Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablösende Betriebsvereinbarung über Altersgrenzen für Arbeitsverhältnisse
Leitsatz (redaktionell)
Nach § 45 Abs 2 Satz 2 ArbGG wird wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt:
Kann eine vom Arbeitgeber einheitlich (hier: für sogenannte außertarifliche Angestellte) angewandte, auf vertraglicher Grundlage beruhende Regelung, nach der das Arbeitsverhältnis mit dem Erreichen einer bestimmten Altersgrenze (hier: sechs Monate nach Vollendung des 65. Lebensjahres) endet, durch Betriebsvereinbarung dahin abgeändert werden, daß eine niedrigere Altersgrenze (hier: Vollendung des 65. Lebensjahres) festgelegt wird?
Normenkette
BetrVG §§ 88, 77; BGB § 620 Abs. 1; ArbGG § 45 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1979-07-02
Verfahrensgang
LAG München (Entscheidung vom 23.02.1983; Aktenzeichen 5 Sa 308/82) |
ArbG München (Entscheidung vom 31.03.1982; Aktenzeichen 24 Ca 11530/81) |
Nachgehend
Gründe
A. Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis Ende November 1981 oder erst am 31. Mai 1982 sein Ende gefunden hat.
Der Kläger trat am 1. Oktober 1965 als Angestellter in die Dienste der Beklagten. Er hat zuletzt ein monatliches Bruttogehalt von 7.781,-- DM bezogen. In ihrem Arbeitsvertrag vom 17. September 1965 hatten die Parteien vereinbart, daß das Arbeitsverhältnis nach Ablauf der Probezeit mit einer Frist von sechs Wochen zum Quartalsende schriftlich gekündigt werden könne. Außerdem heißt es dort unter Ziffer 5:
"Betriebsvereinbarung:
Eine Betriebsvereinbarung soll nächstens ab-
geschlossen werden. Sie wird Bestandteil dieses
Anstellungsvertrages."
Am 1. Januar 1969 schloß die Beklagte mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung (künftig: BV 1969), in der unter anderem in § 10 (1) Buchst. e) vereinbart war:
"Das Arbeitsverhältnis endet ohne Kündigung
grundsätzlich sechs Monate nach Vollendung
des 65. Lebensjahres, gerechnet vom Ende
des Monats, in dem diese Altersgrenze er-
reicht wurde."
Diese Betriebsvereinbarung hat der Betriebsrat mit Schreiben vom 15. September 1971 zum 31. Dezember 1971 gekündigt.
Am 31. Juli 1981 schloß die Beklagte mit dem Gesamtbetriebsrat folgende Betriebsvereinbarung (künftig: BV 1981):
"1. Geltungsbereich
---------------
Diese Betriebsvereinbarung gilt für sämtliche
in ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis
in die IABG eintretende Mitarbeiter und für
die Mitarbeiter, deren Beendigung des Beschäf-
tigungsverhältnisses bisher durch die Betriebs-
vereinbarung vom 1. Januar 1969 geregelt war.
2. Erreichen der Altersgrenze
--------------------------
Das Beschäftigungsverhältnis endet ohne Kündi-
gung mit Ablauf des Monats, in dem das 65. Le-
bensjahr vollendet wird. Das Beschäftigungsver-
hältnis kann auf Antrag des Mitarbeiters um
höchstens 6 Monate verlängert werden, wenn nicht
Gründe, die in der Person oder im Verhalten des
Antragstellers liegen, oder dringende betriebliche
Erfordernisse einer Weiterbeschäftigung entgegen-
stehen. Die Entscheidung über einen solchen Antrag
erfolgt nach Beratung mit dem Betriebsrat.
3. Rentenbezug
-----------
Das Beschäftigungsverhältnis endet ohne Kündigung
mit dem Ende des Folgemonats, in welchem der Ren-
tenbescheid auf Berufs-, Erwerbsunfähigkeitsrente
oder vorgezogenes Altersruhegeld ausgestellt wurde.
4. Inkrafttreten
-------------
Diese Betriebsvereinbarung tritt am 1. August 1981
in Kraft. Sie kann mit einer Frist von 3 Monaten
zum Quartalsende gekündigt werden."
Mit Schreiben vom 3. August 1981 teilte die Beklagte dem Kläger unter Hinweis auf die neue Betriebsvereinbarung mit, sein Arbeitsverhältnis werde mit dem Ablauf des 30. November 1981 enden, da der Kläger in diesem Monat sein 65. Lebensjahr vollende. Der Kläger machte mit Schreiben seines Prozeßbevollmächtigten vom 13. August 1981 geltend, sein Arbeitsverhältnis ende entsprechend der BV 1969 erst mit dem Ablauf des Monats Mai 1982. Er beantragte vorsorglich, das Arbeitsverhältnis gemäß Ziff. 2 BV 1981 um sechs Monate zu verlängern. Die Beklagte lehnte dies ab.
Der Kläger erhält seit dem 1. Dezember 1981 aus einem Gruppenversicherungsvertrag, den ein Versorgungsverband, dem auch die Beklagte angehört, mit Lebensversicherungsunternehmen abgeschlossen hat, eine monatliche Rente von 411,-- DM.
Mit der vorliegenden Klage hat sich der Kläger gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zum 30. November 1981 gewandt. Er hat vorgetragen, er sei im Vertrauen auf die BV 1969 als sicher davon ausgegangen, daß sein Arbeitsverhältnis bei der Beklagten erst sechs Monate nach Vollendung seines 65. Lebensjahres enden werde. Das hätten ihm seine Vorgesetzten auch des öfteren vor dem 31. Juli 1981 bestätigt und zugesagt. Im übrigen habe sich auch die Praxis der Beklagten noch 1981 nach der BV 1969 gerichtet; mehrere Mitarbeiter seien erst sechs Monate nach Vollendung des 65. Lebensjahres ausgeschieden. Das Verhalten der Beklagten ihm gegenüber widerspreche somit dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Die BV 1981 habe sein Arbeitsverhältnis vor dem 31. Mai 1982 nicht beenden können; denn sie sei für ihn aus Rechtsgründen nicht verbindlich. Die Vereinbarung einer Altersgrenze sei allenfalls dann zulässig, wenn eine für den Arbeitnehmer ausreichende betriebliche Altersversorgung bestehe. Er erhalte jedoch neben der Betriebsrente lediglich eine gesetzliche Altersrente von ca. 1.000,-- DM. Desweiteren ändere die BV 1981 zu seinen Ungunsten den Arbeitsvertrag mit der Beklagten ab, dessen Inhalt auch die Bestimmungen der BV 1969 geworden seien.
Selbst wenn man die BV 1981 anwende, habe er Anspruch auf Verlängerung seines Arbeitsverhältnisses um sechs Monate.
Der Kläger hat beantragt festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien über den 30. November 1981 fortdauere.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat vorgetragen, die BV 1981 sei wirksam. Hierfür reiche es aus, daß für ihr Unternehmen eine Versorgungsregelung bestehe, deren Leistungen auf das 65. Lebensjahr abgestellt seien. Sie sei Mitglied des Versorgungsverbandes bundes- und landesgeförderter Unternehmen e. V. (VBLU). Zwischen diesem Verband und 26 Lebensversicherungsunternehmen sei ein Gruppenversicherungsvertrag abgeschlossen worden, der im einzelnen die Versorgungsbedingungen der Arbeitnehmer der Mitgliedsunternehmen des Verbandes regele. Danach seien grundsätzlich die Risiken der Invalidität, des Alters und des Todes versichert. Die Leistungen aus dem Versicherungsvertrag bestünden wahlweise in laufender dynamischer Rentenzahlung oder in einer einmaligen Kapitalabfindung bei Erreichen der Altersgrenze und seien grundsätzlich auf die Vollendung des 65. Lebensjahres abgestellt. Der Kläger sei mit Wirkung vom 1. Juli 1968 im VBLU versichert gewesen und erhalte aus dieser Versicherung die monatliche Rente von gegenwärtig 411,-- DM.
Die BV 1969 sei nicht Inhalt des Arbeitsvertrages des Klägers geworden. Selbst wenn aber eine solche vertragliche Vereinbarung anzunehmen wäre, habe sie durch eine spätere Betriebsvereinbarung abgeändert werden können. Sie habe bis weit in die 70er Jahre hinein für ihre außertariflichen Angestellten dieselben Arbeitsvertragstexte verwendet wie im Fall des Klägers. Die Ziffern 2 bis 4 und 5 des Anstellungsvertrages des Klägers seien im wesentlichen wortgleich in der BV 1969 niedergelegt. Somit habe in ihrem Unternehmen auch hinsichtlich der Altersgrenze eine vertragliche Einheitsregelung bestanden, deren Ablösung durch eine Betriebsvereinbarung zulässig gewesen sei. Eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses nach Ziff. 2 Satz 2 der neuen Betriebsvereinbarung komme nicht in Betracht.
Der Kläger hat bestritten, daß die Beklagte mit anderen Mitarbeitern Verträge abgeschlossen habe, die mit seinem Arbeitsvertrag inhaltsgleich seien. Er habe einen auf ihn zugeschnittenen individuellen Arbeitsvertrag erhalten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.
Mit seiner gegen dieses Urteil eingelegten Berufung hat der Kläger nur noch den Antrag verfolgt festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien über den 30. November 1981 hinaus bis einschließlich 31. Mai 1982 fortbestanden hat.
Die Beklagte hat in einem nach Schluß der mündlichen Verhandlung eingereichten, nicht nachgelassenen Schriftsatz unter anderem vorgetragen, die Zuständigkeit des (Gesamt)betriebsrats zum Abschluß einer Betriebsvereinbarung über eine Altersbegrenzung ergebe sich auch aus § 2 Ziff. 3 des einschlägigen Manteltarifvertrages für die Angestellten der Bayerischen Metallindustrie, in der bestimmt sei:
"Betriebsvereinbarungen über eine Begrenzung des
Beschäftigungsverhältnisses bei Erreichen einer
bestimmten Altersgrenze (z.B. 65. Lebensjahr)
sind zulässig."
Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien bis einschließlich 31. Mai 1982 fortbestanden hat.
Mit der Revision verfolgt die Beklagte die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
B. Der Senat hält es zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung für erforderlich, die in der Beschlußformel genannte Rechtsfrage wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 45 Abs. 2 Satz 2 ArbGG dem Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts zur Entscheidung vorzulegen.
I. Nach Auffassung des Senats kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits tragend auf die in der Beschlußformel genannte Frage an.
1. Bei der BV 1981 handelt es sich um eine freiwillige Betriebsvereinbarung nach § 88 BetrVG. Die Festsetzung einer Altersgrenze gehört zu den sozialen Angelegenheiten und unterliegt deshalb, soweit es den Gegenstand der Regelungsmaterie angeht, der Zuständigkeit der Betriebspartner aufgrund des § 88 BetrVG (Senatsurteil vom 25. März 1971, BAG 23, 257 = AP Nr. 5 zu § 57 BetrVG, zu II 1 der Gründe - zu der entsprechenden Vorschrift des § 57 BetrVG 1952).
2. Die Kompetenz des Betriebsrats (Gesamtbetriebsrats) zur Einführung von Altersgrenzen konnte über die Regelung des Betriebsverfassungsgesetzes hinaus nicht durch § 2 Ziff. 3 des Manteltarifvertrages für die Angestellten der Bayerischen Metallindustrie begründet werden.
Die Kompetenzen der Betriebspartner zum Abschluß von Betriebsvereinbarungen sind im Betriebsverfassungsgesetz abschließend geregelt. Das Gesetz normiert in § 77 Abs. 3 den Vorrang einer bestehenden oder üblichen tariflichen Regelung der betreffenden Arbeitsbedingungen. Nach § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG können die Tarifvertragsparteien bestimmen, ob sie von ihrer vorrangigen Regelungskompetenz umfassenden Gebrauch machen oder den Betriebspartnern die Regelung von Teilbereichen überlassen wollen. Dagegen können die Tarifvertragsparteien auf die Betriebspartner nicht ihre Regelungsbefugnis und damit keine weitergehenden Befugnisse übertragen, als diesen nach dem Betriebsverfassungsgesetz zustehen. Die von der Beklagten angezogene Tarifnorm hat somit lediglich die Bedeutung einer solchen nach § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG zulässigen Öffnungsklausel.
3. Für eine solche Regelung war auch der im Unternehmen der Beklagten bestehende Gesamtbetriebsrat gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zuständig. Wie der Senat in BAG 23, 257 (zu II 4 b der Gründe) für die inhaltsgleiche Bestimmung des § 48 Abs. 1 Satz 1 BetrVG 1952 entschieden hat, ist der Gesamtbetriebsrat für den Abschluß einer Betriebsvereinbarung über die Einführung einer bestimmten Altersgrenze zuständig, wenn für das gesamte Unternehmen eine einheitliche Altersversorgungsregelung besteht, die auf diese Altersgrenze abstellt. Im vorliegenden Fall besteht für das Unternehmen der Beklagten eine solche Altersversorgung in Form einer Gruppenlebensversicherung. Der dahingehende substantiierte Sachvortrag der Beklagten ist nach § 138 Abs. 3 ZPO als nicht bestritten angesehen.
4. Die BV 1981 verstößt nicht gegen die Rechtsprechungsgrundsätze des Bundesarbeitsgerichts über die Zulässigkeit der Befristung von Arbeitsverträgen.
Wie der Senat in BAG 23, 257 (zu III 1 der Gründe) entschieden hat, entspricht eine Betriebsvereinbarung mit solchem Inhalt jedenfalls dann diesen Grundsätzen, wenn eine Versorgungsregelung besteht, deren Leistungen auf das 65. Lebensjahr abgestellt sind. Hieran hält der Senat fest.
5. Die BV 1981 sieht in Nr. 2 Satz 2 die Möglichkeit einer Vertragsverlängerung um längstens sechs Monate auf Antrag des Arbeitnehmers vor. Ob der Kläger nach dieser Ausnahmeregelung eine vertragliche Verlängerung beanspruchen könnte, kann im vorliegenden Fall nicht geprüft werden. Der Kläger hat lediglich einen Feststellungsantrag gestellt. Nach der vorgenannten Ausnahmeregelung bedarf es jedoch für die Verlängerung des an sich mit Erreichen der Altersgrenze beendeten Vertrages einer vertraglichen Vereinbarung, auf deren Abschluß ein Leistungsantrag gestellt werden müßte (Verurteilung des Arbeitgebers zur Abgabe eines Angebots zum Abschluß eines entsprechenden Verlängerungsvertrages, § 894 Abs. 1 ZPO).
6. Die Regelung der BV 1969 über die Altersgrenze von 65 Jahren und sechs Monaten, nicht aber auch die BV 1981 ist Inhalt des Arbeitsvertrages des Klägers geworden.
a) Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, enthält der Arbeitsvertrag der Parteien in Ziff. 5 keine Inbezugnahme der jeweils im Betrieb oder Unternehmen geltenden Betriebsvereinbarungen. Für diese Auslegung spricht bereits der Wortlaut der Vertragsklausel. Sie verweist auf die Betriebsvereinbarung, die "nächstens abgeschlossen" werden sollte. Als künftiger Vertragsinhalt ist damit eindeutig eine bestimmte, nämlich diejenige Betriebsvereinbarung bezeichnet, auf die sich die Betriebspartner nach der damaligen Sicht der Beklagten in nächster Zeit einigen würden. Der Kläger durfte nach dem eindeutigen Wortlaut seines Arbeitsvertrages darauf vertrauen, daß nur eine bestimmte Betriebsvereinbarung Vertragsinhalt werden sollte.
b) Diese Regelung hat nach der Kündigung der BV 1969 zum 31. Dezember 1971 nur noch als vertragliche Vereinbarung weitergegolten. Jedenfalls freiwillige Betriebsvereinbarungen entfalteten nämlich bereits unter der Geltung des Betriebsverfassungsgesetzes vom 11. Oktober 1952 keine Nachwirkung (BAG Beschluß vom 13. November 1964 - 1 ABR 6/64 - AP Nr. 25 zu § 56 BetrVG; weitere Nachweise bei Dietz/Richardi, BetrVG 1972, 6. Aufl., § 77 Rz 108).
c) Der Senat geht weiter davon aus, daß die Beklagte diese Regelung für alle sogenannten außertariflichen Angestellten auf vertraglicher Grundlage auch nach der Kündigung der BV 1969 angewandt hat. Der dahingehende substantiierte Vortrag der Beklagten ist ebenfalls nach § 138 Abs. 3 ZPO als nicht bestritten anzusehen. Die Einlassung des Klägers hierzu ist nicht schlüssig. Er bestreitet zwar, daß die Beklagte mit den übrigen Mitarbeitern mit seinem Arbeitsvertrag vergleichbare Verträge geschlossen habe. Andererseits trägt er jedoch vor, die Beklagte habe sich auch noch 1981 nach der BV 1969 gerichtet, und leitet daraus her, die Beklagte verstoße ihm gegenüber gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.
II. Danach kommt es entscheidend auf die Frage an, ob und unter welchen Voraussetzungen freiwillige Betriebsvereinbarungen in eine solche Regelung, die vom Arbeitgeber auf vertraglicher Grundlage einheitlich angewendet wird, zum Nachteil der betroffenen Arbeitnehmer eingreifen können.
1. Der Erste Senat (vgl. BAG 3, 274, 277 = AP Nr. 1 zu § 32 SchwBeschG; AP Nr. 87 zu § 242 BGB Ruhegehalt), der erkennende Senat (BAG 23, 257, 275 = AP Nr. 5 zu § 57 BetrVG) und der Dritte Senat (vgl. BAG 22, 252, 258 ff. = AP Nr. 142 zu § 242 BGB Ruhegehalt; BAG 36, 327 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Ablösung) haben ablösende verschlechternde Betriebsvereinbarungen grundsätzlich und ohne Rücksicht auf die Regelungsmaterie als zulässig angesehen. Das gleiche gilt für den überwiegenden Teil des Schrifttums.
2. Demgegenüber können nach der Auffassung des Sechsten Senats (BAG 39, 295 = AP Nr. 4 zu § 77 BetrVG 1972) nur Betriebsvereinbarungen im Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung nach § 87 BetrVG vertraglich begründete individuelle Rechte der Arbeitnehmer auch zu deren Ungunsten abändern. Durch eine freiwillige Betriebsvereinbarung nach § 88 BetrVG soll hingegen in entgegenstehende oder weitergehende einzelvertragliche Rechte, auch wenn diese Teil einer vertraglichen Einheitsregelung sind oder auf einer Gesamtzusage beruhen, zu Lasten der Arbeitnehmer nur eingegriffen werden können, wenn die Einzelarbeitsverträge unter dem Vorbehalt einer ablösenden Betriebsvereinbarung stehen, d. h. "betriebsvereinbarungsoffen" sind.
3. Wendet man, wie das Berufungsgericht, die vom Sechsten Senat aufgestellten Grundsätze an, so konnte durch die BV 1981 für die im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens bestehenden Arbeitsverträge von Arbeitnehmern, wie sie die Parteien abgeschlossen hatten, keine Herabsetzung der Altersgrenze auf die Vollendung des 65. Lebensjahres herbeigeführt werden. Der Arbeitsvertrag des Klägers enthält nämlich lediglich eine Bezugnahme auf die Betriebsvereinbarung 1969. Er ist deswegen für weitere Regelungen dieser Art nicht "betriebsvereinbarungsoffen". Dagegen wäre eine solche ablösende Betriebsvereinbarung nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts grundsätzlich zulässig.
4. Die Frage, welche Grundsätze für ablösende Betriebsvereinbarungen anzuwenden sind, ist bereits Gegenstand zweier Verfahren vor dem Großen Senat.
Der Fünfte Senat hat durch Beschluß vom 8. Dezember 1982 - 5 AZR 316/81 - (BAG 41, 118 = AP Nr. 6 zu § 77 BetrVG 1972) den Großen Senat gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 ArbGG zur Entscheidung darüber angerufen, welchen der nunmehr voneinander abweichenden Grundsätze der ablösenden Betriebsvereinbarung zu folgen ist. Durch Beschluß vom 30. April 1985 - 3 AZR 611/83 - (zur Veröffentlichung vorgesehen) hat der Dritte Senat den Großen Senat ebenfalls wegen dieser Rechtsfrage angerufen.
5. Der erkennende Senat hält es gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 ArbGG deswegen zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung für erforderlich, eine Entscheidung des Großen Senats auch darüber herbeizuführen, ob eine vom Arbeitgeber einheitlich angewandte, auf vertraglicher Grundlage beruhende Regelung, nach der die Arbeitsverhältnisse mit dem Erreichen einer bestimmten Altersgrenze enden, durch eine Betriebsvereinbarung in der Weise abgeändert werden kann, daß eine niedrigere Altersgrenze für die Beendigung der Arbeitsverhältnisse festgelegt wird. Die Klärung dieser Frage ist zusätzlich zu den dem Großen Senat bereits vorgelegten Fragen von grundsätzlicher Bedeutung, weil insbesondere im Hinblick auf die Altersstruktur der arbeitenden Bevölkerung ein gesteigertes Interesse an der Herabsetzung von Altersgrenzen im betrieblichen Bereich bestehen kann.
Hillebrecht Triebfürst Dr. Weller
Brocksiepe Schulze
Fundstellen
Haufe-Index 437586 |
BB 1986, 191-192 (LT1) |
DB 1986, 281-281 (LT1) |
BetrAV 1986, 27-28 (LT1) |
RdA 1986, 67 |
SAE 1986, 242-244 (LT1) |
AP § 77 BetrVG 1972 (LT1), Nr 11 |
AR-Blattei, Beetriebsvereinbarung Entsch 36 (LT1) |
AR-Blattei, ES 520 Nr 36 (L1) |
EzA § 77 BetrVG 1972, Nr 15 (LT1) |