Verfahrensgang
LSG Berlin (Urteil vom 23.06.1995) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 23. Juni 1995 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob die Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 1. Mai 1973 bis 31. Mai 1975 ein Altersruhegeld für Frauen zu gewähren hat und ob sie die Zahlung des Altersruhegeldes nach Vollendung des 65. Lebensjahres für die Zeit vom 1. Juni 1975 bis 31. Dezember 1987 verweigern kann.
Mit Schreiben vom 25. Oktober 1971 wandte sich die Versicherungsabteilung der Beklagten an die am 6. Mai 1910 geborene Klägerin und bat, weil sie zu dem Jahrgang gehöre, der in absehbarer Zeit bei Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen Altersruhegeld beantragen könne, um Mitteilung, welche Beiträge zuletzt zu welchem Rentenversicherungsträger entrichtet worden seien. Über diesem Schreiben stand als Überschrift „Gilt nicht als Rentenantrag”.
Am 29. Februar 1972 ging bei der Beklagten der Antrag der Klägerin vom 23. Februar 1972 auf Vergabe der Versicherungsnummer mit Angaben zum Versicherungsverlauf ein, wobei auch auf diesem Vordruckformular der Hinweis enthalten war: „Dieser Antrag gilt nicht als Rentenantrag”. Auf S 10 des Antragsvordrucks unterschrieb die Klägerin ua eine Erklärung (IX.), in der es hieß: „Mir ist bekannt, daß durch diesen Antrag kein Rentenverfahren eingeleitet wird.” Auf S 11 des Vordrucks: „Raum für weitere Vermerke und Erläuterungen”, machte die Klägerin Ausführungen über ihre Tätigkeiten, die sie wegen eines Beinleidens „nie lange” habe ausüben können, und schloß mit den Sätzen: „Und ich bin der Meinung, das es zu einer Rente bei mir nicht reichen wird. Es sind keine vollen Jahre beisammen.” Durch Schreiben vom 18. April 1972, das mit „Betr.: Ihren – Rentenantrag -” begann, wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, daß für behauptete Versicherungs- bzw Ersatz- und Ausfallzeiten von 1942 bis 1943 bisher keine Nachweise oder Beweismittel zur Glaubhaftmachung vorlägen; außerdem werde um Mitteilung gebeten, wer bis 1940 Arbeitgeber gewesen sei. Mit Schreiben vom 7. Februar 1973 übersandte die Beklagte der Klägerin einen am 31. Januar 1973 erstellten Versicherungsverlauf, aus dem sich ergab, daß auf die Wartezeit 282 Monate anrechenbar waren. Hieran schloß sich die Berechnung der pauschalen Ausfallzeit an, deren letzte Zeile lautete: „Bis 31.12.1956 nachgewiesene Ausfallzeit 0 Monate”.
Am 12. März 1992 ging bei der Beklagten ein Rentenantrag der Klägerin auf Altersruhegeld wegen Vollendung des 60. Lebensjahres für weibliche Versicherte ein. Dazu erläuterte die Bevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 11. März 1992 und 21. April 1992, sie sei der Meinung, daß von einem im Jahre 1972 eingeleiteten Rentenverfahren ausgegangen werden müsse. Es werde beantragt, die Erklärung auf S 11 des am 29. Februar 1972 bei der Beklagten eingegangenen Antragsvordrucks als Rentenantragstellung zu werten. Das Verfahren sei noch offen, die Bescheiderteilung sei nachzuholen. Alle Voraussetzungen für eine Rentengewährung gemäß § 1248 Abs 3 RVO hätten seinerzeit bereits vorgelegen. Die Tatsache, daß die Klägerin irrtümlich davon ausgegangen sei, keinen Rentenanspruch zu haben, werde glaubwürdig, weil sie zu keiner Zeit – auch nicht bei Vollendung des 65. Lebensjahres – wieder angefragt habe. Es habe keinen Grund gegeben, auf die Rente zu verzichten.
