Entscheidungsstichwort (Thema)
Abrechnung. Abrechnungszeitraum. Anaesthesiologe. Analogie. Ausgangsbescheid. Berichtigung. Berichtigungsverfügung. Gegenstand. Honorarberichtigung. Identität. Kolloquium. Konsilium. Mehrfachabrechnung. Regelungsgegenstand. Schmerzkonferenz. Schmerztherapie. Vergütung
Leitsatz (amtlich)
- Zur Einbeziehung von Folgebescheiden in einen um die Rechtmäßigkeit eines Honorarberichtigungsbescheides geführten Rechtsstreit.
- Zu den Voraussetzungen der Abrechnungsfähigkeit der Gebühren- Nrn 42 bis 44 sowie 410 und 411 BMÄ/E-GO.
Normenkette
SGG § 96; BMÄ Nrn. 42-44, 410-411
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 02.12.1992; Aktenzeichen L 5 Ka 2393/90) |
SG Stuttgart (Urteil vom 10.10.1990; Aktenzeichen S 14a Ka 2630/89) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 2. Dezember 1992 wird zurückgewiesen.
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 2. Dezember 1992 insoweit aufgehoben, als es den Bescheid vom 7. August 1990 geändert und die Beklagte zur Vergütung der Nr 95 E-GO verurteilt hat. Die Klage gegen den genannten Bescheid wird in vollem Umfang abgewiesen.
Der Kläger hat der Beklagten deren Aufwendungen für das Revisionsverfahren zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger, ein weitergebildeter Arzt für Anästhesiologie, ist als praktischer Arzt niedergelassen und betreibt – seit dem 4. Quartal 1990 in Gemeinschaftspraxis mit einem Fachkollegen – eine Spezialpraxis für Schmerztherapie. Seine Honorarabrechnungen für die Quartale I/88, II/88 und IV/88 (Primärkassen) sowie IV/87, I/88 und IV/88 (Ersatzkassen) korrigierte die Beklagte im Wege sachlicher Richtigstellung dahingehend, daß ua Gebührenansätze nach den Nrn 42, 43 und 44 sowie 410 und 411 BMÄ/E-GO als nicht bzw nicht nebeneinander berechnungsfähig gestrichen wurden (Bescheid vom 17. Februar 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 1988; Bescheide vom 15. Juni 1988 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 12. Juni 1989; Bescheide vom 21. September 1988 und 8. März 1989 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 23. Januar 1990). Die deswegen erhobenen Klagen hat das Sozialgericht (SG) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Im Verlauf des Klage- und Berufungsverfahrens sind weitere Berichtigungsbescheide für spätere Abrechnungsquartale ergangen, die teilweise dieselben und zusätzlich weitere Gebührenpositionen zum Gegenstand haben.
Die Klagen sind in erster Instanz ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Klagen gegen die vom erstinstanzlichen Urteil nicht erfaßten Folgebescheide, soweit sie Gebührenansätze nach den Nrn 42 bis 44, 410 und 411 BMÄ/E-GO betreffen, abgewiesen. Den während des Klageverfahrens ergangenen Bescheid vom 7. August 1990 betreffend die Ersatzkassenabrechnung für das Quartal II/90 hat es auf Antrag des Klägers insoweit aufgehoben, als dort außer der Nr 410 (neben der Nr 411) in einem Fall auch die Nr 95 E-GO gestrichen und in eine Gebühr nach Nr 465 E-GO umgewandelt worden war; insoweit hat es die Beklagte zur Zahlung der angeforderten Vergütung verurteilt (Urteil vom 2. Dezember 1992).
