Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosenhilfe – Ruhen – Aufforderung zur Stellung eines Antrags auf Altersrente – Verwaltungsakt – Ermessensausübung bei atypischen Fällen – niedrigerer Rentenzahlbetrag – in absehbarer Zeit – voraussichtlich – Teilrente
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Aufforderung der Bundesanstalt für Arbeit an einen Empfänger von Arbeitslosenhilfe, einen Antrag auf Altersrente zu stellen, handelt es sich um einen Verwaltungsakt.
2. Ist der zu erwartende Rentenzahlbetrag niedriger als die zu zahlende Arbeitslosenhilfe, liegt ein atypischer Fall vor, bei dem die Bundesanstalt für Arbeit vor der Aufforderung zur Stellung eines Altersrentenantrags Ermessen auszuüben hat.
Stand: 18. Dezember 2000
Normenkette
AFG § 118 Abs. 1 Nr. 4, § 134 Abs. 3c S. 1 Fassung: 1996-06-24, S. 2; SGB III § 202 Abs. 1 Fassung 1997-03-24; SGB I § 66 Abs. 1; SGB X § 31
Beteiligte
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 20. Oktober 1998 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Der Kläger begehrt (nur noch) die Zahlung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab 1. September 1996.
Der im September 1935 geborene Kläger bezog vom 1. August 1990 bis 25. Juli 1995 (bis zur Erschöpfung des Alg-Anspruchs) – mit Unterbrechungen – Arbeitslosengeld (Alg) und ab 26. Juli 1995 Anschluß-Alhi; diese war ihm bis 31. August 1996 bewillig worden. Daneben erzielte er aus beruflicher Tätigkeit Einkünfte, die bei der Höhe der Alhi berücksichtigt wurden.
Mit Schreiben vom 26. Juni 1996 forderte ihn die Beklagte auf, bis 31. Juli 1996 Altersrente (AlR) zu beantragen; das Schreiben enthielt ua den Hinweis, daß der Alhi-Anspruch ab 1. August 1996 bis zu dem Tag, an dem Rente beantragt werde, ruhe, wenn der Rentenantrag nicht bis 31. Juli 1996 gestellt werde. Die Beklagte entzog dem Kläger, der sich geweigert hatte, der Aufforderung Folge zu leisten, zunächst gemäß § 66 Abs 1 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) ab 1. August 1996 die Alhi, weil er nicht mitgeteilt habe, ob er einen Rentenantrag gestellt habe (Bescheid vom 12. August 1996), stützte jedoch später (Widerspruchsbescheid vom 8. November 1996) ihr Vorgehen auf § 48 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) iVm § 134 Abs 3c Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Diese Bescheide sowie einen Bescheid über die Erstattung von Alhi für die Zeit vom 1. bis 12. August 1996 (vom 19. November 1996) in der Gestalt des hierzu ergangenen Widerspruchsbescheids (vom 20. Dezember 1996) hat die Beklagte im Revisionsverfahren aufgehoben.
Für den am 1. September 1996 beginnenden neuen Bewilligungsabschnitt lehnte die Beklagte die Fortzahlung von Alhi ab (Bescheid vom 19. November 1996; Widerspruchsbescheid vom 7. Mai 1997). Klage und Berufung blieben erfolglos (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 9. Oktober 1997; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 20. Oktober 1998). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Anspruch auf Alhi ruhe gemäß § 134 Abs 3c Satz 2 AFG, weil der Kläger der ordnungsgemäßen Aufforderung der Beklagten zur Rentenantragstellung nicht nachgekommen sei. § 134 Abs 3c AFG sei entgegen der Auffassung des Klägers auch verfassungsgemäß.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 134 Abs 3c AFG und der Art 2 Abs 1, 3 Abs 1, 12 Abs 1 und 20 Abs 3 Grundgesetz (GG). Er ist der Ansicht, § 134 Abs 3c AFG verstoße insbesondere gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit, weil er ein Hinausdrängen des Arbeitslosen aus dem Erwerbsleben ermögliche. Er selbst habe seine Lebensplanung danach ausgerichtet, erst mit dem vollendeten 65. Lebensjahr in Rente zu gehen; deshalb sei er auch im Rahmen der zulässigen Grenzen während der Arbeitslosigkeit ständig berufstätig und bemühe sich um eine neue Vollzeitarbeitsstelle. Zumindest müsse unter Berücksichtigung dieser Umstände § 134 Abs 3c AFG verfassungskonform ausgelegt und ein atypischer Fall angenommen werden, der die Beklagte zur Ermessensausübung vor der Aufforderung zur Rentenantragstellung zwinge. Ermessen habe die Beklagte indes nicht betätigt, so daß die Ablehnung der Alhi-Zahlung rechtswidrig sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG und den Gerichtsbescheid des SG sowie die Aufforderung der Beklagten vom 26. Juni 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. November 1996 und den Bescheid vom 19. November 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Mai 1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. September 1996 Alhi zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend. Sie ist der Ansicht, nach der gesetzlichen Regelung des § 134 Abs 3c Satz 1 AFG habe der Kläger zur Rentenantragstellung aufgefordert werden müssen; lediglich bei Vorliegen eines atypischen Sonderfalles könne sie hiervon abweichen. Eine solche Atypik sei hier indes nicht anzunehmen. Insbesondere sei die Höhe der zu erwartenden AlR ohne Bedeutung; vielmehr solle nach den Gesetzesmaterialien der Grundsatz der Nachrangigkeit der Alhi gegenüber Versicherungsleistungen auch im Verhältnis zu den Altersrenten verwirklicht werden. Entgegen der Ansicht des Klägers sei die gesetzliche Regelung auch nicht verfassungswidrig; sie stelle sich als Ergänzung zur Ruhensregelung bei tatsächlicher Inanspruchnahme von AlR dar (§ 118 Abs 1 Nr 4 AFG iVm § 134 Abs 4 Sätze 1 und 3 AFG), die das Bundessozialgericht (BSG) bereits für verfassungsgemäß angesehen habe.
