Verfahrensgang
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 20.02.2018; Aktenzeichen L 16 KR 112/17) |
SG Hannover (Entscheidung vom 24.02.2017; Aktenzeichen S 50 KR 358/13) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 20. Februar 2018 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin ist mit ihrem Begehren auf Kostenerstattung für eine Versorgung mit Implantaten im atrophierten Ober- und Unterkiefer (9292,93 Euro: Gesamtkosten iH von 10 287,06 Euro abzüglich Festzuschuss iH von 994,13 Euro) bei der Beklagten und den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat - teilweise unter Bezugnahme auf das Urteil des SG - zur Begründung ausgeführt, die Voraussetzungen, unter denen die Beklagte die grundsätzlich ausgeschlossene Implantatversorgung (§ 28 Abs 2 S 9 SGB V) ausnahmsweise zu übernehmen habe, seien nicht erfüllt. Die Implantatversorgung sei schon nicht im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erfolgt. Auch im Übrigen habe die Klägerin keine Ausnahmeindikation für besonders schwere Fälle gemäß Abschnitt B. VII. der Behandlungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) erfüllt, ebenso nicht die Voraussetzungen grundrechtsorientierter Leistungsauslegung (Urteil vom 20.2.2018).
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 S 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Die Klägerin richtet ihr Vorbringen hieran nicht aus.
Die Klägerin formuliert folgende Rechtsfragen:
"1)
Kann eine Ausnahmeindikation im Sinne von § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V i.V.m. § 92 Abs. 1 SGB V i.V.m. der Behandlungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses angenommen werden, wenn eine Gesamtschau einzelner Gesundheitsbeeinträchtigungen, die für sich genommen keine Ausnahmeindikation begründen, ergibt, dass diese in ihrer Summierung die Kaufähigkeit in nach Seltenheit und Schwere mit einer Ausnahmeindikation der Behandlungsrichtlinie vergleichbaren Weise aufheben und ist dies im Wege grundrechtskonformer Auslegung, insbesondere unter Beachtung des Art. 3 Abs. 1 GG geboten?
2)
Liegt ein Verstoß gegen Art. 3 I GG vor, wenn ein Mensch, der aufgrund zahlreicher, für sich einzeln genommen nicht besonders schwerwiegender, aber kumulativ auftretender Beeinträchtigungen unter Zahnverlust mit Verlust der kompletten Kaufähigkeit leidet, anders behandelt wird als ein Mensch, bei dem (nur) eine der in §§ 28 Abs. 2 Satz 9, 92 Abs. 1 SGB V i.V.m. der Behandlungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses festgelegte Ausnahmeindikation besteht? Kann dieser Verstoß gerechtfertigt sein?
3)
Ist die Beseitigung von Folgen akuter und schwerer zahnmedizinischer Beeinträchtigungen, die zum Verlust der Kauffähigkeit führen, wie die Behandlung depressiver Störungen infolge der Verunstaltung und Essprobleme, die Verhinderung eines zu befürchtenden drastischen Knochenabbaus im Kiefer und die Verhinderung gesundheitlicher Nachteile aufgrund mangelnder Nahrungsaufnahme die Störungen des Verdauungsapparates und drastische Gewichtsabnahme als über die Ersetzung fehlender Zähne und die Wiederherstellung der Kaufunktion und Ästhetik hinausgehendes Behandlungsziel zu werten, das das Vorliegen einer medizinischen Gesamtbehandlung begründet?"
Die Klägerin zeigt den Klärungsbedarf der Fragen nicht hinreichend auf. Das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage fehlt, wenn ihre Beantwortung nach der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rspr keinem vernünftigen Zweifel unterliegt, die Frage also "geklärt" ist (stRspr, vgl zB BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 6 mwN).
Die Klägerin verweist hinsichtlich der Frage 3 selbst auf die - auch vom LSG in Bezug genommene - Rspr des erkennenden Senats, wonach eine medizinische Gesamtbehandlung sich aus verschiedenen human- und zahnmedizinischen notwendigen Bestandteilen zusammensetzen muss, ohne sich in einem dieser Teile zu erschöpfen. Nicht die Wiederherstellung der Kaufunktion im Rahmen eines zahnärztlichen Gesamtkonzepts, sondern ein darüber hinausgehendes medizinisches Gesamtziel muss der Behandlung ihr Gepräge geben (BSG SozR 4-2500 § 28 Nr 6 RdNr 9 ff mwN; vgl auch BSG SozR 4-2500 § 28 Nr 7 RdNr 14). Weshalb es angesichts dieser Rspr noch der Klärung bedarf, ob die Beseitigung reiner Folgeerscheinungen der beeinträchtigten Kauffunktion (Gewichtsverlust; reaktive Depression) das Vorliegen einer Gesamtbehandlung iS des § 28 Abs 2 S 9 SGB V begründet, legt die Klägerin nicht dar. Sie führt lediglich an, dass diese Frage in keinem der bisher ergangenen höchstrichterlichen Urteile explizit zu beantworten gewesen sei.
Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann zwar dennoch (erneut) klärungsbedürftig sein, wenn der Rspr in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 S 19 mwN; BSG Beschluss vom 27.1.2012 - B 1 KR 47/11 B - Juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 5.2.2013 - B 1 KR 72/12 B - RdNr 7). Dies ist jedoch im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen (vgl zB BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 7; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 5; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 7 mwN). Daran fehlt es.
Die Klägerin legt danach die Entscheidungserheblichkeit der von ihr aufgeworfenen Fragen 1 und 2 nicht dar. Sie verdeutlicht nicht, wieso das BSG in einem Revisionsverfahren sich mit den Fragen 1 und 2 auseinandersetzen müsste, obwohl der Anspruch der Klägerin bereits mangels Vorliegens einer medizinischen Gesamtbehandlung revisionsrechtlich rechtmäßig ausgeschlossen ist. Werden von einem Gericht mehrere selbstständige Begründungen gegeben, die den Urteilsausspruch schon jeweils für sich genommen tragen, muss der Beschwerdeführer in der Beschwerde für jede der Begründungen einen Revisionszulassungsgrund darlegen (stRspr, vgl zB BSG Beschluss vom 25.4.2006 - B 1 KR 97/05 B - Juris RdNr 5 mwN). Daran fehlt es.
Die Klägerin legt im Übrigen auch hinsichtlich der Fragen 1 und 2 den Klärungsbedarf nicht hinreichend dar. Wer sich - wie die Klägerin - auf die Verfassungswidrigkeit von Regelungen beruft, darf sich nicht auf die Benennung der angeblich verletzten Rechte - hier den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) - beschränken, sondern muss unter Berücksichtigung der Rspr des BVerfG und des BSG darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll. Hierzu muss er den Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufzeigen, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtern und die Verletzung der konkreten Regelung des GG darlegen (vgl zB BSG Beschluss vom 24.5.2017 - B 1 KR 79/16 B - Juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 20.7.2010 - B 1 KR 10/10 B - Juris RdNr 6 mwN). An hinreichendem Vorbringen hierzu fehlt es.
Die Klägerin setzt sich ua nicht mit dem zentralen Argument auseinander, warum eine Auslegung des § 28 Abs 2 S 9 SGB V wertungsmäßig mit dem Gesamtsystem nicht zu vereinbaren ist, die die Abstützung von Zahnersatz mittels implantologischer Leistungen nur zur Verbesserung oder Wiederherstellung der Kaufunktion gleichwohl auf Kosten der Versichertengemeinschaft ermöglicht: Dieses Ziel und die Regelung des Umfangs der Versorgung Versicherter zur Erreichung dieses Ziels sind Gegenstand allein der Regelungen der §§ 55 ff SGB V iVm der Zahnersatz-Richtlinie und der Festzuschuss-Richtlinie (vgl näher BSG SozR 4-2500 § 28 Nr 6 RdNr 13). Die Klägerin legt nicht dar, wieso trotz dieses Regelungskonzepts und des weiten gesetzgeberischen Ermessens, welche Behandlungsmaßnahmen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen und welche davon ausgenommen und damit der Eigenverantwortung des Versicherten (vgl § 2 Abs 1 S 1 SGB V) zugeordnet werden, die Ausgestaltung der Ausnahmeindikationen in der Behandlungsrichtlinie des GBA den allgemeinen Gleichheitssatz verletzen könnte (vgl zu den Grenzen zB BSG Urteil vom 2.9.2014 - B 1 KR 12/13 R - SuP 2014, 776 = Juris RdNr 16 ff mwN).
2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI12003783 |