Tenor
Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 5. Dezember 1997 und das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. Mai 1999 sowie der Bescheid der Beklagten vom 19. Oktober 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 1996 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Erziehungsgeld für den 7. bis 18. Lebensmonat ihrer am 22. Juli 1992 geborenen Tochter unter Zugrundelegung des Einkommens aus dem Jahre 1993 zu gewähren.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten über die Berechnung und Rückforderung von Leistungen nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG).
Die Klägerin beantragte am 19. August 1992 die Gewährung von Erziehungsgeld (Erzg) für ihre am 22. Juli 1992 geborene Tochter J. und bat, bei der Berechnung des Erzg von dem Einkommen aus dem vorletzten Kalenderjahr vor der Geburt auszugehen. Sie legte einen Steuerbescheid vom 13. März 1992 vor, wonach sie und ihr Ehemann im Jahre 1990 Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit in Höhe von 72.358 DM bezogen hatten. Der Steuerbescheid stand unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs 1 Abgabenordnung ≪AO≫) und war teilweise vorläufig (§ 165 Abs 1 AO). Die Beklagte bewilligte durch Bescheid vom 8. September 1992 unter Vorbehalt der Rückforderung Erzg für den 1. bis 6. Lebensmonat in Höhe von 600 DM und für den 7. bis 18. Lebensmonat einkommensabhängig in Höhe von 143 DM (insgesamt 5.316 DM).
Auf Anforderung der Beklagten legte die Klägerin am 16. Oktober 1995 einen geänderten Steuerbescheid für 1990 vom 20. April 1995 vor. Nach diesem Bescheid bezogen die Klägerin und ihr Ehemann im Jahre 1990 Einkünfte aus selbständiger Arbeit in der Gesamthöhe von 76.681 DM. Der Bescheid hob den Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs 1 AO) für das Jahr 1990 auf, blieb aber nach § 165 Abs 1 AO teilweise vorläufig. Die daraufhin vorgenommene Neuberechnung führte zu einem monatlichen Betrag des Erzg von 38,65 DM. Durch Bescheid vom 19. Oktober 1995 hob die Beklagte den Bescheid vom 8. September 1992 auf, soweit darin Erzg für den 7. bis 18. Lebensmonat bewilligt worden war. Das für 1990 jetzt festgestellte Einkommen sei für die Gewährung des einkommensabhängigen Erzg zu hoch. Auch der Restbetrag von 38,65 DM könne wegen der Bagatellgrenze von 40 DM (§ 5 Abs 4 Satz 3 BErzGG idF bis zum 26. Juni 1993) nicht als Erzg ausgezahlt werden. Ferner verlangte die Beklagte gemäß § 50 Abs 1 des Zehntes Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) die Erstattung des überzahlten Betrages von 1.716 DM.
Die Klägerin beantragte am 3. November 1995 mit ihrem Widerspruch, gemäß § 6 Abs 4 BErzGG (idF bis zum 26. Juni 1993) für die Berechnung des Erzg ab dem 7. Lebensmonat das Einkommen aus dem Jahre 1993 zugrunde zu legen, und reichte dazu den nach § 165 Abs 1 AO teilweise vorläufigen Steuerbescheid vom 24. Februar 1995 ein, der Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 60.308 DM ausweist. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg.
Das Sozialgericht (SG) hat die dagegen erhobene Klage durch Urteil vom 5. Dezember 1997 abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 20. Mai 1999 zurückgewiesen. Die Vorinstanzen haben ihre Entscheidung damit begründet, daß auf den von der Klägerin nachträglich gestellten Antrag auf Zugrundelegung des Einkommens aus dem Jahre 1993 die – hier bereits abgelaufene – Ausschlußfrist des § 4 Abs 2 BErzGG (idF bis zum 26. Juni 1993) entsprechend anzuwenden sei.
