Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzschutz vorzeitig ausgeschiedener Versorgungsempfänger
Leitsatz (amtlich)
1. Unter § 7 Abs. 1 BetrAVG fallen alle Versorgungsempfänger unabhängig davon, ob ihr Arbeitsverhältnis bis zum Versorgungsfall fortbestand oder schon vorher endete.
2. Lediglich der Insolvenzschutz der Versorgungsanwärter ist durch die Veränderungssperre des § 7 Abs. 2 Satz 3 in Verbindung mit § 2 Abs. 5 BetrAVG begrenzt. Für Versorgungsempfänger fehlt eine derartige Einschränkung. Sieht die Versorgungsordnung auch für ausgeschiedene Arbeitnehmer eine von § 16 BetrAVG losgelöste Dynamisierung der laufenden Betriebsrente vor, so hat der Pensions-Sicherungs-Verein nach § 7 Abs. 1 BetrAVG hierfür einzustehen (Fortführung des Urteils vom 22. November 1994 - 3 AZR 767/93 - BAGE 78, 279, 286 = AP Nr. 83 zu § 7 BetrAVG, zu II 2 der Gründe).
Normenkette
BetrAVG § 2 Abs. 5, § 7 Abs. 1-2, § 17 Abs. 3 S. 3; ZPO § 550
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 6. Oktober 1997 - 3 Sa 538/97 - aufgehoben.
2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 13. Dezember 1996 - 18 Ca 2885/96 - abgeändert:
a) Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.495,40 DM nebst 4 % Zinsen aus je 67,47 DM seit dem 1. Januar, dem 1. Februar, dem 1. März, dem 1. April, dem 1. Mai und dem 1. Juni 1995, aus je 134,86 DM seit dem 1. Juli, dem 1. August, dem 1. September, dem 1. Oktober, dem 1. November, dem 1. Dezember 1995 sowie dem 1. Januar, dem 1. Februar, dem 1. März, dem 1. April, dem 1. Mai und dem 1. Juni 1996 und aus je 157,42 DM seit dem 1. Juli, dem 1. August und dem 1. September 1996 zu zahlen.
b) Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, den an den Kläger zu zahlenden monatlichen Rentenbetrag in der Zeit ab dem 1. Oktober 1996 prozentual in gleichem Umfange zu ändern, wie sich die Gruppenhöchstrenten in der Gruppe F der Leistungsordnung A des Essener Verbandes ändern.
3. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der beklagte Pensions-Sicherungs-Verein verpflichtet ist, die dem Kläger zustehenden Leistungen prozentual so anzupassen, wie sich die Höchstrenten in der Gruppe F der Leistungsordnung A des Essener Verbandes ändern.
Der am 2. Februar 1927 geborene Kläger war vom 1. April 1959 bis zum 30. November 1987 bei der B GmbH beschäftigt. Zuletzt war er als Leiter des Personalwesens tätig. Sein Ruhegehaltsvertrag vom 16. Mai 1969 enthielt folgende Vereinbarungen:
„Wenn Herr S im Dienste der Firma arbeitsunfähig wird oder nach Erreichung des 65. Lebensjahres in den Ruhestand tritt, erhält er ein Ruhegehalt von 1.000,00 DM (in Worten: eintausend) monatlich. Der Betrag von 1.000,00 DM gilt als Endanspruch, der sich nach dem Dienstalter des Herrn S richtet und den er spätestens nach Vollendung seines 65. Lebensjahres erreichen soll.
Zum 1. Januar 1969 wird der Ruhegehaltsanspruch auf 54 % des Betrages von 1.000,00 DM monatlich festgesetzt. Er erhöht sich mit fortschreitender Dienstdauer um jährlich 2 %, so daß Herr S am 31. Dezember 1991 den vollen Anspruch von 100 % = 1.000,00 DM erreicht hat.
Das Ruhegehalt von 1.000,00 DM entspricht der Einstufung nach Gruppe F des Essener Verbandes bei der Hütten- und Walzwerks-Berufsgenossenschaft (Satzung vom 5. September 1956). Alle Änderungen der Gruppe F dieses Verbandes sollen sich zu Gunsten und zu Lasten des Anspruchs des Herrn S im gleichen Verhältnis auswirken.
- …
…
Scheidet Herr S infolge Kündigung durch die Firma erst nach Vollendung seines 60. Lebensjahres aus der Gesellschaft aus, so verliert er den Ruhegehaltsanspruch nur, wenn die Kündigung aus wichtigem, von ihm verschuldeten Grund erfolgt.
…”
Der Kläger schied im Zuge eines Personalabbaus zum 30. November 1987 aus dem Arbeitsverhältnis aus. Im Aufhebungsvertrag hieß es, das Arbeitsverhältnis werde „auf Veranlassung des Arbeitgebers aufgrund eines zwischen Arbeitgeber und Betriebsrats geschlossenen Sozialplans aufgelöst”.
Seit dem 1. März 1990 bezog der Kläger vorgezogene Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und die im Ruhegehaltsvertrag vereinbarte Betriebsrente. Mit Schreiben vom 18. September 1990, 13. August 1991 und 11. August 1992 teilte ihm die Arbeitgeberin mit, daß der Essener Verband die Gruppenbeträge neu festgesetzt habe und dementsprechend auch die Betriebsrente des Klägers erhöht werde. Dadurch stieg die monatliche Betriebsrente von ursprünglich 2.181,20 DM auf zuletzt 2.428,56 DM. In allen Erhöhungsmitteilungen behielt sich die Arbeitgeberin vor, „im Falle einer ungünstigen wirtschaftlichen Entwicklung spätere Rentenanpassungen wieder auszusetzen”. Diesem Vorbehalt widersprach der Kläger mit Schreiben vom 26. September 1990.
Am 1. Oktober 1993 wurde über das Vermögen der Arbeitgeberin das Konkursverfahren eröffnet. Der beklagte Pensions-Sicherungs-Verein zahlt dem Kläger seither monatlich 2.428,60 DM.
Zum 1. Januar 1995, 1. Juli 1995 und 1. Juli 1996 beschloß der Vorstand des Essener Verbandes weitere Erhöhungen der monatlichen Gruppenhöchstrenten. Der Pensions-Sicherungs-Verein weigerte sich, die dem Kläger gewährten Leistungen entsprechend anzupassen.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Pensions-Sicherungs-Verein müsse nach § 7 Abs. 1 BetrAVG alle Erhöhungen der Höchstrenten in der Gruppe F der Leistungsordnung A des Essener Verbandes berücksichtigen. Nach dem Ruhegehaltsvertrag müßten nicht nur die Anwartschaften, sondern auch die laufenden Betriebsrenten dynamisiert werden. Die Veränderungssperre des § 2 Abs. 5 BetrAVG komme nicht zum Zuge, weil § 7 Abs. 1 BetrAVG eine abschließende Regelung enthalte.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
- der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.495,40 DM nebst 4 % Zinsen aus je 67,47 DM seit dem 1. Januar, dem 1. Februar, dem 1. März, dem 1. April, dem 1. Mai und dem 1. Juni 1995, aus je 134,86 DM seit dem 1. Juli, dem 1. August, dem 1. September, dem 1. Oktober, dem 1. November, dem 1. Dezember 1995 sowie dem 1. Januar, dem 1. Februar, dem 1. März, dem 1. April, dem 1. Mai und dem 1. Juni 1996 und aus je 157,42 DM seit dem 1. Juli, dem 1. August und dem 1. September 1996 zu zahlen;
- es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, den an den Kläger zu zahlenden monatlichen Rentenbetrag in der Zeit ab dem 1. Oktober 1996 prozentual in gleichem Umfange zu ändern, wie sich die Gruppenhöchstrenten in der Gruppe F der Leistungsordnung A des Essener Verbandes ändern.
Der beklagte Pensions-Sicherungs-Verein hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, im Ruhegehaltsvertrag vom 16. Mai 1969 sei keine Dynamisierung der laufenden Betriebsrenten vereinbart worden. Nach dem Wortlaut und der Systematik dieses Vertrages habe ausschließlich die Rentenanwartschaft dynamisiert werden sollen. Da der Kläger vorzeitig als Anwartschaftsberechtigter aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sei, blieben nach § 2 Abs. 5 BetrAVG Veränderungen der Bemessungsgrundlagen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses unberücksichtigt. Die Erhöhung der Gruppenbeträge falle unter die Veränderungssperre. Abweichende Vereinbarungen hätten die Parteien nicht getroffen. Im übrigen würden derartige Verbesserungen den Pensions-Sicherungs-Verein nicht binden. Nur der gesetzliche Mindeststandard des § 2 Abs. 5 BetrAVG sei insolvenzgeschützt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Ihm steht der geltend gemachte Anspruch zu. Die Anpassungspflicht des beklagten Pensions-Sicherungs-Vereins ergibt sich aus § 7 Abs. 1 BetrAVG in Verbindung mit dem zwischen den Arbeitsvertragsparteien getroffenen Ruhegehaltsvertrag vom 16. Mai 1969.
I. Der Insolvenzschutz richtet sich im vorliegenden Fall nicht nach § 7 Abs. 2 BetrAVG, sondern nach § 7 Abs. 1 BetrAVG. Es spielt keine Rolle, daß der Kläger schon vor seinem Eintritt in den Ruhestand aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden war. Unter § 7 Abs. 1 BetrAVG fallen alle Versorgungsempfänger unabhängig davon, ob ihr Arbeitsverhältnis bis zum Versorgungsfall fortbestand oder schon vorher endete. Entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer bei Eintritt des Sicherungsfalls alle Voraussetzungen für den Bezug der Betriebsrente erfüllt hat (vgl. BAG Urteil vom 26. Januar 1999 - 3 AZR 464/97 -, zur Veröffentlichung bestimmt, zu I 2 der Gründe). Der Kläger war bereits Betriebsrentner, als über das Vermögen seiner früheren Arbeitgeberin am 1. Oktober 1993 das Konkursverfahren eröffnet wurde. Er bezog seit 1. März 1990 eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und die vereinbarte Betriebsrente.
II. Die Versorgungsempfänger genießen nach dem Betriebsrentengesetz einen weitergehenden Insolvenzschutz als die Versorgungsanwärter (vgl. BAG Urteil vom 26. Januar 1999 - 3 AZR 464/97 -, zur Veröffentlichung bestimmt, zu I 1 der Gründe). Lediglich der Insolvenzschutz der Versorgungsanwärter ist durch die Veränderungssperre nach § 7 Abs. 2 Satz 3 in Verbindung mit § 2 Abs. 5 BetrAVG begrenzt (vgl. BAG Urteil vom 22. November 1994 - 3 AZR 767/93 - BAGE 78, 279, 286 = AP Nr. 83 zu § 7 BetrAVG, zu II 2 der Gründe). Für Versorgungsempfänger fehlt eine derartige Einschränkung. Sie haben nach § 7 Abs. 1 BetrAVG einen Insolvenzsicherungsanspruch „in Höhe der Leistung, die der Arbeitgeber aufgrund der Versorgungszusage zu erbringen hätte”, wenn der Sicherungsfall nicht eingetreten wäre. Bei ihnen kommt es nach dem klaren Gesetzeswortlaut auf die jeweilige Ruhegeldvereinbarung an. Wenn sich der Arbeitgeber verpflichtet hat, den Versorgungsanspruch nach bestimmten Kriterien unabhängig von § 16 BetrAVG anzupassen, dann muß der Pensions-Sicherungs-Verein hierfür einstehen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. u. a. Urteil vom 3. Februar 1987 - 3 AZR 330/85 - BAGE 54, 168, 171 ff. = AP Nr. 20 zu § 16 BetrAVG, zu A I der Gründe; Urteil vom 15. Februar 1994 - 3 AZR 705/93 - BAGE 75, 377, 381 = AP Nr. 82 zu § 7 BetrAVG, zu I der Gründe, m.w.N.).
III. Auch wenn der Versorgungsempfänger vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden war, richtet sich die Berechnung seines Insolvenzsicherungsanspruchs nach der Versorgungsordnung. § 2 Abs. 5 BetrAVG hat nur für den – hier nicht vorliegenden – Fall Bedeutung, daß die Versorgungsregelung eine für den Arbeitnehmer ungünstigere Berechnung vorsieht. Diese Vorschrift enthält in ihrem unmittelbaren Anwendungsbereich einen Mindestschutz für den Arbeitnehmer. Abweichungen zu seinen Gunsten sind zulässig (vgl. § 17 Abs. 3 Satz 3 BetrAVG). Im Rahmen des § 7 Abs. 1 BetrAVG hat der Pensions-Sicherungs-Verein dafür einzustehen.
Im vorliegenden Fall haben die Arbeitsvertragsparteien eine Dynamisierungsvereinbarung getroffen. Diese hat der Pensions-Sicherungs-Verein zu beachten. Die Arbeitgeberin hatte dem Kläger in Nr. 4 in Verbindung mit Nr. 1 des Ruhegehaltsvertrages vom 16. Mai 1969 eine Dynamisierung der laufenden Betriebsrente trotz vorzeitigen Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis zugesagt.
1. Der Senat kann den Ruhegehaltsvertrag vom 16. Mai 1969 selbst auslegen. Da es sich um eine arbeitsvertragliche Einheitsregelung und damit um einen sogenannten typischen Vertrag handelt, unterliegt er der uneingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfung (vgl. u. a. BAG Urteil vom 17. Dezember 1960 - 3 AZR 125/59 - BAGE 10, 271, 277 ff. = AP Nr. 11 zu § 550 ZPO; Urteil vom 22. Mai 1985 - 4 AZR 427/83 - BAGE 48, 351, 358 f. = AP Nr. 7 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bundesbahn; Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG., 3. Aufl., § 73 Rz 15; Grunsky, ArbGG, 7. Aufl., § 73 Rz 15, jeweils m.w.N.).
2. Die Dynamisierungspflicht der Arbeitgeberin ergibt sich für den vorliegenden Fall nicht unmittelbar aus Nr. 1 des Ruhegehaltsvertrages vom 16. Mai 1969. Darin wurde zwar die Anpassung der laufenden Betriebsrenten geregelt, aber nicht für die Arbeitnehmer, die vor Eintritt des Versorgungsfalls aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sind.
a) In Nr. 1 des Ruhegehaltsvertrages vom 16. Mai 1969 wurde nicht nur eine Dynamisierung der Versorgungsanwartschaften, sondern auch eine Dynamisierung der laufenden Betriebsrenten vereinbart.
aa) Aus dem in Nr. 1 Abs. 1 des Ruhegehaltsvertrages verwandten Wort „Endanspruch” läßt sich entgegen der Ansicht des Pensions-Sicherungs-Vereins nicht ableiten, daß die Dynamik mit dem Eintritt des Versorgungsfalls enden sollte. Der Ausdruck „Endanspruch” besagt lediglich, daß es sich um einen von der Dauer der Betriebszugehörigkeit abhängigen Höchstbetrag handelt. Nach Nr. 1 Abs. 2 des Ruhegehaltsvertrages belief sich der maßgebliche Vomhundersatz am 1. Januar 1969 auf 54 %, erhöhte sich pro Beschäftigungsjahr um 2 % und hätte am 31. Dezember 1991 den Höchstsatz von 100 % erreicht.
bb) Die Dynamisierung des Rentenbetrages ist in Nr. 1 Abs. 3 des Ruhegehaltsvertrages geregelt. Satz 1 weist darauf hin, daß die zugesagte Höchstrente an die Höchstrente der Gruppe F der Leistungsordnung des Essener Verbandes anknüpft. Satz 2 schreibt diese Anbindung auch bei künftigen Anpassungen des Gruppenbetrags des Essener Verbandes fort, ohne eine zeitliche Beschränkung zu nennen. Dem Wortlaut der Nr. 1 Abs. 3 des Ruhegehaltsvertrages läßt sich nicht entnehmen, daß die laufenden Betriebsrenten nicht dynamisiert werden sollten. Im Gegenteil: Die Ausdrücke „Ruhegehalt” (Satz 1) und „Anspruch” (Satz 2) sind nicht auf Anwartschaften zugeschnitten, sondern umfassen das Vollrecht. Vor allem die Formulierung „alle Änderungen” zeigt unmißverständlich, daß eine möglichst weitgehende, umfassende Anpassung gewollt war.
cc) Ein Vergleich mit der bei Abschluß des Ruhegehaltsvertrags geltenden Leistungsordnung des Essener Verbandes bei der Hütten- und Walzwerks-Berufsgenossenschaft vom 3. Juli 1959 in der Fassung vom 1. Januar 1968 (im folgenden: LO 68) bestätigt diese Auslegung. § 3 Abs. 1 Buchst. b LO 68 bestimmte:
„Das Ruhegeld richtet sich nach den bei Eintritt des Leistungsfalles geltenden Gruppenbeträgen, die – auch mit Wirkung für laufende Leistungen – bei einer wesentlichen Verminderung der Dienstbezüge in der dem Verband angeschlossenen Industrie entsprechend herabgesetzt werden können.”
Die Unterscheidung zwischen Anwartschaftsstadium (Gruppenbeträge bei Eintritt des Leistungsfalls) und laufender Rentenzahlung war demnach bereits bei Abschluß des Ruhegehaltsvertrags gebräuchlich und der Arbeitgeberin, die auf die Leistungsordnung des Essener Verbandes abstellte, bekannt.
Wie § 3 Abs. 1 Buchst. b LO 68 auszulegen war, kann dahinstehen. Die Arbeitgeberin hat die Bestimmungen der Leistungsordnung des Essener Verbandes nicht unverändert übernommen, sondern zum Teil davon abweichende Regelungen getroffen. Nr. 1 des Ruhegehaltsvertrages stellt gerade nicht auf die „bei Eintritt des Leistungsfalls geltenden Gruppenbeträge” ab, sondern berücksichtigt „alle Änderungen der Gruppe F”. Auch die Leistungsordnung des Essener Verbandes stellte in ihren späteren Fassungen ausdrücklich auf die „jeweils geltenden Gruppenbeträge” ab (vgl. § 3 Abs. 1 Buchst. b der Leistungsordnung vom 1. November 1975). Spätestens diese Regelung enthielt eine für den Pensions-Sicherungs-Verein verbindliche Dynamisierung der laufenden Betriebsrenten (vgl. BAG Urteil vom 3. August 1978 - 3 AZR 19/77 - BAGE 31, 45, 55 = AP Nr. 1 zu § 7 BetrAVG, zu II 2 a der Gründe; Urteil vom 15. Februar 1994 - 3 AZR 705/93 - BAGE 75, 377, 381 ff. = AP Nr. 82 zu § 7 BetrAVG, zu I und II der Gründe; Urteil vom 22. November 1994 - 3 AZR 767/93 - BAGE 78, 279, 284 = AP Nr. 83 zu § 7 BetrAVG, zu I 1 der Gründe). Der Ruhegehaltsvertrag vom 16. Mai 1969 enthielt eine Vorwegnahme dieser Regelung oder, falls sie sinngemäß schon in der LO 68 enthalten war, eine Klarstellung.
b) Nach Nr. 1 des Ruhegehaltsvertrages vom 16. Mai 1969 konnte der Kläger jedoch nur dann Ruhegehalt verlangen, wenn sein Arbeitsverhältnis bis zum Eintritt des Versorgungsfalls fortbestand.
aa) Unerheblich ist es, daß der Wortlaut des § 2 Abs. 1 LO 68 insoweit klarer war als die Formulierung der Nr. 1 des Ruhegehaltsvertrages vom 16. Mai 1969. Nach § 2 Abs. 1 LO 68 wurde „Ruhegeld gewährt, wenn ein Angestellter aus dem Dienst des Mitglieds ausscheidet, weil er a) dienstunfähig ist oder b) das 65. Lebensjahr vollendet hat”. Nr. 1 des Ruhegehaltsvertrages verlangt, daß der Kläger „im Dienste der Firma arbeitsunfähig wird oder nach Erreichen des 65. Lebensjahres in den Ruhestand tritt”. Dieser Wortlaut ist nicht eindeutig. Aus den übrigen Bestimmungen des Ruhegehaltsvertrags und den Gepflogenheiten bei Vertragsschluß ergibt sich jedoch, daß die Betriebsrente grundsätzlich nur dann gezahlt werden sollte, wenn das Arbeitsverhältnis bis zum Eintritt in den Ruhestand fortbestand.
bb) Unter welchen Voraussetzungen vorzeitig ausscheidende Arbeitnehmer ihren Ruhegehaltsanspruch behalten, regelt ausdrücklich Nr. 4 Abs. 3 und 4 des Ruhegehaltsvertrages vom 16. Mai 1969. Diese Bestimmungen sind abschließend. Sie gehen ohnehin über das damals Übliche hinaus. Im Jahre 1969 war es üblich, in den Versorgungszusagen vorzusehen, daß bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Eintritt des Versorgungsfalls alle Versorgungsansprüche der Anwartschaftsberechtigten entfallen. Sowohl das Reichsarbeitsgericht als auch das Bundesarbeitsgericht bis zu seinem Urteil vom 10. März 1972 (- 3 AZR 278/71 - BAGE 24, 177 = AP Nr. 156 zu § 242 BGB Ruhegehalt) hatten derartige Verfallklauseln als zulässig angesehen.
3. Nach Nr. 4 Abs. 3 des Ruhegehaltsvertrages hat jedoch der Kläger trotz seines vorzeitigen Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis Anspruch auf das in Nr. 1 geregelte Ruhegeld. Dazu gehört auch die Dynamisierung der laufenden Betriebsrente.
a) Bei einem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis nach Vollendung des 60. Lebensjahres infolge Kündigung der Arbeitgeberin sollte der Kläger nach Nr. 4 Abs. 3 des Ruhegehaltsvertrages den Ruhegeldanspruch nur dann verlieren, wenn die Kündigung aus wichtigem, von ihm verschuldeten Grund erfolgte. Das Arbeitsverhältnis wurde zwar nicht durch eine Kündigung der Arbeitgeberin, sondern durch einen Aufhebungsvertrag beendet. Dies ist aber unschädlich. Der Aufhebungsvertrag beruhte auf dem von der Arbeitgeberin geplanten Personalabbau und dem daraufhin geschlossenen Sozialplan. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wurde nicht vom Kläger, sondern von seiner Arbeitgeberin in ihrem Interesse veranlaßt. Der Kläger konnte aus betrieblichen Gründen nicht die erwartete Betriebstreue erbringen.
Der in Nr. 4 Abs. 3 des Ruhegehaltsvertrages zum Ausdruck gebrachten Wertung und Zwecksetzung widerspräche es, den vorliegenden Aufhebungsvertrag anders zu behandeln als eine betriebsbedingte Kündigung. Nr. 4 Abs. 3 des Ruhegehaltsvertrages stellt zum einen auf den Initiator der Vertragsbeendigung und zum anderen auf den Beendigungsgrund ab. Danach kommt es darauf an, inwieweit dem Arbeitnehmer das vorzeitige Ausscheiden zuzurechnen ist. Selbst personen- und sogar verhaltensbedingte Kündigungen der Arbeitgeberin, die auf keinem „wichtigen, vom Arbeitnehmer verschuldeten Grund” beruhen, beeinträchtigen den Ruhegeldanspruch nicht. Noch weniger hat der Arbeitnehmer das Ausbleiben der erwarteten Betriebstreue zu vertreten, wenn die Arbeitgeberin mit ihm aus betriebsbedingten Gründen einen Aufhebungsvertrag schließt.
b) Nach Nr. 4 Abs. 3 des Ruhegehaltsvertrages hat der Kläger „den Ruhegehaltsanspruch” nicht verloren. Die Höhe des Ruhegehalts ist in Nr. 1 des Ruhegehaltsvertrages geregelt. Da Nr. 4 des Ruhegehaltsvertrages keine abweichende Berechnungsvorschrift enthält, gilt auch die Dynamisierungsvorschrift der Nr. 1 Abs. 3 Satz 2 des Ruhegehaltsvertrages uneingeschränkt.
4. Der Vorbehalt der Arbeitgeberin in ihren Erhöhungsmitteilungen, „im Falle einer ungünstigen wirtschaftlichen Entwicklung spätere Rentenanpassungen wieder auszusetzen”, hat nicht zu einer Einschränkung ihrer vertraglichen Versorgungspflichten geführt. Die Änderung des Ruhegehaltsvertrages bedurfte einer entsprechenden Vereinbarung mit dem Kläger. Sie ist im vorliegenden Fall schon deshalb nicht zustande gekommen, weil der Kläger dem Vorbehalt der Arbeitgeberin mit Schreiben vom 26. September 1990 ausdrücklich widersprochen hat.
Unterschriften
Reinecke, Kremhelmer, Bepler, Kaiser, Martschin
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 08.06.1999 durch Kaufhold, Reg.-Obersekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436212 |
BB 1999, 1983 |
DB 1999, 2071 |
NWB 1999, 4046 |
EBE/BAG 1999, 146 |
EWiR 2000, 3 |
FA 1999, 333 |
KTS 1999, 552 |
NZA 1999, 1215 |
ZAP 1999, 1080 |
ZIP 1999, 1689 |
ZTR 1999, 526 |
AP, 0 |
DZWir 2000, 235 |
NZI 1999, 470 |
NZI 2001, 87 |