Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsübergang. Betriebsvereinbarung als ablösende Regelung;. Tarifliche Sonderzuwendung. Nachwirkender Tarifvertrag bei Betriebsübergang. Im Erwerberbetrieb bestehende Betriebsvereinbarung als „andere Abmachung” bei Fortbestand der Betriebsidentität des übernommenen Betriebs?. Betriebsverfassungsrecht;. Gratifikation/Sondervergütung. Tarifrecht
Leitsatz (amtlich)
Eine vor dem Betriebsübergang für einen anderen Betrieb geschlossene Betriebsvereinbarung ist nur dann eine andere Regelung iSd. § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB, wenn sie der Sache nach denselben Gegenstand regelt und betriebsverfassungsrechtlich im übernommenen Betrieb gilt.
Leitsatz (redaktionell)
Verhältnis zu bisheriger Rechtsprechung:
zu 1.: Bestätigung von Senat 17. Mai 2000 – 4 AZR 363/99 – EzA TVG § 3 Nr. 19, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen
zu 2.: Im Anschluß an Senat 27. November 1991 – 4 AZR 211/91 – BAGE 69, 119
Orientierungssatz
1. Die Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG schließt sich bei einem Verbandsaustritt an die verlängerte Tarifgebundenheit (Nachbindung) des § 3 Abs. 3 TVG an.
2. Nachwirkende Tarifnormen werden beim Betriebsübergang gemäß § 613 Abs. 1 Satz 2 BGB Inhalt des Arbeitsverhältnisses; sie können jederzeit abgeändert werden.
3. Es bleibt unentschieden, ob der Übergang kollektiver Arbeitsbedingungen in das Arbeitsverhältnis auch dann nicht eintritt, wenn der Gegenstand beim Betriebserwerber durch eine andersartige Kollektivregelung (zB Betriebsvereinbarung statt Tarifvertrag) geregelt ist.
4. Eine vor dem Betriebsübergang mit einem Betriebsrat des Betriebs des Übernehmers abgeschlossene Betriebsvereinbarung ist nicht ohne weiteres eine andere Regelung iSd. § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB. Eine solche Regelung ist sie nur dann, wenn die Betriebsvereinbarung der Sache nach denselben Gegenstand regelt und betriebsverfassungsrechtlich im übernommenen Betrieb gilt. Das ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn der übernommene Betrieb seine Identität beibehalten hat.
Normenkette
BGB § 613a Abs. 1; TVG §§ 3-4; BGB § 613a Abs. 1 Sätze 1, 4, 2-3
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 15. März 1999 – 5 Sa 98/98 – aufgehoben.
2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Rostock vom 21. November 1997 – 2 Ca 118/97 – abgeändert: Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 943,18 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 28. Februar 1997 zu zahlen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Höhe der Jahressonderzuwendung für das Jahr 1996.
Der Kläger ist seit 1991 bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin, der M. Feinkost GmbH als Staplerfahrer in der Betriebsstätte R. beschäftigt. Für das Arbeitsverhältnis des Klägers zur M. Feinkost GmbH galt kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Manteltarifvertrag der Ernährungswirtschaft Sachsen-Anhalt vom 19. August 1991 (im folgenden MTV S-A) unmittelbar und zwingend. Er war vom Verband der Ernährungswirtschaft Niedersachsen/Bremen/Sachsen-Anhalt e.V. – Arbeitgebervereinigung – und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, Landesbezirk Niedersachsen/Bremen abgeschlossen und umfaßte auch bestimmte Betriebe/Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern. Der MTV S-A war zum 31. Dezember 1993 gekündigt worden. Die M. Feinkost GmbH war aus dem tarifschließenden Arbeitgeberverband ausgetreten.
Nach § 12 Ziff. 1 des MTV S-A erhalten Arbeitnehmer, die am 1. Dezember eines Kalenderjahres eine ununterbrochene Betriebszugehörigkeit von 11 Monaten haben und sich an diesem Tag im ungekündigten Arbeitsverhältnis befinden, eine Jahressondervergütung für das Jahr 1993 in Höhe von 65 % des tariflichen Monatsentgelts.
Die Beklagte unterhielt einen Feinkostbetrieb in L. (Mecklenburg-Vorpommern) und ist nicht tarifgebunden. Sie übernahm zum 1. September 1996 den Betrieb der M. Feinkost GmbH in R. Fortan wurde in beiden Betrieben Feinkost aus Gemüse und Fisch hergestellt; die M. Feinkost GmbH hatte zuvor auch Margarine produziert.
Im Betrieb der M. Feinkost GmbH bestand ein Betriebsrat, dessen Vorsitzender der Kläger war. Im Betrieb der Beklagten in L. war ein fünfköpfiger Betriebsrat gewählt worden, der sich infolge des Ausscheidens von zwei Mitgliedern und des Fehlens von Ersatzmitgliedern im Jahre 1996 auf drei Mitglieder verringert hatte. Am 11. Juni 1996 unterschrieb die Betriebsratsvorsitzende eine von der Beklagten bzw. deren Prozeßvertreter erarbeitete „Betriebsvereinbarung zur Absicherung der Arbeitsbedingungen und Betriebsordnung” (im folgenden Betriebsvereinbarung 1996). § 7 Ziff. 1 der Betriebsvereinbarung lautet:
„Mit der Entgeltzahlung im November eines Jahres erhalten die Arbeitnehmer/innen eine weitere Jahressonderzuwendung.
…
Über die Höhe dieser Sonderzuwendung wird im Oktober eines Jahres zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat verhandelt, wobei die voraussichtliche Ertragslage des Unternehmens zu berücksichtigen ist.”
Die Beklagte setzte die Höhe der Sonderzuwendung 1996 auf 350,00 DM fest und zahlte sie an die Arbeitnehmer beider Betriebe. Der weiterhin im Betrieb R. bestehende Betriebsrat der ehemaligen M. Feinkost GmbH wurde nicht beteiligt.
Zum 1. Juli 1997 wurde für die Arbeitnehmer der Fisch- und Feinkostindustrie in Mecklenburg-Vorpommern ein Manteltarifvertrag vereinbart. § 7 des Manteltarifvertrages sieht für Arbeitnehmer eine Jahressonderzuwendung in Höhe von 300,00 DM brutto vor.
Mit der am 31. Januar 1997 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage verlangt der Kläger die Differenz aus der nach § 12 Ziff. 1 MTV S-A für das Jahr 1996 zu zahlenden Sonderzuwendung iHv. unstreitig 1293,18 DM brutto und dem gezahlten Betrag in Höhe von 350,00 DM brutto, mithin 943,18 DM brutto. Er hat die Ansicht vertreten, die Betriebsvereinbarung 1996, die die Beklagte mit dem Betriebsrat in L. abgeschlossen habe, gelte für die Arbeitsverhältnisse der in der Betriebsstätte R. beschäftigten Arbeitnehmer nicht gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB. Betriebsvereinbarungen des Erwerbers seien auf die übergegangenen Arbeitsverhältnisse nur dann anwendbar, wenn die übernommenen Arbeitnehmer dem betrieblichen Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung unterlägen, was hier nicht der Fall sei. Da der Betriebsrat in L. kein Mandat für die Arbeitnehmer in der Betriebsstätte R. habe, verdränge die Betriebsvereinbarung 1996 den Anspruch aus dem nachwirkenden Tarifvertrag weder im Hinblick auf § 4 Abs. 5 TVG noch § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB. Darüber hinaus sei die Bestimmung über die Sonderzuwendung als tarifüblich im Sinne des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG anzusehen, so daß Sonderzahlungen nicht in einer Betriebsvereinbarung geregelt werden könnten.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 943,18 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die bei der Beklagten bestehende Betriebsvereinbarung 1996 habe nach § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB die Nachwirkung des MTV S-A verdrängt mit der Folge, daß dem Kläger als Jahressonderzuwendung nur der gezahlte Betrag in Höhe von 350,00 DM zustehe. Dadurch werde der Sinn des § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB, Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen im Betrieb, erreicht. Die Betriebsvereinbarung 1996 sei auch wirksam, insbesondere verstoße sie nicht gegen das Regelungsverbot des § 77 Abs. 3 BetrVG. Im Bereich der Fisch- und Feinkostindustrie des Landes Mecklenburg-Vorpommern habe es vorher keine tarifliche Regelung gegeben.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Bundesarbeitsgericht mit Beschluß vom 15. Dezember 1999 – 5 AZN 705/99 – zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision ist begründet. Dem Kläger stehen weitere 943,18 DM brutto als restliche Sonderzuwendung für das Jahr 1996 zu. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts richtet sich der Anspruch des Klägers auch nach dem Betriebsübergang nach den nachwirkenden Bestimmungen (§ 4 Abs. 5 TVG) des § 12 Abs. 1 MTV S-A in der zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs geltenden Fassung. Dem steht die Betriebsvereinbarung 1996 nicht entgegen.
1. Ursprünglich galt der am 19. August 1991 abgeschlossene Manteltarifvertrag Ernährungswirtschaft Sachsen-Anhalt (MTV S-A) zwischen dem Kläger und der Betriebsveräußerin, der M. Feinkost GmbH, aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG.
2. Ab dem 1. Januar 1994 wirkten die Regelungen des MTV S-A gemäß § 4 Abs. 5 TVG nach.
3. Durch den Verbandsaustritt der Rechtsvorgängerin der Beklagten entfiel die Tarifgebundenheit nicht. Nach § 3 Abs. 3 TVG bleibt die Tarifgebundenheit bestehen, bis der Tarifvertrag endet. Die Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG schließt sich auch bei einem Verbandsaustritt dem Ende der Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 3 TVG an (BAG 18. März 1992 – 4 AZR 339/91 – AP TVG § 3 Nr. 13). An dieser Rechtsprechung hat der Senat nach ausführlicher Auseinandersetzung mit den abweichenden Auffassungen festgehalten (vgl. Senat 17. Mai 2000 – 4 AZR 363/99 – DB 2001, 654 mwN). Die Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG beschränkt sich darauf, bis zum Abschluß einer anderen Abmachung den materiell-rechtlichen Zustand für das Arbeitsverhältnis beizubehalten, der beim Eintritt der Nachwirkung bestanden hat. Demgemäß schuldete die Rechtsvorgängerin der Beklagten dem Kläger gemäß § 4 Abs. 5 TVG die jährliche Jahressonderzahlung nach § 12 Abs. 1 MTV S-A.
4. Durch den Übergang des Betriebes in R. mit Wirkung vom 1. September 1996 auf die Beklagte nach § 613 a BGB gelten die nachwirkenden Tarifnormen zwischen den Parteien weiter. Im Zeitpunkt des Betriebsübergangs galten die Regelungen des MTV S-A für das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten noch kraft Nachwirkung und sind so gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB Inhalt des Arbeitsverhältnisses des Klägers mit der Beklagten geworden.
Nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB tritt der Betriebserwerber in die Rechte und Pflichten der im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse ein, wobei die durch Rechtsnormen eines Tarifvertrages geregelten Rechte und Pflichten Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer werden und dann vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers nicht mehr geändert werden dürfen. Dieser gesetzliche Schutz stellt auf die Verhältnisse beim Betriebsübergang ab. Dementsprechend kommt es auf den Inhalt der tarifvertraglichen Rechte und Pflichten zu diesem Zeitpunkt an. Nach § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB gelten die tarifvertraglichen Regelungen nicht mehr gemäß § 4 Abs. 1 TVG normativ für das Arbeitsverhältnis bei dem nicht (oder inkongruent) tarifgebundenen Betriebserwerber, sondern werden Inhalt des Arbeitsverhältnisses. § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB sorgt, ausgehend von den Verhältnissen im Zeitpunkt des Betriebsübergangs, für eine Besitzstandswahrung auf arbeitsvertraglicher Ebene(vgl. BAG 13. September 1994 – 3 AZR 148/94 – BAGE 77, 353). Geht der Betrieb des Arbeitgebers im Wege der Betriebsnachfolge auf einen anderen Arbeitgeber über, so tritt dieser auch in diejenigen Arbeitsvertragsbedingungen ein, die auf nachwirkenden Tarifnormen beruhen (vgl. BAG 27. November 1991 – 4 AZR 211/91 – BAGE 69, 119; MünchKomm-Schaub BGB 3. Aufl. § 613 a Rn. 149; Staudinger/Richardi/Annuß BGB 1999 § 613 a Rn. 178; aA Kasseler Handbuch/Hattesen 2. Aufl. Bd. 2 6.7 Rn. 190; Heinze DB 1998, 1861, 1862). Da die Tarifnorm bereits beim Betriebsübergang nur noch nachwirkte (§ 4 Abs. 5 TVG), ändert ihr Übergang in das Arbeitsverhältnis nach § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB nichts daran, daß sie nach § 4 Abs. 5 TVG jederzeit durch eine andere Abmachung ersetzt werden kann. Dies ergibt eine an Sinn und Zweck orientierte Auslegung des § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB. Der Arbeitnehmer soll durch diese Bestimmung beim Betriebsübergang nach § 613 a BGB gegen den Verlust rechtlicher Arbeitsbedingungen geschützt werden, nicht aber soll seine rechtliche Stellung dadurch verbessert werden, daß bereits abänderbare Arbeitsbedingungen der einjährigen Veränderungssperre unterstellt werden.
5. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die vor dem Betriebsübergang im Betrieb der Beklagten auf der Insel R. abgeschlossene Betriebsvereinbarung keine andere Regelung iSd. § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift, die die Nichtgeltung des Satzes 2 des § 613 a Abs. 1 BGB zur Folge hat, liegen nicht vor.
a) Im Schrifttum ist umstritten, ob der Übergang kollektiv-rechtlicher Arbeitsbedingungen in das Arbeitsverhältnis (§ 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB) auch dann nicht eintritt, wenn der Gegenstand beim Betriebserwerber durch eine andersartige kollektive Vereinbarung geregelt ist, dh., ob zB der Übergang tarifvertraglicher Arbeitsbedingungen in das Arbeitsverhältnis dadurch ausgeschlossen wird, daß derselbe Gegenstand beim Erwerber durch eine Betriebsvereinbarung geregelt ist und umgekehrt, weil der Geltungsgrund der Kollektivnorm durch § 613 a Abs. 1 Satz 2 ausgetauscht wird (bejahend: MünchKomm-Schaub § 613 a BGB Rn. 196; KR/Pfeiffer 5. Aufl. § 613 a BGB Rn. 100; Cord Meyer NZA 2001, 751, jeweils mwN; ablehnend: Staudinger/Richardi/Annuß BGB 1999 § 613 a Rn. 185). Hier braucht diese Frage nicht entschieden zu werden. Denn die vorliegende Betriebsvereinbarung erfaßte schon von ihrem räumlichen/betrieblichen Geltungsbereich nicht den übernommenen Betrieb.
b) Die Betriebsvereinbarung 1996 konnte für die Mitarbeiter in der übernommenen Betriebsstätte R. deswegen nicht nach § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB die Geltung des § 613 Abs. 1 Satz 2 BGB ausschließen, weil die Betriebsvereinbarung 1996 betriebsverfassungsrechtlich nicht im übernommenen Betrieb in Rostock nach § 77 Abs. 4 BetrVG zwingend und unmittelbar gilt.
Die Betriebsvereinbarung 1996 wurde von der Beklagten und dem bei ihr im Betrieb in L. gebildeten Betriebsrat abgeschlossen, bevor die Beklagte den Betrieb der M. Feinkost GmbH übernommen hat. Dementsprechend heißt es in § 1 der Betriebsvereinbarung, daß sie „für alle im Betrieb des Arbeitgebers beschäftigten Arbeitnehmer/innen” gilt.
c) Eine Betriebsvereinbarung ist ein schriftlicher, privatrechtlicher Vertrag, der für einen Betrieb zwischen den Betriebspartnern im Rahmen des gesetzlichen Aufgabenbereichs des Betriebsrats und für die von ihm repräsentierte Belegschaft zur Festsetzung von Rechtsnormen über den Inhalt, den Abschluß oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen oder über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen abgeschlossen wird (Hess/Schlochauer/Glaubitz BetrVG 5. Aufl. § 77 Rn. 3). Dabei bestimmen die Betriebspartner den räumlichen und personellen Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung. Schranken für die Festlegung des Geltungsbereichs ergeben sich aus der Reichweite der Betriebsautonomie sowie aus der Zuständigkeitsregelung auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite. Ist Betriebspartei ein Einzelbetriebsrat, so kann in den Geltungsbereich kein Betrieb oder Betriebsteil einbezogen werden, für den er nicht gebildet ist (Richardi BetrVG 7. Aufl. § 77 Rn. 118, 61). Partner der Betriebsvereinbarung im Sommer 1996 war der in dem Betrieb in L. gebildete Betriebsrat. Bei Abschluß der Betriebsvereinbarung konnte nur die Belegschaft des Betriebes in L. von der Betriebsvereinbarung erfaßt werden.
d) Der Übergang des Betriebs der M. Feinkost GmbH in R. auf die Beklagte hatte entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts nicht zur Folge, daß sich der Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung auch auf den Betrieb in R. erstreckte. Denn der Betrieb in R. bestand mit eigener Identität weiter.
aa) Bei einem Übergang eines Betriebes nach § 613 a BGB ist zu unterscheiden: Geht ein Betriebsteil auf einen Betriebsnachfolger über und wird er dort in den bisherigen Betrieb des Betriebsnachfolgers eingegliedert, gehen die beim Betriebsnachfolger bestehenden oder anläßlich des Übergangs abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen vor. Wenn jedoch ein selbständiger Betrieb auf den Betriebsnachfolger übergeht, bleibt ein bestehender Betriebsrat des übergehenden Betriebes im Amt. Ein Betriebsinhaberwechsel ist grundsätzlich kein Grund für die Auflösung und Neuwahl des Betriebsrates. Mithin kann eine Betriebsvereinbarung im Erwerberbetrieb nicht die Rechtsfolge des § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB verhindern. Insoweit bleibt der Betriebsrat des übergehenden Betriebes für den Abschluß von Betriebsvereinbarungen zuständig(MünchKomm-Schaub BGB 3. Aufl. § 613 a Rn. 187 f.). Etwas anderes kann dann gelten, wenn mit dem Betriebsinhaberwechsel der Betrieb mit einem/dem Betrieb des Erwerbers verschmolzen wird und zu existieren aufhört, er in einen anderen Betrieb eingegliedert wird oder wenn durch Maßnahmen des Erwerbers der Betrieb in seinem Bestand verändert wird (MünchKomm-Schaub BGB 3. Aufl. § 613 a Rn. 141; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither BetrVG 20. Aufl. § 1 Rn. 70, 71).
(1) Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes ist eine organisatorische Einheit, innerhalb derer der Unternehmer allein oder zusammen mit den von ihm beschäftigten Arbeitnehmern bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt. Dazu müssen die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen oder immateriellen Betriebsmittel für den oder die verfolgten arbeitstechnischen Zwecke zusammengefaßt, geordnet und gezielt eingesetzt und die menschliche Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert werden (BAG 14. Mai 1997 – 7 ABR 52/96 – nv.). Demgegenüber ist ein Betriebsteil zwar auf den Zweck des Hauptbetriebs ausgerichtet und in dessen Organisation eingegliedert, ihm gegenüber aber räumlich und/oder organisatorisch abgrenzbar und relativ verselbständigt (BAG 25. September 1986 – 6 ABR 68/84 – BAGE 53, 119). Betriebsteile gelten unter den Voraussetzungen des § 4 Satz 1 BetrVG als selbständige Betriebe, wenn in ihnen die nach § 1 BetrVG geforderte Anzahl von Arbeitnehmern beschäftigt wird und sie entweder räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt oder durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständig sind. Für die Differenzierung zwischen Betrieb und Betriebsteil ist entscheidend der Grad der Verselbständigung, der im Umfang der Leitungsmacht zum Ausdruck kommt. Erstreckt sich die Leitungsmacht auf die wesentlichen Funktionen des Arbeitgebers in den sozialen und personellen Angelegenheiten, handelt es sich um einen Betrieb iSd. § 1 BetrVG. Demgegenüber genügt für einen Betriebsteil iS. des § 4 Satz 1 BetrVG das Bestehen einer eigenen Leitung, die Weisungsrechte des Arbeitgebers ausübt (BAG 20. Juni 1995 – 7 ABR 59/94 – AP BetrVG 1972 § 4 Nr. 8 = EzA BetrVG 1972 § 4 Nr. 7).
(2) Das Landesarbeitsgericht hat zwar keine Feststellungen hinsichtlich des Umfangs der Leitungsmacht getroffen. Es hat aber ausgeführt, daß mit der Übernahme des Betriebes der M. Feinkost GmbH für entsprechende Verhandlungen ein Gesamtbetriebsrat zuständig gewesen wäre, da es sich bei der Verhandlung über die Höhe der Zuwendung um Regelungen für mehrere Betriebe der Beklagten mit eigenen Betriebsstätten gehandelt habe. Gäbe es einen solchen nicht, könne der Arbeitgeber Angelegenheiten, die mehrere Betriebe mit eigenen Betriebsräten betreffen, allein regeln. Hier bestehen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Gesamtrechtsnachfolge. Vielmehr gehen beide Parteien von einem rechtsgeschäftlichen Betriebsübergang nach § 613 a BGB aus. Mit dem Landesarbeitsgericht ist vom (Nebeneinander)Bestehen zweier Betriebe in R. und L. auszugehen.
bb) Für Arbeitnehmer eines anderen Betriebes konnte der Betriebsrat in L. keine Betriebsvereinbarungen abschließen. Die Beklagte wendet ein, schon „die Ausformulierung des § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB [mache] deutlich, daß es der ausdrücklichen Benennung des persönlichen Geltungsbereiches nicht [bedürfe], weil insoweit die Einbeziehung der übernommenen Arbeitnehmer kraft Gesetzes” erfolge und daher „eine (expansive) Interpretation zulässig” sei. Ein solches Verständnis des § 613 a BGB ist nicht haltbar.
(1) Die Ablösung eines vor dem Betriebsübergang normativ geltenden Tarifvertrages durch einen „anderen Tarifvertrag” nach § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB setzt die kongruente Tarifgebundenheit des neuen Inhabers und des Arbeitnehmers voraus. Besteht keine kongruente beiderseitige Tarifgebundenheit, obliegt dem neuen Betriebsinhaber die Veränderung des Vertragsinhalts mit individualrechtlichen Mitteln (vgl. zuletzt Senat 21. Februar 2001 – 4 AZR 18/00 – zur Veröffentlichung vorgesehen ≪zVv.≫). Der Senat hat ua. ausgeführt: „Der systematische Zusammenhang führt zum Erfordernis einer beiderseitigen Tarifgebundenheit. Bezugspunkt in § 613 a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB sind jeweils die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis. In Satz 1 findet sich die generelle Regel für einzelvertragliche Regelungen. In Satz 2 wird die Rechtsfolge für die Rechte und Pflichten bestimmt, die auf kollektivvertraglichen Regelungen beruhen. Auch Satz 4 bezieht sich auf die Änderung der Rechte und Pflichten des betreffenden Arbeitsverhältnisses. Die Rechte und Pflichten der anderen Arbeitnehmer sind in § 613 a BGB in den Sätzen 2 und 4 nicht angesprochen. Insofern spricht mehr dafür, auch die Anknüpfung an den Begriff der Regelung der Rechte und Pflichten in Satz 3 nicht auf die Regelung der Rechte und Pflichten in anderen Arbeitsverhältnissen (im Sinne einer generellen Regelung dieser Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmer) zu beziehen, sondern ebenfalls die geforderte Regelung der Rechte und Pflichten im ‚übergegangenen’ Arbeitsverhältnis anzusehen (Kania DB 1994, 529, 530)”. Voraussetzung einer so verstandenen Regelung durch Betriebsvereinbarung im Erwerberbetrieb ist aber, daß das übergegangene Arbeitsverhältnis vom Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung erfaßt ist.
(2) § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht ohne Einschränkung die Intention zu entnehmen, alle Beschäftigten im Unternehmen gleich zu behandeln dergestalt, daß der Normenkatalog des Erwerbers ungeachtet des Regelungsniveaus im übernommenen Betrieb gilt. Die Gesamtregelungen in § 613 a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB wollen einen Schutz des Arbeitnehmers im Falle eines Betriebsübergangs begründen. Auch im Fall eines Betriebsübergangs soll der Schutz durch kollektivvertragliche Regelungen, nämlich durch Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen nicht verloren gehen (vgl. Senat 21. Februar 2001 – 4 AZR 18/00 – zVv.). § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB sichert dabei den Vorrang kollektivrechtlicher Regelungen beim Betriebserwerber vor denen beim Betriebsveräußerer, die sonst nach § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses werden (BAG 20. April 1994 – 4 AZR 342/93 – AP BGB § 613 a Nr. 108 = EzA BGB § 613 a Nr. 118). Die einjährige Veränderungssperre verbietet nur eine individualrechtliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, nicht eine Änderung durch eine kollektivrechtliche Regelung (BAG 16. Mai 1995 – 3 AZR 535/94 – BAGE 80, 139). Eine Betriebsvereinbarung aus einem einzelnen Betrieb eines Unternehmens ist keine Kollektivregelung für einen anderen Betrieb desselben Unternehmens. Dem Unternehmer ist es unbenommen, zur Vereinheitlichung eine weitere Betriebsvereinbarung oder ggf. eine Gesamtbetriebsvereinbarung abzuschließen.
(3) Da kein Gesamtbetriebsrat errichtet worden ist und der Betrieb in R. erhalten blieb, kann es dahinstehen, ob für die Regelung der Sonderzuwendung ein zu bildender Gesamtbetriebsrat oder die Einzelbetriebsräte zuständig gewesen wären. Auf die Frage, ob die Zuständigkeit eines Gesamtbetriebsrates sich auch auf betriebsratslose Betriebe erstreckt – sofern es sich nicht sowieso um Beteiligungsrechte handelt, deren Wahrnehmung in die Zuständigkeit eines Einzelbetriebsrats fällt –(verneinend BAG 16. August 1983 – 1 AZR 544/81 – BAGE 44, 86; aA Richardi BetrVG 7. Aufl. § 50 Rn. 34 f. mwN zum Streitstand), kommt es nicht mehr an.
II. Der Anspruch auf Verzinsung des sich aus dem Bruttobetrag ergebenden Nettobetrages beruht auf § 288 Abs. 1, § 291 BGB. Auch bei Rechtshängigkeit gilt für das Klagebegehren § 187 Abs. 1 BGB entsprechend(BAG 15. November 2000 – 5 AZR 365/99 – DB 2001, 597, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) mit der Folge, daß nach Zustellung der Klage am 27. Februar 1997 die Verzinsungspflicht ab dem 28. Februar 1997 besteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Unterschriften
Schliemann, Bott, Friedrich, J. Ratayczak, Valentien
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 01.08.2001 durch Freitag, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BAGE, 314 |
BB 2001, 1746 |
BB 2001, 2654 |
BB 2002, 203 |
DB 2002, 48 |
AiB 2013, 61 |
ARST 2001, 260 |
ARST 2002, 67 |
EWiR 2002, 513 |
FA 2001, 318 |
FA 2002, 62 |
NZA 2002, 42 |
SAE 2002, 127 |
ZTR 2002, 172 |
AP, 0 |
AuA 2001, 424 |
EzA |
MDR 2002, 220 |
NJ 2001, 467 |
NJ 2002, 109 |
NZI 2002, 53 |
PERSONAL 2002, 61 |
ZInsO 2002, 47 |
AUR 2001, 348 |