II
1. Die Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des LSG-Urteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Soweit das LSG noch über den Zeitraum vom 1. bis 31. August 1996 entschieden hat, ist der Rechtsstreit durch das angenommene Teilanerkenntnis erledigt (§ 101 Abs 2 SGG); insoweit gehen vom Urteil des LSG keine Rechtswirkungen mehr aus.
Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des LSG ist der Senat nicht in der Lage, abschließend darüber zu befinden, ob dem Kläger für den streitigen Zeitraum Alhi zusteht. Es fehlt zum einen an tatsächlichen Feststellungen des LSG dazu, ob die Voraussetzungen für den Anspruch auf Rente wegen Alters voraussichtlich in absehbarer Zeit erfüllt waren (hierzu unter 7), ob der Kläger von der Beklagten ordnungsgemäß aufgefordert worden ist, innerhalb eines Monats einen Rentenantrag zu stellen (hierzu unter 9; zum Rechtscharakter der Aufforderung unter 8), und ob ein sogenannter atypischer Fall vorlag, bei dem die Beklagte hätte Ermessen ausüben müssen (hierzu unter 10 und 11). Sollten die Voraussetzungen für ein Ruhen des Alhi-Anspruchs gemäß § 134 Abs 3c Satz 2 AFG nicht erfüllt sein, würde es außerdem an tatsächlichen Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen der Gewährung von Alhi gemäß § 134 Abs 1 AFG fehlen.
2. In der Sache geht es im Revisionsverfahren nur noch um Alhi für die Zeit ab 1. September 1996, wobei das LSG nach der Zurückverweisung der Sache prüfen mag, bis wann der Kläger die Leistung begehrt. Gegebenenfalls könnte es sich anbieten, den Streitgegenstand durch Erklärungen der Beteiligten zu beschränken. Allerdings ist bei der Entscheidung über die Fortzahlung der Alhi nach Abschluß eines Bewilligungszeitraums gemäß § 139a Abs 2 AFG nach der Rechtsprechung des BSG eine Überprüfung aller Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde und der Höhe nach ohne jegliche Bindung an frühere Bescheide vorzunehmen (vgl nur zuletzt Urteil vom 15. Juni 2000 – B 7 AL 64/99 R –, zur Veröffentlichung vorgesehen, mwN), wobei in der zitierten Entscheidung offengeblieben ist, ob die Fortzahlung der Alhi eine Erneuerung der Arbeitslosmeldung bzw einen Wiederbewilligungsantrag voraussetzt (vgl hierzu BSG, Urteil vom 29. Juni 2000 – B 11 AL 99/99 R –, zur Veröffentlichung vorgesehen, mwN).
Damit hat der Senat über den Bescheid vom 19. November 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Mai 1997 zu befinden, der bereits Gegenstand des laufenden Klageverfahrens geworden war (vgl nur BSG SozR 1500 § 86 Nr 1), weil er zwischen Erlaß des Widerspruchsbescheids vom 8. November 1996 und Klageerhebung gegen diesen Bescheid ergangen ist. Darüber hinaus ist Gegenstand des Revisionsverfahrens die Aufforderung der Beklagten vom 26. Juni 1996 an den Kläger, einen Rentenantrag zu stellen, in der Gestalt jenes Widerspruchsbescheids vom 8. November 1996; wie später ausgeführt wird (vgl unter 8), handelt es sich nämlich bei dieser Aufforderung um einen anfechtbaren Verwaltungsakt, den die Beklagte mit ihrem vom Kläger angenommenen Teilanerkenntnis nicht aufgehoben hat. Ob weitere Bescheide für die Zeit nach dem 1. September 1996 ergangen sind, unterliegt mangels entsprechender Rüge nicht der Prüfung durch den Senat (vgl nur BSG SozR 3-4100 § 44 Nr 11 S 35 mwN); das LSG wird dies jedoch nach der Zurückverweisung der Sache zu prüfen und gegebenenfalls ergangene Bescheide in das Verfahren einzubeziehen haben (§ 153 Abs 1, § 96 Abs 1 SGG).
