Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Versäumung der Revisionsfrist. fehlende Kontrolle des Fax-Sendeberichts
Orientierungssatz
1. Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei fehlender Kontrolle eines Fax-Sendeberichts.
2. Die Klägerin war hier nicht ohne Verschulden verhindert, die gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Nach der Rechtsprechung des BSG liegt ein Verschulden in diesem Sinne grundsätzlich vor, wenn die von einem gewissenhaften Prozessführenden im prozessualen Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen ist (vgl BSG vom 23.9.1955 - 3 RJ 26/55 = BSGE 1, 227 und BSG vom 18.3.1987 - 9b RU 8/86 = BSGE 61, 213 = SozR 1500 § 67 Nr 18).
3. Bei fristwahrenden Schriftsätzen, die per Fax übermittelt werden, ist vorzusehen, dass anhand des (auszudruckenden) Sendeberichts kontrolliert wird, dass der Schriftsatz abgesandt worden ist, dh keine Fehlermeldung vorliegt (vgl BSG vom 22.8.1990 - 9b RAr 14/90, BGH vom 1.7.2002 - II ZB 11/01 und BGH vom 18.5.2004 - VI ZB 12/03).
Normenkette
SGG § 67 Abs. 1, § 64 Abs. 1, § 164 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Das Sozialgericht D. (SG) hat mit Urteil vom 22. September 2004 die (Sprung-)Revision zugelassen; das Urteil ist der klagenden Landesversicherungsanstalt am 5. November 2004 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Die mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2004 eingelegte Revision der Klägerin ist am 7. Dezember 2004 beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen. Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsgesuchs trägt die Klägerin vor: Nachdem die beklagte Bank am Donnerstag, dem 2. Dezember 2004, die Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision erteilt habe, habe die zuständige Referentin am selben Tag den Verwaltungsamtsrat (VAR) S. beauftragt, die Sprungrevision per Fax einzulegen und am Folgetage dem BSG die Revisionsschrift im Original zuzuleiten. Aufgrund einer fehlerhaften Eingabe der Fax-Nummer durch VAR S. sei das Fax nicht abgesandt worden. Den Sendebericht mit dem Fehlerprotokoll habe dieser dann missachtet. VAR S. sei nicht eigenverantwortlich zur Führung eines Rechtsstreits beim BSG ermächtigt. Die Klägerin hat eidesstattliche Versicherungen des VAR S. sowie des Leiters der Widerspruchs- und Rechtsbehelfsstelle vorgelegt. VAR S. hat unter dem 23. Dezember 2004 angegeben, laut Sendebericht sei die Absendung offensichtlich aufgrund eines technischen Fehlers storniert, dh das Fax nicht gesendet worden; dies habe er leider nicht erkannt. Der Leiter der Widerspruchs- und Rechtsbehelfsstelle hat unter dem 11. März 2005 angegeben, dass es sich bei Herrn S. um einen zuverlässigen, verantwortungsbewussten, stets gewissenhaft und sorgfältig arbeitenden Mitarbeiter handele, dem bislang bei der Nutzung des Faxgerätes noch nie ein Fehler unterlaufen sei. Außerdem hat die Klägerin die Originale des Fax-Vorblatts sowie des Sendeberichts vom 2. Dezember 2004, 15:38 Uhr beigefügt; hiernach ist als Fax-Nr des BSG jeweils "0651 3107 475" (richtig: 0561 3107 475) eingegeben. Ferner hat sie Auszüge aus der Dienstanweisung für die Widerspruchs- und Rechtsbehelfsstelle der Abteilung Versicherung und Rente sowie aus den Anweisungen für Bürokommunikation und Datenverarbeitung vorgelegt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig und daher gemäß § 169 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen. Gemäß § 164 Abs 1 SGG ist die Revision beim BSG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses schriftlich einzulegen. Das mit der Revision angefochtene Urteil des SG ist der Klägerin am 5. November 2004 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Die einmonatige Revisionsfrist ist daher am Montag, dem 6. Dezember 2004, abgelaufen (§ 164 Abs 1 Satz 1, § 64 Abs 3 SGG). Die am Dienstag, dem 7. Dezember 2004, beim BSG eingegangene Revision ist mithin verspätet.
Der Antrag der Klägerin, ihr wegen Versäumung der Revisionsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 Abs 1 SGG) zu gewähren, ist abzulehnen. Denn die Klägerin war nicht ohne Verschulden verhindert, die gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten.
Nach der Rechtsprechung des BSG liegt ein Verschulden in diesem Sinn grundsätzlich vor, wenn die von einem gewissenhaften Prozessführenden im prozessualen Verkehr erforderliche Sorgfalt (BSGE 1, 227, 232; BSGE 61, 213, 214 = SozR 1500 § 67 Nr 18) außer acht gelassen ist. Das Verschulden einer Hilfsperson ist den Beteiligten nicht zwingend zuzurechnen. Die Hilfspersonen müssen jedoch entsprechend ausgebildet, auf ihre Zuverlässigkeit überwacht und die Büroorganisation muss so ausgestattet sein, dass Fehler vermieden werden. Anderenfalls trifft den Beteiligten ein Auswahl-, Überwachungs- oder Organisationsverschulden, das ihm zuzurechnen ist (vgl Littmann in HandKomm SGG, § 67 RdNr 8; Meyer-Ladewig, SGG-Komm, 7. Aufl, § 67 RdNr 8b jeweils mwN; zur Anwendung dieser Grundsätze auf Träger öffentlicher Verwaltung BSGE 61, 213 = SozR 1500 § 67 Nr 18).
Die Fristversäumung ist vorliegend maßgeblich durch die Eintragung einer falschen Faxnummer (Zahlendreher) auf dem Fax-Vorblatt und die entsprechende Eingabe in das Faxgerät durch VAR S. verursacht; sie hat bewirkt, dass das Fax der Klägerin mit der Revisionseinlegung vom 2. Dezember 2004 beim BSG nicht eingegangen ist. Diese Versäumung ist von dem Sachbearbeiter auch verschuldet, weil er den Sendebericht des Faxes (Fehlermeldung: "Storno") nicht kontrolliert hat. Bei Kontrolle des Faxberichts hätte er den Fehler bereits kurz nach dem Sendeversuch vom Donnerstag, 2. Dezember 2004, 15:38 Uhr oder spätestens am Folgetag erkennen und immer noch rechtzeitig Revision einlegen können. Da VAR S. nicht zur eigenständigen Führung der Rechtsstreite vor dem BSG berechtigt war, war er Hilfsperson der Klägerin. Sein Verschulden ist der Klägerin zuzurechnen, weil sie keine organisatorischen Vorkehrungen getroffen hat, die Nichtweiterleitung eines Faxes zur Fristwahrung auszuschließen. Sie hat es unterlassen, hinsichtlich fristwahrender Schriftsätze per Fax eine ordnungsgemäße Organisation sicherzustellen.
Fristsachen sind mit größter Genauigkeit zu behandeln (vgl Kummer, DAngVers 1991, 245). Bei fristwahrenden Schriftsätzen, die per Fax übermittelt werden, ist vorzusehen, dass anhand des (auszudruckenden) Sendeberichts kontrolliert wird, dass der Schriftsatz abgesandt worden ist, dh keine Fehlermeldung vorliegt (vgl BSG, Urteil vom 22. August 1990 - 9b RAr 14/90; BGH vom 7. Mai 2001 - II ZB 16/00; BGH vom 1. Juli 2002 - II ZB 11/01 -, NJW-RR 2002, 1289; BGH vom 18. Mai 2004 - VI ZB 12/03 -, FamRZ 2004, 1275). Solche Organisationsmaßnahmen hat die Klägerin nicht getroffen. In ihren vorgelegten Anweisungen für Bürokommunikation und Datenverarbeitung hat sie unter Nr 5.2.3.2 zum Sendeprotokoll nur festgelegt: "Automatisch erzeugte Sendeprotokolle enthalten zu jedem Vorgang u.a. den Sendezeitpunkt sowie die Anschlusskennung der anderen Station. Diese Daten unterliegen dem besonderen Schutz des Fernmeldegeheimnisses; sie sind deshalb besonders gegen Missbrauch zu schützen und am Standort des Gerätes gesichert aufzubewahren. Ein Ausdruck durch Unbefugte ist untersagt." Eine Kontrolle des Sendeberichts ist darin nicht vorgesehen. Diese wird auch nicht dadurch ersetzt, dass nach den genannten Anweisungen ua auch Sorge dafür zu tragen ist, dass die Anschlussnummer/-kennung des Empfängers gültig ist und ferner zu prüfen, ob die richtige Anschlussnummer eingegeben wurde. Die Anweisung zur Kontrolle des Sendeberichts wird davon nicht umfasst.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach trägt die Klägerin die Kosten des von ihr ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO). Kosten sind die Gerichtskosten und zur Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beklagten (§ 162 Abs 2 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 47 Abs 1 sowie § 52 Abs 1 und 4 des Gerichtskostengesetzes (GKG - in der Fassung des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004, BGBl I 718). Gemäß § 72 Nr 1 Halbsatz 2 GKG nF ist diese Neufassung für die nach dem 1. Juli 2004 erhobene Revision anzuwenden. Der Streitwert war nach der Beschwer der Klägerin entsprechend ihrem im erstinstanzlichen Verfahren gestellten Antrag auf den Betrag von € 1.022,72 festzusetzen.
Fundstellen