Mit Rentenbescheid vom 13. Oktober 1992 bewilligte die Beklagte der Klägerin Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Ausgehend vom Eintritt des Versicherungsfalls am 5. Mai 1975 stellte sie den Beginn der Rente am 1. Juni 1975 fest. Für die Zeit vom 1. Januar 1988 bis 31. Oktober 1992 errechnete die Beklagte eine Nachzahlung in Höhe von 45.231,70 DM und die laufende Rente monatlich ab 1. November 1992 in Höhe von 854,38 DM. Für die Zeit vom 1. Juni 1975 bis 31. Dezember 1987 machte sie Verjährung gemäß § 45 SGB I geltend. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und berief sich auf einen am 29. Februar 1972 gestellten Antrag auf Rente ab 1. Mai 1973 nach Aufgabe der letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung. Am 15. Februar 1993 erließ die Beklagte einen weiteren Bescheid, durch den sie den Antrag ablehnte, das Datum vom 29. Februar 1972 (Eingang des Kontenklärungsantrages vom 23. Februar 1972) als Datum der Rentenantragstellung anzusehen. Die Klägerin widersprach auch diesem Bescheid. Im Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 1993 wies die Beklagte die Widersprüche der Klägerin zurück und führte zur Begründung im wesentlichen aus, die Klägerin habe vor dem 11. März 1992 keinen Rentenantrag gestellt.
Zur Begründung ihrer hiergegen beim SG Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und ua auch auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch verwiesen. Jedenfalls könne die Beklagte unter den gegebenen Umständen nicht mit Erfolg die Einrede der Verjährung erheben. Das SG hat mit Urteil vom 15. März 1994 den (Renten-)Bescheid vom 13. Oktober 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 1993 insoweit aufgehoben, als wegen der Zahlungsansprüche auf das Altersruhegeld für die Zeit vom 1. Juni 1975 bis 31. Dezember 1987 die Einrede der Verjährung erhoben worden ist. Außerdem hat es den Bescheid vom 15. Februar 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 1993 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin auch ein Altersruhegeld für Frauen für die Zeit vom 1. Mai 1973 bis 31. Mai 1975 zu gewähren. Zur Begründung ist im wesentlichen ausgeführt worden: Der sich aus § 1248 Abs 3 RVO für die vorgenannte Zeit ergebende Anspruch auf Altersruhegeld beruhe auf einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch wegen unterbliebener ausreichender Beratung aufgrund eines konkreten Beratungsersuchens vom 23. Februar 1972. Da die Klägerin aufgrund eines Beratungsfehlers der Beklagten nicht in den Genuß der Rentenzahlung ab 1. Mai 1973 gekommen sei, verstoße die Erhebung der Einrede der Verjährung hinsichtlich der Zahlung ab 1. Juni 1975 gegen Treu und Glauben.
Das LSG Berlin hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt worden: Das SG habe die Beklagte zu Unrecht verurteilt, der Klägerin aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ein Altersruhegeld für Frauen gemäß § 1248 Abs 3 RVO für die Zeit vom 1. Mai 1973 bis 31. Mai 1975 zu gewähren. Selbst wenn nämlich der fehlende Rentenantrag, der für das Altersruhegeld für Frauen materielle Anspruchsvoraussetzung ist, und der, wie das SG im einzelnen, auch nach Auffassung des erkennenden Senats, zutreffend dargelegt habe, von der Klägerin nicht gestellt worden sei, im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs fingiert werden könnte, habe die Beklagte den Anspruch nach § 1248 Abs 3 RVO für die Zeit vom 1. Mai 1973 bis zum 31. Mai 1975 nicht mehr erfüllen dürfen, weil nach § 44 Abs 4 Satz 1 SGB X Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren erbracht werden dürften. Im Ergebnis gelte auch nichts anderes für das Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres (§ 1248 Abs 5 RVO), das wegen der Ausschlußfrist des § 44 Abs 4 SGB X erst ab 1. Januar 1988 gezahlt werden dürfe. Unter diesen Umständen brauche die Verjährungsvorschrift des § 45 SGB I im vorliegenden Fall nicht geprüft zu werden.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin sinngemäß die Verletzung materiellen Rechts und macht im wesentlichen geltend: Für die Zeit vom 1. Mai 1973 (Beschäftigungsaufgabe) bis 31. Mai 1975 (Vollendung des 65. Lebensjahres) sei ihr entweder aufgrund Antrags vom 29. Februar 1972 oder unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs das Altersruhegeld für Frauen zu gewähren. Hinsichtlich der Zahlung des Altersruhegeldes vom 1. Juni 1975 bis 31. Dezember 1987 sei der Anspruch weder verwirkt oder durch § 44 Abs 4 SGB X ausgeschlossen, noch könne sich die Beklagte mit Erfolg auf Verjährung gemäß § 45 Abs 1 SGB I berufen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 23. Juni 1995 aufzuheben, die Bescheide der Beklagten vom 13. Oktober 1992 und vom 15. Februar 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 1993 zu ändern sowie die Beklagte zu verurteilen, ein Altersruhegeld auch für die Zeit vom 1. Mai 1973 bis 31. Dezember 1987 zu gewähren,
hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes über die Einrede der Verjährung neu zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das SG hat zu Unrecht den Bescheid vom 15. Februar 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 1993 aufgehoben und die Beklagte zur Gewährung von Altersruhegeld für die Zeit vom 1. Mai 1973 bis 31. Mai 1975 verurteilt; auch durfte nicht die vorgenannte Verwaltungsentscheidung insoweit aufgehoben werden, als die Zahlung von Altersruhegeld für die Zeit vom 1. Juni 1975 bis 31. Dezember 1978 wegen Verjährung abgelehnt worden ist.
Der Rentenanspruch der Klägerin richtet sich noch nach den Vorschriften der RVO, weil die Klägerin ihren Rentenantrag vor dem 1. April 1992 gestellt hat und der begehrte Rentenbeginn vor dem 1. Januar 1992 liegt (§ 300 Abs 2 SGB VI).
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Altersruhegeld für Frauen nach Vollendung des 60. Lebensjahres gemäß § 1248 Abs 3 RVO. Zwar hatte die Klägerin am 1. Mai 1973, dem Zeitpunkt des von ihr begehrten Rentenbeginns, das 60. Lebensjahr vollendet. Ferner war die erforderliche Wartezeit von 180 Kalendermonaten Versicherungszeit (§ 1248 Abs 7 Satz 2 RVO) erfüllt, da sich aus Pflichtbeiträgen 282 anrechenbare Monate ergaben. Schließlich hat die Klägerin auch in den letzten zwanzig Jahren überwiegend eine rentenversicherungsrechtliche Beschäftigung ausgeübt. Sie hat aber den gemäß § 1248 Abs 3 RVO notwendigen Antrag bis zu einer von einem Antrag unabhängigen Entstehung eines Anspruchs auf Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres (s unten Ziff 2) nicht gestellt. Insoweit könnten allein die Erklärungen der Klägerin vom 23. Februar 1972, bei der Beklagten am 29. Februar 1972 eingegangen, in Betracht gezogen werden. Die Vorinstanzen sind indessen zutreffend davon ausgegangen, daß die Klägerin am 29. Februar 1972 ausdrücklich keinen Antrag auf Altersruhegeld gestellt hat. Vielmehr handelte es sich nach dem eindeutigen Vordruck und den darin enthaltenen Erklärungen der Klägerin lediglich um einen Antrag auf Vergabe der Versicherungsnummer mit Angaben zum Versicherungsverlauf.