3. Richtigerweise hat der Kläger eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage erhoben (§ 54 Abs 1 und 4 SGG). Der Erhebung einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage für den Fall, daß die Beklagte unter Umständen bei der Aufforderung zur Rentenantragstellung fehlerhaft gehandelt hat, bedarf es nicht. Auch in diesem Falle müßte die Beklagte, selbst wenn die Aufforderung die Ausübung von Ermessen voraussetzen würde, nicht verurteilt werden, erneut über die Bewilligung von Alhi nach ordnungsgemäßer Aufforderung zur Rentenantragstellung zu befinden. Vielmehr ergäbe sich allein aus der Aufhebung der fehlerhaften Aufforderung und der Aufhebung des Bescheids über die Alhi-Ablehnung, daß die Beklagte bei Vorliegen aller sonstigen Anspruchsvoraussetzungen Alhi für die Vergangenheit zu zahlen hätte. Die in § 134 Abs 3c Satz 1 AFG vorgesehene (rechtmäßige) Aufforderung zur Rentenantragstellung kann nämlich als gesetzliche Voraussetzung für die Rechtsfolge des Ruhens des Alhi-Anspruchs nach der Normlogik und Gesetzessystematik nicht mit Wirkung für die Vergangenheit nachgeholt werden; die Heilung einer fehlerhaften Aufforderung ist durch erneute Aufforderung nicht möglich. Eine erneute Aufforderung kann vielmehr nur Rechtsgrundlage für das künftige Ruhen eines Alhi-Anspruchs sein.
4. Von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensmängel, die einer Entscheidung in der Sache entgegenstünden, liegen nicht vor. Insbesondere war die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG statthaft (§§ 105 Abs 2, 143, 144 Abs 1 SGG) und die Klage zulässig. Diese ist auch innerhalb der Monatsfrist des § 84 SGG erhoben worden (Zustellung des Widerspruchsbescheids am 14. November 1996, Klageerhebung am 13. Dezember 1996), soweit der Senat über die Anfechtung der Aufforderung zur Rentenantragstellung vom 26. Juni 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. November 1996 (den Zeitraum vom 1. bis 31. August betreffend) zu befinden hat. Deshalb kann dahinstehen, ob nicht ohnedies der Klageweg dadurch wiedereröffnet worden ist, daß die Beklagte mit dem späteren, die Zeit ab 1. September betreffenden Bescheid vom 19. November 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Mai 1997 unter inhaltlicher Bezugnahme auf die Aufforderung zur Rentenantragstellung vom 26. Juni 1996 die Fortzahlung von Alhi für einen neuen Bewilligungszeitraum abgelehnt hat.
5. Ob der Kläger ab 1. September 1996 einen Anspruch auf Alhi hat, richtet sich nach § 134 AFG (idF des Gesetzes zur Reform der Alhi ≪AlhiRG≫ vom 24. Juni 1996 – BGBl I 878 –, das am 28. Juni 1996 verkündet und rückwirkend zum 1. April 1996 in Kraft getreten ist; vgl auch die Übergangsvorschrift des § 242v AFG und für die Zeit ab 1. April 1997 die Änderung des § 134 AFG durch Art 11 Nr 30 des Gesetzes zur Reform der Arbeitsförderung vom 24. März 1997 – BGBl I 594 – iVm Art 83 Abs 3 dieses Gesetzes). Sollten Zeiten ab 1. Januar 1998 im Streit sein, was das LSG zu klären hat, wären auch die Regelungen des Sozialgesetzbuchs – Arbeitsförderung – (SGB III) zu beachten, und zwar § 202 Abs 1 SGB III, bei dessen Prüfung dann auf die unter Geltung des AFG ergangene Auforderung der Beklagten zur Rentenantragstellung zurückzugreifen wäre. Gegenwärtig bedarf es hierzu noch keines abschließenden Urteils durch den Senat; allerdings hat der 11. Senat bereits entschieden, aus dem einschlägigen Übergangsrecht des SGB III (§§ 426, 430 SGB III) sei zu entnehmen, daß die Rechtslage nach dem SGB III grundsätzlich mit dessen Inkrafttreten am 1. Januar 1998 maßgebend sei und die AFG-Regelungen nur in Ausnahmefällen Anwendung fänden (BSG, Urteil vom 11. Mai 1999 – B 11 AL 71/98 R –, unveröffentlicht; vgl auch Urteil des Senats vom 4. November 1999 – B 7 AL 76/98 R –, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Vorliegend hat das LSG einen Anspruch auf Alhi bereits unter Anwendung des § 134 Abs 3c AFG abgelehnt, ohne daß es – ausgehend von seiner Rechtsansicht – auf die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen ankam. Nach § 134 Abs 3c Satz 1 AFG soll das Arbeitsamt den Arbeitslosen, der in absehbarer Zeit die Voraussetzungen für den Anspruch auf Rente wegen Alters voraussichtlich erfüllt, auffordern, diese Rente innerhalb eines Monats zu beantragen; dies gilt nicht für Altersrenten, die vor dem für den Versicherten maßgebenden Rentenalter in Anspruch genommen werden können. Stellt der Arbeitslose den Antrag nicht, ruht der Anspruch auf Alhi vom Tage nach Ablauf der Frist bis zu dem Tage, an dem der Arbeitslose Rente wegen Alters beantragt (§ 134 Abs 3c Satz 2 AFG).
