Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Leitsatz (amtlich)
- Im Regelfall ist die Frist zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde keine in der Praxis eines Rechtsanwalts häufig vorkommende Frist, deren Berechnung als einfache Routineangelegenheit der Rechtsanwalt dem Büropersonal überlassen kann (Bestätigung von BAG Beschluß vom 20. Juni 1995 – 3 AZN 261/95 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).
- Erteilt der Rechtsanwalt einer Bürokraft mündlich die Anweisung zur Eintragung einer Frist, hat er durch geeignete Organisation deren sofortige Erledigung sicherzustellen; anderenfalls ist ihm ein Organisationsmangel vorzuwerfen (Bestätigung von BAG Beschluß vom 27. Oktober 1994 – 2 AZB 28/94 – AP Nr. 33 zu § 233 ZPO 1977 = NZA 1995, 494, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
- Die Fristensicherung obliegt dem Rechtsanwalt selbst, wenn ihm die Akte zur Durchführung einer fristgebundenen Prozeßhandlung vorgelegt wird; er hat dann zu prüfen, ob die Fristverfügung ausgeführt worden ist (ständige Rechtsprechung des BGH, z.B. NJW 1992, 1632, m.w.N.).
Normenkette
ZPO §§ 233, 85 Abs. 2; ArbGG § 72a
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 24.04.1995; Aktenzeichen 11 Sa 104/94) |
ArbG Mainz (Urteil vom 10.11.1993; Aktenzeichen 7 Ca 1296/93) |
Tenor
- Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
- Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. April 1995 – 11 Sa 104/94 – wird als unzulässig verworfen.
- Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
- Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.800,-- DM festgesetzt.
Tatbestand
I. Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung des Klägers in der Zeit vom 1. September 1991 bis zum 31. Dezember 1994. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Durch das im Tenor bezeichnete dem Kläger am 23. Mai 1995 zugestellte Urteil hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert, die Klage abgewiesen und die Revision nicht zugelassen.
Mit seiner am 22. Juni 1995 beim Bundesarbeitsgericht eingegangenen Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision. Die Beschwerdebegründungsschrift vom 8. August 1995 ist, verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist, am selben Tag beim Bundesarbeitsgericht eingegangen.
In diesem Schriftsatz trägt der Kläger zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrages vor, sein Prozeßbevollmächtigter habe am Tag der Zustellung des Berufungsurteils – am 23. Mai 1995 – die Rechtsanwaltsgehilfin L… angewiesen, die Frist für Einlegung und Begründung der Beschwerde im Fristenkalender zu notieren. Bei Notfristen werde im Büro seines Bevollmächtigten zusätzlich eine farbig markierte Vorfrist von einer Woche notiert. Die Rechtsanwaltsgehilfin L… habe versehentlich nur die Frist für die Einlegung der Beschwerde, nicht aber die für deren Begründung notiert. Daher habe sein Bevollmächtigter zwar die Frist für die Einlegung der Beschwerde beachtet, nicht aber die für ihre Begründung, an deren Ablauf er nicht wie sonst üblich durch besonderen Fristvermerk erinnert worden sei. Der Fristablauf sei am 7. August 1995 aufgefallen, als die Sache im normalen Geschäftsgang habe bearbeitet werden sollen. Bei der Rechtsanwaltsgehilfin L… handele es sich um eine geschulte und zuverlässige Bürokraft, die ihren Beruf seit über acht Jahren ausübe und den Fristenkalender seit mehreren Jahren sorgfältig und fehlerlos geführt habe.
Die Richtigkeit dieser Angaben hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers anwaltlich versichert.
Seine Beschwerde hat der Kläger damit begründet, das Landesarbeitsgericht habe die Rechtsprechung “der Senat” (BAG AP Nr. 12, 48, 72 zu §§ 22, 23 BAT) zum Begriff der “umfassenden Fachkenntnisse” verkannt. Der Rechtsstreit habe grundsätzliche Bedeutung, da die Tätigkeit eines Lebensmittelkontrolleurs für den Gesundheitsschutz der Verbraucher von überragender Bedeutung sei.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Sie ist nicht fristgerecht begründet worden. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen diese Fristversäumnis kann nicht entsprochen werden, denn der Kläger war an der Einhaltung der Beschwerdebegründungsfrist nicht ohne sein Verschulden verhindert.
1. Die am 8. August 1995 beim Bundesarbeitsgericht eingegangene Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ist verspätet. Nach § 72a Abs. 3 ArbGG ist die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb einer Notfrist von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefaßten Urteils zu begründen. Das anzufechtende Urteil ist dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 23. Mai 1995 zugestellt worden. Die Beschwerdebegründung hätte deshalb bis zum Montag, dem 24. Juli 1995 (§ 222 Abs. 2 ZPO) beim Bundesarbeitsgericht eingehen müssen.
