Beteiligte
Landeshauptstadt Kiel – Sozialamt – |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 26. August 1997 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beigeladene, die an einer geistigen Behinderung leidet, war seit Oktober 1986 auf Kosten der Klägerin (Sozialhilfeträger) als Pflegefall im Landeskrankenhaus Heiligenhafen untergebracht. Während der Zeit vom 1. Januar bis 18. November 1990 wurde sie dort in ein spezielles Behandlungsprogramm bestehend aus pädagogischen und verhaltenstherapeutischen Maßnahmen mit dem Ziel der Integration in eine Wohngemeinschaft für Behinderte einbezogen. Die beklagte Krankenkasse, bei der die Beigeladene gegen Krankheit versichert ist, lehnte gegenüber der Klinik die Übernahme der in der genannten Zeit angefallenen Behandlungskosten ab, weil es sich bei der in Rede stehenden Therapie ungeachtet der Mitwirkung von Ärzten nicht um Krankenhausbehandlung, sondern um eine vorwiegend heilpädagogisch ausgerichtete Rehabilitationsmaßnahme gehandelt habe. Die Klägerin erteilte daraufhin dem Landeskrankenhaus am 9. Januar 1991 eine Kostenzusage. Mit Schreiben vom selben Tag teilte sie der Beklagten die Kostenübernahme mit und meldete einen Erstattungsanspruch gemäß § 104 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) an, der nach Vorliegen der Abrechnungen des Krankenhauses beziffert werde. Der Betrag von 43.746,51 DM ging am 28. Januar 1991 bei dem Krankenhaus ein. Nachdem die Klägerin ihre Forderung mit Schreiben vom 2. März 1993 erneuert hatte, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14. Mai 1993 und Widerspruchsbescheid vom 31. August 1993 eine Kostenerstattung ab.
Das dagegen angerufene Sozialgericht hat nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens die Bescheide aufgehoben und die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) nach Anhörung eines weiteren Sachverständigen und Vernehmung der behandelnden Ärztin zurückgewiesen. Es hat das Beweisergebnis dahin gewürdigt, daß die in der streitigen Zeit angewandte Therapie die personellen und sächlichen Mittel eines Krankenhauses erfordert und demzufolge eine Krankenhausbehandlung iS des § 39 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) vorgelegen habe. Der daraus gemäß § 104 Abs 1 SGB X resultierende Erstattungsanspruch sei nicht nach § 111 SGB X ausgeschlossen, denn die Klägerin habe ihn bereits mit dem Schreiben vom 9. Januar 1991 und damit innerhalb der vorgesehenen Jahresfrist in ausreichender Weise geltend gemacht. Eine Bezifferung sei dafür nicht erforderlich. Es reiche aus, wenn nach den Gesamtumständen des Falles an der Ernsthaftigkeit und Unbedingtheit des Erstattungsbegehrens kein Zweifel bestehe, wie dies hier der Fall gewesen sei.
Mit der Revision rügt die Beklagte Verstöße gegen § 111 SGB X, § 39 Abs 1 iVm § 27 SGB V sowie § 108 SGB V, ferner eine Abweichung von dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28. November 1990 - 5 RJ 50/89 (USK 90174 = Die Leistungen 1993, 236). Der streitgegenständliche Erstattungsanspruch sei entgegen der Auffassung des LSG nach § 111 SGB X ausgeschlossen. In dem Schreiben der Klägerin vom 9. Januar 1991 könne ein unbedingtes Geltendmachen des Anspruchs nicht gesehen werden, denn nach den Umständen des Falles, insbesondere dem Inhalt eines der Anmeldung in Kopie beigefügten Schreibens der Klägerin an das für die Betreuung der Beigeladenen zuständige Amt für Soziale Dienste in Kiel vom selben Tage, habe sie – die Beklagte – davon ausgehen müssen, daß es lediglich um die vorsorgliche Anmeldung eines in Zukunft möglicherweise entstehenden Anspruchs gehe. Abgesehen davon habe das Berufungsgericht verkannt, daß die Betreuung der Beigeladenen in der Zeit vom 1. Januar bis 18. November 1990 weder von der Zielsetzung noch vom Inhalt her einer Krankenhausbehandlung entsprochen habe. Schließlich scheide eine Kostenerstattung deshalb aus, weil die Behandlung nicht in einem zugelassenen Krankenhaus erbracht worden sei. Zwar sei das Landeskrankenhaus Heiligenhafen in den Krankenhausplan des Landes Schleswig-Holstein aufgenommen. Die geschlossene Station für Geistig- und Mehrfachbehinderte, in der die Beigeladene untergebracht gewesen sei, sei jedoch als reine Pflegestation hiervon ausgenommen.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Sozialgerichts Kiel vom 5. Dezember 1995 und des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 26. August 1997 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin und die Beigeladene haben im Revisionsverfahren keine Anträge gestellt und sich zur Sache nicht geäußert.