§ 134 Abs 3c AFG stellt damit eine von § 66 SGB I abweichende Regelung dar, die für die Anwendung des § 66 Abs 1 SGB I nur Raum läßt, soweit der Arbeitslose (anderen) Mitwirkungspflichten der §§ 60 bis 62, 65 SGB I nicht nachkommt. Systematisch enthält § 134 Abs 3c AFG in seinem Satz 2 die Ruhensregelung mit der alleinigen Voraussetzung, daß einer Aufforderung im Sinne des Satzes 1 nicht Folge geleistet worden ist, während Satz 1 die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Aufforderung selbst normiert.
An der Prüfung der Voraussetzungen des Satzes 1 ist der Senat nicht im Hinblick auf § 77 SGG gehindert. Zwar handelt es sich bei der Aufforderung der Beklagten vom 26. Juni 1996, einen Rentenantrag zu stellen, um einen Verwaltungsakt (vgl unter 8); dieser ist jedoch nicht bindend geworden. Dies ergibt sich bereits daraus, daß die Aufforderung keine Rechtsbehelfsbelehrung (§ 36 SGB X) enthielt und somit für die Erhebung des Widerspruchs gegen dieses Schreiben die Jahresfrist des § 66 Abs 2 SGG galt, die der Kläger eingehalten hat. Offenbleiben kann deshalb, ob die Beklagte nicht ohnedies bei der Entscheidung über das Ruhen des Anspruchs zumindest nach § 44 SGB X erneut in eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Aufforderung einzutreten hätte, und zwar vornehmlich in den Fällen, in denen – wie hier – die Aufforderung auch gesetzliche Voraussetzung für die Ablehnung der Alhi ab Beginn eines neuen Bewilligungsabschnitts ist.
6. Die Anwendung des § 134 Abs 3c Sätze 1 und 2 AFG ist nicht durch Satz 1 2. Halbsatz ausgeschlossen. Mit den dort bezeichneten Renten wegen Alters, die vor dem für den Versicherten maßgeblichen Rentenalter in Anspruch genommen werden können, ist nicht etwa jede Altersrente gemeint, die vor Erreichung der Regelaltersgrenze von 65 Jahren (§ 35 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – ≪SGB VI≫) als sogenannte vorgezogene Altersrente gewährt wird; denn mit Beendigung des 65. Lebensjahres erlischt ohnedies der Alhi-Anspruch (§ 134 Abs 4 Satz 1 AFG iVm § 100 Abs 2 AFG). Die genannte Formulierung nimmt vielmehr auf diejenigen Regelungen des SGB VI Bezug, mit denen die Altersgrenzen von 60 und 63 Jahren für einige der vorgezogenen Altersrenten stufenweise angehoben worden sind, die aber gleichwohl die vorzeitige Inanspruchnahme dieser Renten unter Inkaufnahme von Rentenabschlägen zulassen (vgl § 41 SGB VI idF des Gesetzes vom 23. Juli 1996 – BGBl I 1078 – und des Gesetzes vom 25. September 1996 – BGBl I 1461; derzeit §§ 236 ff SGB VI). Mit dem für den Versicherten maßgebenden Rentenalter sind deshalb die jeweiligen, nach dem Geburtsmonat des Versicherten zu bestimmenden (ggf angehobenen) Altersgrenzen iS dieser Regelungen gemeint, bei deren Erreichung die Rente in vollem Umfang (Zugangsfaktor 1,0), dh ohne Rentenabschlag, gewährt wird (vgl § 77 Abs 1 Nr 3 SGB VI in der bis 31. Dezember 2000 geltenden Fassung; siehe dazu Ebsen in Gagel, AFG, Stand Januar 1998, RdNr 188d zu § 134; Kärcher in Niesel, AFG, 2. Aufl 1997, RdNrn 91 f zu § 134). Renten iS des § 134 Abs 3c AFG, die vor dem für den Versicherten maßgebenden Rentenalter in Anspruch genommen werden, sind somit nur solche, die wegen der „vorzeitigen Inanspruchnahme” mit einem geringeren Zugangsfaktor als 1,0 % (= Rentenabschlag) verbunden sind (vgl § 77 Abs 2 Nr 1 SGB VI). Maßgeblich für einen im Juli 1996 voraussichtlich bestehenden Rentenanspruch des Klägers auf vorgezogene AlR, der hier in erster Linie als AlR-Anspruch wegen Arbeitslosigkeit in Betracht kommt, ist § 41 Abs 1 SGB VI iVm Anl 19, der indes den Kläger nicht erfaßt, weil dieser vor dem 1. Januar 1937 geboren ist und daher nach wie vor diese Rente grundsätzlich mit 60 Jahren beanspruchen kann.
