Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsübergang während des Beschlussverfahrens. Prozessrechtliche Folgen eines Betriebsübergangs während eines arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens. einseitige Erledigterklärung. hinreichende Bestimmtheit des Antrags
Leitsatz (amtlich)
Geht ein Betrieb während eines arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens unter Wahrung seiner Identität gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf einen Erwerber über, so tritt dieser automatisch in die prozessuale Rechtsstellung des bisherigen Arbeitgebers ein.
Orientierungssatz
1. Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren richtet sich die Beteiligung gemäß § 83 Abs. 3 ArbGG nach materiellem Recht.
2. Geht ein Betrieb während eines Beschlussverfahrens unter Wahrung seiner Identität gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf einen Erwerber über, so tritt dieser automatisch und in jeglicher Hinsicht in die prozessuale Stellung des bisherigen Betriebsinhabers ein.
Normenkette
ArbGG § 83 Abs. 3, § 92 Abs. 2 S. 3 Hs. 1; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, §§ 265, 325, 726 Abs. 1; BetrVG § 99 Abs. 1 S. 1; BGB § 613a
Verfahrensgang
Tenor
I. Auf die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 3) wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts München vom 11. April 2007 – 9 TaBV 127/06 – in Ziff. I.1. aufgehoben.
II. Im Umfang der Aufhebung wird die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Rosenheim vom 24. Oktober 2006 – 1 BV 17/06 Mü – zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Betriebsrat bei der individualvertraglichen Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit von 14 Arbeitnehmern um je 3,5 Stunden ein Mitbestimmungsrecht nach § 99 Abs. 1 BetrVG zusteht.
Die Beteiligte zu 2) betrieb bis zum 30. September 2008 in W… einen Schlachthof mit ca. 200 Arbeitnehmern. Für diesen ist ein Betriebsrat gebildet. Der einschlägige Manteltarifvertrag sah eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden vor. Nach Ablauf des Tarifvertrags vereinbarte die Beteiligte zu 2) mit den Arbeitnehmern D…, O…, E…, K…, S…, Ka…, M…, Sa…, Kan…, W…, T…, Ma…, L… und Sch… ohne Beteiligung des Betriebsrats eine Verlängerung der individuellen Arbeitszeit von 38,5 auf 42 Wochenstunden.
Der Betriebsrat hat diese Vereinbarungen als Einstellungen iSv. § 99 BetrVG erachtet. In dem von ihm eingeleiteten Beschlussverfahren hat er – soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Bedeutung – beantragt,
der Antragsgegnerin aufzugeben, in Bezug auf die Arbeitnehmer H… D…, G… O…, D… E…, R… K…, M… S…, B… Ka…, T… M…, A… Sa…, J… Kan…, G… W…, C… T…, A… Ma…, P… L… und T… Sch… vor einer – hilfsweise anlässlich der geplanten – Beschäftigung dieser Betriebsangehörigen zu 42 Wochenstunden seine Zustimmung gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG einzuholen und im Zustimmungsverweigerungsfall das Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG zu betreiben.
Die Beteiligte zu 2) hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, eine solche Arbeitszeiterhöhung sei keine Einstellung iSv. § 99 BetrVG.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihm auf die Beschwerde des Betriebsrats – mit leicht gekürzter Tenorierung – stattgegeben. Mit der vom Senat zugelassenen Rechtsbeschwerde hat zunächst die Beteiligte zu 2) die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses begehrt. Nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Beteiligten im Rechtsbeschwerdeverfahren ist der Betrieb W… unter Wahrung seiner Identität zum 1. Oktober 2008 von der Beteiligten zu 2) auf die Beteiligte zu 3) übergegangen. Diese hat sich dem Rechtsbeschwerdeantrag der Beteiligten zu 2) angeschlossen.
Der Betriebsrat hat sodann den Rechtsstreit für erledigt erklärt. Er hat vorgetragen, der Antrag richte sich nach wie vor gegen die Beteiligte zu 2), da nur diese die Arbeitszeiterhöhung von 38,5 auf 42 Wochenstunden geplant habe. Die Beteiligte zu 3) als neue Arbeitgeberin plane dies nicht mehr. Daher gehe er davon aus, dass kein Rechtsschutzinteresse für seinen Antrag mehr bestehe.