Mit ihrer – vom Senat zugelassenen – Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. § 4 Abs 2 BErzGG aF enthalte eine Ausnahmeregelung, die nicht auf den Antrag nach § 6 Abs 4 BErzGG entsprechend angewendet werden dürfe. Außerdem sei die Beklagte nicht berechtigt, das ab dem 7. Lebensmonat ausgezahlte Erzg in voller Höhe zurückzufordern, weil sich rechnerisch auch bei Berücksichtigung des geänderten Einkommens für 1990 noch ein Betrag von 38,65 DM ergebe. Die im Gesetz vorgesehene Bagatellgrenze von 40 DM gelte nur für die Auszahlung von Erzg, nicht für eine Rückforderung.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. Mai 1999 sowie das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 5. Dezember 1997 und den Bescheid der Beklagten vom 19. Oktober 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 1996 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das Erziehungsgeld ab dem 7. Lebensmonat des am 22. Juli 1992 geborenen Kindes unter Zugrundelegung des Einkommens für das Jahr 1993 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie bleibt bei ihrer in den Vorinstanzen bestätigten Auffassung, daß die Frist des § 4 Abs 2 BErzGG aF auf einen Antrag nach § 6 Abs 4 BErzGG aF entsprechend anzuwenden sei. Die Verbindlichkeit der Bagatellgrenze von 40 DM auch für Rückforderungsfälle ergebe sich aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art 3 Abs 1 Grundgesetz).
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) einverstanden erklärt.
II
Die Revision ist begründet (§ 170 Abs 2 SGG). Das LSG hat zu Unrecht die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig.
Maßgeblich für den Anspruch der Klägerin ist das zum Zeitpunkt der Revisionsentscheidung geltende Recht, da es sich um eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage handelt (vgl BSGE 41, 38, 40 = SozR 2200 § 1418 Nr 2; 43, 1, 5 = SozR 1500 § 131 Nr 4; sowie 2200 § 690 Nr 4 zur kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage). Nach § 39 Abs 2 BErzGG idF vom 20. Dezember 1996 (BGBl I, S 2110) bestimmt sich der Anspruch auf Erzg für die am 22. Juli 1992 geborene Tochter der Klägerin nach den §§ 4 Abs 2, 5 Abs 2, 6 und 12 Abs 1 BErzGG idF bis zum 26. Juni 1993 (im folgenden: BErzGG aF, vgl Bekanntmachung der Neufassung des BErzGG vom 21. Januar 1992, BGBl I, S 68, geändert durch Art 4 des Gesetzes zur Umsetzung des föderalen Konsolidierungsprogramms vom 23. Juni 1993, BGBl I, S 944). Dem Grunde nach besteht der Anspruch der Klägerin auf Erzg vom Tag der Geburt ihrer Tochter J. bis zur Vollendung des 18. Lebensmonats (§ 4 Abs 1 Satz 1 BErzGG). Der Höhe nach ist das Erzg vom Beginn des 7. Lebensmonats an einkommensabhängig zu gewähren (§ 5 Abs 2 BErzGG aF). Als Einkommen sind nach § 6 Abs 1 BErzGG aF grundsätzlich die Einkünfte des Berechtigten und seines Ehegatten im Sinne des Einkommensteuerrechts aus dem vorletzten Kalenderjahr vor der Geburt anzurechnen (historisches Einkommen). In § 6 Abs 4 BErzGG aF ist daneben die Möglichkeit vorgesehen, daß auf Antrag das Einkommen aus dem Kalenderjahr berücksichtigt wird, in dem das Kind seinen 7. Lebensmonat beginnt (aktuelles Einkommen), wenn dieses voraussichtlich geringer ist als das Einkommen aus dem vorletzten Kalenderjahr vor der Geburt.
Die Beklagte hat in ihrem Bescheid vom 8. September 1992 das Erzg ab dem 7. Lebensmonat mit Recht unter Zugrundelegung des historischen Einkommens berechnet.
Nach der Konzeption dieser Vorschrift ist die Berücksichtigung des historischen Einkommens der gesetzliche Regelfall, von dem bis zu einem Antrag auf Zugrundelegung des aktuellen Einkommens auszugehen ist. Das Abstellen auf die Einkünfte aus dem vorletzten Kalenderjahr vor der Geburt wirkt sich für die Berechtigten regelmäßig günstig aus, da bei Anspruchsstellern, die in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, die Einkünfte von Jahr zu Jahr zu steigen pflegen (vgl BSG SozR 3-7833 § 6 Nr 5; Grüner/Dalichau, BErzGG, § 6 RdNr III 5). Die Beklagte hat in Übereinstimmung mit § 6 Abs 1 BErzGG aF und dem Antrag der Klägerin bei der Berechnung des einkommensabhängigen Erzg zunächst das Einkommen aus dem Jahr 1990 zugrunde gelegt. Dieses Jahr ist das vorletzte Jahr vor der Geburt des Kindes J.; die Klägerin hatte bis zu dem Bewilligungsbescheid vom 8. Dezember 1992 nicht die Berücksichtigung des aktuellen Einkommens beantragt.