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
Soweit die Vorinstanzen den eine Kostenerstattung ablehnenden Bescheid vom 14. Mai 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 1993 aufgehoben haben, ist ihre Entscheidung schon aus formalen Gründen zu bestätigen. Dieser Bescheid war rechtswidrig, weil sich die Sozialleistungsträger bei der Geltendmachung von Erstattungsansprüchen nach den §§ 102 ff SGB X im Verhältnis der Gleichordnung gegenüberstehen und eine Regelung durch Verwaltungsakt deshalb ausgeschlossen ist (vgl Schroeder-Printzen ua, SGB X, 3. Aufl 1996, § 102 RdNr 26).
In der Sache hat das Berufungsgericht zu Recht einen Erstattungsanspruch der Klägerin aus § 104 Abs 1 Satz 1 SGB X bejaht. Nach dieser Vorschrift kann ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Erstattung verlangen, wenn er Sozialleistungen erbracht hat, zu deren Gewährung ein anderer Leistungsträger vorrangig verpflichtet war. Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit er bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung des anderen Trägers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre (§ 104 Abs 1 Satz 2 SGB X). Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Beigeladene hatte, was die Gewährung der stationären Behandlung in der Zeit vom 1. Januar bis 18. November 1990 betrifft, nebeneinander sowohl einen gegen die Klägerin gerichteten Anspruch auf Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) als auch einen von der Beklagten zu erfüllenden Anspruch auf Krankenhausbehandlung gemäß § 27 Abs 1 Nr 5 iVm § 39 SGB V. Da Sozialhilfe nur insoweit zu zahlen ist, als der Hilfesuchende die erforderliche Hilfe nicht von anderer Seite, insbesondere von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält (§ 2 Abs 1 BSHG), besteht ein Nachrang der Sozialhilfe gegenüber den Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung („Systemsubsidiarität”).
Daß die Beigeladene in der streitigen Zeit gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung von Krankenhausbehandlung gehabt hat, hat das LSG auf der Grundlage der von ihm erhobenen Beweise ohne Rechtsfehler angenommen. In tatsächlicher Hinsicht hat es festgestellt, daß die Maßnahmen des Krankenhauses darauf ausgerichtet waren, den psychischen Zustand der Patientin zu bessern und insbesondere ihre Neigung zu aggressiven Entgleisungen durch verhaltenstherapeutische Maßnahmen so weit einzudämmen, daß die Eingliederung in eine Wohngruppe für Behinderte mit ambulanter ärztlicher Betreuung ermöglicht wurde. Dabei habe, wie sich aus den Bekundungen der behandelnden Ärztin ergebe, insgesamt gesehen die ärztliche Behandlung gegenüber der pflegerischen Betreuung im Vordergrund gestanden. Aus diesen Feststellungen, die die Beklagte nicht mit zulässigen Revisionsrügen angegriffen hat, ergibt sich, daß die Beigeladene im Unterschied zu der Zeit vor Januar 1990 nicht lediglich zur Pflege und Verwahrung untergebracht war, sondern einer Behandlung unterzogen worden ist, die nach der Art der Erkrankung mit Aussicht auf Erfolg nur in einem Krankenhaus mit dessen besonderen Mitteln durchgeführt werden konnte. Soweit die Beklagte einwendet, die durchgeführten Behandlungsmaßnahmen hätten keine primär medizinische, sondern eine integrativ-rehabilitative Zielsetzung gehabt, die nicht zum Aufgabenbereich der gesetzlichen Krankenversicherung gehöre, setzt sie ihre abweichende Bewertung des Beweisergebnisses an die Stelle derjenigen des Berufungsgerichts. Daß mit Hilfe des Behandlungsprogramms eine bessere soziale Integration der Beigeladenen angestrebt wurde, schließt die Annahme von Krankenhausbehandlung nicht aus, wenn dieses Ziel gerade durch eine gezielte medizinische Behandlung zur Besserung des psychischen Gesundheitszustandes erreicht werden sollte. Auch bei dem Einwand, die Behandlung sei inhaltlich durch pflegerische und rehabilitative Elemente geprägt gewesen und habe die besonderen Mittel eines Krankenhauses nicht erfordert, handelt es sich um einen Angriff gegen die Beweiswürdigung des LSG, mit dem die Beklagte im Revisionsverfahren nicht gehört werden kann.