Ebensowenig kann ein sinngemäß gestellter Antrag auf Altersruhegeld aus den auf S 11 des Vordrucks handschriftlich hinzugefügten Worten „Und ich bin der Meinung, das es zu einer Rente bei mir nicht reichen wird. Es sind keine vollen Jahre beisammen.” hergeleitet werden. Empfangsbedürftige Willenserklärungen sind so auszulegen, wie sie der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mußte (vgl Palandt/Heinrichs, Komm zum BGB, 56. Aufl 1997, § 133 RdNrn 9 ff mwN). Zweifelhaft ist schon, ob die Klägerin im Februar 1972 überhaupt einen Rentenantrag stellen wollte, weil sie zu dieser Zeit noch erwerbstätig war und gemeinhin bekannt ist, daß Rente neben einer Erwerbstätigkeit in der Regel nicht gezahlt wird. Jedenfalls war aber für die Beklagte nach dem objektiven Erklärungswert der og Formulierung nicht erkennbar, daß die Klägerin trotz der eindeutigen Formularbezeichnung und des vorgedruckten Zusatzes „Dieser Antrag gilt nicht als Rentenantrag” (S 1) sowie der vor der Unterschrift stehenden vorformulierten Erklärung „Mir ist bekannt, daß durch diesen Antrag kein Rentenverfahren eingeleitet wird.” (S 10) dennoch einen Antrag auf Altersruhegeld stellen wollte. Vielmehr machte die Erklärung auf S 11 des Vordrucks durchaus auch einen Sinn für das sog Kontenklärungsverfahren, das – entsprechend dem Schreiben der Beklagten vom 25. Oktober 1971 – der Vorbereitung eines Rentenverfahrens dient. Daß die Klägerin möglicherweise aus einem anschließenden Schreiben der Beklagten den – unzutreffenden – Schluß gezogen hat, diese habe ihre Erklärung als Rentenantrag aufgefaßt, macht diese nicht nachträglich zu einem solchen Antrag.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung des Antrags bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres kann der Klägerin nicht gewährt werden. Zwar ist eine Wiedereinsetzung gemäß § 27 Abs 1 Satz 1 SGB X grundsätzlich auch bei Versäumung einer Frist des materiellen Sozialrechts zulässig, wenn die betreffende Regelung dies ausdrücklich bestimmt oder ihre Auslegung dies ergibt (vgl BSG Urteil vom 21. Mai 1996 – 12 RK 43/95 – SozR 3-5070 § 21 Nr 3 mwN). Im Falle der Klägerin kann diese Vorschrift jedoch nicht angewandt werden, weil sie bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres (5. Mai 1975) noch nicht galt. Sie ist erst am 1. Januar 1981 in Kraft getreten. Vorher konnte im Sozialverwaltungsverfahren Wiedereinsetzung nur bei unverschuldeter Verhinderung an der Einhaltung verfahrensrechtlicher Vorschriften gewährt werden (vgl von Mutius in GemeinschaftsKomm-SGB X 1, 1991, § 27 RdNr 1 mwN). Eine solche Verhinderung lag hier nicht vor.
Schließlich kann die Klägerin nicht aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so behandelt werden, als hätte sie den Antrag früher gestellt (vgl BSG Urteil vom 8. Februar 1996 – 13 RJ 65/95 – SozR 3-1200 § 14 Nr 19). Der von der Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger die ihm aufgrund eines Gesetzes oder konkreten Sozialrechtsverhältnisses dem Versicherten gegenüber erwachsenden Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung, ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (stRspr, vgl BSG Urteil vom 22. Oktober 1996 – 13 RJ 17/96 – SozR 3-1200 § 45 Nr 6). Voraussetzung ist, daß die verletzte Pflicht dem Sozialleistungsträger gerade gegenüber dem Versicherten oblag, diesem also ein entsprechendes subjektives Recht einräumt. Die objektiv pflichtwidrige Pflichtverletzung muß zumindest gleichwertig (neben anderen Bedingungen) einen Nachteil des Versicherten bewirkt haben. Schließlich muß die verletzte Pflicht darauf gerichtet gewesen sein, den Betroffenen gerade vor den eingetretenen Nachteilen zu bewahren (Schutzzweckzusammenhang).
