacht oder mitverursacht hat, oder wenn er die Unrichtigkeit der ihm erteilten Auskunft erkannt hat, ein Vertrauen des Berechtigten, das geschützt werden könnte, überhaupt nicht vorliegt. Bei der Abwägung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes mit dem der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung haben diese letzteren Fälle daher von vornherein unberücksichtigt zu bleiben. Nach alledem können nur die Fälle fraglich sein, in denen der Berechtigte fahrlässig die unrichtige Auskunft verursacht oder mitverursacht hat, oder in denen er nicht erkannt hat, daß die ihm erteilte Auskunft unrichtig ist, obwohl er dies hätte erkennen müssen. Der Senat ist zu dem Ergebnis gekommen, daß eine die Besonderheiten des Sozialversicherungsrechts berücksichtigende Abwägung dieser Grundsätze dazu führt, daß dem Versicherten auch dann noch Vertrauensschutz zu gewähren ist, wenn ihn lediglich der Vorwurf einer einfachen fahrlässigen Verursachung oder Mitverursachung der unrichtigen Auskunft trifft, oder wenn ihm lediglich dabei einfache Fahrlässigkeit anzulasten ist, daß er die Unrichtigkeit der ihm erteilten Auskunft nicht erkannt hat. Zwar wird in der Rechtsprechung auch die Ansicht vertreten, daß jedes Verschulden des Staatsbürgers den Vertrauensschutz ausschließe (vgl. Beschluß des BVerwG vom 27. Dezember 1967 in Sammlung BVerwG Nr. 21 zu 427.3 § 335 a mit weiteren Hinweisen). Doch liegen im Sozialversicherungsrecht, in welchem der Vertrauensschutz immer eine hervorgehobene Rolle gespielt hat, besondere Verhältnisse vor, die es erforderlich machen, auch in den Fällen einfachen Verschuldens des Versicherten den Vertrauensschutz noch zu gewähren. Wie bereits ausgeführt, erwächst aus dem Versicherungsverhältnis die Pflicht der Beteiligten, nach Kräften alles Zumutbare zu tun, um den anderen Beteiligten vor vermeidbaren versicherungsrechtlichen Nachteilen zu bewahren. Dem Versicherungsträger obliegt in diesem Rahmen insbesondere die Pflicht, den Versicherten versicherungsrechtlich zu betreuen. Der Versicherungsträger hat nach seiner personellen und sachlichen Ausstattung, insbesondere nach den großen Kenntnissen und Erfahrungen seiner Bediensteten ein so erhebliches Übergewicht bei der Anwendung sozialversicherungsrechtlicher Vorschriften gegenüber dem Versicherten, dem es bei dieser schwierigen Materie nur in beschränktem Umfange möglich ist, dieses Recht richtig zu erfassen und anzuwenden, daß die Hauptlast der richtigen Anwendung dieser Vorschriften bei dem Versicherungsträger liegt. Demgemäß muß dem Versicherten zugestanden werden, daß er den Auskünften des Versicherungsträgers in gesteigertem Maße Vertrauen entgegenbringen darf. Im Rahmen des Versicherungsverhältnisses muß aus diesem dem Vertrauensschutz ein hervorgehobener Stellenwert zuerkannt werden. Dies um so mehr, als sozialversicherungsrechtliche Leistungen in der Regel die einzigen Leistungen sind, die den Unterhalt des Versicherten sicherstellen und deren Verlust besonders einschneidend wäre. Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist der Senat zu dem Ergebnis gekommen, daß dem Versicherten auch dann noch Vertrauensschutz zu gewähren ist, wenn ihm einfache Fahrlässigkeit anzulasten ist.
Etwas anderes gilt, wenn der Versicherte grob fahrlässig die unrichtige Auskunft verursacht oder mitverursacht, oder wenn er grob fahrlässig bei Erteilung der Auskunft nicht erkannt hat, daß diese unrichtig ist. In einem solchen Falle, in dem der Versicherte die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt, kann ihm ein Vertrauensschutz nicht gewährt werden. Es wird sich hierbei vor allem um Fälle handeln, in denen die Unrichtigkeit der Auskunft auf Umständen beruht, die der Versicherte, da sie seiner persönlichen Sphäre zuzuordnen sind, in der Regel selbst am besten kennen muß, wie z.B. der Ablauf seines Arbeits- und Versicherungslebens, seine persönlichen Verhältnisse und die seiner Familienangehörigen und seine gesundheitlich bedingten Beschwerden. Es würde bei der erforderlichen Abwägung zwischen den verfassungsrechtlichen Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung auch kaum noch als verfassungsrechtlich vertretbar angesehen werden können, wenn auch bei grob fahrlässigem Verhalten des Versicherten der Vertrauensschutz noch anerkannt würde. Falls dies geschähe, würde nämlich - da der Vorsatz des Versicherten, wie bereits ausgeführt, bei dieser Abwägung keine Rolle spielen kann - der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ganz außer acht gelassen werden (vgl. hinsichtlich dieser Abgrenzung auch das Urteil des 3. Senats vom 10. November 1970 - SozR Nr. 4 zu § 233 RVO -).
Im vorliegenden Fall reichen die vom LSG getroffenen Tatsachenfeststellungen allerdings nicht aus, um zu entscheiden, ob der Beklagten die Einrede der Verjährung zusteht. Das LSG hat in den Urteilsgründen lediglich ausgeführt, die Klägerin habe glaubhaft vorgebracht, sie habe sich in ihrer Rentenangelegenheit mehrfach vergeblich, und zwar auch in der Zeit nach der Rentenreform an die BfA und an die Beklagte selbst mit der Bitte um Auskunft gewandt. Selbst wenn man annehmen wollte, daß die als "glaubhaft vorgebracht" bezeichneten Tatsachen als Überzeugung des LSG festgestellt werden sollten, so reichen sie doch nicht zur Entscheidung der hier behandelten Rechtsfrage aus. Es bedarf vielmehr der Feststellung, zu welchem genauen Zeitpunkt die Klägerin die Beklagte um Auskunft gebeten hat, welchen genauen Inhalt die Bitte um Auskunft hatte - insbesondere ob die Klägerin dabei auf den Wehrdienst ihres Ehemannes hingewiesen hat - sowie wann und mit welchem genauen Inhalt die Beklagte der Klägerin eine Auskunft erteilt hat. Von Bedeutung könnte auch die Frage sein, ob die Klägerin den Wehrpaß ihres Ehemannes nicht ebenso gut früher hätte auffinden können. Diese fehlenden Tatsachenfeststellungen können in der Revisionsinstanz nicht nachgeholt werden. Sie wären nur dann entbehrlich, wenn die Beklagte aus anderen Gründen die Einrede der Verjährung nicht erheben durfte. Das ist nach den vom LSG bisher getroffenen Feststellungen jedoch nicht der Fall.
Sollte die Erhebung der Verjährungseinrede nach den noch zu treffenden Feststellungen des LSG jedoch nicht ausgeschlossen sein, so wäre die Beklagte allerdings in der Lage, nach ihrem insoweit uneingeschränkten pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden, ob sie die Einrede der Verjährung erheben will. Diese Ermessensentscheidung des Versicherungsträgers kann von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nur darauf nachgeprüft werden, ob die Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechender Weise Gebrauch gemacht worden ist. Der rechtspolitische Zweck der Verjährungsvorschriften liegt nicht nur darin, einem Schuldner nach Ablauf einer bestimmten Zeit wegen der damit verbundenen Beweisschwierigkeiten vor Inanspruchnahme durch den Gläubiger zu schützen (so BSG 24, 66, 68). Nach dem Beschluß des Großen Senats in dieser Sache vom 21. Dezember 1971 (S. 27, 28) soll durch die Verjährungsvorschriften auch verhütet werden, daß die Versicherungsträger durch Nachzahlungen für weit zurückliegende Zeiten eine unvorhergesehene Belastung erfahren. Es entspricht dem Zweck der Verjährung, die Versicherungsträger davor zu bewahren, daß sie für eine praktisch unbegrenzte Zeit noch mit verspäteten Anmeldungen rechnen müssen. Die Verjährungsvorschrift soll ihnen auch die Möglichkeit geben, sich in ihrer Haushaltsgebahrung darauf einzurichten, daß Nachzahlungen grundsätzlich nicht für einen längeren Zeitraum als vier Jahre geleistet werden müssen. Es widerspricht daher also nicht dem Zweck der Verjährung, wenn sich der Versicherungsträger auch bei zweifelsfrei bestehenden Ansprüchen auf das Finanzierungsverfahren der Rentenversicherung beruft. Die Berufung auf diesen dem Zweck der Verjährung entsprechenden Grund könnte nur dann ermessensfehlerhaft sein, wenn im Einzelfall andere, vorrangige Gesichtspunkte vorlägen. Dafür sind im vorliegenden Fall allerdings keine Anhaltspunkte gegeben. Es steht nicht einmal fest, ob die Klägerin bis zur Antragstellung im Dezember 1967 keine Kenntnis von dem Bestehen des Anspruchs hatte. Selbst wenn das aber der Fall gewesen sein wollte, liegt kein Grund vor, die Verjährungseinrede der Beklagten als ermessensfehlerhaft erscheinen zu lassen. Nach dem Beschluß des Großen Senats vom 21. Dezember 1971 in dieser Sache (S. 29) ist es nach der geltenden Rechtsordnung ein typischer Fall für eine möglicherweise eintretende Verjährung, wenn dem Berechtigten nicht einmal bewußt ist, daß ihm ein Anspruch zusteht. Denn es ist nun einmal ein fundamentaler Grundsatz des Verjährungsrechts, daß eine solche Unkenntnis, die auch in vielen anderen Bereichen unseres Rechtslebens zu beobachten ist, bei der Verjährung grundsätzlich unbeachtet bleiben muß. Ist aber die Unkenntnis von dem Bestehen des Anspruchs gerade ein typischer Fall für die Verjährung, so kann sie nicht die Einrede der Verjährung ermessensfehlerhaft machen. Andere Tatsachen, die die Verjährungseinrede der Beklagten ermessensfehlerhaft erscheinen lassen könnten, hat das LSG nicht festgestellt. Nach den Gründen des angefochtenen Urteils steht es allerdings nicht fest, ob die Beklagte sämtliche von ihr bei der Begründung ihrer Ermessensentscheidung im konkreten Fall zu berücksichtigenden Gesichtspunkte beachtet hat. In der Tat sind Umstände denkbar, die zu einem Ermessensfehler geführt haben könnten. Solche Umstände könnten z.B. darin bestehen, daß die Beklagte ihr Ermessen nicht gleichmäßig ausgeübt, sondern in anderen, ähnlich gelagerten Fällen von der Erhebung der Verjährungseinrede abgesehen hätte. Ein weiterer Umstand, der zur Ermessensfehlerhaftigkeit der Verjährungseinrede führen könnte, läge vor, wenn ein Berechtigter im Vertrauen auf die frühere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach die Verjährung nicht vor der Antragstellung beginnen konnte, den Antrag erst verspätet gestellt hat.
Das LSG hätte allerdings - solange die Ermessensfehlerhaftigkeit und damit die Rechtswidrigkeit der Verjährungseinrede nicht feststeht - den Bescheid der Beklagten nicht aufheben dürfen. Hatte das LSG Anlaß zu der Annahme, daß noch weitere, bisher unberücksichtigt gebliebene Gesichtspunkte vorhanden sind, so hätte es diese Umstände selbst ermitteln und feststellen müssen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten darf nur dann aufgehoben werden, wenn er rechtswidrig ist. Das ist aber nur dann der Fall, wenn die Einrede der Verjährung nicht erhoben werden durfte. Solange aber noch nicht alle Umstände des Einzelfalls festgestellt und gewürdigt worden sind, kann die Ermessensfehlerhaftigkeit und damit die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes nicht angenommen werden.
Da die vom LSG getroffenen Tatsachenfeststellungen zur abschließenden Entscheidung nicht ausreichen, hat der Senat das angefochtene Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen
Haufe-Index 1669895 |
BSGE, 124 |
NJW 1972, 1389 |