2. Aufgrund seiner Fristversäumung ist der Kläger mit der Beschwerdebegründung nach § 230 ZPO ausgeschlossen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Folge, daß die nachgeholte Beschwerdebegründung als rechtzeitig gelten würde, scheidet aus. Der Kläger war nicht ohne sein Verschulden verhindert, die Notfrist des § 72a Abs. 3 ArbGG einzuhalten. Sein Antrag nach § 233 ZPO war zurückzuweisen.
a) Nach § 233 ZPO ist einer Partei, die ohne ihr Verschulden verhindert war, eine Notfrist einzuhalten, auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Dem Verschulden der Partei steht das Verschulden seines Bevollmächtigten gleich (§ 85 Abs. 2 ZPO). Zugerechnet wird nur ein Verschulden des Bevollmächtigten selbst. Versehen des Büropersonals, die nicht auf ein eigenes Verschulden des Anwalts zurückzuführen sind, hat die Partei nicht zu vertreten (RGZ 96, 322 – ständige Rechtsprechung –). Eigenes Verschulden des Rechtsanwalts kann insbesondere in mangelhafter Büroorganisation liegen (BGH MDR 1988, 1048).
b) Im vorliegenden Falle beruht die Fristversäumnis auf einem Organisationsverschulden des Prozeßbevollmächtigten des Klägers.
aa) Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrages hat der Kläger ausgeführt, sein Prozeßbevollmächtigter habe am Tag der Urteilszustellung, am 23. Mai 1995, die Rechtsanwaltsgehilfin L… angewiesen, die Frist für die Beschwerdeeinlegung und -begründung im Fristenkalender zu notieren. Diesen Ausführungen ist schon nicht zu entnehmen, daß der Prozeßbevollmächtigte des Klägers selbst die von der Rechtsanwaltsgehilfin zu notierenden Fristen errechnet hat. Sie lassen die Deutung zu, daß er ihr die Aufgabe übertragen hat, die genannten Fristen selbst zu berechnen und die ermittelten Ablaufdaten zu notieren. Bei diesem nach dem Vortrag des Klägers möglichen Geschehensablauf liegt ein Organisationsverschulden seines Prozeßbevollmächtigten vor. Dieser durfte die Berechnung der Frist des § 72a Abs. 3 ArbGG nicht seiner Angestellten übertragen. Angesichts der besonderen Bedeutung, welche die Wahrung prozessualer Fristen für das Prozeßergebnis hat, sind die Sorgfaltsanforderungen an einen Rechtsanwalt in diesem Zusammenhang besonders hoch. Während er die Sicherung der Fristwahrung einem gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büropersonal überlassen kann, ist die Feststellung und Berechnung der prozessualen Fristen grundsätzlich seine Sache. Nur wenn es um einfache und übliche, in der Praxis des Rechtsanwalts häufig vorkommende Fristen geht, kann er sich auf die Berechnung durch geschultes Personal verlassen (BAG Beschluß vom 20. Juni 1995 – 3 AZN 261/95 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen, mit zahlreichen Rechtsprechungs- und Literaturnachweisen unter II 2b der Gründe). Die Frist für die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde ist keine einfache und übliche Frist, deren selbständige Berechnung dem Büropersonal überlassen bleiben kann. In der Zivilprozeßordnung wie auch im Arbeitsgerichtsgesetz beginnen Begründungsfristen in der Regel mit dem Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels oder des Rechtsbehelfs zu laufen. Für die Nichtzulassungsbeschwerde bestimmt hingegen § 72a Abs. 3 ArbGG, daß deren Begründungsfrist von der Zustellung der anzufechtenden Entscheidung an zu berechnen ist. Die Gefahr, daß eine solche atypische Fristbestimmung vom Büropersonal im täglichen Routinebetrieb übersehen wird, ist groß. Ihre Einhaltung muß ein Rechtsanwalt deshalb dadurch sicherstellen, daß er den Fristablauf selbst ermittelt (BAG Beschluß vom 20. Juni 1995 – 3 AZN 261/95 –, aaO).
bb) Aber auch wenn man die Ausführungen des Klägers dahin versteht, die Rechtsanwaltsgehilfin L… sei lediglich zur Notierung der von seinem Prozeßbevollmächtigten selbst errechneten Fristen angewiesen worden, liegt ein Organisationsverschulden seines Prozeßbevollmächtigten vor. Der Vortrag des Klägers, sein Prozeßbevollmächtigter habe die Angestellte “angewiesen”, die Fristen für Beschwerdeeinlegung und -begründung im Fristenkalender zu notieren, muß dahin gedeutet werden, daß diese Anweisung mündlich erteilt worden ist. Dafür spricht insbesondere die Erwägung, daß es bei schriftlicher Erteilung der Anweisung nahegelegen hätte, deren Form und Inhalt sowie die Umstände ihrer Übermittlung an die Angestellte darzulegen. Außerdem hätte es bei der schriftlichen Erteilung der Anweisung erklärenden Vortrags dazu bedurft, weshalb gleichwohl die Eintragung der Beschwerdebegründungsfrist unterblieben ist.
Zwar ist der schriftlichen Fristverfügung des Anwalts an die für die Fristennotierung zuständige Bürokraft der Vorzug vor der mündlichen Erteilung eines solchen Auftrags zu geben. Sie bietet die sicherste Gewähr dafür, daß sie beachtet und richtig ausgeführt wird. Zulässig ist jedoch auch die mündliche Anweisung an die für die Fristennotierung zuständige Bürokraft (BGH Beschluß vom 10. Oktober 1991 – VII ZB 4/91 – NJW 1992, 574; BAG Beschluß vom 27. Oktober 1994 – 2 AZB 28/94 – AP Nr. 33 zu § 233 ZPO 1977 = NZA 1995, 494). Wird allerdings eine so wichtige Maßnahme wie die Notierung einer Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist – entsprechendes gilt für Rechtsbehelfe – durch mündliche Anweisung veranlaßt, so müssen in der Rechtsanwaltskanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, daß die Anweisung in Vergessenheit gerät und die korrekte Fristeintragung unterbleibt. Es muß dann regelmäßig gewährleistet sein, daß die Fristeintragung sofort erfolgt und nicht wegen anderer Aufgaben zurückgestellt wird. Ist die mündlich angewiesene Anwaltsgehilfin auch noch mit anderen Angelegenheiten befaßt, in sonstiger Weise abgelenkt oder arbeitsmäßig oder aus persönlichen Gründen besonders belastet, genügt eine mündliche Anweisung zur Eintragung der Frist in der Regel nicht, denn dann trifft den Rechtsanwalt hinsichtlich der Fristwahrung eine erhöhte Sorgfaltspflicht (BAG Beschluß vom 27. Oktober 1994 – 2 AZB 28/94 –, aaO, mit weiteren Nachweisen). Der Prozeßbevollmächtigte muß also durch geeignete Anweisungen oder sonstige Vorkehrungen sicherstellen, daß die Fristeintragung sofort vor anderen Arbeiten erfolgt.
Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte im Vortrag des Klägers hat sein Prozeßbevollmächtigter keine derartigen zusätzlichen Maßnahmen zur Sicherstellung der sofortigen Erledigung mündlich erteilter Anweisungen zur Fristennotierung getroffen.
cc) Schließlich trifft den Prozeßbevollmächtigten des Klägers ein Verschulden bei der Fristensicherung. Wird dem Prozeßbevollmächtigten im Zusammenhang mit der befristeten Prozeßhandlung die Akte zur Bearbeitung vorgelegt, hat er die Pflicht, zu kontrollieren, ob ein Erledigungsvermerk über die Fristennotierung in der Handakte angebracht worden ist (BGH VersR 1971, 1125; 1976, 1154; FamRz 1994, 568, 569, mit weiteren Nachweisen; Zöller/Greger, ZPO, 19. Aufl., § 233 Rz 23 Stichwort: Fristenbehandlung; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 53. Aufl., § 233 Rz 58). Hätte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers diese Kontrolle pflichtgemäß bei der Fertigung der Beschwerdeschrift vom 16. Juni 1995 vorgenommen, wäre ihm aufgefallen, daß die Rechtsanwaltsgehilfin L… die Anweisung vom 23. Mai 1995, auch die Beschwerdebegründungsfrist zu notieren, nicht befolgt hatte.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
IV. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO in Verbindung mit § 12 Abs. 7 Satz 2 ArbGG. Sie entspricht der Wertfestsetzung des Arbeitsgerichts, die von den Beteiligten nicht beanstandet worden ist. Diese haben bei ihrer Anhörung im Beschwerdeverfahren zur beabsichtigten Wertfestsetzung dagegen auch keine Einwendungen erhoben.
Unterschriften
Schaub, Schneider, Bott
Fundstellen
Haufe-Index 872260 |
BB 1996, 276 |
NJW 1996, 1302 |
NZA 1996, 555 |
AP, 0 |