Die Beklagte durfte die Bewilligung unter Vorbehalt stellen. Insoweit liegt eine nach § 32 SGB X zulässige Nebenbestimmung vor. In § 6 Abs 1 Satz 3 BErzGG aF ist durch den Verweis auf Abs 4 Satz 2 die Bewilligung von Erzg unter dem Vorbehalt einer Rückforderung für den Fall vorgesehen, daß das Einkommen aus dem vorletzten Kalenderjahr vor der Geburt noch nicht feststeht. Das Einkommen besteht nach § 6 Abs 1 BErzGG aF aus der Summe der positiven Einkünfte iS des § 2 Abs 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG), von dieser Summe sind die in § 6 Abs 2 BErzGG aF vorgesehenen Beträge abzuziehen. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll bei der Ermittlung des für die Berechnung des Erzg anzusetzenden Einkommens soweit wie möglich auf Feststellungen des Finanzamtes zurückgegriffen werden (vgl BT-Drucks 10/3792, S 17 zu § 6). Der Beklagten lag zwar schon vor dem 8. September 1992 ein Steuerbescheid mit Feststellungen über die Einkünfte der Klägerin und ihres Ehemannes aus dem Jahre 1990 vor. Dieser Steuerbescheid war aber nach § 164 Abs 1 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen. Ein solcher Vorbehalt ermöglicht der Finanzbehörde eine umfassende Korrektur des Bescheides in jeglicher Hinsicht. Auch die Feststellungen über die Höhe der Einkünfte können noch geändert werden (vgl Tipke/Lang, Steuerrecht, 16. Aufl 1998, § 22 RdNr 288). Wegen dieser Änderungsmöglichkeit enthält ein entsprechend § 164 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangener Steuerbescheid keine verbindlichen Festlegungen über die Höhe der Einkünfte, sondern nur eine vorläufige Annäherung. Das Einkommen steht noch nicht iS des § 6 Abs 1 Satz 3 BErzGG aF fest.
Nach dem Inhalt des Vorbehaltes in dem Bescheid vom 8. September 1992 sollte noch eine abschließende Feststellung der Einkommensverhältnisse mit Anpassung des einkommensabhängigen Erzg erfolgen. Der Vorbehalt betrifft lediglich die Höhe des anzurechnenden Einkommens, nicht die anderen Voraussetzungen für die Gewährung von Erzg. Der Bewilligungsbescheid vom 8. September 1992 war daher lediglich ein einstweiliger Verwaltungsakt (vgl BSG SozR 3-7833 § 6 Nr 1). Der Anpassungsvorbehalt ermöglicht sowohl eine Erhöhung als auch eine Rückforderung. Auch wenn § 6 Abs 4 Satz 2 BErzGG aF nur eine den Berechtigten belastende Rückforderung erwähnt, kann gleichermaßen eine nachträgliche Verbesserung eintreten. Der Gesetzgeber hat beide Möglichkeiten im Auge gehabt (vgl BT-Drucks 10/3792, S 17 zu § 6). Das Bundessozialgericht ≪BSG≫ (SozR 3-7833 § 6 Nr 5) und das Schrifttum (Hönsch, Erziehungs- und Kindergeldrecht, 2. Aufl 1991, RdNr 144; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, Mutterschutzgesetz, 6. Aufl 1991, § 6 BErzGG RdNr 21) haben § 6 Abs 4 BErzGG aF ebenfalls in diesem Sinne verstanden.
Der Anpassungsvorbehalt im Bescheid vom 8. September 1992 rechtfertigt aber nicht die Aufhebung der Bewilligung von Erzg ab dem 7. Lebensmonat. Das für die Berechnung des einkommensabhängigen Erzg maßgebende Einkommen ist nicht höher, als die Beklagte in dem ursprünglichen Bescheid zunächst annahm. Zwar betragen die Einkünfte für 1990 nach dem geänderten Steuerbescheid vom 20. April 1995 76.681 DM statt vorher 72.358 DM nach dem Steuerbescheid vom 13. März 1992. Auf den Antrag der Klägerin vom 3. November 1995 ist aber das Einkommen aus dem Jahre 1993 für die Berechnung des Erzg zugrunde zu legen. Die Einkünfte aus diesem Jahr beliefen sich ausweislich des Steuerbescheides vom 24. Februar 1995 auf 60.308 DM. Dieser Betrag liegt unter den zunächst angesetzten Einkünften. Das niedrigere Einkommen führt zu einer Nachzahlung.