Die Beteiligten zu 2) und 3) haben die Auffassung vertreten, das Verfahren sei nicht erledigt. Die Beteiligte zu 3) habe die Absicht, von der verlängerten Arbeitszeit der 14 Arbeitnehmer Gebrauch zu machen, nicht aufgegeben.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 3) ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat dem Antrag des Betriebsrats zu Unrecht entsprochen. Der Antrag ist mangels hinreichender Bestimmtheit unzulässig. Das Verfahren ist entgegen der Auffassung des Betriebsrats nicht erledigt.
I. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.
1. Rechtsbeschwerdeführerin ist ausschließlich die Beteiligte zu 3). Sie ist durch den identitätswahrenden Betriebsübergang mit Wirkung vom 1. Oktober 2008 automatisch an die Stelle der Beteiligten zu 2) getreten.
a) Die prozessualen Folgen eines Betriebsübergangs nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB während eines arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens sind gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt.
aa) Im Urteilsverfahren finden die §§ 265, 325 ZPO entsprechende Anwendung (vgl. BAG 4. März 1993 – 2 AZR 507/92 – zu A 1b aa der Gründe mwN, AP BGB § 613a Nr. 101 = EzA BGB § 613a Nr. 107; MünchKommBGB/Müller-Glöge 5. Aufl. § 613a Rn. 215 mwN). Der Betriebsübergang hat daher auf das Urteilsverfahren grundsätzlich keinen Einfluss. Der Rechtsstreit wird gegen den alten Arbeitgeber fortgesetzt. Der neue Arbeitgeber bedarf zu einer Übernahme des Prozesses der Zustimmung des Gegners.
bb) Für das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren sind die zivilprozessualen Bestimmungen in §§ 265, 325 ZPO ungeeignet. In ihm richtet sich die Beteiligung gemäß § 83 Abs. 3 ArbGG nach materiellem Recht, ohne dass es einer darauf gerichteten Handlung der Person oder Stelle oder des Gerichts bedürfte (BAG 28. September 1988 – 1 ABR 37/87 – zu B I 1a der Gründe, BAGE 59, 371). Für das Prozessrechtsverhältnis ist entscheidend, wer materiellrechtlich berechtigt oder verpflichtet ist. Wird der “Arbeitgeber” in Anspruch genommen, so ist dies sowohl iSv. § 83 Abs. 3 ArbGG als auch im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes der Inhaber des Betriebs. Berührt der Verfahrensgegenstand dessen betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition – sei es als Verpflichteter, sei es als Rechtsinhaber – und geht im Laufe eines Beschlussverfahrens der Betrieb auf einen Erwerber über, nimmt dieser als neuer Inhaber auch ohne entsprechende Prozesserklärungen der Verfahrensbeteiligten automatisch die verfahrensrechtliche Stellung des bisherigen Betriebsinhabers und Arbeitgebers ein (BAG 28. September 1988 – 1 ABR 37/87 – zu B I 1b der Gründe, BAGE 59, 371; 22. November 2005 – 1 ABR 50/04 – zu B III 1a der Gründe, BAGE 116, 235). Dies gilt jedenfalls in Fällen, in denen der Betriebsübergang zwischen sämtlichen Beteiligten unstreitig ist. Wie sich die Rechtslage in Fällen eines zweifelhaften oder streitigen Betriebsübergangs darstellt, bedarf im Streitfall keiner Klärung.
b) Hiernach ist die Beteiligte zu 3) am 1. Oktober 2008 automatisch Rechtsbeschwerdeführerin geworden. Zu diesem Zeitpunkt übernahm sie unstreitig und zweifelsfrei unter Wahrung der Betriebsidentität den Betrieb der Beteiligten zu 2) in W…. Dementsprechend ist diese seitdem nicht mehr Rechtsbeschwerdeführerin.
2. Die von der Beteiligten zu 3) fortgeführte Rechtsbeschwerde ist – noch von der Beteiligten zu 2) – fristgerecht eingelegt und begründet worden. Die Beteiligte zu 3) ist als neue Betriebsinhaberin durch den Beschluss des Landesarbeitsgerichts auch beschwert. Würde der Beschluss rechtskräftig, müsste sie besorgen, aus ihm – spätestens nach einer Titelumschreibung – in Anspruch genommen zu werden. Der Senat hat zwar bislang offen gelassen, ob eine aus § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG folgende titulierte Verpflichtung des bisherigen Arbeitgebers auf einen Betriebserwerber umgeschrieben werden kann oder ob sie wegen ihrer Ähnlichkeit mit einer höchstpersönlichen Verpflichtung nicht auf diesen übergeht (18. März 2008 – 1 ABR 3/07 – Rn. 21, EzA BetrVG 2001 § 3 Nr. 2). Die vom Landesarbeitsgericht titulierte Verpflichtung hat aber keine Ähnlichkeit mit einer höchstpersönlichen Verpflichtung. Sie betraf die Beteiligte zu 2) vielmehr in ihrer typischen Eigenschaft als Betriebsinhaber.
II. Der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 3) steht die einseitige Erledigterklärung des Betriebsrats nicht entgegen. Das Verfahren ist nicht einzustellen.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat das Gericht in Fällen, in denen der Antragsteller eines Beschlussverfahrens das Verfahren für erledigt erklärt und andere Verfahrensbeteiligte der Erledigungserklärung widersprechen, nur zu prüfen, ob ein erledigendes Ereignis eingetreten ist. Darauf, ob der gestellte Antrag bis dahin zulässig und begründet war, kommt es – anders als im Urteilsverfahren – nicht an. Ein erledigendes Ereignis sind tatsächliche Umstände, die nach Anhängigkeit des Beschlussverfahrens eingetreten sind und dazu führen, dass das Begehren des Antragstellers jedenfalls nunmehr als unzulässig oder unbegründet abgewiesen werden müsste. Ist ein erledigendes Ereignis eingetreten, ist das Verfahren einzustellen (19. Februar 2008 – 1 ABR 65/05 – Rn. 10 mwN, NZA-RR 2008, 490).
2. Ein erledigendes Ereignis ist nicht eingetreten.
a) Durch den Betriebsübergang und den damit verbundenen Arbeitgeberwechsel wurde das Verfahren nicht erledigt. Allerdings wäre ein weiterhin gegen die Beteiligte zu 2) gerichteter Antrag des Betriebsrats bereits deshalb abzuweisen, weil diese nicht mehr der betriebsverfassungsrechtlich verpflichtete Arbeitgeber ist. Der Betriebsübergang wäre daher ein erledigendes Ereignis. Der Antrag des Betriebsrats richtet sich aber seit dem 1. Oktober 2008 ipso iure nicht mehr gegen die Beteiligte zu 2), sondern gegen die Beteiligte zu 3). Das ist ebenfalls eine prozessrechtliche Folge des Betriebsübergangs. Dieser führt nicht nur zu einem Beteiligtenwechsel auf Arbeitgeberseite, sondern auch zu einem automatischen Austausch des mit dem Antrag in Anspruch genommenen Arbeitgebers (ebenso im Ergebnis BAG 28. September 1988 – 1 ABR 37/87 – zu B I 1b der Gründe, BAGE 59, 371). Der Betriebserwerber tritt prozessual in jeglicher Hinsicht an die Stelle des bisherigen Betriebsinhabers. Hieran ändert auch die Erklärung des Betriebsrats, sein Antrag richte sich weiterhin gegen die Beteiligte zu 2), nichts. Vielmehr liegt darin eine Antragsänderung. Diese ist ohne Zustimmung der anderen Beteiligten prozessual unbeachtlich. Andernfalls hätte es der Antragsteller noch im Rechtsbeschwerdeverfahren in der Hand, den bisherigen Verfahrensgegenstand der gerichtlichen Entscheidung zu entziehen. Dies widerspräche § 92 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 1 ArbGG, wonach der Antrag im Rechtsbeschwerdeverfahren nur mit Zustimmung der anderen Beteiligten zurückgenommen werden kann.
b) Auch durch andere Ereignisse hat sich das Verfahren nicht erledigt. Ein erledigendes Ereignis könnte allerdings vorliegen, wenn die Beteiligte zu 3), wie der Betriebsrat behauptet, ihre Absicht, von der Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit der 14 Arbeitnehmer von 38,5 auf 42 Wochenstunden keinen Gebrauch zu machen, endgültig aufgegeben hätte. Das ist jedoch nicht der Fall. Die gegenteilige Behauptung des Betriebsrats ist angesichts des Bestreitens der Beteiligten zu 3) substanzlos und unbeachtlich. Auch der Betriebsrat behauptet nicht, dass die mit den 14 Arbeitnehmern getroffenen Vereinbarungen über eine Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 42 Wochenstunden rückgängig gemacht worden seien.
III. Die deshalb vom Senat zu bescheidende Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat dem Antrag des Betriebsrats zu Unrecht stattgegeben. Der Antrag ist mangels hinreichender Bestimmtheit bereits unzulässig.
1. Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss eine Klageschrift ua. einen “bestimmten Antrag” enthalten. Diese Bestimmung gilt auch im Beschlussverfahren. Ein Antrag im Beschlussverfahren unterliegt insoweit denselben Anforderungen wie im Urteilsverfahren (BAG 11. Dezember 2007 – 1 ABR 73/06 – Rn. 12 mwN, AP BetrVG 1972 § 99 Versetzung Nr. 45 = EzA BetrVG 2001 § 95 Nr. 7). Er muss daher hinreichend zuverlässig zu erkennen geben, zu welcher Handlung der in Anspruch Genommene verpflichtet oder welche Handlung ihm untersagt oder welche Feststellung mit Bindungswirkung zwischen den Beteiligten getroffen werden soll. Nur wenn dies, und sei es nach einer vom Gericht vorzunehmenden Auslegung des Antrags, hinreichend erkennbar ist, kann eine der materiellen Rechtskraft zugängliche Sachentscheidung ergehen. Eine Entscheidung, die eine Handlungs- oder Unterlassungspflicht ausspricht, muss grundsätzlich zur Zwangsvollstreckung geeignet sein. Genügt ein Antrag diesen Anforderungen nicht, ist er als unzulässig abzuweisen.
2. Der vom Betriebsrat gestellte Antrag ist nicht hinreichend bestimmt. Seine Auslegung ergibt, dass es sich um einen aufschiebend bedingten Leistungsantrag handelt. Der Arbeitgeberin soll aufgegeben werden, vor einer Beschäftigung der 14 namentlich genannten Arbeitnehmer mit 42 Wochenstunden seine Zustimmung einzuholen. Bei dieser Formulierung kann der Antrag entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 3) nicht als Feststellungsantrag verstanden werden. Ebenso scheidet eine Auslegung als Unterlassungsantrag aus. Der Antrag steht, wie der Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats in der Anhörung vor dem Senat bestätigt hat, unter einer Bedingung. Die Arbeitgeberin soll nicht voraussetzungslos, sondern erst “vor einer Beschäftigung” der 14 Arbeitnehmer verpflichtet werden, die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen. Wie sich aus § 726 Abs. 1 ZPO ergibt, kann zwar eine Verurteilung – Entsprechendes gilt für eine durch einen Beschluss im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren auszusprechende Verpflichtung – “von dem durch den Gläubiger zu beweisenden Eintritt einer anderen Tatsache als einer dem Gläubiger obliegenden Sicherheitsleistung” und damit auch von einer Bedingung abhängig gemacht werden. Eine solche Bedingung muss jedoch so bestimmt sein, dass erforderlichenfalls ihr Eintritt zuverlässig feststellbar ist. Dies ist hier nicht der Fall. Die Bedingung “vor einer Beschäftigung” knüpft nicht an ein Ereignis an, das eingetreten ist, sondern an ein solches, das noch bevorsteht. Dabei ist auch offen, ob das Ereignis mit dem Beginn der Beschäftigung der 14 Arbeitnehmer oder erst nach einer Einsatzzeit von 38,5 Arbeitsstunden eintritt. Wie ein derart erst bevorstehendes Ereignis zuverlässig festgestellt und iSv. § 726 Abs. 1 ZPO durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden bewiesen werden könnte, bleibt unklar.
Unterschriften
Schmidt, Kreft, Linsenmaier, Federlin, Olaf Kunz
Fundstellen
Haufe-Index 2119556 |
BAGE 2010, 358 |