Unbeachtlich ist ferner das Vorbringen, mit dem die Beklagte darzutun versucht, daß die Behandlung der Beigeladenen in einem nicht zur Versorgung von Kassenpatienten zugelassenen Krankenhaus durchgeführt worden sei und sie als Krankenkasse jedenfalls aus diesem Grunde keine Leistungspflicht treffe. Ein derartiger Sachverhalt ist dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Nach den Feststellungen des LSG befand sich die Beigeladene während der umstrittenen Therapie in dem Landeskrankenhaus Heiligenhafen, einer in den Krankenhausplan des Landes Schleswig-Holstein aufgenommenen und damit kraft Gesetzes (§ 108 Abs 1 Nr 2 SGB V) zugelassenen psychiatrischen Klinik. Das Berufungsurteil enthält im Tatbestand lediglich den Hinweis, die Patientin sei bis zum 31. Dezember 1989, also vor ihrer Aufnahme in das Behandlungsprogramm, als Pflegefall in der Abteilung für Geistig- und Mehrfachbehinderte des Landeskrankenhauses untergebracht gewesen. Die Behauptung, daran habe sich auch im weiteren Verlauf nichts geändert, ist neuer Tatsachenvortrag, den das Revisionsgericht nicht berücksichtigen kann. Von daher kann dahinstehen, ob die betreffende Abteilung nach ihrem Zuschnitt eine reine Pflegestation war und welche rechtlichen Folgerungen sich daraus ergeben würden.
Der aus der vorrangigen Leistungspflicht der Beklagten resultierende Erstattungsanspruch der Klägerin ist schließlich nicht nach § 111 SGB X erloschen. Nach dieser Vorschrift ist der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht. Der Lauf der Frist beginnt frühestens mit der Entstehung des Erstattungsanspruchs. Ob der Anspruch mit dem Abschluß der Behandlung am 18. November 1990, mit der Erteilung der Kostenzusage an das Krankenhaus am 9. Januar 1991 oder erst mit dem Eingang der von der Klägerin an die Klinik überwiesenen Behandlungskosten am 28. Januar 1991 entstanden ist (vgl zu dieser Streitfrage: Urteil des Senats vom 23. Februar 1999 - B 1 KR 6/97 R) kann auf sich beruhen. Denn die Klägerin hat die Ausschlußfrist von einem Jahr in jedem Fall dadurch gewahrt, daß sie ihre Forderung mit Schreiben vom 9. Januar 1991 bei der Beklagten angemeldet hat. Zutreffend hat das Berufungsgericht in diesem Schreiben ein Geltendmachen des Erstattungsanspruchs iS von § 111 SGB X gesehen. Die Rechtsprechung verlangt dafür einerseits, daß das Erstattungsbegehren unmißverständlich zum Ausdruck gebracht wird. Der Wille, zumindest rechtssichernd tätig zu werden, muß einer bestimmten Handlung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles deutlich erkennbar zugrunde liegen, soll sie ausdrücklich oder konkludent als Geltendmachung der Erstattungsforderung gewertet werden können (BSGE 65, 27, 30 = SozR 1300 § 111 Nr 4 S 16). Zum anderen wird gefordert, daß aus dem Erstattungsbegehren ausreichend deutlich wird, welche Leistungen zu erstatten sind. Es müssen zumindest die Umstände, die im Einzelfall für die Entstehung des Erstattungsanspruchs maßgeblich sind, und der Zeitraum, für den die Sozialleistung erbracht wurde, hinreichend konkret mitgeteilt werden (BSGE 65, 31, 37 = SozR 1300 § 111 Nr 6 S 23; Urteil des BSG vom 28. November 1990 - 5 RJ 50/89 - USK 90174 = Die Leistungen 1993, 236). Diesen Anforderungen genügt das genannte Schreiben. Die Klägerin hat darin ausgeführt, daß sie die Kosten für die Zeit ab 1. Januar 1990 übernommen habe, nachdem die Beklagte ihre Leistungspflicht nicht anerkenne. Sodann hat sie ihren Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X angemeldet und angekündigt, daß über die Höhe der Kosten weitere Nachricht ergehe, sobald die Abrechnungen des Krankenhauses vorlägen. Das Schreiben schließt an eine längere Korrespondenz zwischen dem Landeskrankenhaus und der Beklagten an, in der über die Leistungszuständigkeit der Beklagten für die Zeit vom 1. Januar bis 18. November 1990 gestritten worden war. Angesichts dieser Umstände konnte kein Zweifel bestehen, daß die Klägerin Erstattung begehrte und auf welche Leistungen sich der Anspruch erstrecken sollte. Soweit die Beklagte demgegenüber auf einen dem Schreiben vom 9. Januar 1991 in Kopie beigefügten Brief der Klägerin an das für die Betreuung der Beigeladenen zuständige Amt für Soziale Dienste vom selben Tage verweist, durch dessen Inhalt die Unbedingtheit des Erstattungsbegehrens relativiert werde, kann ihr Vorbringen als neuer Tatsachenvortrag im Revisionsverfahren keine Berücksichtigung finden.
Die Revision der Beklagten war nach alledem zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
Haufe-Index 542803 |
FEVS 2000, 112 |
SGb 1999, 292 |
ZfF 2001, 237 |
ZfF 2001, 238 |
KHuR 1999, 64 |
KHuR 1999, 82 |