7. Bereits die rentenrechtlichen Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Aufforderung können mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen durch das LSG nicht beurteilt werden. Insoweit sind zwei Gesichtspunkte zu unterscheiden. Das LSG hätte zum einen prüfen müssen, ob voraussichtlich ein Anspruch auf Rente wegen Alters bestand; die Anspruchsvoraussetzungen mußten zum anderen in absehbarer Zeit erfüllt sein. Diese Formulierung („in absehbarer Zeit”) soll der Beklagten ermöglichen, bei „voraussichtlichem” Anspruch den Arbeitslosen so rechtzeitig aufzufordern, daß unter Berücksichtigung der üblichen Bearbeitungszeit eines Rentenantrags dem frühestmöglichen Entstehungszeitpunkt des AlR-Anspruchs (§ 99 Abs 1 SGB VI) Rechnung getragen werden kann. Die Formulierung „voraussichtlich” bedeutet demgegenüber, daß die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung einer AlR nicht mit Gewißheit vorliegen müssen, sondern daß ein geringerer Grad an Sicherheit als Voraussetzung für die Aufforderung genügt, einen Rentenantrag zu stellen.
Ausreichend ist in diesem Zusammenhang auch ein Teilrentenanspruch (§ 42 Abs 1 und 2 SGB VI), wie ein Vergleich mit der Regelung des § 118 Abs 1 Nr 4 AFG zeigt. Nach dieser Vorschrift ruht der Anspruch auf Alhi (vgl § 134 Abs 4 Satz 1 AFG) während der Zeit, für die dem Arbeitslosen eine AlR aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistung öffentlich-rechtlicher Art zuerkannt ist. Hierzu hat der Senat bereits entschieden, daß auch der Bezug einer Teilrente ruhensbegründend ist (BSGE 81, 134, 140 = SozR 3-4100 § 142 Nr 2). Mit der Einfügung des Abs 3c in § 134 AFG durch das AlhiRG sollte die Ruhensregelung des § 118 Abs 1 Nr 4 AFG – allerdings nur bezogen auf den AlR-Anspruch – konzeptionell ergänzt werden (BSG aaO); die Alhi soll nicht erst ruhen, wenn die AlR zuerkannt ist, sondern schon dann, wenn der Arbeitslose seinen Lebensunterhalt mittels einer AlR bestreiten könnte, aber einen Antrag auf Gewährung dieser Rente nicht stellt (vgl den Bericht des Abgeordneten Adolf Ostertag zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung in BT-Drucks 13/3725 S 10). Wie bei § 118 Abs 1 Nr 4 AFG muß deshalb auch bei § 134 Abs 3c Satz 1 AFG ein Anspruch auf Teilrente genügen.
Nach der Zurückverweisung der Sache wird das LSG zu ermitteln haben, ob und ab wann die Voraussetzungen für die Gewährung einer AlR zum Zeitpunkt der Aufforderung der Beklagten vorlagen. Obwohl keine völlige Gewißheit verlangt wird, kann dabei auf eine Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen des § 38 SGB VI (hier idF des Gesetzes vom 23. Juli 1996 – BGBl I 1078 – in Kraft ab 1. August 1996) – gegebenenfalls auch des § 37 SGB VI – iVm § 99 Abs 1 SGB VI und § 34 SGB VI nicht verzichtet werden. Welcher Grad der Gewißheit zu verlangen ist, bedarf zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keiner Entscheidung; diese wäre nur dann erforderlich, wenn bei einer Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen irgendwelche Zweifel verblieben. Auch die Frage nach der „absehbaren Zeit” braucht erst beantwortet zu werden, wenn ermittelt ist, wann der AlR-Anspruch entstanden wäre.
Jedenfalls genügt es – schon nach dem Wortlaut der Vorschrift – nicht, wenn die Beklagte und das LSG allein darauf abstellen, daß der Kläger zum Zeitpunkt der Aufforderung bereits das 60. Lebensjahr vollendet hatte und bereits länger als ein Jahr arbeitslos war. Denn § 38 SGB VI enthält weitere Voraussetzungen für einen Rentenanspruch, ua die Erfüllung der Wartezeit und einer besonderen Vorversicherungszeit. Würden diese überhaupt nicht geprüft, beruhte die Aufforderung der Beklagten auf einer reinen Vermutung und würde eine Aufforderung „ins Blaue hinein” darstellen. Ein solches Verständnis der Vorschrift verstieße schon deshalb gegen Sinn und Zweck der Norm, weil nach § 134 Abs 3c Satz 1 AFG im Hinblick auf die Formulierung „soll” in atypischen Fällen vor der Aufforderung zur Rentenantragstellung Ermessen auszuüben bzw von einer Aufforderung uU sogar im Sinne einer Ermessensschrumpfung abzusehen ist, und zwar auch im Hinblick auf die zu erwartende Rentenhöhe (vgl unter 10). Aber auch der Rechtscharakter der Aufforderung impliziert eine nähere Überprüfung durch die Bundesanstalt für Arbeit.
8. Denn bei der Aufforderung zur Stellung eines Rentenantrags handelt es sich um einen belastenden Verwaltungsakt (§ 31 SGB X), der in die Rechte des Arbeitslosen unmittelbar eingreift (vgl zu einer ähnlichen Situation im Krankenversicherungsrecht der 3. Senat des BSG, der in bezug auf die Aufforderung zur Stellung eines Rehabilitations- oder Rentenantrags die Formulierung „rechtsverbindlich” gebraucht: BSGE 52, 26, 31 = SozR 2200 § 1248 Nr 33; BSG, Urteil vom 4. Juni 1981 – 3 RK 82/80 –, USK 81125). Die Aufforderung hat Regelungscharakter (so auch Ebsen in Gagel, AFG, Stand Januar 1998, RdNr 188g zu § 134); ihr fehlt es insbesondere nicht an der Unmittelbarkeit der Außenwirkung. Selbst wenn es sich bei der von Arbeitslosen geforderten Rentenantragstellung nicht um ein (durch Vollstreckung) erzwingbares Verhalten handelt (vgl zu einer derartigen Verfügung BSG SozR 7815 Art 1 § 7 Nr 1 S 3 f), wird doch durch die Aufforderung zur Rentenantragstellung auf den Arbeitslosen ein Druck ausgeübt, der dem Verlangen nach einem (durch Vollstreckung) erzwingbaren Verhalten nahekommt. Stellt nämlich der Arbeitslose trotz entsprechender Aufforderung den von ihm verlangten Rentenantrag nicht, ruht sein Anspruch ohne weiteres nach § 134 Abs 3c Satz 2 AFG. Die Voraussetzungen für diese Rechtsfolge sind mit anderen Worten allesamt in § 134 Abs 3c Satz 1 AFG als tatbestandliche Voraussetzungen für die Aufforderung selbst genannt, während die Prüfung des Satzes 2 sich allein darauf beschränkt, ob der Antrag gestellt wurde, also nur noch marginale Bedeutung besitzt. Wie noch später auszuführen ist (vgl unter 11), wird der Arbeitslose bereits durch die Aufforderung zur Rentenantragstellung im Hinblick auf die Rechtswirkungen des § 118 Abs 1 Nr 4 AFG faktisch aus dem Erwerbsleben herausgedrängt. Dann aber ergibt sich kein essentieller Unterschied zu einem (durch Vollstreckung) erzwingbaren Verhalten; es handelt sich vielmehr um einen unmittelbaren Eingriff in die Rechtsposition des Arbeitslosen. Es kann offenbleiben, ob gleiche Überlegungen für § 61 SGB I oder § 132 AFG gelten (vgl hierzu: BSGE 62, 173, 175 = SozR 4100 § 132 Nr 4; BSG SozR 4100 § 132 Nr 1 S 7; BSG, Urteil vom 8. Dezember 1987 – 7 RAr 4/86 –, AuB 1988, 138, 139). Das LSG wird die erforderliche rentenrechtliche Abklärung nachzuholen haben.
9. Dem Senat ist darüber hinaus keine abschließende Entscheidung möglich, ob die Aufforderung der Beklagten aus anderen als rentenrechtlichen Gründen ordnungsgemäß war. Keiner abschließenden Entscheidung bedarf die Frage, ob der Arbeitslose – über die im Gesetz genannten Voraussetzungen hinaus – mit der Aufforderung zur Rentenantragstellung über die Rechtsfolgen einer Nichtstellung dieses Antrags belehrt werden muß. Im Hinblick auf die gravierenden gesetzlichen Folgen wird dies wohl bejaht werden müssen (Ebsen in Gagel, AFG, Stand Januar 1998, RdNr 188j zu § 134; vgl auch in anderem Zusammenhang BSGE 84, 270, 276 mwN = SozR 3-4100 § 119 Nr 19). Die Anhörung des Klägers (§ 24 SGB X) ist spätestens im Widerspruchsverfahren (betreffend den Bescheid vom 12. August 1996) nachgeholt worden (§ 41 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 3 SGB X).
Die tatsächlichen Feststellungen des LSG ermöglichen dem Senat aber kein Urteil darüber, ob die Beklagte den Kläger aufgefordert hat, „innerhalb eines Monats” die Rente zu beantragen, ob also mit der im Schreiben vom 26. Juni 1996 genannten Frist bis „31. Juli 1996” die Monatsfrist eingehalten war. Es fehlen Feststellungen dazu, wann dem Kläger das Schreiben der Beklagten vom 26. Juni 1996 bekanntgegeben worden ist (§ 37 SGB X). Sollte es, wovon nach Aktenlage auszugehen ist, durch die Post übermittelt worden sein, würde das Schreiben am dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekanntgegeben gelten (Zugangsfiktion), außer wenn es nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Beklagte den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen (§ 37 Abs 2 SGB X) und gegebenenfalls die Nachteile einer Nichtbeweisbarkeit zu tragen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß das Schreiben vom 26. Juni 1996 erst am 28. Juni oder später abgesandt worden ist; denn das AlhiRG, mit dem Abs 3c in § 134 AFG eingefügt worden ist, ist erst am 28. Juni 1996 verkündet worden.
