Entscheidungsstichwort (Thema)
Auskunftsanspruch des Betriebsrats. Überwachungsaufgabe nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. kein Erfordernis von Anhaltspunkten für Regelverstoß
Orientierungssatz
1. Ein Unterrichtungsanspruch nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG kann daraus folgen, dass der Betriebsrat nur mit Hilfe der begehrten Auskünfte überprüfen kann, ob der Arbeitgeber eine zugunsten der Arbeitnehmer geltende Betriebsvereinbarung richtig durchführt.
2. Der Auskunftsanspruch hängt nicht davon ab, dass der Betriebsrat konkrete Anhaltspunkte für einen Regelverstoß darlegt.
Normenkette
BetrVG § 80 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1, § 77 Abs. 6
Verfahrensgang
LAG München (Beschluss vom 04.07.2006; Aktenzeichen 11 TaBV 76/05) |
ArbG München (Beschluss vom 22.09.2005; Aktenzeichen 11 BV 225/05) |
Tenor
I. Auf die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts München vom 4. Juli 2006 – 11 TaBV 76/05 – teilweise aufgehoben.
II. Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 22. September 2005 – 11 BV 225/05 – teilweise abgeändert:
1. Der Arbeitgeberin wird aufgegeben, dem Betriebsrat die Namen derjenigen Arbeitnehmer mitzuteilen, die sie im Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 9. Juni 2005 angewiesen hat, für die Dauer eines Jahres eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem ersten Krankheitstag vorzulegen.
2. Der Arbeitgeberin wird ferner aufgegeben, dem Betriebsrat die Tatsachen mitzuteilen, auf Grund derer sie bei den unter der vorstehenden Nr. 1 genannten Arbeitnehmern im konkreten Einzelfall begründete Zweifel am Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit hatte.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über Auskunftsansprüche.
Die Arbeitgeberin betreibt einen ambulanten Pflegedienst. Der Antragsteller ist der bei ihr gebildete siebenköpfige Betriebsrat. Die Beteiligten schlossen am 10. Dezember 1998 eine Betriebsvereinbarung zur “Regelung der Vorlage von Bescheinigungen über die Arbeitsunfähigkeit ab dem ersten Krankheitstag” (BV). Sie enthält folgende Bestimmungen:
Ҥ 2 Einzelfallregelung
Die Arbeitgeberin kann die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit ab dem ersten Krankheitstag nur in konkreten Einzelfällen verlangen. Sie hat hierbei nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit zu verfahren.
§ 3 Begründungspflicht
Die Arbeitgeberin ist verpflichtet, der Arbeitnehmerin, welche zur Vorlage einer Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit am ersten Krankheitstag angewiesen wird, über die Gründe, die zu dieser Entscheidung … führten, Auskunft zu geben. Die Arbeitnehmerin hat das Recht, eine schriftliche Begründung seitens der Arbeitgeberin zu verlangen.
§ 4 Gründe
Alleiniger Grund für die Anweisung an eine Arbeitnehmerin, die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit am ersten Krankheitstag vorzulegen, sind begründete Zweifel am Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit.
§ 5 Anhörung
Bevor die Arbeitnehmerin angewiesen wird, die Arbeitsunfähigkeit ab dem ersten Krankheitstag zu bescheinigen, muß die Arbeitgeberin die betroffene Arbeitnehmerin anhören. Die Arbeitgeberin hat die Gründe, welche die Arbeitnehmerin für ihr Verhalten vorbringt, zu berücksichtigen. Insbesondere müssen Faktoren, welche eine auffällige Häufung von Kurzzeiterkrankungen wahrscheinlich machen (z.B.: Schwangerschaft, chronische Krankheiten, schweres persönliches Leid usw.) berücksichtigt werden.
…
§ 7 Befristung
Die Anweisung, am ersten Tage der Arbeitsunfähigkeit eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen, ist zeitlich befristet längstens auf 1 Jahr zu erteilen. Das Ende der Frist ist der betroffenen Arbeitnehmerin im Rahmen der Anweisung mitzuteilen. …
§ 8 Beschwerde
Die betroffene Arbeitnehmerin hat das Recht sich bei zuständigen Stellen im Betrieb, insbesondere beim Betriebsrat zu beschweren, falls sie der Meinung ist, sie würde nicht nach Recht und Billigkeit behandelt.
…
§ 10 Kündigung, Nachwirkung
Diese Betriebsvereinbarung tritt am 01.12.1998 in Kraft.
Diese Betriebsvereinbarung kann mit einer Frist von 3 Monaten zum Quartalsende gekündigt werden. Die Nachwirkung dieser Betriebsvereinbarung wird ausdrücklich vereinbart.”
Der Betriebsrat kündigte die BV zum 30. September 2000. Eine Nachfolgeregelung wurde bisher nicht getroffen.
In den ersten Jahren nach Abschluss der BV wurden jährlich etwa zwei bis drei, maximal fünf Mitarbeiter angewiesen, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung schon für den ersten Krankheitstag vorzulegen. Im Zeitraum von Anfang Mai bis Anfang Juni 2005 erteilte die Arbeitgeberin insgesamt rund zwanzig solcher Anweisungen.
Der Betriebsrat hat vorgebracht, für die Vorgehensweise der Arbeitgeberin seien möglicherweise nicht mehr begründete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit der betreffenden Mitarbeiter, sondern eine von ihr aufgestellte, vom Einzelfall absehende allgemeine Regel maßgeblich. Nachdem der Betriebsrat die Arbeitgeberin im Juni 2005 vergeblich aufgefordert hatte, ihm mitzuteilen, welche Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung schon für den ersten Krankheitstag vorzulegen haben, hat er das vorliegende Beschlussverfahren eingeleitet.
Er hat, soweit noch von Interesse, beantragt,
1. die Arbeitgeberin zu verpflichten, ihm die Namen derjenigen Arbeitnehmer mitzuteilen, die sie im Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 9. Juni 2005 angewiesen hat, für die Dauer eines Jahres eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem ersten Krankheitstag vorzulegen;
2. die Arbeitgeberin zu verpflichten, ihm die Tatsachen mitzuteilen, auf Grund derer sie bei den unter Nr. 1 genannten Arbeitnehmern im konkreten Einzelfall begründete Zweifel am Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit hatte.
Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge abzuweisen. Sie hat behauptet, sie sei stets nach den Regelungen der BV vorgegangen. Kein Mitarbeiter habe sich je über eine Anhörung und Anweisung nach §§ 5, 4 BV beschwert. Auch enthalte die BV keinen Informationsanspruch zugunsten des Betriebsrats. Im Übrigen sei dessen Auskunftsbegehren unverhältnismäßig. Es sei auch nicht erforderlich. Der Betriebsrat könne sich die gewünschten Informationen von den Mitarbeitern selbst beschaffen.
Die Vorinstanzen haben die Anträge des Betriebsrats abgewiesen. Mit der vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt dieser sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht einen Informationsanspruch des Betriebsrats verneint. Dieser kann von der Arbeitgeberin gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG iVm. § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG die begehrten Auskünfte verlangen.
I. Die Anträge des Betriebsrats sind zulässig.
1. Der Antrag zu 2 bedarf der Auslegung. Der Betriebsrat begehrt die Mitteilung der “Tatsachen”, auf Grund derer die Arbeitgeberin in den betreffenden Einzelfällen “begründete Zweifel” am Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit hatte. Der Antrag ist damit nicht allein auf die Mitteilung äußerer Umstände beschränkt. Vielmehr geht es dem Betriebsrat erkennbar auch um die Unterrichtung über innere Tatsachen. Er will darüber informiert werden, welche subjektiven tatsächlichen Annahmen die Arbeitgeberin dazu bewogen haben, an der Arbeitsunfähigkeit der betreffenden Mitarbeiter zu zweifeln.
2. Mit diesem Inhalt ist – neben dem Antrag zu 1 – auch der Antrag zu 2 zulässig. Beide Anträge sind Leistungsanträge, für die ein Rechtsschutzbedürfnis grundsätzlich gegeben ist. Es besteht unabhängig davon, ob die Mitteilung der Namen derjenigen Mitarbeiter, die im ersten Halbjahr 2005 zur Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung schon für den ersten Krankheitstag aufgefordert worden waren, und der dem zugrunde liegenden tatsächlichen Annahmen auch jetzt noch von Bedeutung für die rechtliche Beziehung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeberin sind. Dies betrifft nicht die Zulässigkeit, sondern der Begründetheit der Anträge. Gleiches gilt für die Frage, ob sich der Betriebsrat die begehrten Informationen auf andere Weise beschaffen könnte.
II. Die Anträge sind begründet.
1. Ein Anspruch auf die begehrten Auskünfte folgt nicht aus der BV selbst. In dieser sind Unterrichtungsansprüche des Betriebsrats nicht geregelt.
2. Die Auskunftsansprüche folgen aus § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG. Danach ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Betriebsrat zur Durchführung seiner gesetzlichen Aufgaben rechtzeitig und umfassend zu unterrichten. Mit dieser Verpflichtung geht ein entsprechender Anspruch des Betriebsrats einher (BAG 21. Oktober 2003 – 1 ABR 39/02 – BAGE 108, 132, zu B II 3b der Gründe mwN).
a) Zu den Aufgaben des Betriebsrats iSv. § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG gehören dessen allgemeine Aufgaben gem. dem Katalog des § 80 Abs. 1 BetrVG, die vom Vorliegen besonderer Mitwirkungs- oder Mitbestimmungsrechte unabhängig sind. Zu ihnen gehört ferner die Wahrnehmung von Beteiligungsrechten nach dem Betriebsverfassungsgesetz. Der Unterrichtungsanspruch nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG besteht nicht nur dann, wenn solche allgemeinen Aufgaben oder Beteiligungsrechte bereits feststehen. Die Unterrichtung soll es dem Betriebsrat vielmehr auch ermöglichen, anschließend in eigener Verantwortung zu prüfen, ob sich Aufgaben iSd. Betriebsverfassungsgesetzes ergeben und er zu ihrer Wahrnehmung tätig werden muss. Dafür genügt eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das Bestehen von Aufgaben. Die Grenzen des Auskunftsanspruchs liegen dort, wo ein Beteiligungsrecht oder eine sonstige Aufgabe offensichtlich nicht in Betracht kommt. Erst dann kann nicht mehr davon gesprochen werden, dass die begehrte Auskunft zur Durchführung von Aufgaben des Betriebsrats erforderlich sei. Aus diesen Grundsätzen folgt eine zweistufige Prüfung darauf hin, ob überhaupt eine Aufgabe des Betriebsrats gegeben und ob im Einzelfall die begehrte Information zur Aufgabenwahrnehmung erforderlich ist (BAG 21. Oktober 2003 – 1 ABR 39/02 – BAGE 108, 132, zu B II 3b der Gründe mwN).
b) Im Streitfall besteht eine Aufgabe des Betriebsrats in der Wahrnehmung der in § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG normierten Überwachungspflicht.
aa) Nach dieser Bestimmung hat der Betriebsrat darüber zu wachen, dass – ua. – die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden. “Zugunsten” der Arbeitnehmer gilt eine Betriebsvereinbarung auch dann, wenn sie einschränkende Voraussetzungen für die Ausübung des Weisungsrechts oder die Wahrnehmung sonstiger Befugnisse durch den Arbeitgeber regelt. Hier hat die Arbeitgeberin die bis jetzt nachwirkende BV vom 10. Dezember 1998 durchzuführen. Dabei hat sie die dort vorgesehenen Voraussetzungen für ein Vorlageverlangen und die Grundsätze von Recht und Billigkeit zu beachten.
bb) Die Überwachungspflicht ist nicht deshalb entfallen, weil sie durch Regelungen der BV ausgeschlossen wäre. Der Umstand, dass die Arbeitgeberin nach § 3 BV den betroffenen Arbeitnehmern Auskunft über ihre Gründe zu geben hat, und diese nach § 8 BV das Recht haben, sich beim Betriebsrat zu beschweren, bedeutet nicht, dass der Betriebsrat dadurch seiner Überwachungsaufgabe enthoben wäre. Ein solcher Inhalt ist den Bestimmungen nicht zu entnehmen. Entsprechende Regelungen wären außerdem unbeachtlich. Sie kämen einem Verzicht des Betriebsrats auf ihm gesetzlich übertragene Befugnisse und einer Entledigung der damit verbundenen gesetzlichen Pflichten gleich und wären deshalb unwirksam (BAG 3. Juni 2003 – 1 AZR 349/02 – BAGE 106, 204, zu II 2 der Gründe mwN).
cc) Der Ablauf der BV steht einer Überwachungspflicht nicht entgegen. Zwar hat der Betriebsrat die BV zum 30. September 2000 gekündigt. Ihre Regelungen gelten jedoch gem. § 77 Abs. 6 BetrVG weiter. Dafür kommt es nicht darauf an, ob die Gegenstände der zwingenden Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 BetrVG unterliegen und deshalb ein Spruch der Einigungsstelle gem. § 87 Abs. 2 BetrVG die Einigung zwischen Arbeitgeberin und Betriebsrat ersetzen kann. Die Betriebsparteien können eine Nachwirkung auch für freiwillige Betriebsvereinbarungen vereinbaren (BAG 28. April 1998 – 1 ABR 43/97 – BAGE 88, 298, zu B II 2b aa der Gründe). Im Streitfall haben sie das in § 10 BV getan. Die Nachwirkung ist an keine Frist gebunden. Zu einem sie beendenden Umstand hat das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen getroffen.
dd) Dem Informationsanspruch steht nicht entgegen, dass die begehrten Auskünfte sich auf das Jahr 2005 beziehen. Zwar geht es im Rahmen der Überwachungsaufgabe nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht darum, dass der Betriebsrat für vergangene, abgewickelte und die aktuelle Lage nicht mehr beeinflussende Zeiträume überprüft, ob der Arbeitgeber die geltenden Rechtsvorschriften eingehalten hat. Die Überwachungsaufgabe ist vielmehr vorrangig gegenwarts- und zukunftsbezogen, um den Arbeitgeber ggf. zu künftiger Rechtsbefolgung anzuhalten. Aus Auskünften über bestimmte Verhaltensweisen des Arbeitgebers in der Vergangenheit lassen sich aber Rückschlüsse auch für sein derzeitiges und künftiges Verhalten ziehen. Die rückwärtige zeitliche Grenze liegt erst dort, wo der Betriebsrat aus den gewünschten Informationen für sein Handeln keine sachgerechten Folgerungen mehr ziehen könnte (BAG 21. Oktober 2003 – 1 ABR 39/02 – BAGE 108, 132, zu II 3b bb (3) der Gründe).
Diese Grenze ist hier nicht überschritten. Weder ist der Arbeitgeberin die Auskunftserteilung wegen Zeitablaufs unmöglich geworden noch ergibt sich aus der Überwachungsaufgabe als solcher eine Beschränkung auf erst kurzfristig vergangene Zeiträume. Erfährt der Betriebsrat aus den erbetenen Auskünften, wie die Arbeitgeberin die Regelungen in §§ 2, 4 und 5 BV im ersten Halbjahr 2005 praktiziert hat, vermag er daraus auch jetzt noch Schlüsse zu ziehen. Er kann etwa bei der Arbeitgeberin darauf drängen, künftig in vergleichbaren Fällen anders zu verfahren, vermag die Arbeitnehmer entsprechend zu informieren oder kann prüfen, ob es angezeigt ist, das Einigungsstellenverfahren zu betreiben, um die nachwirkenden Regelungen entweder in bestimmter Weise zu ändern, zu präzisieren oder möglicherweise ganz entfallen zu lassen. Es wäre Sache der Arbeitgeberin gewesen vorzutragen, die gewünschten Informationen seien auf Grund des Zeitablaufs für mögliche Reaktionen des Betriebsrats keine geeignete Grundlage mehr.
ee) Das Verlangen des Betriebsrats ist nicht auf eine unmögliche Leistung gerichtet. Der Betriebsrat begehrt nicht die Vorlage schriftlicher Unterlagen – etwa nach § 3 BV –, von denen die Arbeitgeberin unwidersprochen behauptet hat, sie existierten nicht. Er verlangt vielmehr Auskünfte. Die Arbeitgeberin soll ihn über ihre eigenen Beweggründe für die fraglichen Anordnungen unterrichten. Dem kann sie ohne Rückgriff auf Unterlagen – sei es mündlich, sei es im Hinblick auf § 2 Abs. 1 BetrVG sachgerechterweise schriftlich – jederzeit nachkommen (zu Gründen für eine schriftliche Auskunftserteilung vgl. BAG 10. Oktober 2006 – 1 ABR 68/05 – Rn. 19, BAGE 119, 356).
ff) Das Auskunftsverlangen ist entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin nicht rechtsmissbräuchlich. Zwar gilt das Verbot unzulässiger Rechtsausübung auch im Verhältnis von Arbeitgeber und Betriebsrat (BAG 13. Februar 2007 – 1 ABR 14/06 – Rn. 25, AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 81 = EzA BetrVG 2001 § 80 Nr. 7). Für ein rechtsmissbräuchliches Verlangen besteht aber im Streitfall kein Anhaltspunkt. Der Umstand, dass sich bislang keiner der betroffenen Arbeitnehmer nach § 8 BV beschwert hat, besagt insoweit nichts. Für dieses Verhalten sind vielerlei Ursachen denkbar. Es bedeutet nicht, dass ein Verstoß gegen die Regelungen der BV objektiv nicht vorliegt und eine Unterrichtung des Betriebsrats deshalb Durchführungsmängel nicht zu Tage fördern kann.
gg) Anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat, bedarf es für den Auskunftsanspruch keiner “greifbaren Anhaltspunkte” dafür, dass sich die Arbeitgeberin an die Bestimmungen der BV nicht hält. Die Überwachungsaufgabe des Betriebsrats besteht darin, auf die Durchführung der BV zu achten. Der Betriebsrat käme ihr nicht pflichtgemäß nach, würde er die Überwachung vom Vorliegen bestimmter Verdachtsmomente abhängig machen, die für eine Verletzung der BV sprächen. Eine Überwachung verlangt – wie in anderen Zusammenhängen auch – ein von einem bestimmten Anlass gerade unabhängiges, vorbeugendes Tätigwerden. Zwar muss der Betriebsrat unter Beachtung des Gebots der vertrauensvollen Zusammenarbeit in § 2 Abs. 1 BetrVG nach pflichtgemäßem Ermessen darüber entscheiden, wann und wie er dieser Aufgabe nachkommen will. Auf das Auftreten von Anhaltspunkten für eine Regelverletzung ist er aber nicht verwiesen (HaKo-BetrVG/Kohte 2. Aufl. § 80 Rn. 19). Dies zeigt die Vorschrift des § 80 Abs. 2 Satz 2 1. Halbs. BetrVG. Danach sind dem Betriebsrat auf Verlangen “jederzeit” die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. “Jederzeit” bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der Betriebsrat die erforderlichen Unterlagen ohne besonderen Anlass verlangen kann. Wegen des systematischen Zusammenhangs von Auskunftsanspruch nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG und Vorlageanspruch nach § 80 Abs. 2 Satz 2 1. Halbs. BetrVG gilt für das (bloße) Auskunftsverlangen des Betriebsrats nichts anderes (BAG 30. Juni 1981 – 1 ABR 26/79 – BAGE 35, 342, zu B III 2 der Gründe).
Dazu steht die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 19. Oktober 1999 (– 1 ABR 75/98 – AP BetrVG 1972 § 80 Nr. 58 = EzA BetrVG 1972 § 80 Nr. 45) nicht im Widerspruch. Ihr zufolge ist der Umfang des Auskunftsanspruch des Betriebsrats je nach den bei diesem schon vorhandenen Informationen gestuft. Besitzt er in bestimmtem Umfang Kenntnisse, derer er zur Erfüllung seiner Kontrollaufgabe nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bedarf, setzt der Anspruch auf zusätzliche Informationen oder die Vorlage weiterer Unterlagen konkrete Anhaltspunkte voraus, die der Betriebsrat darzulegen hat. Von einer solchen Vorinformation kann im Streitfall nicht gesprochen werden. Der Betriebsrat ist über die Beweggründe der Arbeitgeberin nicht – auch nicht teilweise – unterrichtet. Er ist deshalb nicht in einer Weise bereits in Kenntnis gesetzt, dass sein Auskunftsanspruch von der Darlegung der Erforderlichkeit weitergehender Informationen abhinge.
c) Zur Wahrnehmung seiner Überwachungsaufgabe nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG benötigt der Betriebsrat die verlangten Informationen. Die Arbeitgeberin hat die BV nur dann korrekt durchgeführt, wenn begründete Zweifel am Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit der betreffenden Mitarbeiter bestanden haben und den Ausschlag dafür gaben, die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung schon für den ersten Krankheitstag zu verlangen. Ob solche Zweifel tatsächlich berechtigt waren und die Arbeitgeberin bei ihrem Verlangen gem. § 2 BV die Grundsätze von Recht und Billigkeit beachtet hat, kann der Betriebsrat nur beurteilen, wenn er die Namen der betroffenen Mitarbeiter und die tatsächlichen Annahmen kennt, auf die die Arbeitgeberin ihre Zweifel gestützt hat.
d) Der Betriebsrat ist nicht darauf verwiesen, sich die benötigten Informationen selbst zu beschaffen. Hinsichtlich der Annahmen, auf welche die Arbeitgeberin ihre Zweifel gegründet hat, ist ihm dies objektiv nicht möglich. Unabhängig davon hat er nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG Anspruch darauf, ohne eigenes Zutun unterrichtet zu werden (BAG 24. Januar 2006 – 1 ABR 60/04 – AP BetrVG 1972 § 80 Nr. 65 = EzA BetrVG 2001 § 80 Nr. 5, zu B II 1d der Gründe mwN).
Unterschriften
Schmidt, Linsenmaier, Kreft, Wisskirchen, Platow
Fundstellen
Haufe-Index 2015588 |
DB 2008, 1635 |