Entscheidungsstichwort (Thema)
Annahmeverzug. Umfang der Arbeitszeit. betriebliche Übung. Maßregelungsverbot. Gleichbehandlung. § 612a BGB
Leitsatz (amtlich)
Nimmt der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer allein deshalb von der Zuweisung von Überstunden aus, weil der Arbeitnehmer nicht bereit ist, auf tarifliche Vergütungsansprüche zu verzichten, so stellt dies eine Maßregelung iSd. § 612a BGB dar.
Orientierungssatz
- Der Arbeitgeber kann auch teilweise mit der Annahme der Dienste in Verzug geraten. Das ist dann der Fall, wenn er die Annahme der Dienste nicht generell ablehnt, aber weniger Arbeitsleistung annimmt, als der Arbeitnehmer schuldet, der Arbeitgeber also den Umfang der Arbeitsleistung rechtswidrig einschränkt.
- Wenn eine über einen längeren Zeitraum praktizierte Zuweisung von Überstunden für die davon betroffenen Arbeitnehmer erkennbar den Zweck hatte, Kundenanforderungen gerecht zu werden, nicht aber den, einen bestimmten Umfang der Arbeitszeit zu garantieren, so entsteht daraus keine betriebliche Übung des Inhalts, daß der Arbeitgeber zur Zuweisung von Überstunden verpflichtet wäre.
- Der verfassungsrechtlich gewährleistete Grundsatz der Vertragsfreiheit verbietet die Annahme einer rechtlichen Verpflichtung, einen Vertrag allein deshalb abschließen zu müssen, weil eine – noch so überwältigende – Mehrheit von Personen in vergleichbarer Lage Verträge gleichen Inhalts abschließt.
- Nimmt der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer allein deshalb von der Zuweisung von Überstunden aus, weil der Arbeitnehmer nicht bereit ist, auf tarifliche Vergütungsansprüche zu verzichten, so stellt dies eine Maßregelung iSd. § 612a BGB dar. Zugleich ist der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt.
Normenkette
BGB §§ 615, 612a; TVG § 4 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten und die Anschlußrevision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 14. November 2000 – 7 Sa 55/00 – werden zurückgewiesen.
Von den Kosten der Revision und Anschlußrevision haben die Beklagte 49/50 und der Kläger 1/50 zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger macht Zahlungs- und Abrechnungsansprüche aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs und der Entgeltfortzahlung für den Zeitraum von Januar bis September 1999 geltend.
Der Kläger trat im Jahre 1971 in die Dienste der Rechtsvorgängerin der Beklagten. Seit 1979 ist der Kläger als Obermonteur beschäftigt. Die Parteien sind tarifgebunden. Der Kläger ist Mitglied der IG Metall, mit der die Beklagte einen Anerkennungstarifvertrag bezüglich der Tarifverträge für die Metallindustrie abgeschlossen hat. Ferner ist die Geltung des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer der niedersächsischen Metallindustrie (MTV) im Arbeitsvertrag der Parteien vereinbart.
Über die regelmäßige Arbeitszeit des Klägers und über die Höhe der von der Beklagten geschuldeten Vergütung streiten die Parteien. Die Beklagte hatte sich mit Schreiben vom 3. Dezember 1984 ua. wie folgt an alle Mitarbeiter der Montageabteilung gewandt:
“Die normale Arbeitszeit beträgt 8 Stunden am Tag ohne Überstunden.
Da es für den Kunden wirtschaftlicher ist, durch Überstunden Arbeitstage und Auslösungen zu sparen, gehen wir jedoch davon aus, daß 10 Stunden pro Tag gearbeitet werden.”
In einer internen Mitteilung der Beklagten vom 23. April 1998 “Montagesätze für Deutschland und Österreich” ist eine Arbeitszeit von 45 Stunden pro Woche zugrunde gelegt.
Während der Arbeitsunfähigkeit eines Monteurs gewährte die Beklagte unter Bezugnahme auf § 9 Abs. 2 des Manteltarifvertrages für die Beschäftigten in der niedersächsischen Metallindustrie Entgeltfortzahlung auf der Basis von 35 Stunden pro Woche.
Mit Schreiben vom 2. Dezember 1997 teilte die Beklagte den bei ihr beschäftigten Monteuren, darunter dem Kläger, mit, vor dem Hintergrund eines stark rückläufigen Molkereimarktes sowie auslaufender Großaufträge und nicht erkennbarer rentabler Anschlußaufträge könne die Beschäftigung im Montage-, Verwaltungs-, Vertriebs- und Engineeringbereich nicht im bisherigen Umfang aufrechterhalten werden. Geschäftsleitung und Betriebsrat hätten zwischenzeitlich in einem Interessenausgleich/Sozialplan die Kündigung von 75 Arbeitnehmern bis zum 30.6.1998 vereinbart. Auch im Montagebereich seien 29 Kündigungen vorgesehen. Mit dem Betriebsrat sei jedoch vereinbart worden, daß bei einer 13 bis 15 %-igen Kostensenkung im Montagebereich – gerechnet ab 1.1.1998 auf Basis Ist-Kosten 1997 – keine betriebsbedingten Kündigungen ausgesprochen würden. Da der Betriebsrat über den Maßnahmenkatalog der Kostenreduzierung keine rechtsverbindliche Betriebsvereinbarung mit der Geschäftsführung abschließen könne, müsse in der Montage auf einzelvertraglicher Basis eine Lösung herbeigeführt werden. Dementsprechend bot die Beklagte allen Monteuren mit Wirkung vom 1.1.1998 folgende Vertragsänderung an:
“
”
Zugleich wies die Beklagte darauf hin, daß die Punkte 1 – 6 eine Unterschreitung des bestehenden Bundesmontagetarifvertrages darstellen würden.
Von insgesamt 61 Monteuren nahmen 59 im Februar 1998 dieses Angebot an. Der Kläger und ein weiterer Monteur erklärten sich nicht einverstanden.
Die Beklagte setzte den Kläger ab dem 11. Mai 1998 – abgesehen von wenigen Tagen – nur noch mit 35 Wochenstunden ein, während sie denjenigen Monteuren, die sich mit dem Angebot vom 12. Dezember 1997 einverstanden erklärt hatten, deutlich mehr Arbeitsstunden zuwies.
Vom 19. Oktober 1998 bis zum 11. März 1999 setzte die Beklagte den Kläger, der vom 25. bis zum 28. Januar 1999 arbeitsunfähig erkrankt war, in N… mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden ein, während 21 weitere Monteure auf der selben Baustelle 45 Wochenstunden zu leisten hatten. Ab dem 22. März 1999 wurde der Kläger auf einer Baustelle in M… beschäftigt. Ihm wurde mitgeteilt, daß er 45 Stunden arbeiten könne, sofern er auf den 25 %-igen Überstundenzuschlag verzichte. Hierzu erklärte sich der Kläger unter dem 22. März 1999 bereit. Nachdem sich der Kläger am 29. März 1999 geweigert hatte, sämtliche Punkte des Änderungsangebots vom 2. Dezember 1997 zu akzeptieren, wurde ihm mit Telefax vom 31. März 1999 mitgeteilt, daß für ihn auf der Baustelle die 35-Stunden-Woche gelte. Auch in den folgenden Monaten bis September 1999 wurde der Kläger wöchentlich mit 35 Arbeitsstunden beschäftigt.
Mit der am 22. März 1999 beim Arbeitsgericht eingegangenen, später mehrfach erweiterten Klage hat der Kläger, soweit im Revisionsverfahren von Interesse, Abrechnung und Vergütung für die Monate Januar bis September 1999 auf der Grundlage einer wöchentlichen Arbeitszeit von 45 Stunden in – auf dieser Grundlage – im wesentlichen unstreitiger Höhe von 13.546,95 DM brutto verlangt. Er ist der Auffassung, die Beklagte sei vertraglich verpflichtet, ihm Arbeit im Umfang von wöchentlich 45 Stunden zuzuweisen. Diese Arbeitszeit sei für Monteure üblich. Eine Reduzierung sei nicht vom Weisungsrecht des Arbeitgebers gedeckt. Die Zuweisung von nur 35 Wochenstunden verstoße gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, ihn zu maßregeln, weil er das Angebot vom 2. Dezember 1997 ausgeschlagen habe. Sie müsse für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit vom 25. bis 28. Januar 1999 Entgeltfortzahlung auch für die ausgefallenen Überstunden leisten.
Der Kläger hat zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen,
- an den Kläger 1.461,75 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den verbleibenden Nettobetrag seit dem 1. März 1999 zu zahlen,
- über die 1.461,75 DM brutto eine spezifizierte Brutto-/Nettoabrechnung zu übersenden,
- an den Kläger weitere 1.364,13 DM brutto nebst 5 % Zinsen auf den verbleibenden Nettobetrag seit dem 1. April 1999 zu zahlen,
- über die 1.364,13 DM brutto eine spezifizierte Brutto-/Nettoabrechnung zu übersenden,
- weitere 2.511,88 DM brutto nebst 4 % auf die verbleibenden Nettobeträge von 803,80 DM brutto seit dem 1. April 1999 und 1.708,08 DM brutto seit dem 1. Mai 1999 zu zahlen,
- über die 2.511,88 DM brutto eine spezifizierte Brutto-/Nettoabrechnung zu übersenden,
- weitere 6.489,05 DM brutto zu zahlen nebst 4 % Zinsen auf die verbleibenden Nettobeträge von 3.416,16 DM brutto seit 28. August 1999 und 3.072,89 DM brutto seit dem 21. Oktober 1999,
- über den gemäß Klageantrag 8. ausgeurteilten Bruttobetrag eine spezifizierte Brutto-/Nettoabrechnung zu übersenden,
- weitere 1.720,14 DM brutto zu zahlen nebst 4 % Zinsen auf den verbleibenden Nettobetrag seit dem 30. November 1999,
- über den gemäß 11. ausgeurteilten Betrag eine spezifizierte Brutto-/Nettoabrechung zu übersenden.
Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag damit begründet, die Arbeitszeit betrage nach Arbeitsvertrag und Tarifvertrag 35 Wochenstunden. Sie sei weder aus dem Gesichtspunkt einer betrieblichen Übung noch nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet, den Kläger mit derselben Stundenzahl einzusetzen wie die Monteure, die sich solidarisch gezeigt hätten. Es könne ihr nicht verwehrt sein, Überstunden nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zuzuteilen. Außerdem habe sie bei der Stundenzuweisung dem fortgeschrittenen Alter und der gesundheitlichen Schonung des Klägers Rechnung getragen. Für den Kläger hätten über 35 Stunden hinausgehende Arbeitsaufträge nicht zur Verfügung gestanden. Überdies könne sie allenfalls verpflichtet sein, dem Kläger so viele Arbeitsstunden zuzuweisen wie den übrigen Monteuren. Diese hätten aber, wie auch der Kläger selbst im Jahre 1998, in der Vergangenheit nur bei Bedarf mehr als 35 Stunden gearbeitet.
Das Arbeitsgericht hat die Klage im hier interessierenden Umfang durch Teilurteil abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht mit Ausnahme eines Betrages von 389,75 DM brutto (Überstundenvergütung und Überstundenzuschläge im Rahmen der Entgeltfortzahlung für die Zeit vom 25. bis 28. Januar 1999) nach den Klageanträgen erkannt und die Revision ohne Einschränkung zugelassen. Die Beklagte begehrt mit ihrer Revision Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils, der Kläger mit der Anschlußrevision Verurteilung der Beklagten zur Abrechnung und Entgeltfortzahlung im Umfang der Klageabweisung durch das Landesarbeitsgericht mit Ausnahme eines Betrages von 77,95 DM brutto (Überstundenzuschlag 25. bis 28. Januar 1999).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet (B I). Der Kläger hat Anspruch auf die ihm vom Landesarbeitsgericht zuerkannten Zahlungen und Abrechnungen. Die Anschlußrevision des Klägers ist ebenfalls unbegründet (B II). Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte weitere Entgeltfortzahlung und Abrechnung für die Zeit vom 25. bis 28. Januar 1999.
Unterschriften
Rost, Bröhl, Schmitz-Scholemann, Bensinger, Röder
Fundstellen
Haufe-Index 893649 |
BAGE 2004, 265 |
BB 2003, 742 |
DB 2003, 828 |
NJW 2003, 3219 |
NWB 2003, 1061 |
BuW 2003, 352 |
ARST 2003, 233 |
EWiR 2003, 353 |
FA 2003, 180 |
NZA 2003, 1139 |
RdA 2003, 368 |
SAE 2003, 322 |
ZAP 2003, 384 |
AP, 0 |
EzA-SD 2003, 4 |
PERSONAL 2003, 54 |
AA 2003, 45 |
ArbRB 2003, 106 |
RdW 2003, 533 |
BAGReport 2003, 97 |
SPA 2003, 5 |