Entgegen der Auffassung der Beklagten und der Vorinstanzen war der Antrag nach § 6 Abs 4 BErzGG aF nicht verspätet. Es ist insbesondere unerheblich, daß die Klägerin den Antrag erst stellte, nachdem ihr der Steuerbescheid über die Einkünfte für das Jahr 1993 bereits vorlag. Nach der genannten Vorschrift muß das aktuelle Einkommen zwar voraussichtlich geringer als das historische Einkommen sein. Der Gesetzestext sieht in Satz 2 auch eine vorläufige Berechnung unter dem Vorbehalt der Rückforderung vor. Diese Formulierungen bedeuten aber nicht, daß ein Antrag auf Berücksichtigung des aktuellen Einkommens nur solange gestellt werden kann, als die Höhe des Einkommens noch nicht feststeht. Denn die Unsicherheit über die Höhe der Einkünfte ist keine wesentliche Voraussetzung für die Berücksichtigung des aktuellen Einkommens. Das zeigt sich daran, daß bei der Berechnung des Erzg anhand eines vorläufigen aktuellen Einkommens nochmals entschieden werden muß, wenn das aktuelle Einkommen endgültig feststeht (vgl BT-Drucks 10/3792, S 17 zu § 6). Die bei Vorläufigkeit in § 6 Abs 4 Satz 2 BErzGG aF vorgesehene Bewilligung unter Vorbehalt ist nur ein Zwischenschritt, auf den verzichtet werden kann, wenn das Einkommen bereits verbindlich feststeht (vgl BSG SozR 3-7833 § 6 Nr 6).
Entgegen der Auffassung des LSG ist das Begehren der Klägerin auf Berücksichtigung des aktuellen Einkommens weder als Neuantrag auf Erzg anzusehen, noch steht es einem solchen gleich. Die beiden im Gesetz vorgesehenen Möglichkeiten der Berechnung des maßgeblichen Einkommens sind miteinander verbunden. Bis zu einem Antrag nach § 6 Abs 4 BErzGG aF ist für das einkommensabhängige Erzg von dem historischen Einkommen auszugehen (§ 6 Abs 1 BErzGG aF). Auch nachdem ein solcher Antrag gestellt worden ist, behält das historische Einkommen seine Bedeutung. Das aktuelle Einkommen darf nämlich nur insoweit angerechnet werden, als dies für den Berechtigten günstiger ist. Das macht deutlich: Der Antrag nach § 6 Abs 4 BErzGG aF berührt nicht die rechtliche Identität des Erzg-Anspruchs. Bei der Entscheidung über diesen Anspruch ist lediglich ein modifizierter Sachverhalt zu berücksichtigen, nämlich auch das aktuelle Einkommen.
Falls das LSG der Auffassung gewesen sein sollte, daß die Klägerin auf die Option eines Antrags nach § 6 Abs 4 BErzGG aF verzichtet habe, indem sie in ihrem ursprünglichen Antrag auf Erzg durch Ankreuzen die Berücksichtigung des historischen Einkommens wählte, verletzt diese Deutung anerkannte Auslegungsgrundsätze und ist vom Revisionsgericht zu berichtigen (vgl BSGE 75, 92, 96 = SozR 3-4100 § 141b Nr 10; BSG SozR 3-2200 § 1265 Nr 13). Entsprechend § 46 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) liegt es zwar in der Hand des Berechtigten, seinen Antrag auf bestimmte Sozialleistungen oder Sachverhalte zu beschränken (BSGE 60, 11, 14 = SozR 3870 § 3 Nr 11). Die Klägerin hat in dem ursprünglichen Antrag aber weder ausdrücklich auf die Möglichkeit eines späteren Antrags nach § 6 Abs 4 BErzGG aF verzichtet, noch hat die Beklagte die Klägerin darauf hingewiesen, daß sie die Entscheidung für das historische Einkommen als Verzicht auf das Antragsrecht ansehen werde. Jede über den Wortlaut der Erklärung hinausgehende Auslegung muß dem Meistbegünstigungsgrundsatz Rechnung tragen. Danach ist im Zweifel davon auszugehen, daß ein Antragsteller alle ihm zustehenden Rechte wahrnehmen will (BSGE 49, 114, 116 = SozR 4100 § 100 Nr 5; BSG SozR 3-5870 § 10 Nr 7; Krause, Verwaltungsarchiv 1970, S 326; Hadré, VSSR 1973, S 197). Die Beschränkung des Antrags auf das historische Einkommen war für die Klägerin potentiell ungünstig, da mit Schwankungen des Einkommens aus der freiberuflichen Erwerbstätigkeit der Klägerin und der ihres Ehemannes zu rechnen war. Das Verhalten der Klägerin konnte schon deshalb nicht dahin gedeutet werden (§§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch ≪BGB≫ entsprechend), daß sie bei der Beantragung des Erzg auf die Korrekturmöglichkeit des § 6 Abs 4 BErzGG aF verzichtet, weil dies nicht in ihrem erkennbaren Interesse lag.