Aus einer – hier möglicherweise in Betracht kommenden – unterbliebenen oder ungenügenden Aufklärung der Allgemeinheit, zu der ein Versicherungsträger gemäß § 1324 RVO (ab 1. Januar 1976: § 13 SGB I) verpflichtet gewesen wäre, kann allerdings kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch resultieren (vgl BSG Urteil vom 16. Dezember 1993 – 13 RJ 19/92 – SozR 3-1200 § 14 Nr 12 mwN). Etwas anderes gilt nur bei einer – hier nicht vorliegenden – unrichtigen oder mißverständlichen Information durch den Versicherungsträger (vgl BSG Urteile vom 21. Juni 1990 – 12 RK 27/88 – BSGE 67, 90 = SozR 3-1200 § 13 Nr 1 und vom 16. Dezember 1993 – 13 RJ 19/92 – SozR 3-1200 § 14 Nr 12).
Die Verletzung einer speziellen Beratungs- und Auskunftspflicht, welche die Rechtsprechung auch vor dem Inkrafttreten der §§ 14, 15 SGB I als Nebenpflicht aus dem Versicherungsverhältnis hergeleitet hat (vgl zB BSG Urteile vom 16. Juni 1962 – 4 RJ 75/60 – SozR Nr 3 zu § 1233 RVO und vom 23. März 1972 – 5 RJ 63/70 – BSGE 34, 124 = SozR Nr 25 zu § 29 RVO), liegt bei der Beklagten gleichermaßen nicht vor. Voraussetzung für das Entstehen einer Beratungspflicht ist ein Beratungsbegehren oder zumindest ein konkreter Anlaß zur Beratung (vgl BSG Urteile vom 25. April 1978 – 5 RJ 18/77 – BSGE 46, 124 = SozR 2200 § 1290 Nr 11, vom 21. März 1990 – 7 RAr 36/88 – BSGE 66, 158 = SozR 3-4100 § 125 Nr 1, vom 16. Dezember 1993 – 13 RJ 19/92 – SozR 3-1200 § 14 Nr 12 und vom 16. Juni 1994 – 13 RJ 25/93 – SozR 3-1200 § 14 Nr 15). Für eine Auskunftspflicht ist es ebenfalls erforderlich, daß ein entsprechender Informationsbedarf des Versicherten für den zuständigen Versicherungsträger oder eine andere auskunftspflichtige Stelle offen zu Tage tritt (BSG Urteile vom 28. September 1976 – 3 RK 7/76 – SozR 2200 § 1324 Nr 3, vom 16. Dezember 1993 – 13 RJ 19/92 – SozR 3-1200 § 14 Nr 12 und vom 16. Juni 1994 – 13 RJ 25/93 – SozR 3-1200 § 14 Nr 15). Daran mangelt es hier. Nachdem die Beklagte die Klägerin um die Angabe von Versicherungsdaten gebeten (Schreiben vom 25. Oktober 1971 und 18. April 1972) und die Klägerin entsprechend geantwortet hatte, hat die Beklagte mit dem ihr übersandten Versicherungsverlauf vom 31. Januar 1973 nach Maßgabe von § 1325 RVO in der damals gültigen Fassung ausreichend reagiert. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die Klägerin auf dem von ihr am 23. Februar 1973 unterschriebenen Antrag vermerkt hatte: „Und ich bin der Meinung, das es zu einer Rente bei mir nicht reichen wird. Es sind keine vollen Jahre beisammen.” Denn mit der Angabe im Versicherungsverlauf, daß auf die Wartezeit 282 Monate anrechenbar seien, und dem Hinweis im Übersendungsschreiben, daß die Daten zur Vorbereitung der maschinellen Rentenberechnung gespeichert worden seien, war – objektiv vollständig – beantwortet, daß genügend Monate für einen Rentenanspruch vorhanden waren. Wenn der Klägerin diese Antwort nicht ausreichte, was für die Beklagte nicht erkennbar war, hätte sie, die Klägerin, bei dieser nochmals nachfragen müssen, was jedenfalls nach Aufgabe der Erwerbstätigkeit im April 1973 nahegelegen hätte. Andererseits brauchte die Beklagte durch das Ausbleiben eines Rentenantrags nicht argwöhnisch zu werden, weil dafür vielfältige Gründe vorliegen konnten. Das Unterlassen eines das Verwaltungshandeln auslösenden Antrags konnte beispielsweise darauf beruhen, daß die Versicherte in Unkenntnis des Versicherungsträgers verstorben war, eine Verminderung anderer Einkünfte (hier evtl die Kriegsopferversorgung der Klägerin) vermeiden oder eine Verschiebung des Versicherungsfalls gemäß § 1248 Abs 6 RVO erreichen wollte.