10. Schließlich kann der Senat mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen durch das LSG nicht abschließend darüber befinden, ob die Beklagte, wovon sie ausgegangen ist, gehalten war, den Kläger zur Rentenantragstellung aufzufordern. Hätte die Beklagte bei der Aufforderung zur Rentenantragstellung Ermessen ausüben müssen, wären die Aufforderung und die darauf aufbauende Ablehnung der Alhi-Gewährung für die Zeit ab 1. September 1996 mangels Ermessensausübung rechtswidrig (§ 30 SGB I, § 54 Abs 2 Satz 2 SGG). Gemäß § 134 Abs 3c Satz 1 AFG „soll” das Arbeitsamt den Arbeitslosen auffordern, einen Rentenantrag zu stellen. Nach der üblichen Gesetzesterminologie hat der Gesetzgeber der Bundesanstalt für Arbeit in § 134 Abs 3c AFG durch diese Formulierung – wie auch in anderen vergleichbaren Fällen – ein gebundenes Ermessen zugestanden (vgl etwa zu § 48 SGB X Steinwedel in Kasseler Komm, Stand 30. April 2000, RdNrn 35 ff mwN, und zu § 2 Abs 1 Satz 1 Schwerbehindertengesetz Urteil des Senats vom 2. März 2000 – B 7 AL 46/99 R –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Dies bedeutet, daß in atypischen Fällen Ermessen auszuüben ist bzw von der Aufforderung zur Rentenantragstellung sogar abgesehen werden muß. Darüber, ob ein atypischer Fall vorliegt, ist keine allgemeine Aussage möglich; vielmehr ist auf den Zweck der Regelung und die Umstände des Einzelfalls abzustellen (vgl BSGE 59, 111, 116 = SozR 1300 § 48 Nr 19). Der Zweck seinerseits ergibt sich zuvörderst aus Gesetzesbegründung und Systematik des Normgefüges.
Mit der Einfügung des Abs 3c in § 134 AFG sollte nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers der Grundsatz der Nachrangigkeit der Alhi gegenüber Versicherungsleistungen auch im Verhältnis zu den Renten wegen Alters verwirklicht werden (BT-Drucks 13/2898 S 6 zu Nr 2 Buchst b). Da es hierzu aber eines Rentenantrags bedarf, der dem Dispositionsrecht des Arbeitslosen unterliegt, sollte und mußte dessen Dispositionsrecht eingeschränkt werden (BT-Drucks aaO; Bericht des Abgeordneten Adolf Ostertag zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks 13/3725 S 10). Diese gesetzliche Zielsetzung darf indes nicht isoliert, sondern muß im Kontext zu §§ 118 Abs 1 Nr 4, 134 Abs 4 Satz 1 AFG gesehen werden. Danach ruht der Alhi-Anspruch mit Zuerkennung der AlR in vollem Umfang und ohne Rücksicht auf die Höhe der AlR. Grund dafür ist, daß der Gesetzgeber typisierend davon ausgeht, daß der AlR-Empfänger aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist und der Arbeitsvermittlung nicht mehr zur Verfügung steht (BSGE 81, 134, 139 = SozR 3-4100 § 142 Nr 2). Diese Annahme und damit die gesamte Konzeption des § 118 Abs 1 Nr 4 AFG läßt sich aber nur rechtfertigen, weil der Arbeitslose sein Dispositionsrecht zur Stellung eines Rentenantrags selbst ausgeübt hat; denn gerade dieser Umstand dokumentiert seine Situation im Erwerbsleben bzw sein Ausscheiden aus diesem (BSG aaO) und rechtfertigt damit die Gleichstellung mit den Arbeitslosen, die bereits das 65. Lebensjahr vollendet und deshalb keinen Alg/Alhi-Anspruch mehr besitzen (BSG aaO).
Wenn der Gesetzgeber mit § 134 Abs 3c AFG (nur) den Nachrang der Alhi realisieren wollte, mit anderen Worten nur verhindern wollte, daß sich ein Arbeitsloser auf Bedürftigkeit berufen kann (§ 134 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFG), so setzt dies denknotwendig voraus, daß die AlR regelmäßig nicht niedriger ist als die Alhi. Um die Frage der Bedürftigkeit geht es nämlich nur, wenn die zu erwartende AlR mindestens so hoch ist wie die zu zahlende Alhi; wäre sie niedriger, müßte der die AlR übersteigende Alhi-Betrag weiter gezahlt werden. Diese Rechtsfolge kann allerdings wegen § 118 Abs 1 Nr 4 AFG iVm § 134 Abs 4 Satz 1 AFG nicht eintreten, weil danach der Alhi-Anspruch in vollem Umfang ruht, selbst wenn der AlR-Anspruch noch so niedrig ist. Aufgabe des § 118 Abs 1 Nr 4 AFG ist dabei die Abgrenzung sozialrechtlicher Risikobereiche mittels der Fiktion eines Ausscheidens aus dem Erwerbsleben, nicht die Durchsetzung der Nachrangigkeit des Alhi-Anspruchs (BSGE 81, 134, 140 = SozR 3-4100 § 142 Nr 2). Zwar wird die Wirkung des § 118 Abs 1 Nr 4 AFG durch § 134 Abs 3c AFG verstärkt (BSG aaO); § 134 Abs 3c AFG dient aber gleichwohl nach der ausdrücklichen Begründung des Gesetzgebers konzeptionell nicht der Aufteilung in Zuständigkeitsbereiche