Entscheidungsstichwort (Thema)

Urlaubsgeld und Sonderzuwendung in Arbeitsverhältnissen nach § 19 Abs. 2 BSHG

 

Normenkette

BSHG §§ 18-20; BGB § 242; TVG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Urteil vom 26.01.1994; Aktenzeichen 4 Sa 1680/93)

ArbG Lüneburg (Urteil vom 27.07.1993; Aktenzeichen 2 Ca 1727/92)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 26. Januar 1994 – 4 Sa 1680/93 – aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Urlaubs- und Weihnachtsgeld.

Der 1959 geborene Kläger, der eine Ausbildung zum Verwaltungsangestellten absolviert hat, erhielt vor seiner Tätigkeit bei der beklagten Stadt vom Landkreis U. als Träger der örtlichen Sozialhilfe Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Der Sozialhilfeträger verschaffte dem Kläger bei der Beklagten eine Gelegenheit zur Arbeit. Die Parteien schlossen einen Arbeitsvertrag, in dem u.a. folgendes bestimmt ist:

㤠1

Der Hilfeempfänger wird für die Zeit vom 1. Jan. 1992 bis zum 31. Dez. 1992 für die Verrichtung von gemeinnützigen und zusätzlichen Arbeiten gemäß § 19 BSHG eingestellt. Zwischen den Parteien besteht darüber Einvernehmen, daß die Anwendung des BAT bzw. des Bundesmanteltarifvertrages für die Arbeit gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G II) aufgrund der Bestimmungen des § 3 e BMT-G II grundsätzlich ausgeschlossen ist.

§ 3

Der Hilfesuchende erhält für seine Tätigkeit einen Brutto-Stundenlohn von 12,25 DM. Der Lohn wird nur für angeordnete und tatsächlich geleistete Arbeit gezahlt. …

§ 7

Der Urlaub richtet sich nach den Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes. Konnte der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so wird er abgegolten.

…”

Der Kläger wurde in der Bibliothek der Beklagten mit dem Sortieren von Zeitschriften, Schriftverkehr, mit der Ausleihe, dem Instandsetzen von Büchern und dem Ordnen von Archivmaterial bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden beschäftigt. Die Beklagte zahlte dem Kläger entgegen der Bestimmung des § 3 Satz 1 Arbeitsvertrag von Anfang an die Vergütung nach der Vergütungsgruppe IX der Anlage 1 a zum BAT (Grundvergütung, allgemeine Zulage und Ortszuschlag), nicht jedoch Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Die Beklagte, Mitglied des Kommunalen Arbeitgeberverbandes, gewährt üblicherweise unabhängig von der Organisationszugehörigkeit ihren Angestellten Vergütung nach dem BAT und ihren Arbeitern Vergütung nach dem BMT-G II einschließlich Urlaubs- und Weihnachtsgeld.

Mit seiner Klage hat der Kläger Urlaubsgeld in Höhe von 500,00 DM und eine Zuwendung in Höhe von 2.043,00 DM geltend gemacht. Er hat vorgetragen, er habe in der Städtischen Bücherei der Beklagten die gleichen Arbeiten ausgeführt, die von anderen Angestellten der Vergütungsgruppe VIII/IX der Anlage 1 a zum BAT hätten ausgeführt werden müssen. Ohne den – unstreitig regelmäßig erfolgenden – Einsatz von Sozialhilfeempfängern könnte die Beklagte den Dienstbetrieb in der Bücherei im bisherigen Umfang nicht aufrechterhalten. Die Tätigkeiten, die der Kläger für die Beklagte ausgeführt habe, hätten ohne seinen Einsatz zwingend von anderen BAT-Angestellten ausgeführt werden müssen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.543,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Urlaubsgeld und Sonderzuwendung unmittelbar nach § 1 und § 2 des Tarifvertrages über ein Urlaubsgeld für Angestellte vom 16. März 1977 i.d.F. des 7. Änderungstarifvertrages vom 26. Mai 1992 sowie nach § 1 und § 2 des Tarifvertrages über eine Zuwendung für Angestellte vom 12. Oktober 1973 i.d.F. des 6. Änderungstarifvertrages vom 4. November 1992.

Der Kläger hat keinen Arbeitsvertrag mit dem örtlichen Träger der Sozialhilfe, dem Landkreis U., abgeschlossen (vgl. insoweit die abweichenden Sachverhalte in den Urteilen des BAG vom 4. Februar 1993 – 2 AZR 416/92 – AP Nr. 2 zu § 21 SchwbG 1986 und des BVerwG Urteil vom 22. März 1990 – 5 C 63.86 – Buchholz 436.0 § 19 BSHG Nr. 7), sondern er hat ein Rechtsverhältnis mit einem Dritten, der beklagten Stadt, begründet (dazu BVerwG, a.a.O., vorletzter Absatz). Dabei handelt es sich um ein Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts, das der Landkreis als Sozialhilfeträger im Rahmen seiner Verpflichtungen nach § 19 BSHG vermittelt hat. Das gilt sowohl für eine nach § 19 Abs. 1 BSHG geschaffene – nicht gemeinnützige und zusätzliche Arbeit – wie für eine gemeinnützige und zusätzliche Arbeitsgelegenheit nach § 19 Abs. 2 Satz 1 1. Alternative BSHG.

2. Auf dieses Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Bundes-Angestelltentarifvertrag keine unmittelbare Anwendung. Der Kläger ist nicht Mitglied einer der tarifvertragschließenden Gewerkschaften, § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG.

3. Der BAT findet auch nicht aufgrund vertraglicher Vereinbarung Anwendung. Die Parteien haben die Geltung der Tarifbestimmungen in ihrem schriftlichen Vertrag nicht verabredet, sondern deren Geltung sogar ausdrücklich ausgeschlossen.

II. Der Kläger kann jedoch einen Anspruch aufgrund des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes in Verbindung mit den Bestimmungen des Tarifvertrags über ein Urlaubsgeld und des Tarifvertrags über eine Zuwendung für Angestellte haben, wenn die Beklagte gegen diesen Grundsatz verstoßen hat. Die eine Anwendung des BAT und der ihn ergänzenden Tarifverträge ausschließende Vertragsbestimmung ist dann ohne Bedeutung.

1. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet, Gleiches gleich und Ungleiches seiner Verschiedenartigkeit nach unterschiedlich zu behandeln. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verwehrt es dem Arbeitgeber, einzelne Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern ohne sachlichen Grund von allgemein begünstigenden Regelungen auszunehmen und schlechter zu stellen. Gewährt ein Arbeitgeber nach einem erkennbaren und generalisierenden Prinzip Leistungen, so muß er die Leistungsvorausetzungen so abgrenzen, daß kein Arbeitnehmer hiervon aus sachfremden oder willkürlichen Gründen ausgeschlossen bleibt (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteil vom 30. März 1994 – 10 AZR 681/92 – AP Nr. 113 zu § 242 BGB Gleichbehandlung).

2. Nach dem bisherigen Vorbringen der Parteien und den unzureichenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kann der Senat nicht beurteilen, ob der Beklagten ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vorgeworfen werden kann oder nicht.

a) Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zum Gleichbehandlungsgrundsatz sind bereits nicht widerspruchsfrei. So leitet das Landesarbeitsgericht den Anspruch des Klägers auch aus § 19 BSHG ab. Das ist bereits deswegen unzutreffend, weil zwischen den Parteien keine öffentlich-rechtlichen Beziehungen als Sozialhilfeträger und Sozialhilfeempfänger bestehen, sondern nur arbeitsrechtliche Beziehungen. § 19 BSHG findet nur im Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger als Hilfesuchendem und dem Landkreis U als Sozialhilfeträger Anwendung.

b) Das Landesarbeitsgericht hat darüber hinaus die Bedeutung der §§ 18 bis 20 BSHG verkannt. Nach diesen Vorschriften hat der Sozialhilfeträger den Hilfesuchenden bei seiner Verpflichtung zu unterstützen, die Sicherung der Lebensgrundlage durch eigene Tätigkeit zu erreichen. Das geschieht u.a. durch die Vermittlung in ein reguläres Arbeitsverhältnis nach § 18 BSHG oder durch Verschaffung einer Arbeitsgelegenheit nach § 19 Abs. 1 oder Abs. 2 BSHG entweder im eigenen Bereich oder bei einem Dritten. Findet der Hilfesuchende aufgrund der Vermittlung durch den Sozialhilfeträger Arbeit im Sinne des § 18 Abs. 2 BSHG, so entsteht ein reguläres Arbeitsverhältnis, dessen Inhalt sich nach den allgemeinen Grundsätzen des kollektiven und individuellen Arbeitsrechts bestimmt. Dasselbe gilt, wenn dem Hilfesuchenden eine normale Arbeitsgelegenheit geschaffen wird, die nicht gemeinnützig oder zusätzlich ist, § 19 Abs. 1 BSHG (BVerwG, a.a.O., 4. Absatz). Wird dem Hilfesuchenden keine Arbeit nach § 18 BSHG vermittelt und keine allgemeine Arbeitsgelegenheit nach § 19 Abs. 1 BSHG verschafft, sondern eine Arbeitsgelegenheit zu gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit bei einem Dritten, so entsteht zwar zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis. Dieses Arbeitsverhältnis steht aber weiter unter der Obhut des Sozialhilfeträgers, der u.a. auch finanzielle Unterstützungen gewähren kann (klargestellt durch § 19 Abs. 1 Satz 2 BSHG i.d.F. der Änderung durch das Gesetz zur Umsetzung des föderalen Konsolidierungsprogramms vom 23. Juni 1993). Der Sozialhilfeträger kann auch neben dem üblichen Arbeitsentgelt anteilige Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 19 Abs. 2 Satz 1 2. Alternative BSHG gewähren, wenn das Arbeitsentgelt nicht ausreicht, um den gesamten notwendigen Bedarf zu decken (BVerwG, a.a.O., letzter Absatz).

3.a) Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz kann im Streitfall verletzt sein, wenn die Parteien ein Arbeitsverhältnis eingegangen sind, bei dessen Begründung der Sozialhilfeträger lediglich im Rahmen seiner Verpflichtungen gem. § 18 BSHG mitgewirkt hat. In diesem Fall wäre die Beklagte verpflichtet, auch dem Kläger die Leistungen zu gewähren, die sie allen Mitarbeitern in einem regulären Arbeitsverhältnis gibt. Dazu gehören nach dem unbestrittenen Vorbringen des Klägers die Leistungen nach dem Zuwendungstarifvertrag und nach dem Tarifvertrag über ein Urlaubsgeld an die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer. Einen Sachgrund, warum der Kläger in diesem Fall von den Leistungen ausgeschlossen sein soll, hat die Beklagte nicht vorgetragen.

b) Dasselbe gilt, wenn dem Kläger eine Arbeitsgelegenheit nach § 19 Abs. 1 BSHG verschafft worden ist, in der er reguläre Arbeit verrichtet hat. Auch in diesem Fall ist nicht ersichtlich, aus welchem Sachgrund der Kläger von den Leistungen nach den Tarifverträgen ausgenommen sein soll.

c) Sollte der Kläger hingegen gemeinnützige und zusätzliche Arbeit in einem Arbeitsverhältnis erbracht haben, das nach § 19 Abs. 2 Satz 1 1. Alternative BSHG begründet worden ist, kommt ein Anspruch auf Gleichbehandlung nicht in Betracht. Dieses der sozialrechtlichen Obhut unterliegende Arbeitsverhältnis unterscheidet sich von einem durch freie Vereinbarung zustande gekommenen Arbeitsverhältnis und dem Arbeitsverhältnis nach § 19 Abs. 1 BSHG in seiner Begründung, seinem Inhalt und seiner Zweckrichtung. In einem nach § 19 Abs. 2 1. Alternative BSHG begründeten Arbeitsverhältnis werden keine regulären, unbedingt für den Arbeitgeber jetzt erforderlichen Arbeiten geleistet; es werden – regelmäßig vorübergehend – Beschäftigungen geboten, die der Eingliederung des Hilfesuchenden in das künftige Arbeitsleben dienen. Der Arbeitgeber, der Sozialhilfeträger oder ein Dritter, erfüllt eine sozialhilferechtliche Aufgabe in der Form des Arbeitsverhältnisses. Diese Umstände rechtfertigen nicht nur die Bezahlung einer anderen Vergütung als die nach dem für die anderen Beschäftigten geltenden Tarifvertrag. Die Unterschiede stellen auch einen Sachgrund dar, kein Urlaubsgeld und keine Sonderzuwendungen zu zahlen. Der Ausschluß ist nicht willkürlich.

III. Somit ist bei der Entscheidung des Rechtsstreits maßgeblich, ob der Kläger gemeinnützige und zusätzliche Arbeiten nach § 19 Abs. 2 BSHG geleistet hat oder nicht. Das Landesarbeitsgericht hat es ausdrücklich unterlassen festzustellen, ob der Kläger zur Erledigung gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit eingesetzt worden ist oder ob er ständig anfallende Aufgaben der Beklagten erfüllt hat. Das wird es nachzuholen haben. Dabei ist von der Legaldefinition des § 19 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz BSHG auszugehen. Weitere abschließende Hinweise, auch zur Verfahrensweise, vermag der Senat nicht zu geben. Er meint allerdings, daß für die zutreffende Beurteilung des Sachverhalts u.a. maßgeblich sein kann, mit welchen Mitteln der Sozialhilfeträger den Abschluß des Arbeitsvertrages der Parteien gefördert hat. Der Beklagte gebraucht in diesem Zusammenhang den Begriff „zuweisen” (vgl. dazu die Vorschriften des niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Bundessozialhilfegesetzes i.d.F. vom 12. November 1987 und die dazu ergangenen Verordnungen). Das Landesarbeitsgericht wird weiter aufzuklären haben, ob der Kläger Arbeiten erledigt hat, die einem seinerzeit fehlenden Mitarbeiter übertragen worden sind und ob alle Planstellen in der Bibliothek besetzt waren oder nicht. Ggf. sind die Parteien zur Ergänzung ihres Vorbringens und ihrer Beweisanträge aufzufordern.

 

Unterschriften

Dörner, Düwell, Böck, R. Schmidt, Dr. Pühler

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1093210

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