Eine spezielle Beratungspflicht ohne konkreten Anlaß ist durch § 115 Abs 6 SGB VI erst ab 1. Januar 1992 gesetzlich normiert worden. Von diesem Zeitpunkt an hat die Klägerin indessen keinen Rechtsverlust erlitten. Aufgrund ihres Antrages vom 12. März 1992 ist ihr Altersruhegeld ab 1. Januar 1988 gezahlt worden. Wenn die Beklagte der Klägerin am 1. Januar 1992 einen Hinweis zur Antragstellung gegeben und die Klägerin sogleich einen Antrag gestellt hätte, hätte dies nicht zu weiteren Zahlungen geführt (vgl nachfolgend Ziff 2).
2. Der Klägerin steht aber jedenfalls nach Vollendung des 65. Lebensjahres gemäß § 1248 Abs 5 RVO iVm § 1290 Abs 1 Satz 1 RVO Altersruhegeld ab 1. Juni 1975 zu, das von einem Antrag unabhängig ist und von der Beklagten auch dementsprechend zuerkannt wurde. Allerdings hat sich die Beklagte hinsichtlich der Rentenzahlung für die Zeit vom 12. Juni 1975 bis 31. Dezember 1977 zu Recht auf Verjährung berufen.
Gemäß § 29 Abs 3 RVO, ab 1. Januar 1976 gemäß § 45 Abs 1 SGB I verjähren Ansprüche auf Sozialleistungen in vier Jahren nach der Fälligkeit bzw nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind. Die Verjährungsvorschriften werden entgegen der Ansicht des LSG und in Übereinstimmung mit der Auffassung des SG nicht durch die Ausschlußfrist des § 44 Abs 4 SGB X verdrängt. Der Senat schließt sich insoweit dem Urteil des 13. Senats des BSG vom 22. Oktober 1996 (13 RJ 17/96 – SozR 3-1200 § 45 Nr 6) und der dort zitierten Rechtsprechung des BSG an.
Beim bindend zuerkannten Altersruhegeld verjährt nicht das sog Stammrecht, sondern der einzelne auf die zurückliegende Zeit entfallende Leistungsanspruch (BSG Beschluß vom 21. Dezember 1971 – GS 4/71 – BSGE 34, 1, 4 = SozR Nr 4 zu § 29 RVO), somit der Anspruch auf die jeweilige monatliche Rentenzahlung. Als die Klägerin diese Zahlungen erstmals mit ihrem Rentenantrag vom 12. März 1992 verlangt hat, waren die Leistungsansprüche für die Zeit vom 1. Juni 1975 bis 31. Dezember 1987 gemäß § 29 Abs 3 RVO, § 45 Abs 1 und 3 SGB I verjährt. Eine Hemmung oder Unterbrechung der Verjährung gemäß § 45 Abs 2 SGB I liegt offensichtlich nicht vor.
Die Beklagte hat sich auch wirksam auf Verjährung berufen. Da die Verjährung nicht zum Erlöschen des Anspruchs führt, sondern dem Sozialleistungsträger lediglich ein Leistungsverweigerungsrecht einräumt, steht es in seinem Ermessen, ob er die Einrede der Verjährung erhebt. Dies bedeutet, daß er Ermessenserwägungen nach den Grundsätzen des § 39 SGB I anstellen und seine Entscheidung entsprechend begründen muß (§ 35 Abs 1 Satz 3 SGB X). Die Entscheidung muß daher erkennen lassen, daß dem Sozialleistungsträger bewußt war, eine Ermessensentscheidung zu treffen, welche Gesichtspunkte er bei der Ausübung des Ermessens berücksichtigt und wie er diese gewichtet hat. Hiervon ausgehend ist die Ermessensentscheidung im Bescheid der Beklagten vom 13. Oktober 1992 im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat ausdrücklich erwähnt, daß über die Einrede der Verjährung in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens entschieden worden sei. Zur Begründung hat sie – in gerade noch ausreichendem Maße – angeführt, daß sie unter Abwägung des Für und Wider unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles von der Einrede der Verjährung nicht habe absehen können; ein Rentenverfahren sei bisher nicht anhängig gewesen; das Kontenspeicherverfahren sei am 7. Februar 1973 mit Übersendung des Versicherungsverlaufs abgeschlossen. Daraus wird erkennbar, daß die Beklagte den Akteninhalt gewürdigt hat. Insbesondere bot sich hier an, die wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin zu prüfen sowie der Frage nachzugehen, ob die Beklagte ein Mit-/Verschulden an dem Eintritt der Verjährung traf (vgl Schroeder-Printzen/Wiesner, SGB X-Komm, 3. Aufl 1996, § 45 RdNr 5). Da aus den Akten nicht erkennbar war, daß die Klägerin sich in beengten wirtschaftlichen Verhältnissen befand (sie lebte von einer Kriegsopferversorgungsrente, bezog kein Wohngeld und erhielt das bewilligte Altersruhegeld), bedeutet die Verweigerung der Rentennachzahlung für die Zeit vom 1. Juni 1975 bis 31. Dezember 1987 keine unverhältnismäßige besondere Härte. Ferner ist die Beklagte zutreffend davon ausgegangen, daß das Kontenklärungsverfahren abgeschlossen war, die Klägerin ein Rentenverfahren vor dem Jahre 1992 nicht eingeleitet hat und der späte Antrag nicht von ihr, der Beklagten, zu vertreten ist. Denn auch hinsichtlich des Altersruhegeldes gemäß § 1248 Abs 5 RVO bestand wie in bezug auf das Altersruhegeld gemäß § 1248 Abs 3 RVO (Ziff 1) weder eine allgemeine noch eine spezielle Hinweis- oder Beratungspflicht für eine frühere Antragstellung. Andere Gesichtspunkte lagen nicht nahe und sind im übrigen von der Klägerin auch bis jetzt nicht geltend gemacht worden.
Schließlich ist die Verjährungseinrede nicht wegen Verwirkung ausgeschlossen. Das im bürgerlichen Recht als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entwickelte Rechtsinstitut ist ebenso im Sozialrecht anerkannt. Danach darf sich der Berechtigte auf die Ausübung seines Rechts nicht (mehr) berufen, wenn er das Recht längere Zeit nicht ausgeübt hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalles und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche die Verwirkung auslösenden Umstände liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, daß dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, daß das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), daß ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (BSG Urteil vom 1. April 1993 – 1 RK 16/92 – HV-INFO 1993, 1269 mwN). Diese zur Verwirkung führenden Voraussetzungen liegen im vorliegenden Fall nicht vor. Weder aus den Akten noch aus dem Vorbringen der Beteiligten ergeben sich hierfür irgendwelche Anhaltspunkte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen