Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestimmung des zuständigen Gerichts. Prozessrecht. Rechtsweg
Orientierungssatz
Nur bei krassen Rechtsverletzungen kommt einem unanfechtbar gewordenen Verweisungsbeschluss keine Bindungswirkung zu.
Normenkette
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6; GVG § 17a
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Beschluss vom 12.11.2003; Aktenzeichen 2 Ca 9392/03) |
Tenor
Als zuständiges Gericht wird das Arbeitsgericht Frankfurt am Main bestimmt.
Tatbestand
I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit des Entzugs der Beglaubigung des Klägers als Geistlicher der beklagten Religionsgemeinschaft.
Der Kläger war seit 1977 bei der Beklagten als Prediger tätig. Im Dezember 2001 entzog der zuständige Landesausschuss der Beklagten dem Kläger die Beglaubigung als Geistlicher. Zugleich kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis. Der Kündigungsschutzprozess wurde durch einen gerichtlichen Vergleich beigelegt. Hierin kamen die Parteien überein, dass das Arbeitsverhältnis zum 31. Juli 2003 ende. Zu Ziffer 4 dieses Vergleichs ist geregelt:
“Der Vorstand der Beklagten beantragt beim Landesausschuss dem Kläger die Beglaubigung als Prediger wieder zu erteilen.”
Nach Abschluss des Vergleichs stellte der Vorstand der Beklagten den Antrag, dem Kläger die Beglaubigung als Prediger wieder zu erteilen. Dies wurde vom Verbandsschlichtungsausschuss abgelehnt.
Mit seiner am 17. Juni 2003 beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen den Entzug der Beglaubigung als Prediger.
Nach vorheriger Anhörung der Parteien hat das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 22. August 2003 den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Frankfurt am Main verwiesen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, der Kläger mache einen Rechtsanspruch aus dem arbeitsgerichtlichen Vergleich geltend, weshalb die Gerichte für Arbeitssachen zuständig seien. Gegen den mit einer Rechtsmittelbelehrung zugestellten Beschluss des Verwaltungsgerichts haben die Parteien keine Beschwerde eingelegt.
Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 12. November 2003 entschieden, der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten sei nicht zulässig, und das Bundesarbeitsgericht um die Bestimmung des zuständigen Gerichts ersucht. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es handele sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit. Der Verweisungsbeschluss entbehre jeder Rechtsgrundlage und sei daher objektiv willkürlich.
Entscheidungsgründe
II. Die Voraussetzungen für die Durchführung des Bestimmungsverfahrens liegen vor.
Bei negativen Kompetenzkonflikten zwischen Gerichten verschiedener Gerichtsbarkeiten kommt die Bestimmung des zuständigen Gerichts durch einen obersten Gerichtshof des Bundes auch nach der seit 1. April 1998 geltenden Fassung des § 36 ZPO in Ausnahmefällen in Betracht.
a) Gem. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG, § 48 Abs. 1 ArbGG sind rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, bindend. Auch ein rechtskräftiger Verweisungsbeschluss, der nicht hätte ergehen dürfen, ist grundsätzlich einer weiteren Überprüfung entzogen (Senat 19. März 2003 – 5 AS 1/03 – AP ZPO § 36 Nr. 59 = EzA ZPO 2002 § 36 Nr. 1, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; 22. Juli 1998 – 5 AS 17/98 – AP ZPO § 36 Nr. 55 = EzA ZPO § 36 Nr. 28; BGH 13. November 2001 – X ARZ 266/01 – AP GVG § 17a Nr. 46; 8. Juli 2003 – X ARZ 138/03 – NJW 2003, 2990; BFH 26. Februar 2004 – VII B 341/03 – BB 2004, 874). Nur bei krassen Rechtsverletzungen kommt eine Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung ausnahmsweise in Betracht (Senat 19. März 2003 – 5 AS 1/03 – aaO; BFH 26. Februar 2004 – VII B 341/03 – aaO). Dies ist etwa anzunehmen, wenn der Beschluss dazu führt, dass sich die Verweisung bei Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Normen in einer nicht mehr hinnehmbaren, willkürlichen Weise von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt oder auf der Versagung rechtlichen Gehörs gegenüber den Verfahrensbeteiligten beruht (ebenso BGH 13. November 2001 – X ARZ 266/01 – aaO; einschränkend nunmehr insoweit BGH 8. Juli 2003 – X ARZ 138/03 – aaO) und damit unter Berücksichtigung elementarer rechtsstaatlicher Grundsätze nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BGH 9. April 2002 – X ARZ 24/02 – NZA 2002, 813). Der Verweisungsbeschluss muss ein Beleg willkürlicher Rechtsfindung sein.
b) In entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO hat die Bestimmung des zuständigen Gerichts zu erfolgen, wenn dies zur Wahrung einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit notwendig ist (Senat 19. März 2003 – 5 AS 1/03 – AP ZPO § 36 Nr. 59 = EzA ZPO 2002 § 36 Nr. 1, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; BGH 13. November 2001 – X ARZ 266/01 – AP GVG § 17a Nr. 46; 8. Juli 2003 – X ARZ 138/03 – NJW 2003, 2990; BFH 26. Februar 2004 – VII B 341/03 – BB 2004, 874). Erforderlich ist, dass es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung von rechtskräftigen Verweisungsbeschlüssen kommt und keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten, oder die Verfahrensweise eines Gerichts die Annahme rechtfertigt, der Rechtsstreit werde von diesem nicht prozessordnungsgemäß betrieben, obwohl er gemäß § 17b Abs. 1 GVG vor ihm anhängig ist (ebenso BGH 9. April 2002 – X ARZ 24/02 – NZA 2002, 813). Zuständig für die Zuständigkeitsbestimmung ist derjenige oberste Gerichtshof des Bundes, der zuerst darum angegangen wird.
- Zuständig ist das Arbeitsgericht Frankfurt am Main. Der Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts bindet das Arbeitsgericht. Der Beschluss ist nicht offensichtlich unhaltbar. Das Verwaltungsgericht hat die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen damit begründet, dass der Kläger einen Rechtsanspruch aus dem arbeitsgerichtlichen Vergleich geltend mache. Das ist jedenfalls kein Ausdruck willkürlicher Rechtsfindung. Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main ist deshalb an den Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts gebunden.
Unterschriften
Müller-Glöge, Mikosch, Linck
Fundstellen
FA 2004, 270 |
NZA 2005, 183 |
AP, 0 |
EzA |
BAGReport 2004, 383 |
NJOZ 2005, 573 |