Das Bewilligungsverfahren ist nicht bereits vor dem Antrag auf Berücksichtigung des aktuellen Einkommens vom 3. November 1995 abgeschlossen gewesen. Der Bescheid vom 8. September 1992 enthält mit seinem Änderungsvorbehalt keine verbindliche Entscheidung über die Höhe des anzurechnenden Einkommens. Er schließt die Zugrundelegung des aktuellen Einkommens bei der noch vorzunehmenden abschließenden Berechnung des Erzg nicht ausdrücklich aus. Insoweit ist auch kein entgegenstehendes schützenswertes Interesse der Beklagten erkennbar. Die Unsicherheit über die Höhe des zu gewährenden Erzg würde durch eine Einschränkung des Antragsrechts nicht beseitigt. Denn solange ein verbindliches Einkommen noch nicht feststeht, ist die endgültige Höhe des Erzg immer fraglich, ohne daß es darauf ankommt, welche Berechnungsmethode zugrunde gelegt wird. Der Bescheid vom 19. Oktober 1995 war zwar ohne Vorbehalt ergangen und auch nach § 39 Abs 1 SGB X bereits wirksam geworden, ehe die Klägerin am 3. November 1995 die Berücksichtigung des aktuellen Einkommens beantragte. Der Senat hält jedoch an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, wonach bei Anträgen nach § 6 Abs 4 BErzGG aF eine Bindungswirkung nicht schon mit dem Erlaß eines Bewilligungsbescheides eintritt (BSG SozR 3-7833 § 6 Nr 5). In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (FamRZ 1981, 208, 209; NJW 1988, 275, NVwZ 1989, 860) geht der Senat von dem Grundsatz aus, daß Anträge idR bis zum Eintritt der Bestandskraft eines Bescheides zurückgenommen oder abgeändert werden können. Soweit in der Rechtsprechung des BSG auf das Wirksamwerden eines Verwaltungsaktes abgestellt worden ist (BSGE 60, 79, 84 = SozR 4100 § 100 Nr 11), bezieht sich die Entscheidung zur Begründung auf Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebietes. Im übrigen sind durch Bescheid vom 19. Oktober 1995 keine Tatsachen geschaffen worden, die nicht rückg ängig gemacht werden könnten.
Auch wenn sich die Beklagte und die Vorinstanzen insoweit auf die in § 6 Nr 3.1 Abs 3 der Richtlinien des Bundesministeriums für Familie und Senioren zur Durchführung des BErzGG vom 1. Juli 1992 (abgedruckt bei Hambüchen ≪Hrsg≫, Kindergeld – Erziehungsgeld, Kommentar, Loseblatt, Stand: April 2000, Erziehungsgeld – Verwaltungsvorschriften) stützen können, darf § 4 Abs 2 BErzGG aF nicht auf den Antrag nach § 6 Abs 4 BErzGG aF angewendet werden. Das Gesetz enthält keine planwidrige Regelungslücke, die durch die Rechtsprechung geschlossen werden müßte (vgl zB BSG SozR 3-3850 § 51 Nr 1 mwN). Gegen die Annahme einer Regelungslücke spricht schon, daß der Gesetzgeber das Problem der nachträglichen Änderung der Modalitäten eines Antrags auf Erzg in § 3 Abs 2 Satz 3 und Abs 4 BErzGG aF gesehen und geregelt hat. Der nicht geregelte Fall eines Antrags nach § 6 Abs 4 BErzGG aF, der nachträglich während eines noch nicht abgeschlossenen Bewilligungsverfahrens gestellt wird, läßt sich durch Rückgriff auf die Grundsätze des allgemeinen Verfahrensrechts lösen. Gegen die analoge Anwendung des § 4 Abs 2 BErzGG aF spricht auch die Überlegung, daß bei der Übertragung der Rechtsfolgen des § 4 Abs 2 BErzGG aF auf einen Aktualisierungsantrag nach § 6 Abs 4 BErzGG aF sich die Möglichkeit ergeben würde, daß das Erzg für die Zeit vom 7. bis 18. Lebensmonat eines Kindes teilweise auf der Grundlage der Einkünfte aus dem vorletzten Kalenderjahr vor der Geburt und teilweise auf der Grundlage des aktuellen Einkommens zu berechnen ist. § 4 Abs 2 BErzGG aF enthält nämlich keinen Ausschluß der Rückwirkung, sondern sieht deren zeitliche Begrenzung vor. Das Ergebnis einer eingeschränkten Rückwirkung wäre mit den Vorstellungen des Gesetzes aber nicht zu vereinbaren. Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, daß während des Bezugs von Erzg keine Änderung der Berechnungsgrundlagen eintreten soll (vgl BT-Drucks 10/3792, S 17 zu § 5). In § 5 Abs 2 Satz 3 BErzGG aF ist dazu ausdrücklich vorgeschrieben, daß für die Höhe des Erzg die Verhältnisse am Beginn des 7. Lebensmonats maßgeblich sind.
Der Senat hat sich allerdings mit Urteil vom 16. Dezember 1999 für die analoge Anwendung der Frist des § 4 Abs 2 BErzGG auf einen Härtefallantrag nach § 6 Abs 7 BErzGG in der seit 1. Juli 1993 geltenden Fassung ausgesprochen (BSGE 85, 231, 238) und dazu ausgeführt: Eine rückwirkende Zahlung von Erzg sei nur im begrenzten Umfang angemessen. Das BErzGG enthalte den Rechtsgedanken, daß das für Lebensmonate des Kindes berechnete Erzg möglichst zeitnah zu den Monaten ausgezahlt werden solle, in denen die Erziehungsarbeit tatsächlich geleistet werde. Diese Auffassung läßt sich auf die bis zum 26. Juni 1993 geltende Fassung des § 6 BErzGG nicht übertragen. Beide Fassungen des § 6 BErzGG unterscheiden sich hinsichtlich der durch sie getroffenen verfahrensrechtlichen Regelung und der ihr zugrundeliegenden Wertentscheidungen wesentlich voneinander. Nach dem alten Recht mußte bei ungeklärten Einkommensverhältnissen eine Entscheidung unter Vorbehalt ergehen und die abschließende Entscheidung erfolgte stets nachträglich nach Feststellung der tatsächlichen Einkommensverhältnisse. Nach dem neuen Recht ist dagegen aufgrund einer Prognose sogleich abschließend zu entscheiden, die nachträgliche Korrektur ist die Ausnahme (BSGE 85, 231, 233, 234). Das neue Recht räumt einer möglichst schnellen und abschließenden Entscheidung den Vorrang ein und nimmt dafür gewisse Abweichungen des prognostizierten Einkommens vom tatsächlichen in Kauf. Das alte Recht betont dagegen die möglichst genaue Ermittlung des maßgeblichen Einkommens auch um den Preis, daß die abschließende Entscheidung nur zeitverzögert erfolgen kann. Es besteht danach kein Grund zu der Annahme, daß der Gesetzgeber nur versehentlich keine dem § 4 Abs 2 BErzGG aF entsprechende Regelung für einen nachträglichen Antrag nach § 6 Abs 4 BErzGG aF geschaffen hat.
Da die Neuberechnung des Erzg zu einer Erhöhung führen wird, hat die Beklagte keine Erstattungsansprüche gegen die Klägerin nach § 50 SGB X. Der Senat kann damit die von der Revision aufgeworfene Frage offenlassen, ob die Bagatellgrenze des § 5 Abs 4 Satz 3 BErzGG aF von 40 DM auch dann gilt, wenn Erzg nicht gezahlt, sondern zurückgefordert wird.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen