Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnfortzahlung bei Kur und vorgeholter Arbeitszeit
Leitsatz (amtlich)
Wird die für den 24. und 31. Dezember vorgesehene Arbeit aufgrund einer Betriebsvereinbarung vorgeholt, so hat der Arbeiter, der an den freigestellten Tagen arbeitsunfähig krank ist oder eine Kur durchführt, keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung für die freigestellten Tage, weil Ursache des Arbeitsausfalls nicht die Krankheit (Kur) des Arbeitnehmers ist, sondern die anderweitige Verteilung der Arbeitszeit (Fortsetzung von BAG 22.8.1967 - 1 AZR 100/66 = BAGE 20, 41 = AP Nr 42 zu § 1 ArbKrankhG).
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 20.05.1987; Aktenzeichen 5 Sa 1532/86) |
ArbG Hamm (Entscheidung vom 02.07.1986; Aktenzeichen 2 Ca 627/86) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger, der vom 4. Dezember 1985 bis zum 1. Januar 1986 zur Kur war, nicht nur für den 24. und 31. Dezember 1985, sondern auch für den 23. November 1985 ein Lohnanspruch zusteht, nachdem die am 24. und 31. Dezember 1985 ausgefallene Arbeit an diesem Tage vorgeholt worden ist.
Der Kläger ist seit Mai 1968 im Betrieb der Beklagten als Chemiearbeiter gegen einen Stundenlohn von zuletzt 16,47 DM beschäftigt. Seine regelmäßige tägliche Arbeitszeit betrug acht Stunden.
Für die Zeit vom 4. Dezember 1985 bis zum 1. Januar 1986 wurde dem Kläger von der Landesversicherungsanstalt eine Kur bewilligt. Der Kläger machte der Beklagten hiervon ordnungsgemäß Mitteilung. Kurze Zeit später, am 15. November 1985, wurde bei der Beklagten eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen, in der es u.a. heißt:
„Arbeitszeit am 24. und 31. Dezember 1985
Die von allen Mitarbeitern im Tagdienst (N-Schicht) für den 24. und 31. Dezember 1985 geschuldete Arbeitszeit von jeweils viereinhalb (4 1/2) Stunden wird am 23. November 1985 in der Zeit von 8.00 bis 16.30 Uhr oder, wo betrieblich möglich, von 6.00 bis 14.30 Uhr erbracht.
……
Mitarbeiter, die am 23. November 1985 die Arbeitsleistung nicht erbringen wollen, müssen zwei Urlaubstage nehmen, und zwar jeweils einen für den 24. und den 31. Dezember 1985.”
Der Kläger arbeitete am 23. November 1985 in der Zeit von 6.00 bis 14.30 Uhr (acht Stunden). Laut der Dezemberabrechnung erhielt er für den 24. und für den 31. Dezember 1985 insgesamt 9 Stunden vergütet. Für den 23. November 1985 wurde keine Vergütung ausgewiesen.
Der Kläger hat vorgetragen, ihm stehe auch für den 23. November 1985 die Vergütung zu, da er am 24. und 31. Dezember 1985 wegen der Kur zur Arbeitsleistung nicht verpflichtet gewesen sei.
Demgemäß hat der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 131,76 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 9. Mai 1986 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, dem Kläger stehe der erhobene Anspruch nicht zu.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung verurteilt. Dagegen richtet sich die zugelassene Revision, mit der die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erstrebt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Der Lohnanspruch des Klägers ist erfüllt. Weitere Ansprüche stehen ihm nicht zu.
I.
Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Beklagten sei bereits vor Abschluß der Betriebsvereinbarung vom 15. November 1985 bekannt gewesen, daß der Kläger am 24. und 31. Dezember 1985 auch ohne die Vorziehung der an diesen Tagen an sich zu leistenden Arbeitsstunden nicht habe zu arbeiten brauchen, weil ihm für die Zeit vom 4. Dezember 1985 bis zum 1. Januar 1986 eine Kur bewilligt worden war. In derartigen Fällen könnten die Betriebspartner den Arbeiter nicht mehr zu einer vorgeholten Arbeitsleistung verpflichten, da feststehe, daß er an den arbeitsfrei gemachten Tagen von der Arbeitsleistung befreit sei. Begrifflich setze die Vereinbarung zur Vorleistung einer an sich in Zukunft erst zu erbringenden Arbeitsleistung voraus, daß zumindest im Zeitpunkt der Vereinbarung noch feststehe, daß der Arbeitnehmer an den zukünftigen Arbeitstagen tatsächlich würde arbeiten müssen. Da dies hier nicht der Fall sei, müsse die am 23. November 1985 geleistete Arbeit dem Kläger als über die normale Arbeitszeit hinausgehende Arbeitsleistung auch gesondert vergütet werden.
Diese Begründung wird von der Revision zu Recht angegriffen.
II.
Der Kläger hatte keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle für den 24. und 31. Dezember 1985. Das für diese Tage gezahlte Arbeitsentgelt für insgesamt neun Stunden muß er sich anrechnen lassen auf den Lohnanspruch für die am 23. November 1985 geleistete Arbeit von acht Stunden.
1. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG behält ein Arbeiter, der nach Beginn der Beschäftigung durch Arbeitsunfähigkeit infolge unverschuldeter Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert wird, seinen Anspruch auf Arbeitsentgelt für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen. Die gleiche Rechtsfolge gilt, wenn der Arbeiter eine von einem Träger der Sozialversicherung bewilligte Vorbeugungs-, Heil- oder Genesungskur durchführt (§ 7 Abs. 1 Satz 1 LFZG).
Nach gefestigter Rechtsprechung und herrschender Ansicht in der Literatur besteht ein Lohnfortzahlungsanspruch gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG nur dann, wenn die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit die alleinige Ursache für den Arbeitsausfall und damit für den Lohnverlust ist (vgl. BAG Urteil vom 20. März 1985 - 5 AZR 229/83 - AP Nr. 64 zu § 1 LohnFG, zu II 1 der Gründe; BAGE 46, 1, 3 = AP Nr. 58 zu § 1 LohnFG, zu 2 der Gründe, m.w.N.; Kaiser/Dunkl, Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle, 2. Aufl., § 1 Rz 90; Schmatz/Fischwasser, Vergütung der Arbeitnehmer bei Krankheit und Mutterschaft, 6. Aufl., Stand Mai 1988, § 1 Rz 60; Doetsch/Schnabel/Paulsdorff, Lohnfortzahlungsgesetz, 6. Aufl., § 1 Rz 14; Kehrmann/Pelikan, Lohnfortzahlungsgesetz, 2. Aufl., § 1 Rz 38; Marienhagen, Lohnfortzahlungsgesetz, Neubearbeitung August 1987, § 1 Rz 19; Brecht, Lohnfortzahlung für Arbeiter, 3. Aufl., § 1 Rz 20; Feichtinger, Krankheit im Arbeitsverhältnis, S. 36 f.; ders., Lohn- und Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfalle, AR-Blattei, C I 1 a aa). Bei einem Arbeitsausfall aufgrund einer Kur muß diese die alleinige Ursache für die Verhinderung des Arbeitnehmers an der Arbeitsleistung sein. Das war vorliegend jedoch nicht der Fall. Ursache für den Arbeitsausfall am 24. und 31. Dezember 1985 war nicht die Kur des Klägers, sondern der Umstand, daß die für diese Tage vorgesehene Arbeit aufgrund der Betriebsvereinbarung vom 15. November 1985 am 23. November 1985 zu erbringen war.
2. Die Betriebsvereinbarung vom 15. November 1985 regelte die Arbeitszeit am 24. und 31. Dezember 1985. Soweit aus betrieblichen Gründen an diesen Tagen die Anwesenheit der Arbeitnehmer nicht erforderlich war, sollte die Arbeit am 23. November 1985 vorgeholt werden. Zu einer derartigen Regelung waren die Betriebspartner befugt.
Der Betriebsrat hat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG bei der Verteilung der vorübergehend geänderten Arbeitszeiten auf die einzelnen Wochentage bzw. bei der Festlegung der arbeitsfreien Tage ein Mitbestimmungsrecht (BAGE 46, 1, 4 = AP Nr. 58 zu § 1 LohnFG, zu 2 b der Gründe; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 15. Aufl., § 87 Rz 50, m.w.N.). Mit der Betriebsvereinbarung vom 15. November 1985 haben vorliegend die Betriebspartner ihre Regelungsbefugnis nicht überschritten und auch sonst nicht gegen ein Gesetz (§ 4 Abs. 2 AZO) oder einen Tarifvertrag verstoßen.
Der Kläger war danach grundsätzlich zur Arbeitsleistung am 23. November 1985 verpflichtet. Am 24. und 31. Dezember 1985 ruhten die Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis, weil die Betriebspartner die Arbeitszeit auf den 23. November 1985 vorverlegt hatten. Der Kläger kann daher für diese beiden Tage, ebenso wie seine arbeitsfähigen Kollegen, Lohn nicht verlangen.
Das Bundesarbeitsgericht hat bereits zu dem Gesetz zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfall vom 26. Juni 1957 (BGBl. I S. 649 ff.) die Auffassung vertreten, daß der Arbeiter, der an den durch die Verlegung freigestellten Tagen arbeitsunfähig erkrankt, bei einer Arbeitszeitregelung mit vollem Lohnausgleich keinen Anspruch auf Zahlung des Krankengeldzuschusses habe, wenn an diesen Tagen von vornherein nicht gearbeitet worden wäre (BAGE 20, 41 = AP Nr. 42 zu § 1 ArbKrankhG, mit zustimmender Anm. von Trieschmann, zustimmend auch Meisel in SAE 1968, 117, 119).
An dieser Auffassung ist auch für die Geltung des Lohnfortzahlungsgesetzes festzuhalten. Sie entspricht der herrschenden Meinung (vgl. Kaiser/Dunkl, aaO, § 1 Rz 97; Schmatz/Fischwasser, aaO, § 1 Rz 77; Kehrmann/Pelikan, aaO, § 1 Rz 41; Marienhagen, aaO, § 1 Rz 23; Feichtinger, Krankheit im Arbeitsverhältnis, S. 40).
3. Diesem Ergebnis kann nicht entgegengehalten werden, der Kläger sei am 24. und 31. Dezember 1985 nicht zur Arbeit verpflichtet gewesen, weil er bereits vor dem Abschluß der Betriebsvereinbarung vom 15. November 1985 die Einberufung zur Kur erhalten und damit festgestanden habe, daß er am 24. und 31. Dezember 1985 in keinem Falle zu arbeiten brauche. Allein die Tatsache, daß ein Träger der Sozialversicherung eine Kur im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 LFZG bewilligt hat, löst für sich allein genommen noch keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung aus (BAG Urteil vom 14. November 1979 - 5 AZR 930/77 - AP Nr. 4 zu § 7 LohnFG, zu 3 a der Gründe, m.w.N.). Es kommt vielmehr entscheidend auf die Durchführung des bewilligten Aufenthalts an. Deshalb entfällt auch nicht bereits mit dem Vorliegen eines Bewilligungsbescheids eines Sozialleistungsträgers die Arbeitspflicht für den Zeitraum, für den die Kur bewilligt worden ist. Das muß schon deshalb gelten, weil noch nicht feststeht, ob der Arbeitnehmer die Kur überhaupt antritt und ob er sie planmäßig vollendet.
III.
Die von der Revision vertretene Auffassung würde für den Kläger eine Besserstellung im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern bedeuten, die die am 24. und 31. Dezember 1985 ausgefallene Arbeitszeit am 23. November 1985 vorgeholt haben. Diese Arbeitnehmer haben nur den Lohn für den 23. November 1985 erhalten, nicht aber auch für den 24. und 31. Dezember 1985. Das Verlangen des Klägers nach Bezahlung des 23. November 1985 wie auch des 24. und 31. Dezember 1985 ist mit dem Lohnausfallprinzip des § 1 Abs. 1 LFZG nicht zu vereinbaren. Die Grundregel der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle (§ 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG) gibt dem krankheitsbedingt arbeitsunfähigen Arbeiter einen unabdingbaren Anspruch auf Weiterzahlung seines Lohnes bis zur Dauer von sechs Wochen. Sinn und Zweck dieser Regelung bestehen darin, den erkrankten Arbeiter wirtschaftlich so zu stellen, wie den gesunden, der im fraglichen Zeitraum tatsächlich gearbeitet hat (BAGE 39, 67, 72 = AP Nr. 12 zu § 611 BGB Anwesenheitsprämie, zu II 4 a der Gründe). Die gesunden Arbeitskollegen des Klägers haben – wie auch der Kläger selbst – am 23. November 1985 gearbeitet, nicht aber am 24. und 31. Dezember 1985. Der Kläger kann daher nicht beide Zeiträume bezahlt verlangen. Für die am 23. November 1985 geleistete Arbeit von acht Stunden hat er die Bezahlung in Höhe von neun Stunden erhalten, auch wenn diese lohnbuchmäßig für den 24. und 31. Dezember 1985 ausgewiesen worden ist. Damit sind seine Ansprüche erfüllt.
Unterschriften
Dr. Gehring, Dr. Olderog, Ascheid, Werner, Dr. Schönherr
Fundstellen
BB 1989, 69-70 (LT1) |
DB 1989, 132-132 (L1) |
EBE/BAG 1988, 46-47 (LT1) |
BetrR 1989, 46-48 (LT1) |
DRsp, VI (608) 197 d (T) |
ARST 1989, 46-47 (LT1) |
DOK 1989, 549 (K) |
EEK I/965, (LT1, ST1) |
JR 1989, 308 |
JR 1989, 308 (ST) |
NZA 1989, 53-54 (LT1) |
RdA 1989, 71 |
SKrV 1989, Nr 3, 43 (K) |
USK, 8885 (OT) |
WzS 1989, 280 (K) |
AP, Nr 79 zu § 1 LohnFG (LT1) |
ErsK 1991, 377-378 (KT) |
EzA, § 1 LohnFG Nr 94 (LT1) |
SVFAng Nr 54, 31 (1989) (K) |