Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit einer Beschwerde. Beschwer. Antragsänderung in der Beschwerdeinstanz. Wegfall der Beschwer. Antragsgrundsatz. Beseitigung einer Beschwer
Leitsatz (amtlich)
Das Rechtsmittel der Beschwerde nach § 87 Abs. 1 ArbGG setzt voraus, dass eine in der angefochtenen Entscheidung liegende Beschwer beseitigt werden soll. Werden im Rahmen der Beschwerdeinstanz infolge einer Antragsänderung ausschließlich neue prozessuale Ansprüche geltend gemacht und die Beseitigung der erstinstanzlichen Beschwer nicht weiterverfolgt, ist die Beschwerde unzulässig.
Orientierungssatz
1. Eine Beschwerde nach § 87 Abs. 1 ArbGG ist unzulässig, wenn der Rechtsmittelführer in der Beschwerdeinstanz im Wege der Antragsänderung ausschließlich neue prozessuale Anträge geltend macht. Das Rechtsmittel dient dann nicht mehr der Beseitigung der erstinstanzlichen Beschwer.
2. Von einem neuen prozessualen Anspruch und nicht lediglich von einem „Minus” ist dann auszugehen, wenn dem bisherigen Antrag nicht ohne Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO unter Abweisung eines unbegründeten Mehrbegehrens entsprochen werden kann. Die Wahrung des Antragsgrundsatzes setzt voraus, dass das Teilbegehren erkennbar zum Inhalt des ursprünglichen Antrags erhoben worden ist.
Normenkette
ArbGG § 87 Abs. 1; ZPO § 264 Nr. 2, § 308 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 1. Juni 2016 – 13 TaBV 13/15 – insoweit aufhoben, als das Landesarbeitsgericht dem Antrag zu 1. teilweise und dem Antrag zu 2. insgesamt stattgegeben hat.
Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Göttingen vom 6. Januar 2015 – 2 BV 13/14 – wird insoweit als unzulässig verworfen.
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Arbeitgeberin zur Vorlage von Unterlagen.
Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen des Gesundheitswesens. Sie betreibt in G und T psychiatrische Fachkliniken mit rund 1.100 Arbeitnehmern. Antragsteller ist der für beide Kliniken gewählte Betriebsrat.
Die Klinken unterfallen dem Anwendungsbereich der Verordnung über Maßstäbe und Grundsätze für den Personalbedarf in der stationären Psychiatrie (Psychiatrie-Personalverordnung – Psych-PV). Die Arbeitgeberin schließt nach Maßgabe des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (Krankenhausfinanzierungsgesetz – KHG) und der Verordnung zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (Bundespflegegeldverordnung – BPflV) sowie der Psych-PV mit den Sozialleistungsträgern iSd. § 18 Abs. 2 KHG Pflegesatzvereinbarungen ab. Den Vereinbarungen sind für die Personalbemessung die Maßstäbe und Grundsätze der Psych-PV zugrunde zu legen (§ 2 Abs. 1 Psych-PV). Entsprechend einem vom Betriebsrat vorgelegten Muster enthalten Pflegesatzvereinbarungen ua. eine „Leistungs- und Kalkulationsaufstellung” (LKA) iSd. der Anlage 1 zu § 11 Abs. 4 BPflV (Anlagenband zum BGBl. I 1994 Nr. 67, S. 27 – 43) und die „Personalstellen gemäß Berechnung nach Psych-PV”. Die LKA enthält im Abschnitt L – Leistungsdaten – ua. eine Tabelle „L2”.
Der Betriebsrat verlangte von der Arbeitgeberin zunächst Daten über die Verhandlungsergebnisse von Budgetverhandlungen. Die Personalplanung habe nach den Bestimmungen der Psych-PV zu erfolgen, weshalb die begehrten Unterlagen „rechtliches Personalplanungsinstrument” seien. Aus der Personalbemessung iSd. § 6 Psych-PV folge der „Soll-Personalbestand”. Die Unterlagen dienten dazu, die Personalplanung an der zweckmäßigen, ausreichenden Behandlung der Patienten auszurichten. Ihre Kenntnis ermögliche es ihm, Vorschläge für die Durchführung der Personalplanung zu unterbreiten und die Interessen der Beschäftigten zu wahren.
Nachdem der Betriebsrat – soweit für die Rechtsbeschwerde von Bedeutung – erstinstanzlich den Antrag gestellt hatte, die Arbeitgeberin zu verpflichten, ihm „die Daten der Verhandlungsergebnisse der Budgetverhandlungen inklusive der Protokollnotizen und insbesondere die dazugehörigen jeweiligen Pflegesatzvereinbarungen mit den Krankenkassen ab Januar 2008 bis zum Juli 2014 zu übergeben”, hat er zuletzt – im Anhörungstermin vor dem Landesarbeitsgericht – beantragt,
die Arbeitgeberin zu verpflichten, dem Betriebsrat die L2-Statistik und die Personalstellenberechnung nach Psych-PV aus der jeweiligen Pflegesatzvereinbarung mit der Krankenkasse für die Jahre 2008 bis 2016 zu übergeben,
hilfsweise festzustellen,
dass die Arbeitgeberin verpflichtet ist, dem Betriebsrat die sogenannte L2-Statistik und die Personalstellenberechnung nach Psych-PV aus der jeweiligen Pflegesatzvereinbarung mit der Krankenkasse für die Jahre 2008 bis 2016 zu übergeben,
- festzustellen, dass die Arbeitgeberin verpflichtet ist, dem Betriebsrat die sogenannte L2-Statistik und die Personalstellenberechnung nach Psych-PV aus der Pflegesatzvereinbarung mit der Krankenkasse auch für das Jahr 2017 zu übergeben.
Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat den erstinstanzlich gestellten Antrag abgewiesen. Auf die Beschwerde des Betriebsrats hat das Landesarbeitsgericht die Arbeitgeberin verpflichtet, den Betriebsrat über den Inhalt der in den Anträgen zu 1. und zu 2. genannten Unterlagen der Jahre 2014 bis 2016 sowie für 2017 unter deren Vorlage zu unterrichten. Mit der vom Landesarbeitsgericht für diese Anträge zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Arbeitgeberin deren vollständige Abweisung.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat den Anträgen im genannten Umfang zu Unrecht stattgeben. Die Beschwerde des Betriebsrats gegen die Abweisung des erstinstanzlichen Antrags ist bereits mangels Beschwer unzulässig.
I. Das Rechtsmittel der Beschwerde nach § 87 Abs. 1 ArbGG setzt voraus, dass der Rechtsmittelführer die Beseitigung einer in der angefochtenen Entscheidung liegenden Beschwer erstrebt. Ein lediglich im Wege der Antragsänderung neuer, bisher nicht gestellter Anspruch kann nicht das alleinige Ziel eines Rechtsmittels sein (BAG 23. Februar 2016 – 1 ABR 5/14 – Rn. 12 mwN; 10. Februar 2005 – 6 AZR 183/04 – zu 1 b der Gründe mwN).
II. Die zweitinstanzlich zuletzt gestellten Anträge zu 1. und zu 2. einschließlich des jeweiligen Hilfsantrags – unter der damit verbundenen Rücknahme des erstinstanzlichen Antrags – sind danach unzulässig. Mit ihnen hat der Betriebsrat neue prozessuale Ansprüche geltend gemacht und die Beseitigung einer sich aus der Abweisung des erstinstanzlichen Antrags ergebenden Beschwer nicht – wenigstens teilweise – weiterverfolgt. Die nunmehr gestellten Anträge stellen sich prozessual nicht als ein „Minus”, sondern als ein „Aliud” zu den vom Betriebsrat mit seinem erstinstanzlichen Antrag begehrten Unterlagen dar.
1. Ob ein Antrag als „Minus” ein Teilbegehren enthält, das einem Beteiligten bei Abweisung eines unbegründeten Mehrbegehrens unter Wahrung des Antragsgrundsatzes nach § 308 ZPO zugesprochen werden kann, ist durch Auslegung zu ermitteln. Dazu muss das Teilbegehren erkennbar zum Inhalt des ursprünglichen Antrags erhoben worden sein. Der in Anspruch genommene darf nicht zu etwas anderem verurteilt werden, als zu dem, worauf er sich für seinen Sachvortrag einrichten musste (vgl. BAG 11. Dezember 2001 – 9 AZR 435/00 – zu II 2 a der Gründe).