Zur Begründung hat das LSG ausgeführt: Die nach Klageerhebung ergangenen weiteren Berichtigungsbescheide seien gemäß § 96 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits geworden, weil sie jeweils ua dieselben Gebührenpositionen betroffen hätten wie die Ausgangsbescheide. Über die Rechtmäßigkeit der für spätere Quartale vorgenommenen Honorarberichtigungen sei deshalb ebenfalls zu entscheiden gewesen, soweit nicht der Kläger ausdrücklich auf eine Anfechtung verzichtet habe. Die Gebühren nach Nrn 42 bis 44 BMÄ/E-GO setzten einen Besuch in der Wohnung bzw am Krankenbett des Patienten voraus und könnten deshalb im Zusammenhang mit den vom Kläger durchgeführten interdisziplinären schmerztherapeutischen Kolloquien, zu denen die Patienten einbestellt worden seien, nicht abgerechnet werden. Zu Recht habe die Beklagte ferner in Übereinstimmung mit dem eindeutigen Wortlaut der Leistungslegenden die Leistungen nach Nrn 410 und 411 BMÄ/E-GO nur einmal je Sitzung vergütet und die Nr 410 in den Fällen gestrichen, in denen der Kläger sie neben der Nr 411 angesetzt habe. Für die in Rede stehenden Abrechnungsbeschränkungen gebe es sachliche Gründe; sie seien weder willkürlich noch offensichtlich sachwidrig, so daß für eine Korrektur durch die Gerichte kein Raum sei. Das gelte auch für die vom Kläger als unzureichend kritisierte Bewertung der genannten Leistungen; daß diese, bezogen auf die Gesamtheit der Behandlungsfälle, nicht angemessen vergütet würden, sei nicht zu erkennen. Rechtswidrig sei die in einem Behandlungsfall des Quartals II/90 erfolgte Umwandlung der Nr 95 in die Nr 465 E-GO; der zugrundeliegende operative Eingriff sei nach Art und Umfang über den Leistungsinhalt der Nr 465 hinausgegangen, so daß der Ansatz der höher bewerteten Nr 95 gerechtfertigt sei.
Gegen das Urteil haben sowohl der Kläger als auch die Beklagte die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Der Kläger macht geltend, für die Berechnungsfähigkeit der Nrn 42 bis 44 BMÄ/E-GO könne es keinen Unterschied machen, ob die konsiliarische Erörterung zwischen den behandelnden Ärzten in der Wohnung des Patienten, im Krankenhaus oder, wie im Fall der von ihm organisierten interdisziplinären Schmerzkonferenzen, an einem anderen dafür geeigneten Ort außerhalb der Praxis stattfinde. Die Beschränkung der Abrechnungshäufigkeit der Nrn 410 und 411 BMÄ/E-GO auf “einmal je Sitzung” sowie das Verbot der Nebeneinanderabrechnung der beiden Leistungen seien unsachgemäß, wenn man sie wie das LSG auch auf Fälle erstrecke, in denen Schmerzzustände in verschiedenen Körperregionen zu behandeln seien. Zudem sei die Bewertung der Nr 411 mit nur 130 bzw später 140 Punkten entgegen der Auffassung der Vorinstanz unangemessen niedrig. Der Bewertungsausschuß habe mit diesen Festlegungen, die eine Behandlung chronisch kranker Schmerzpatienten zu wirtschaftlich tragbaren Bedingungen unmöglich machten, seinen Gestaltungsspielraum überschritten.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 2. Dezember 1992 und des Sozialgerichts Stuttgart vom 10. Oktober 1990 abzuändern, die Honorarberichtigungsbescheide für die Quartale I/88, II/88, IV/88, III/89, IV/89 und IV/90 (Primärkassenbereich) sowie IV/87, I/88, III/89, IV/89, II/90 und IV/90 (Ersatzkassenbereich) aufzuheben, soweit Gebührenansätze nach den Nrn 42 bis 44, 410 und 411 BMÄ/E-GO gestrichen worden sind, und die Beklagte zu verurteilen, die betreffenden Leistungen zu vergüten, und zwar die Leistungen nach den Nrn 410 und 411 mit einem höheren als dem in der Gebührenordnung vorgesehenen Wert.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen sowie das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 2. Dezember 1992 abzuändern und die Klage gegen den Honorarberichtigungsbescheid (Ersatzkassen) vom 7. August 1990 in vollem Umfang abzuweisen.