der Bundesanstalt für Arbeit und der Rentenversicherungsträger. Hat nun der Gesetzgeber vor diesem Hintergrund die Ruhenswirkung des § 118 Abs 1 Nr 4 AFG nicht auf den Bezug der AlR nach freiwilliger Rentenantragstellung beschränkt, so müssen als untypisch im Rahmen des § 134 Abs 3c Satz 1 AFG alle die Fälle angesehen werden, in denen die zu zahlende AlR niedriger als die zu zahlende Alhi wäre. Nur diese Auslegung ist mit dem Gesamtkonzept der §§ 118 Abs 1 Nr 4, 134 Abs 3c AFG vereinbar. Offenbleiben kann insoweit, ob eine verfassungskonforme Auslegung, etwa im Hinblick auf Art 12 GG, zu einer entsprechenden Auslegung des § 134 Abs 3c AFG nötigen würde, weil § 134 Abs 3c AFG, selbst wenn er subjektiv keine berufsregelnde Tendenz besitzt, faktisch jedenfalls den Arbeitslosen iVm § 118 Abs 1 Nr 4 AFG so behandelt, als sei er aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Dieser Auslegung der Norm steht im übrigen nicht entgegen, daß die Bundesregierung außerhalb des Gesetzgebungsverfahrens und nach Erlaß des Gesetzes im Dezember 1996 über den Parlamentarischen Staatssekretär Günther die Rechtsansicht vertrat, die Höhe der zu erwartenden Rente sei für die Frage der Atypik unbeachtlich (BT-Drucks 13/6447 S 23 zu Nr 29). Das LSG wird deshalb die (voraussichtliche) Höhe der vom Kläger bei Rentenantragstellung im Juli 1996 zu erwartenden AlR im einzelnen zu ermitteln haben.
11. Eine genauere Prüfung, ob ein atypischer Fall vorliegt, ist außerdem erforderlich, wenn der Arbeitslose – wie hier – noch Verdienste aus beruflichen Tätigkeiten erzielt, die entweder auf die Alhi angerechnet werden (§ 134 Abs 4 Satz 1 AFG iVm § 115 AFG) oder sogar für Teilzeiträume dem Alhi-Anspruch entgegenstehen (fehlende Verfügbarkeit oder Arbeitslosigkeit). Denn wird – wie bereits ausgeführt – in § 118 Abs 1 Nr 4 AFG typisierend unterstellt, daß der Empfänger einer AlR aufgrund seiner Rentenantragstellung wie ein aus dem Erwerbsleben Ausgeschiedener zu behandeln ist, so ist dieses Konzept nur schlüssig, wenn es sich bei dem Arbeitslosen, der nach § 134 Abs 3c AFG zur Rentenantragstellung aufgefordert wird, gerade um den typischen älteren Arbeitslosen handelt, der nach dem Bezug von Alg wegen seines Alters im Hinblick auf die Arbeitsmarktlage ohnedies nur noch eingeschränkt vermittelbar ist und tatsächlich keine beruflichen Tätigkeiten mehr ausübt. Ein Vergleich mit anderen Vorschriften des AFG bestätigt dies. So soll das Arbeitsamt nach § 105c Abs 2 AFG den Arbeitslosen auffordern, einen AlR-Antrag zu stellen, wenn er das 58. Lebensjahr vollendet hat und die in § 101 bis 103 genannten Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg allein deshalb nicht erfüllt, weil er nicht bereit ist, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder an zumutbaren beruflichen Bildungsmaßnahmen teilzunehmen. Die mangelnde Bereitschaft des Arbeitslosen, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen, dokumentiert, daß es sich um einen Leistungsempfänger handelt, der sich bereits aus dem Erwerbsleben zurückzieht. Gleiches gilt für § 249e Abs 4 AFG, wonach das Arbeitsamt einen Empfänger von Altersübergangsgeld (Alüg) zur Stellung eines AlR-Antrags auffordern kann; auch der Alüg-Empfänger muß nicht mehr bereit sein, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen (§ 249e Abs 2 Nr 2 AFG). Ein atypischer Fall liegt mithin um so eher vor, je mehr der Alhi-Empfänger noch am Berufsleben teilnimmt. Dies gilt in besonderer Weise, wenn der Arbeitslose die Hinzuverdienstgrenzen bei einer Altersvollrente überschreitet (§ 34 Abs 3 SGB VI) bzw eine Teilrente (§ 42 SGB VI) beantragen müßte.
Das LSG wird dies und gegebenenfalls die sonstigen Voraussetzungen eines Alhi-Anspruchs zu ermitteln und zu prüfen sowie bei seiner Kostenentscheidung zu berücksichtigen haben, daß die Beklagte den Anspruch des Klägers teilweise anerkannt hat. Bei dieser Sach- und Rechtslage bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob die Regelung des § 134 Abs 3c AFG verfassungsgemäß ist. Verfassungsrechtlichen Bedenken kann im übrigen im Rahmen einer Prüfung der Atypik und einer Ermessensreduzierung Rechnung getragen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 448624 |
BSGE 87, 31 |
BSGE, 31 |
FA 2001, 94 |
SozR 3-4100 § 134, Nr. 22 |
AuS 2000, 70 |
NJOZ 2001, 109 |
SozSi 2001, 99 |
info-also 2001, 31 |
info-also 2002, 186 |