Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaubsabgeltung. Ausschlussfristen
Leitsatz (amtlich)
1. Der Anspruch auf Abgeltung des nach lang andauernder Arbeitsunfähigkeit bestehenden gesetzlichen Mindesturlaubs kann aufgrund tariflicher Ausschlussfristen verfallen. Er ist nicht Surrogat des Urlaubsanspruchs, sondern ein reiner Geldanspruch, der sich nicht mehr von sonstigen Entgeltansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis unterscheidet. Er unterfällt deshalb den Bedingungen, die nach dem anwendbaren Tarifvertrag für die Geltendmachung von Geldansprüchen vorgeschrieben sind.
2. Das ist mit Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie und den hierzu vom EuGH aufgestellten Grundsätzen vereinbar. Danach steht die Arbeitszeitrichtlinie grundsätzlich einer nationalen Regelung nicht entgegen, wonach die Nichtbeachtung von Modalitäten der Inanspruchnahme dazu führt, dass der Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs am Ende eines Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums untergeht. Der Arbeitnehmer muss tatsächlich nur die Möglichkeit haben, den ihm mit der Arbeitszeitrichtlinie verliehenen Anspruch auszuüben. Das ist bei tariflichen Ausschlussfristen dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer nur eine Frist zur schriftlichen Geltendmachung wahren muss.
Orientierungssatz
1. Der Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs kann aufgrund tariflicher Ausschlussfristen verfallen. Dem steht nicht entgegen, dass er nach § 13 Abs. 1 BUrlG unabdingbar ist. Die bisherige Rechtsprechung, wonach der Abgeltungsanspruch als Ersatz für den unantastbaren Urlaubsanspruch gemäß § 1 und § 3 Abs. 1 BUrlG nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien stehe, wird zumindest für die Abgeltung von Urlaubsansprüchen nach lang andauernder Arbeitsunfähigkeit nicht aufrechterhalten.
2. Das ist eine Folgewirkung der Aufgabe der Surrogatstheorie durch die neuere Senatsrechtsprechung. Danach ist der Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs zumindest bei lang andauernder Arbeitsunfähigkeit ein reiner Geldanspruch, der sich nicht mehr von sonstigen Entgeltansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis unterscheidet. Er unterfällt deshalb den Bedingungen, die nach dem anwendbaren Tarifvertrag für die Geltendmachung von Geldansprüchen vorgeschrieben sind. Dazu gehören auch tarifliche Ausschlussfristen.
3. Das ist mit Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie und den hierzu vom EuGH aufgestellten Grundsätzen vereinbar. Danach steht die Arbeitszeitrichtlinie grundsätzlich einer nationalen Regelung nicht entgegen, wonach die Nichtbeachtung von Modalitäten der Inanspruchnahme dazu führt, dass der Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs am Ende eines Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums untergeht. Der Arbeitnehmer muss tatsächlich nur die Möglichkeit haben, den ihm mit der Arbeitszeitrichtlinie verliehenen Anspruch auszuüben. Das ist bei tariflichen Ausschlussfristen dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer nur eine Frist zur schriftlichen Geltendmachung wahren muss.
Normenkette
BGB §§ 134, 206; BUrlG §§ 1, 3 Abs. 1, § 7 Abs. 4, § 13 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 23. April 2010 – 10 Sa 203/10 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Rz. 1
Die 1959 geborene Klägerin verlangt von der Beklagten, den tariflichen Mehrurlaub sowie den gesetzlichen Mindesturlaub für die Jahre 2006, 2007 und 2008 abzugelten.
Rz. 2
Die Klägerin war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen seit dem 1. Februar 1980 als Verkäuferin mit einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von 16 Stunden beschäftigt. Nach Ziff. 1 des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrags finden auf das Arbeitsverhältnis die Bestimmungen des örtlich maßgeblichen Tarifvertrags für den Einzelhandel Anwendung.
Rz. 3
Die Klägerin war seit dem 27. Januar 1997 durchgehend krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Mit Bescheid vom 6. Februar 2006 bewilligte ihr die Deutsche Rentenversicherung Bund bis zum Ablauf des Monats März 2008 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Mit weiterem Bescheid vom 12. Dezember 2007 bewilligte sie der Klägerin ab dem 1. April 2008 eine unbefristete Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete mit Ablauf des 31. März 2008. Mit Schreiben vom 26. Juni 2009 verlangte die Klägerin von der Beklagten ohne Erfolg, ihren aus dem Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis 31. März 2008 resultierenden Urlaub im Umfang von insgesamt 81 Tagen abzugelten.
Rz. 4
Im Manteltarifvertrag für den Einzelhandel Nordrhein-Westfalen vom 25. Juli 2008 (MTV Einzelhandel) heißt es – soweit maßgeblich – wie folgt:
Ҥ 15
Urlaub
…
(3) Der Urlaub beträgt je Kalenderjahr
…
nach dem vollendeten 30. Lebensjahr 36 Werktage.
…
(7) Der Urlaub ist möglichst im laufenden Kalenderjahr zu gewähren und zu nehmen. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Auf Verlangen des Arbeitnehmers ist ein nach Absatz 5 entstandener geringfügiger Teilurlaub auf das nächste Kalenderjahr zu übertragen.
(8) Im Falle der Übertragung muss der Urlaub in den ersten 4 Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden.
(9) Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er abzugelten. Hierbei ist je Urlaubstag 1/26 des Monatseinkommens zugrunde zu legen.
…
§ 24
Verfallklausel
(1) Die Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen wie folgt:
…
b) spätestens 3 Monate nach Beendigung des Urlaubsjahres bzw. Beendigung des Arbeitsverhältnisses:
Ansprüche auf Urlaub, Urlaubsabgeltung und Sonderzahlungen;
…
(2) Die Ansprüche verfallen nicht, sofern sie innerhalb der vorgenannten Fristen schriftlich geltend gemacht worden sind.
(3) Vorstehende Fristen gelten als Ausschlussfristen.
…”
Rz. 5
Die Klägerin vertritt die Auffassung, ihr Urlaubsabgeltungsanspruch sei nicht nach § 24 MTV Einzelhandel verfallen. Tarifliche Ausschlussfristen seien auf den Urlaubsabgeltungsanspruch nicht anzuwenden. Allenfalls könne der tarifliche Mehrurlaub verfallen sein. Die Tarifvertragsparteien seien nach § 13 Abs. 1 BUrlG nicht befugt, die Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs tariflichen Ausschlussfristen zu unterwerfen.
Rz. 6
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.179,05 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung zu zahlen.
Rz. 7
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die tarifliche Ausschlussfrist gelte für sämtliche Urlaubsabgeltungsansprüche. Das verstoße weder gegen die Vorschriften des Bundesurlaubsgesetzes noch gegen Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG vom 4. November 2003.
Rz. 8
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Klägerin verfolgt mit der Revision ihre Urlaubsabgeltungsansprüche weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 9
A. Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die klageabweisende Entscheidung des Arbeitsgerichts zu Recht bestätigt. Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Abgeltung ihrer für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstandenen Urlaubsansprüche. Die Abgeltungsansprüche sind gemäß § 24 Abs. 1 Buchst. b MTV Einzelhandel verfallen.
Rz. 10
I. Der MTV Einzelhandel findet zumindest nach Ziff. 1 des Arbeitsvertrags auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Danach gelten die Bestimmungen des örtlich maßgeblichen Tarifvertrags für den Einzelhandel. Das ist vorliegend der MTV Einzelhandel.
Rz. 11
II. Es kann hier dahinstehen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang für den streitgegenständlichen Zeitraum Urlaubsansprüche der Klägerin entstanden waren. Ein etwaiger Abgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG und § 15 Abs. 9 MTV Einzelhandel wäre jedenfalls gemäß § 24 Abs. 1 Buchst. b MTV Einzelhandel verfallen. Nach dieser Tarifvorschrift verfallen Ansprüche auf Urlaubsabgeltung spätestens drei Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wenn sie nicht innerhalb dieser Frist schriftlich geltend gemacht wurden (§ 24 Abs. 2 MTV Einzelhandel). Diese Frist wahrte die Klägerin hinsichtlich der nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. März 2008 fälligen Urlaubsabgeltungsansprüche nicht. Sie machte die Ansprüche erst mit Schreiben vom 26. Juni 2009 gegenüber der Beklagten geltend.
Rz. 12
III. Urlaubsabgeltungsansprüche können tariflichen Ausschlussfristen unterfallen.
Rz. 13
1. Die Tarifvertragsparteien haben in § 24 Abs. 1 Buchst. b MTV Einzelhandel ausdrücklich die Geltung der Ausschlussfristen für Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche bestimmt. Eine solche Regelung durften sie auch nach bisheriger Rechtsprechung des Senats für den tariflichen Mehrurlaub und dessen Abgeltung treffen, obwohl der Senat bislang davon ausging, die gesetzliche Unabdingbarkeit erstrecke sich auch auf den Urlaubsabgeltungsanspruch iSv. § 7 Abs. 4 BUrlG (BAG 20. Januar 2009 – 9 AZR 650/07 – Rn. 21). Der tarifliche Mehrurlaub und dessen Abgeltung unterfällt nicht dem tariflich unabdingbaren Schutz der §§ 1, 3 Abs. 1, § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG und auch nicht Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (sog. Arbeitszeitrichtlinie; ABl. EU L 299 vom 18. November 2003 S. 9). Einem tariflich angeordneten Verfall des übergesetzlichen Urlaubsanspruchs und seiner Abgeltung steht nach dem klaren Richtlinienrecht und der gesicherten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union kein Unionsrecht entgegen (BAG 4. Mai 2010 – 9 AZR 183/09 – Rn. 23, EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 17). Die Tarifvertragsparteien können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln (BAG 23. März 2010 – 9 AZR 128/09 – Rn. 19, AP SGB IX § 125 Nr. 3 = EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 16). Nur für den gesetzlichen Mindesturlaub oder dessen Abgeltung war es nach bisheriger Rechtsprechung ausgeschlossen, tarifliche Ausschlussfristen anzuwenden (BAG 20. Januar 2009 – 9 AZR 650/07 – Rn. 27).
Rz. 14
2. Der in § 24 Abs. 1 Buchst. b MTV Einzelhandel für alle Urlaubsabgeltungsansprüche bei Nichteinhaltung der Ausschlussfrist angeordnete Verfall ist auch für die Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs wirksam. Dem steht weder der unabdingbare Schutz des gesetzlichen Mindesturlaubs nach §§ 1, 3 Abs. 1, § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG noch die vom Gerichtshof der Europäischen Union vorgenommene und für den Senat nach Art. 267 AEUV verbindliche Auslegung der Richtlinie 2003/88/EG entgegen.
Rz. 15
a) Nach der früheren Senatsrechtsprechung unterlag der Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Urlaubs nicht den tariflichen Ausschlussfristen, selbst wenn diese umfassend alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis betrafen (vgl. zuletzt BAG 20. Januar 2009 – 9 AZR 650/07 – Rn. 21; 20. Mai 2008 – 9 AZR 219/07 – Rn. 48, BAGE 126, 352; vgl. für die st. Rspr. auch BAG 23. April 1996 – 9 AZR 165/95 – zu II 4 der Gründe, BAGE 83, 29). Begründet wurde dies damit, dass der Abgeltungsanspruch als Ersatz für den unantastbaren Urlaubsanspruch nach § 1 und § 3 Abs. 1 BUrlG nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien stehe. Die gesetzliche Unabdingbarkeit nach § 13 Abs. 1 BUrlG erstrecke sich auch auf den Urlaubsabgeltungsanspruch. Er sei ebenso wie der gesetzliche Urlaubsanspruch selbst unabdingbar (vgl. zuletzt BAG 20. Januar 2009 – 9 AZR 650/07 – Rn. 21; 20. Mai 2008 – 9 AZR 219/07 – Rn. 48, aaO; vgl. für die st. Rspr. auch BAG 23. April 1996 – 9 AZR 165/95 – zu II 4 der Gründe, aaO; 24. November 1992 – 9 AZR 549/91 – zu 3 der Gründe, AP BUrlG § 1 Nr. 23 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 102). Da der Urlaubsabgeltungsanspruch kein einfacher Geldanspruch, sondern ein Surrogat des Urlaubsanspruchs sei, würden für ihn dieselben Regeln gelten, insbesondere auch der Schutz des § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG (zB BAG 5. Dezember 1995 – 9 AZR 841/94 – zu II 2 e der Gründe, BAGE 81, 339). In dem seiner Entscheidung vom 24. März 2009 (– 9 AZR 983/07 – BAGE 130, 119) zugrunde liegenden Fall hatte der Arbeitnehmer die Urlaubsabgeltung rechtzeitig geltend gemacht. Deshalb konnte der Senat die Frage, ob die Versäumung von Ausschlussfristen trotz des vom EuGH zugebilligten besonderen Schutzes des krankheitsbedingt arbeitsunfähigen Arbeitnehmers zum Verfall eines Urlaubsabgeltungsanspruchs führen kann, ausdrücklich offenlassen (vgl. BAG 24. März 2009 – 9 AZR 983/07 – Rn. 77, aaO). Hier bedarf es einer Stellungnahme; denn diese Rechtsfrage ist im Streitfall entscheidungserheblich.
Rz. 16
b) Die bisherige Rechtsprechung zur Unanwendbarkeit von tariflichen Ausschlussfristen kann nicht mehr aufrechterhalten werden. Das ist eine Folgewirkung der Aufgabe der Surrogatstheorie (vgl. BAG 24. März 2009 – 9 AZR 983/07 – Rn. 44 ff., BAGE 130, 119; fortgeführt von BAG 4. Mai 2010 – 9 AZR 183/09 – Rn. 17, EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 17; 23. März 2010 – 9 AZR 128/09 – Rn. 70, AP SGB IX § 125 Nr. 3 = EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 16). Ist der Urlaubsabgeltungsanspruch nach der reformierten Rechtsprechung nur ein reiner Geldanspruch, so unterfällt er auch den Bedingungen, die nach dem anwendbaren Tarifvertrag für die Geltendmachung von Geldansprüchen vorgeschrieben sind. Dazu gehören auch tarifliche Ausschlussfristen.
Rz. 17
aa) Der Urlaubsabgeltungsanspruch stellt bei andauernder Arbeitsunfähigkeit eine auf eine finanzielle Vergütung im Sinne von Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie gerichtete reine Geldforderung dar (vgl. BAG 4. Mai 2010 – 9 AZR 183/09 – Rn. 17 ff., EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 17; 24. März 2009 – 9 AZR 983/07 – Rn. 44 ff., BAGE 130, 119). Er entsteht mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses und bleibt in seinem Bestand unberührt, selbst wenn die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers auch über das Ende des Übertragungszeitraums am 31. März des Folgejahres und darüber hinaus fortdauert (vgl. BAG 4. Mai 2010 – 9 AZR 183/09 – Rn. 21, aaO). Der Mindesturlaub ist bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses unabhängig von der Erfüllbarkeit des Freistellungsanspruchs in einem gedachten fortbestehenden Arbeitsverhältnis nach § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten (BAG 4. Mai 2010 – 9 AZR 183/09 – Rn. 18, aaO; 23. März 2010 – 9 AZR 128/09 – Rn. 70, AP SGB IX § 125 Nr. 3 = EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 16; 24. März 2009 – 9 AZR 983/07 – Rn. 47 ff. mwN, aaO).
Rz. 18
bb) Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist auch im Fall der andauernden Arbeitsunfähigkeit nicht mehr befristet. Während unter Geltung der Surrogatstheorie der Urlaubsabgeltungsanspruch nur erfüllbar und damit fällig wurde, soweit der Arbeitnehmer spätestens vor dem Ablauf der Übertragungsdauer seine Arbeitsfähigkeit wiedererlangte (vgl. AnwK-ArbR/Düwell 2. Aufl. § 7 BUrlG Rn. 134), hat nach der Aufgabe dieser Theorie der Ablauf des Bezugs- bzw. Übertragungszeitraums keine rechtliche Bedeutung mehr. Als reiner Geldanspruch entsteht der Abgeltungsanspruch mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und wird nach § 271 BGB sofort fällig (vgl. zuletzt BAG 4. Mai 2010 – 9 AZR 183/09 – Rn. 21, EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 17; MüArbR/Düwell 3. Aufl. Bd. 1 § 80 Rn. 67). Die Anwendbarkeit von Ausschlussfristen kann deshalb nicht mehr mit dem Hinweis auf das eigenständige Fristenregime des BUrlG abgelehnt werden.
Rz. 19
Anderenfalls erhielte ein dauerhaft bis zum Lebensende arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer, der aus einem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist, niemals eine Urlaubsabgeltung. Ein solches Ergebnis wäre nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Schultz-Hoff nicht mit Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie vereinbar. Danach soll der ausgeschiedene Arbeitnehmer auch bei lang andauernder Arbeitsunfähigkeit in den Genuss einer finanziellen (Urlaubs-)Vergütung kommen. So hat der Gerichtshof ausdrücklich erkannt, dass Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG dahin auszulegen ist, “dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen für nicht genommenen Jahresurlaub am Ende des Arbeitsverhältnisses keine finanzielle Vergütung gezahlt wird, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraums und/oder Übertragungszeitraums oder eines Teils davon krankgeschrieben bzw. im Krankheitsurlaub war und deshalb seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht ausüben konnte” (EuGH 20. Januar 2009 – C-350/06 und C-520/06 – [Schultz-Hoff] Rn. 62, Slg. 2009, I-179).
Rz. 20
cc) Dem steht auch nicht entgegen, dass die Generalanwältin Trstenjak in ihren Schlussanträgen vom 7. Juli 2011 in der beim Gerichtshof anhängigen Rechtssache KHS AG gegen Schulte (– C-214/10 – Rn. 67) den Abgeltungsanspruch missverständlich als “Surrogat” bezeichnet hat. Die Generalanwältin hat nicht auf den Surrogatsbegriff, wie ihn die urlaubsrechtlichen Senate des Bundesarbeitsgerichts in ständiger Rechtsprechung bis zum 20. Januar 2009 als Fachbegriff der Surrogatstheorie geprägt haben, Bezug genommen. Sie hat lediglich auf Darstellungen arbeitsrechtlicher Praktiker in Zeitschriften verwiesen. Den von ihr benutzten Begriff hat sie inhaltlich damit umschrieben, dass der “Urlaub nicht durch eine finanzielle Vergütung ‘ersetzt’ und nicht ‘abgefunden’ werden” dürfe. Er diene “dem Zweck, den Arbeitnehmer finanziell in eine Lage zu versetzen, die es ihm erlaubt, seinen Jahresurlaub nachzuholen, und zwar unter vergleichbaren Bedingungen, als wenn er weiter tätig wäre und ein Urlaubsentgelt gemäß Art. 7 Abs. 1” der Richtlinie 2003/88/EG beziehen würde. Danach meint sie, Funktion des Surrogats sei, eine Abfindungspraxis zu vermeiden. Dieser Inhalt ist mit der seit dem Urteil vom 24. März 2009 (– 9 AZR 983/07 – BAGE 130, 119) entwickelten Rechtsprechungslinie des Senats vereinbar. Dass die Generalanwältin das Wort “Surrogat” nicht im Sinne des urlaubsrechtlichen Fachbegriffs verwendet, wird durch ihre weiteren Ausführungen in den Schlussanträgen deutlich. Sie schlägt dem Gerichtshof der Europäischen Union nämlich vor, nur in der umstrittenen Frage der Ansammlung von Urlaubsansprüchen seine bisherige Rechtsprechung zu präzisieren und Klarheit herzustellen (Schlussanträge vom 7. Juli 2011 – C-214/10 – [KHS AG gegen Schulte] Rn. 47). Hinsichtlich des “wichtigen finanziellen Aspekts der Urlaubsabgeltung” empfiehlt sie, an der Antwort in der Rechtssache Schultz-Hoff festzuhalten. In den von den Schlussanträgen in Bezug genommenen Stellen geht der EuGH für den Fall der nachgewiesenen krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit davon aus, “dass die in Art. 7 Abs. 2 vorgesehene finanzielle Vergütung verhindern soll, dass dem Arbeitnehmer wegen der mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses einhergehenden Unmöglichkeit, den tatsächlich bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, jeder Genuss dieses Anspruchs, ‘selbst in finanzieller Form’, verwehrt wird” (Schlussanträge vom 7. Juli 2011 – C-214/10 – [KHS AG gegen Schulte] Rn. 67). Für einen Fall wie dem des dauererkrankten Klägers Schultz-Hoff hat der EuGH ausdrücklich festgestellt, es sei mit Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie unvereinbar, dem kranken Arbeitnehmer bei seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis die finanzielle Vergütung für den nicht genommenen Urlaub unter Hinweis auf die fortbestehende Erkrankung zu verwehren (vgl. EuGH 20. Januar 2009 – C-350/06 und C-520/06 – [Schultz-Hoff] Rn. 62, Slg. 2009, I-179). Das war zwingender Anlass für den erkennenden Senat, die Surrogatstheorie aufzugeben. Die Ausführungen der Generalanwältin enthalten zwar den Begriff Surrogat. Ihnen liegt jedoch nicht die vom Senat aufgegebene Surrogatstheorie zugrunde. Deshalb sieht der Senat keinen Grund anzunehmen, dass die in der Rechtssache Schultz-Hoff gefundene Auslegung des Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG durch den EuGH zwischenzeitlich klärungsbedürftig geworden sei.
Rz. 21
dd) Aus alldem ergibt sich: Der Urlaubsabgeltungsanspruch wird auch im Fall der Arbeitsunfähigkeit mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig (vgl. BAG 11. Oktober 2010 – 9 AZN 418/10 – Rn. 20, AP ArbGG 1979 § 72a Nr. 75 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 125; im Ergebnis so bereits: BAG 24. März 2009 – 9 AZR 983/07 – Rn. 69, BAGE 130, 119; MüArbR/Düwell § 80 Rn. 67; Subatzus DB 2009, 510, 512; Arnold/Tillmanns/Arnold BUrlG 2. Aufl. § 7 Rn. 180).
Rz. 22
3. Die hier anzuwendende tarifliche Ausschlussfrist des § 4 MTV Einzelhandel ist nicht nach § 13 Abs. 1 BUrlG iVm. § 134 BGB unwirksam, weil sie den Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs einschließt.
Rz. 23
a) Der Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs stellt zumindest bei lang andauernder Arbeitsunfähigkeit und der jedenfalls insoweit erfolgten Aufgabe der Surrogatstheorie einen reinen Geldanspruch dar, der sich nicht mehr von sonstigen Entgeltansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis unterscheidet. Hieraus folgt zugleich, dass er grundsätzlich wie jeder andere Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis zu behandeln ist und auch Ausschlussfristen unterliegen kann (so auch die überwiegende Meinung in der Rechtsprechung der LAG und im Schrifttum: vgl. LAG Hamm 16. Juni 2011 – 16 Sa 1089/10 – juris Rn. 55; LAG Niedersachsen 14. Dezember 2010 – 13 Sa 1050/10 – juris Rn. 21; LAG Köln 16. November 2010 – 12 Sa 375/10 – juris Rn. 23, ZTR 2011, 231; LAG Berlin-Brandenburg 7. Oktober 2010 – 2 Sa 1464/10 – juris Rn. 20; LAG Niedersachsen 13. August 2010 – 6 Sa 409/10 – juris Rn. 32; LAG München 24. Juni 2010 – 4 Sa 1029/09 – juris Rn. 29; LAG Düsseldorf 23. April 2010 – 10 Sa 203/10 – juris Rn. 36, LAGE BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 27a; AnwK-ArbR/Düwell § 13 BUrlG Rn. 36; ErfK/Dörner/Gallner 11. Aufl. § 7 BUrlG Rn. 65; HWK/Schinz 4. Aufl. § 7 BUrlG Rn. 108a; Arnold/Tillmanns/Zimmermann § 13 Rn. 39 und 46; Boecken/Jacobsen ZTR 2011, 267, 276; Wulfers ZTR 2010, 180, 183; Rummel AA 2010, 163, 165; Geyer ZTR 2009, 346, 354; Bauer/Arnold NJW 2009, 631, 635). Ebenso wie der Anspruch auf Urlaubsentgelt (zur Anwendbarkeit von Ausschlussfristen auf das Urlaubsentgelt: vgl. BAG 22. Januar 2002 – 9 AZR 601/00 – zu A II 4 c der Gründe, BAGE 100, 189) kann deshalb bei Nichtbeachtung einer anwendbaren tariflichen Ausschlussfrist auch der Abgeltungsanspruch verfallen.
Rz. 24
b) Selbst wenn der Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs wie der Mindesturlaub unabdingbar wäre, würde dies die Anwendung tariflicher Ausschlussfristen nicht ausschließen. Der Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs wird nicht beseitigt. Der Arbeitnehmer wird lediglich gehalten, diesen innerhalb der tariflichen Verfallfristen geltend zu machen. Ausschlussfristen können auch für unabdingbare Ansprüche gelten (vgl. BAG 19. Februar 2008 – 9 AZR 1091/06 – Rn. 16 und 51 ff., BAGE 126, 12).
Rz. 25
4. Die Anwendung von tariflichen Ausschlussfristen verstößt nicht gegen Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie. Sie ist insbesondere mit Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie und den hierzu vom Gerichtshof der Europäischen Union aufgestellten Grundsätzen vereinbar (so auch die überwiegende Meinung in der Rechtsprechung der LAG und im Schrifttum: vgl. LAG Hamm 16. Juni 2011 – 16 Sa 1089/10 – juris Rn. 55; LAG Niedersachsen 14. Dezember 2010 – 13 Sa 1050/10 – juris Rn. 21; LAG Köln 16. November 2010 – 12 Sa 375/10 – juris Rn. 24; LAG Niedersachsen 13. August 2010 – 6 Sa 409/10 – juris Rn. 32; LAG München 24. Juni 2010 – 4 Sa 1029/09 – juris Rn. 31; LAG Düsseldorf 23. April 2010 – 10 Sa 203/10 – juris Rn. 39, LAGE BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 27a; ErfK/Dörner/Gallner § 7 BUrlG Rn. 65; AnwK-ArbR/Düwell § 13 BUrlG Rn. 36; Arnold/Tillmanns/Zimmermann § 13 Rn. 39 und 46; Boecken/Jacobsen ZTR 2011, 267, 276; Wulfers ZTR 2010, 180, 183; Bauer/Arnold NJW 2009, 631, 635; Picker ZTR 2009, 230, 239; Gaul/Bonanni/Ludwig DB 2009, 1013, 1016).
Rz. 26
a) Nach der Entscheidung des EuGH vom 20. Januar 2009 ist zwar Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie dahin auszulegen, “dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen für nicht genommenen Jahresurlaub am Ende des Arbeitsverhältnisses keine finanzielle Vergütung gezahlt wird, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraums und/oder Übertragungszeitraums oder eines Teils davon krankgeschrieben bzw. im Krankheitsurlaub war und deshalb seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht ausüben konnte” (EuGH 20. Januar 2009 – C-350/06 und C-520/06 – [Schultz-Hoff] Rn. 62, Slg. 2009, I-179). Dabei sind die Begriffe “einzelstaatliche Rechtsvorschriften und/oder einzelstaatliche Gepflogenheiten” im Sinne von Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG weit zu verstehen. Erfasst werden insbesondere auch tarifvertragliche Regelungen (vgl. auch Gaul/Bonanni/Ludwig DB 2009, 1013, 1016).
Rz. 27
b) Diese Auslegung des Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie bedingt nicht, dass tarifliche Ausschlussfristen auf den Urlaubsabgeltungsanspruch keine Anwendung finden dürfen. Denn der EuGH hat ferner in seiner Entscheidung zu Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie ausgeführt, dass dieser grundsätzlich einer nationalen Regelung nicht entgegenstehe, wonach für die Ausübung des mit dieser Richtlinie ausdrücklich verliehenen Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub gewisse Modalitäten zu beachten seien. Dies gelte selbst dann, wenn diese Modalitäten den Verlust des Anspruchs am Ende eines Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums beinhalteten. Insoweit sei alleinige Voraussetzung, dass der Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit gehabt hätte, den ihm mit der Richtlinie verliehenen Anspruch auszuüben (vgl. EuGH 20. Januar 2009 – C-350/06 und C-520/06 – [Schultz-Hoff] Rn. 43, Slg. 2009, I-179; ihm folgend: BAG 24. März 2009 – 9 AZR 983/07 – Rn. 48, BAGE 130, 119).
Rz. 28
c) Diese von der Richtlinie eingeräumte Gestaltungsfreiheit hinsichtlich der Ausübung des Urlaubsanspruchs gilt gleichermaßen für den aus Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG folgenden Anspruch auf eine finanzielle Vergütung. Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie soll lediglich verhindern, dass dem Arbeitnehmer wegen der Unmöglichkeit der Urlaubsnahme aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses jeder Genuss des bezahlten Jahresurlaubs, sei es auch nur in finanzieller Form, verwehrt wird (vgl. EuGH 20. Januar 2009 – C-350/06 und C-520/06 – [Schultz-Hoff] Rn. 56, Slg. 2009, I-179).
Rz. 29
d) Diesem Zweck stehen nationale Regelungen über Ausübungsmodalitäten, selbst wenn sie bei Nichtbeachtung zum Verlust des Anspruchs führen können, solange nicht entgegen, wie der Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit behält, das ihm mit der Richtlinie 2003/88/EG verliehene Recht auf Urlaubsabgeltung auszuüben. Die Entstehung der finanziellen Vergütung aus Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie wird durch eine Ausschlussfrist gerade nicht von einer weiteren Voraussetzung abhängig gemacht. Tarifliche Ausschlussfristen betreffen nämlich nicht den Inhalt eines Anspruchs, sondern regeln vielmehr lediglich den Fortbestand eines bereits entstandenen Rechts (vgl. BAG 26. September 2007 – 5 AZR 881/06 – Rn. 14, AP TVG § 1 Tarifverträge: Betonsteingewerbe Nr. 8). Sie beziehen sich daher gerade nicht auf das Recht als solches, sondern lediglich auf dessen Geltendmachung. Die zeitliche Begrenzung des Urlaubsabgeltungsanspruchs durch das Erfordernis der rechtzeitigen Geltendmachung aufgrund einer tariflichen Ausschlussfrist ändert deshalb auch nichts daran, dass es dem Arbeitnehmer selbst bei über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus fortbestehender Arbeitsunfähigkeit regelmäßig tatsächlich möglich ist, seinen Anspruch zu verwirklichen. Das Unionsrecht will nach den vom Gerichtshof der Europäischen Union aufgestellten Grundsätzen zu Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie nur denjenigen Arbeitnehmer schützen, der objektiv wegen Arbeitsunfähigkeit gehindert ist, seine Ansprüche zu realisieren, nicht hingegen auch den, der lediglich untätig bleibt und ohne Not Fristen versäumt (so auch: ErfK/Dörner/Gallner § 7 BUrlG Rn. 65; AnwK-ArbR/Düwell § 13 BUrlG Rn. 36).
Rz. 30
IV. Die Klägerin kann im Hinblick auf die Versäumung der tariflichen Ausschlussfrist auch keinen Vertrauensschutz in Anspruch nehmen.
Rz. 31
1. Dabei kann es vorliegend dahingestellt bleiben, ob die dargestellte langjährige Rechtsprechung des Senats zur Unabdingbarkeit (§ 13 Abs. 1 BUrlG) des Abgeltungsanspruchs hinsichtlich des gesetzlichen Mindesturlaubs aus § 7 Abs. 4 BUrlG überhaupt geeignet war, ein schutzwürdiges Vertrauen der Arbeitnehmer in deren Fortbestand zu begründen. Für die Arbeitgeber bestand mit Ablauf der Umsetzungsfrist der ersten Arbeitszeitrichtlinie 93/104/EG am 23. November 1996 bereits kein schützenswertes Vertrauen in den Fortbestand der bisherigen Senatsrechtsprechung zur Surrogatstheorie mehr (so zuletzt: BAG 23. März 2010 – 9 AZR 128/09 – Rn. 101, AP SGB IX § 125 Nr. 3 = EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 16). Ob dieser Zeitpunkt auch für Arbeitnehmer maßgeblich ist, kann ebenfalls unentschieden bleiben, da der Urlaubsabgeltungsanspruch erst im Frühjahr 2008 und damit sogar nach Bekanntwerden des Vorabentscheidungsersuchens des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf in der Sache Schultz-Hoff vom 2. August 2006 (– 12 Sa 486/06 – LAGE BUrlG § 7 Nr. 43) entstanden ist. Spätestens ab diesem Zeitpunkt konnten auch Arbeitnehmer nicht mehr davon ausgehen, dass die Senatsrechtsprechung zu den Grundsätzen der Unabdingbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs im Fall lang andauernder Arbeitsunfähigkeit unverändert fortgeführt würde (so auch LAG Düsseldorf 23. April 2010 – 10 Sa 203/10 – Rn. 47, LAGE BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 27a; zum Wegfall des Vertrauensschutzes für Arbeitgeber zu diesem Zeitpunkt: vgl. BAG 24. März 2009 – 9 AZR 983/07 – Rn. 76, BAGE 130, 119). Der Vertrauensverlust ist insoweit umfassend und betrifft nicht lediglich den einzelnen Aspekt des Erlöschens von Urlaubsabgeltungsansprüchen bei lang andauernder Arbeitsunfähigkeit. Denn jedenfalls durch das Vorabentscheidungsersuchen wurde die Rechtsprechung zur Surrogatstheorie bei andauernder Arbeitsunfähigkeit von Grund auf infrage gestellt. Es bestand spätestens ab diesem Zeitpunkt auch für Arbeitnehmer insgesamt kein Grund mehr, in die Rechtsprechung zum Urlaub und zur Urlaubsabgeltung bei lang andauernder Arbeitsunfähigkeit zu vertrauen (vgl. Grobys NJW 2009, 2177, 2179). Deshalb gilt dies auch für die Rechtsprechungsgrundsätze zum Nichteingreifen von tariflichen Ausschlussfristen.
Rz. 32
2. Gegen die Gewährung von Vertrauensschutz zugunsten der Klägerin spricht zudem, dass ihr durch die Rechtsprechungsänderung nichts genommen wird, was ihr bei Fortbestehen der bisherigen Rechtsprechung zugestanden hätte. Denn auch nach der bisherigen Rechtsprechung hätte die Klägerin keinen Anspruch auf Urlaubsabgeltung gehabt. So wäre dieser wegen der andauernden Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf des tariflichen Übertragungszeitraums des § 15 Abs. 8 MTV Einzelhandel zum 30. April 2008 erloschen.
Rz. 33
3. Die Klägerin beruft sich auch ohne Erfolg darauf, ihr Anspruch sei erst mit der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH 20. Januar 2009 – C-350/06 und C-520/06 – [Schultz-Hoff] Slg. 2009, I-179) im Sinne der Ausschlussfrist entstanden oder fällig geworden. Sie habe erst infolge dieser Entscheidung von dem Bestehen ihres Anspruchs Kenntnis erlangen können. Vorher habe es keine Veranlassung gegeben, den nach der gefestigten Rechtsprechung nicht bestehenden Anspruch geltend zu machen. Dem steht schon entgegen, dass es für den Verfall auf die Kenntnis des Bestehens eines Anspruchs regelmäßig nicht ankommt (vgl. BAG 13. Dezember 2007 – 6 AZR 222/07 – Rn. 19, BAGE 125, 216; 26. April 1978 – 5 AZR 62/77 – zu II der Gründe, AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 64 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 35). Auch § 24 MTV Einzelhandel verlangt für den Beginn der Verfallfrist nicht, dass der Berechtigte Kenntnis vom Bestehen seines Anspruchs hat. Zudem machte die Klägerin ihren Anspruch erst mit Schreiben vom 26. Juni 2009 geltend. Selbst wenn der Lauf der Ausschlussfrist erst im Januar 2009 mit der Verkündung der Entscheidung des EuGH begonnen hätte, wahrt die Geltendmachung im Juni 2009 die dreimonatige Ausschlussfrist nicht.
Rz. 34
V. Die Klägerin kann sich auch nicht auf höhere Gewalt berufen. Nach § 206 BGB ist die Verjährung gehemmt, solange der Berechtigte innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist durch höhere Gewalt an der Rechtsverfolgung gehindert ist. Diese Vorschrift wird als allgemeingültiges Rechtsprinzip auch auf tarifliche Ausschlussfristen angewandt (BAG 8. März 1976 – 5 AZR 361/75 – zu 4 a der Gründe, AP ZPO § 496 Nr. 4 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 26).
Rz. 35
1. Der Senat braucht nicht darüber zu befinden, ob diese Vorschrift auch auf eine “gefestigte anspruchsfeindliche Rechtsprechung” anzuwenden ist (vgl. BAG 7. November 2002 – 2 AZR 297/01 – zu B I 4 b dd der Gründe, BAGE 103, 290). Denn die Hemmung der tariflichen Ausschlussfrist wäre spätestens mit dem öffentlichen Bekanntwerden der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH 20. Januar 2009 – C-350/06 und C-520/06 – [Schultz-Hoff] Slg. 2009, I-179) beendet worden. Ab diesem Zeitpunkt durfte die Klägerin insgesamt nicht mehr erwarten, dass das Bundesarbeitsgericht seine ständige Rechtsprechung fortführt. Das gilt auch für das Vorbringen, die bisherige Rechtsprechung, tarifliche Ausschlussfristen auf den gesetzlichen Mindesturlaub und dessen Abgeltungsanspruch als Surrogat nicht anzuwenden (vgl. hierzu: BAG 20. Mai 2008 – 9 AZR 219/07 – Rn. 48, BAGE 126, 152), habe sie von der Geltendmachung abgehalten. Denn in der Rechtssache Schultz-Hoff hat der EuGH ausdrücklich erkannt, dass Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG dahin auszulegen ist, “dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen für nicht genommenen Jahresurlaub am Ende des Arbeitsverhältnisses keine finanzielle Vergütung gezahlt wird, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraums und/oder Übertragungszeitraums oder eines Teils davon krankgeschrieben bzw. im Krankheitsurlaub war und deshalb seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht ausüben konnte” (EuGH 20. Januar 2009 – C-350/06 und C-520/06 – [Schultz-Hoff] Rn. 62, aaO). Nach dieser verbindlichen Auslegung war das von der Surrogatstheorie aufgestellte Merkmal der Erfüllbarkeit nicht mehr mit der Arbeitszeitrichtlinie vereinbar und es musste erwartet werden, dass die Rechtsprechung den Urlaubsabgeltungsanspruch entsprechend dem Wortlaut des § 7 Abs. 4 BUrlG wie den Anspruch auf Urlaubsentgelt als reinen Geldanspruch ansieht. Für den Anspruch auf Urlaubsentgelt hatte zu dieser Zeit der Senat bereits in ständiger Rechtsprechung angenommen, dieser unterliege anders als der Anspruch auf Urlaubsgewährung dem tariflichen Verfall (vgl. BAG 19. April 2005 – 9 AZR 160/04 – zu I 2 der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bewachungsgewerbe Nr. 12 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 178; zuletzt: 21. September 2010 – 9 AZR 510/09 – Rn. 30, EzA BUrlG § 13 Nr. 61).
Rz. 36
2. Auch wenn zugunsten der Klägerin auf das Bekanntwerden der Vorabentscheidung in der Rechtssache Schultz-Hoff abgestellt würde, wäre die Geltendmachung im Juni 2009 nicht geeignet, die dreimonatige tarifliche Ausschlussfrist zu wahren. Die vorgeschriebene schriftliche Geltendmachung gegenüber der Beklagten war auch nach der verlangten Art der Geltendmachung der Klägerin möglich und zumutbar. Ob dies auch für eine zweistufige Ausschlussfrist mit der Obliegenheit zur gerichtlichen Geltendmachung gelten würde (vgl. dazu: BVerfG 1. Dezember 2010 – 1 BvR 1682/07 – EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 197), bedarf hier keiner Stellungnahme des Senats.
Rz. 37
B. Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
Unterschriften
Düwell, Suckow, Krasshöfer, W. Schmid, G. Müller
Fundstellen
Haufe-Index 2829293 |
BAGE 2013, 1 |
BB 2011, 3124 |
BB 2012, 904 |
DB 2012, 54 |