Sie rügt eine Verletzung des § 96 SGG und des § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sowie eine fehlerhafte Auslegung der Nrn 95 und 465 E-GO. Wortlaut und Zweck des § 96 Abs 1 SGG rechtfertigten es nicht, nachgehende Honorarberichtigungsbescheide auch dann in ein laufendes Gerichtsverfahren einzubeziehen, wenn ihr Regelungsgegenstand von dem des Ausgangsbescheides ganz oder teilweise abweiche. Überdies habe das Berufungsgericht gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verstoßen, denn damit, daß es auch über die Rechtmäßigkeit der Streichung der Nr 95 E-GO entscheiden werde, hätten die Prozeßbeteiligten ohne vorherigen richterlichen Hinweis nicht zu rechnen brauchen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Der Beigeladene zu 1) beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die übrigen Beteiligten haben sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist begründet, diejenige des Klägers ist unbegründet.
Soweit das Berufungsgericht die im Bescheid vom 7. August 1990 verfügte Umwandlung der Nr 95 in die Nr 465 E-GO aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung der Vergütung nach Nr 95 E-GO verurteilt hat, kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Die in Rede stehende Berichtigungsverfügung ist weder kraft Gesetzes in das Gerichtsverfahren einbezogen noch vom Kläger innerhalb der maßgebenden Rechtsbehelfsfrist gesondert angefochten worden. Die auf ihre Aufhebung abzielende Klage war deshalb unzulässig und hätte abgewiesen werden müssen.
Das LSG hat angenommen, der Bescheid vom 7. August 1990 sei gemäß § 96 Abs 1 SGG Gegenstand des Prozesses geworden, weil er bezüglich der Nrn 410 und 411 E-GO gleichlautende Honorarberichtigungen vorgenommen habe wie die Ausgangsbescheide. Es hat dazu auf die ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats verwiesen, nach der eine analoge Anwendung des § 96 SGG geboten ist, wenn ein Honorarbescheid einer KÄV angefochten ist und während des Gerichtsverfahrens weitere Bescheide für spätere Abrechnungszeiträume ergehen, die den Honoraranspruch des Arztes in derselben Weise regeln und deshalb mit derselben Begründung angefochten werden (BSGE 27, 146, 148 = SozR Nr 21 zu § 96 SGG; SozR 1500 § 144 Nr 6; SozR 1500 § 96 Nr 24). Ob an dieser Rechtsprechung, gegen die wiederholt Kritik laut geworden ist (Dreher, SGb 1982, 284 ff; Hennig/Danckwerts/König, Kommentar zum SGG, Stand 1993, § 96 Anm 6), auch in Zukunft festzuhalten sein wird, läßt der Senat offen. Die Frage bedarf keiner Entscheidung, weil eine Einbeziehung der während des Klage- und Berufungsverfahrens ergangenen gleichlautenden Berichtigungsverfügungen hier jedenfalls noch aus Gründen des prozessualen Vertrauensschutzes geboten war (vgl dazu BSG SozR 3-1500 § 161 Nr 3 S 8). Indessen kann die bisherige Spruchpraxis nicht als Begründung für eine uneingeschränkte Einbeziehung auch solcher Folgebescheide in den Prozeß herangezogen werden, die nur teilweise dieselben, zusätzlich aber auch noch weitere, bisher nicht streitgegenständliche Berichtigungsverfügungen zum Inhalt haben.
Bereits die zuvor zitierte, den einschlägigen Entscheidungen entnommene Formulierung macht deutlich, daß der Anwendungsbereich des § 96 Abs 1 SGG jedenfalls auf die Fälle beschränkt ist, in denen der Regelungsgegenstand des ursprünglichen und des späteren Bescheides und der sich daraus ergebende Streitstoff übereinstimmen, so daß jeweils im Kern über dieselbe Rechtsfrage zu entscheiden ist. Nur unter dieser Voraussetzung ist die Einbeziehung der Folgeverwaltungsakte in den anhängigen Rechtsstreit sinnvoll, weil durch sie unnötige Verzögerungen und weitere Prozesse vermieden werden. Das mit der Regelung des § 96 SGG verfolgte Ziel, im Interesse der Prozeßökonomie ein schnelles und zweckmäßiges Verfahren zu ermöglichen, würde hingegen verfehlt, wenn die Gerichte gezwungen wären, im Rahmen des laufenden Prozesses auch solche nachgehenden Verwaltungsentscheidungen zu überprüfen, die einen anderen Streitstoff betreffen oder auf einer anderen Tatsachen- oder Rechtsgrundlage ergangen sind. Auch der wiederholt vom Bundessozialgericht (BSG) angeführte Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes (Schutz des Betroffenen vor Rechtsnachteilen, die ihm dadurch erwachsen, daß er im Vertrauen auf den eingelegten Rechtsbehelf weitere Schritte unterläßt) vermag in solchen Fällen eine Einbeziehung nicht zu rechtfertigen. Dementsprechend hat der Senat etwa bei Honorarkürzungen wegen unwirtschaftlicher Behandlungs- oder Verordnungsweise (dazu Urteil vom 27. April 1982 – 6 RKa 7/79 – in USK 82196 = BKK 1982, 418) oder auch in Zulassungssachen bei wiederholter Befristung einer Ermächtigung (Urteil vom 22. Juni 1994 – 6 RKa 21/92 –, zur Veröffentlichung vorgesehen) wegen der von Quartal zu Quartal unterschiedlichen Verhältnisse eine entsprechende Anwendung des § 96 SGG auf Folgebescheide abgelehnt. Bei Honorarberichtigungsbescheiden hat er sie nur bejaht, wenn in den späteren Quartalen dieselben Gebührenordnungspositionen mit derselben Begründung berichtigt worden waren wie in dem ursprünglich angefochtenen Bescheid (vgl ausdrücklich Urteil vom 7. Oktober 1981 – 6 RKa 9/78 – in SozR 1500 § 96 Nr 24 S 33; Urteil vom 27. April 1982 – 6 RKa 7/79 –, aaO).
Bei dieser rechtlichen Ausgangslage ist für eine Erstreckung der Klage auf die im Bescheid vom 7. August 1990 erstmals erfolgte Streichung eines Ansatzes der Nr 95 E-GO kein Raum. Daran ändert nichts, daß mit dem genannten Bescheid zugleich auch (erneut) über die bereits in den Ausgangsbescheiden behandelte und im Prozeß streitige Frage der Berechnungsfähigkeit der Nr 410 neben der Nr 411 E-GO entschieden worden ist. Daß in bezug auf eine von mehreren in einem Bescheid zusammengefaßten Berichtigungsverfügungen ein Anwendungsfall des § 96 SGG gegeben ist, zwingt nicht dazu, entgegen den Erfordernissen der Prozeßökonomie auch die übrigen, von dieser Vorschrift nicht erfaßten Verfügungen in das anhängige Gerichtsverfahren mit einzubeziehen. Die Beklagte weist mit Recht darauf hin, daß es sich bei den verschiedenen Honorarberichtigungen jeweils um selbständige Verfügungssätze (Einzelverwaltungsakte) handelt, die lediglich aus Zweckmäßigkeitsgründen in einem Bescheid verbunden worden sind. Die einzelnen Regelungen können gesondert angefochten werden und auch sonst in prozessualer Hinsicht ein unterschiedliches Schicksal erleiden. Es bestehen deshalb keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken, die in § 96 Abs 1 SGG vorgesehenen Wirkungen auf einzelne der in einem nachgehenden Bescheid zusammengefaßten Berichtigungsverfügungen zu beschränken. Will der betroffene Arzt auch die neu hinzugekommenen Verfügungen angreifen, muß er insoweit die dafür vorgesehenen Rechtsbehelfe ergreifen. Daß diese Handhabung Erschwernisse, etwa bei der Abfassung der Rechtsbehelfsbelehrung eines nachgehenden Berichtigungsbescheides, mit sich bringen kann, ist hinzunehmen, weil nur so eine sachgerechte Begrenzung des Prozeßstoffes bei gleichzeitiger Wahrung der mit der Regelung des § 96 SGG verfolgten Ziele erreicht wird.
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Das LSG hat zutreffend entschieden, daß die Gebühren nach Nrn 42 bis 44 sowie Nrn 410 und 411 BMÄ/E-GO bei den vom Kläger erbrachten Leistungen nicht berechnungsfähig sind.