2. Vorliegend zielen die in zweiter Instanz gestellten Anträge nicht auf die Beseitigung einer mit der Antragsabweisung durch das Arbeitsgericht verbunden Beschwer. Vielmehr verfolgt die Beschwerde nunmehr Antragsziele, die nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens waren.
a) Mit seinem erstinstanzlichen Antrag hat der Betriebsrat allgemein und unstrukturiert Daten über die Verhandlungsergebnisse der Budgetverhandlungen begehrt. Die nach der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts vorzulegenden Unterlagen sind zwar Bestandteil dieses Konvoluts. Dem erstinstanzlichen Vorbringen des Betriebsrats kann allerdings nicht entnommen werden, die „L2-Statistik” und die Personalstellenberechnung nach der Psych-PV seien erkennbar – jedenfalls hilfsweise – eigenständig zum Inhalt seines Antrags gemacht worden. Der Betriebsrat führt zwar aus, die Leistungs- und Kalkulationsaufstellung nach der BPlfV sowie die Personalstellenberechnung nach der Psych-PV sei Inhalt der Pflegesatzvereinbarungen. Dieses Vorbringen erfolgt allerdings lediglich im Zusammenhang mit der Auffassung des Betriebsrats, das KHG, die BPflV und die Psych-PV bildeten die rechtlichen Grundlagen der Personalplanung der Arbeitgeberin. Deshalb seien, so sein weiterer Vortrag, die – erstinstanzlich begehrten – Unterlagen in ihrer Gesamtheit wesentliche Grundlage der konkreten Personalplanung und würden „umfassend benötigt … um die Rechte des Antragstellers nach dem Betriebsverfassungsgesetz zu gewähren und sicherzustellen”. Der Betriebsrat hat auch im Rahmen der zweitinstanzlichen Antragsänderung sein jetziges Begehren, er könne gerade die Überlassung dieser beiden Dokumente beanspruchen, nicht näher begründet, sondern ist bei seinem allgemein gehaltenen Vorbringen geblieben.
b) Ein den zuletzt gestellten Anträgen entsprechender Entscheidungsausspruch hielte sich daher nicht mehr im Rahmen des erstinstanzlichen Antrags, § 308 Abs. 1 ZPO. Das Gericht würde erkennen, dass der geltend gemachte Anspruch auf Überlassung der Unterlagen nur in Bezug auf einzelne Dokumente und im Übrigen nicht bestehe, also unter Einschränkungen, die nicht erkennbar Antragsinhalt sind. Es würde nicht weniger, sondern etwas anderes als beantragt zugesprochen (vgl. für die einschränkende Stattgabe von Unterlassungsanträgen BAG 3. Mai 1994 – 1 ABR 24/93 – zu C 1 der Gründe, BAGE 76, 364; BGH 29. Juni 2006 – I ZR 235/03 – zu II 1 a der Gründe mwN).
3. Ein anderes Ergebnis folgt nicht aus § 264 Nr. 2 ZPO. Es handelt sich um eine Sonderregelung für eine Klageänderung in Form der Antragsänderung bei gleichbleibendem Klagegrund. Ihre Geltung setzt aber eine Änderung des Streitgegenstandes voraus (sh. nur MüKoZPO/Becker-Eberhard 5. Aufl. § 264 Rn. 3). Selbst wenn es sich – wie das Landesarbeitsgericht gemeint hat – vorliegend um einen Fall des § 264 Nr. 2 ZPO handelte, wäre die Beschwerde unzulässig. Deren Zulässigkeit beurteilt sich auch nach dem Rechtsmittelziel, also die Beseitigung der erstinstanzlichen Beschwer bei Schluss der mündlichen Verhandlung (BGH 30. November 2005 – XII ZR 112/03 – Rn. 19). Daran fehlt es.
III. Aufgrund der Unzulässigkeit der Beschwerde kann dahinstehen, ob das Landesarbeitsgericht dem Betriebsrat unter Verletzung des Antragsgrundsatzes nach § 308 Abs. 1 ZPO etwas Anderes als das Beantragte zugesprochen hat (vgl. BAG 7. Juni 2016 – 1 ABR 26/14 – Rn. 8). Der Betriebsrat hat die Überlassung der in den Anträgen genannten Unterlagen begehrt. Demgegenüber hat das Landesarbeitsgericht die Arbeitgeberin sowohl nach dem Tenor des Beschlusses als auch ausweislich der Gründe lediglich als verpflichtet angesehen, über den Inhalt der in den Anträgen genannten Dokumente „anhand von Unterlagen zu unterrichten”. Darauf war das Begehren des Betriebsrats erkennbar nicht gerichtet.
Unterschriften
Schmidt, K. Schmidt, Treber, N. Schuster, Fritz
Fundstellen
Haufe-Index 11388415 |
BAGE 2018, 386 |
BB 2018, 51 |
DB 2017, 7 |