Die Nrn 42 bis 44 BMÄ/E-GO gelten nach der Leistungslegende eine konsiliarische Erörterung der von den beteiligten Ärzten in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang am Bett des Kranken oder in dessen Wohnung erhobenen Befunde ab, wobei die Leistung unterschiedlich bewertet wird, je nachdem, ob der dazu erforderliche Arztbesuch zur Tages- oder Nachtzeit durchgeführt wird und ob die beteiligten Ärzte Mitglieder einer Praxisgemeinschaft bzw Gemeinschaftspraxis sind oder nicht. Alle drei Leistungen setzen einen Besuch des Arztes in der Wohnung des Patienten oder am Krankenbett voraus. Mit der engen Fassung des Gebührentatbestandes soll verhindert werden, daß die Gebühren auch dann zur Abrechnung kommen, wenn die konsiliarische Erörterung telefonisch oder während der Behandlung des Patienten in der Praxis des Arztes stattfindet. Berechnungsfähig sind die Nrn 42 bis 44 deshalb nur, wenn der Patient bettlägerig ist oder aus anderen Gründen die Praxis nicht aufsuchen kann. Diese Voraussetzung ist bei den vom Kläger abgehaltenen interdisziplinären schmerztherapeutischen Kolloquien nicht erfüllt. Nach den Feststellungen des LSG erfolgt anläßlich solcher Schmerzkonferenzen, die in besonderen Räumen im Praxisgebäude des Klägers durchgeführt werden, kein Besuch beim Patienten, sondern es wird umgekehrt der Patient zur Untersuchung und Befunderhebung einbestellt. Daß sich die genannten Räume außerhalb der eigentlichen Praxis befinden, rechtfertigt keine andere Betrachtungsweise. Denn ein Besuch beim Patienten liegt, worauf bereits das SG hingewiesen hat, jedenfalls dann nicht vor, wenn es sich bei dem Ort der Behandlung um eine weitere regelmäßige Arbeitsstelle des Arztes handelt, wie dies hier nach dem eigenen Bekunden des Klägers der Fall ist.
Mit Recht hat die Beklagte die Leistungen nach Nrn 410 und 411 BMÄ/E-GO nur einmal je Sitzung vergütet und darüber hinaus die Nr 410 in den Fällen abgesetzt, in denen der Kläger sie für dieselbe Sitzung neben der Nr 411 abgerechnet hatte. Beide Maßnahmen sind durch den eindeutigen Wortlaut der zugehörigen Leistungsbeschreibungen gedeckt. Während mit der Nr 410 BMÄ/E-GO “Lokalanästhesie(n) zur Schmerzbehandlung, je Sitzung” vergütet werden, lautete die Definition der aufgrund einer Änderung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) mit Wirkung vom 30. Juni 1990 aufgehobenen Nr 411 BMÄ/E-GO: “Lokalanästhesie(n) definierter Triggerpunkte, ggf einschließlich der Leistung nach Nr 410, je Sitzung”. In Anbetracht dieser klaren und unmißverständlichen Regelungen verbieten sich Mehrfachabrechnungen und Nebeneinanderabrechnungen der beiden Ziffern entgegen der Ansicht der Revision auch dann, wenn die mehreren in einer Sitzung zur Schmerzbehandlung verabreichten Injektionen bzw Infiltrationen verschiedene Körperregionen betreffen.
Dem Begehren des Klägers kann auch nicht durch eine erweiternde, über den Wortlaut hinausgehende Interpretation der umstrittenen Gebührentatbestände Rechnung getragen werden. Im Hinblick auf den vertraglichen Charakter des EBM und der darauf beruhenden Gebührenordnungen hat der Senat den Gerichten bei der Auslegung von Vorschriften über die Vergütung vertragsärztlicher Leistungen in ständiger Rechtsprechung Zurückhaltung auferlegt. Eine Einbeziehung neuer, vom Wortsinn der Leistungsbeschreibung nicht erfaßter Tatbestände in eine Gebührenregelung im Wege der Analogie oder gar eine Korrektur der vom Bewertungsausschuß vorgenommenen Bewertung nach den eigenen, abweichenden Vorstellungen des Gerichts von der Wertigkeit einer Leistung und der Angemessenheit der Vergütung haben grundsätzlich auszuscheiden, weil damit in ein umfassendes, als ausgewogen vorauszusetzendes Tarifgefüge eingegriffen und dessen Funktionsfähigkeit beeinträchtigt würde. Ausnahmen hiervon sind nur in engen Grenzen und im wesentlichen nur für den Fall anerkannt worden, daß die in erster Linie zur Bewertung der ärztlichen Leistungen berufenen Selbstverwaltungsorgane ihre Bewertungskompetenz mißbräuchlich ausgeübt haben (BSG SozR 5530 Allg Nr 1; BSGE 46, 140, 143 f = SozR 5533 Nr 45 Nr 1; BSGE 58, 35, 37 = SozR 5557 Nr 1 Nr 1).
Die Revision macht hierzu geltend, der Bewertungsausschuß habe bei der Ausgestaltung des Leistungsinhalts und der Bewertung der Nrn 410 und 411 sowie der vollständigen Streichung der Nr 411 BMÄ/E-GO ab 1. Juli 1990 nicht Art und Umfang der mit einer qualifizierten Schmerzbehandlung verbundenen ärztlichen Tätigkeit und deren angemessene Vergütung, sondern in erster Linie die in der Praxis aufgetretenen Auslegungs- und Abgrenzungsschwierigkeiten im Auge gehabt und daraus resultierende Abrechnungsmißbräuche verhindern wollen. Derartige Motive seien sachfremd und rechtfertigten es nicht, medizinisch notwendige und ordnungsgemäß erbrachte Leistungen nicht oder nicht angemessen zu vergüten. Dieser Argumentation kann nicht beigetreten werden. Der Kläger weist selbst darauf hin, daß Schmerzbehandlungen im Sinne der streitigen Gebührenziffern nach geltendem Recht keine spezielle Qualifikation voraussetzen und nicht allein von Schmerztherapeuten, sondern von allen praktischen Ärzten und einschlägig tätigen Gebietsärzten erbracht werden können und erbracht werden. Wenn sich aber wegen fehlender Qualitätsmaßstäbe der Leistungsinhalt nicht genauer eingrenzen läßt und daraus Auslegungs- und Abgrenzungsschwierigkeiten entstehen, ist es Aufgabe des Bewertungsausschusses, durch eine entsprechend enge Fassung und zurückhaltende Bewertung einer übermäßigen bzw mißbräuchlichen Leistungserbringung entgegenzuwirken.
Der Einwand, die bei den umstrittenen Gebührennummern wie auch bei zahlreichen anderen Positionen innerhalb des EBM vorgesehenen Einschränkungen machten eine Behandlung chronisch schmerzkranker Patienten zu wirtschaftlich tragbaren Bedingungen unmöglich und verhinderten, daß sich spezialisierte Schmerzpraxen im ambulanten Bereich etablieren könnten, vermag eine mißbräuchliche Ausübung der Kompetenzen des Bewertungsausschusses nicht aufzuzeigen. Eine wesentliche Ursache der angesprochenen Schwierigkeiten liegt offenkundig darin, daß es bisher nicht gelungen ist, die Schmerztherapie als eigenständigen Zweig der ärztlichen Tätigkeit mit festem Berufsbild und einheitlichen Qualifikationsanforderungen zu definieren und von den sonstigen ärztlichen Verrichtungen abzugrenzen. Die Schaffung der berufsrechtlichen Voraussetzungen für eine Spezialisierung als Schmerztherapeut wie auch die Erarbeitung ausreichender Qualitätsstandards für die Erbringung vertragsärztlicher Leistungen (§ 135 Abs 2 SGB V) ist indessen nicht Aufgabe des Bewertungsausschusses, der seine Entscheidungen auf der Grundlage der vorgefundenen tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten zu treffen hat. Die Auffassung der Revision, durch die Beschränkungen bei den umstrittenen Gebührenziffern und durch deren Bewertung werde die Minderheitsgruppe der Schmerztherapeuten willkürlich benachteiligt, läßt sich vor diesem Hintergrund nicht halten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen