Entscheidungsstichwort (Thema)
AWbG. Freistellungserklärung des Arbeitgebers
Leitsatz (redaktionell)
Bestätigung der Auffassung im Urteil vom 21. September 1993 – 9 AZR 335/91 –
Normenkette
AWbG § 1 Abs. 1, § 7 S. 1; BGB § 133
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 25.07.1991; Aktenzeichen 4 Sa 128/91) |
ArbG Hagen (Westfalen) (Urteil vom 06.12.1990; Aktenzeichen 2 Ca 227/90) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 25. Juli 1991 – 4 Sa 128/91 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Fortzahlung des Arbeitentgelts nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen (AWbG) für die Zeit der Teilnahme an einer Bildungsveranstaltung.
Der Kläger wird von der Beklagten seit 1973 als Innendiensttechniker in deren galvanotechnischem Betrieb in S./… Westfalen mit den Aufgaben eines Service-Laborleiters beschäftigt. Mit Schreiben vom 10. Januar 1990 teilte er der Beklagten mit, er beabsichtige, in der Zeit vom 5. bis zum 9. März 1990 an der Bildungsveranstaltung „Gesundheitssicherung am Arbeitsplatz” teilzunehmen. Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 12. Januar 1990, bevor sie eine Freistellung nach AWbG vornehmen könne, bitte sie noch um Bekanntgabe des Veranstalters, der Thematik sowie des Nachweises der Anerkennung als Bildungsveranstaltung nach dem AWbG. Der Kläger gab daraufhin im Schreiben vom 20. Januar 1990 als Veranstalter die IG Chemie-Papier-Keramik Bezirk NRW an, nannte das Thema der Veranstaltung und teilte mit, daß die Veranstaltung mit Bescheid vom 13. Dezember 1989 des Kultusministers als Bildungsveranstaltung nach § 9 Satz 1 d AWbG genehmigt worden ist.
Die Beklagte antwortete dem Kläger mit Schreiben vom 2. Februar 1990:
„Bezüglich Ihres Antrages auf AWbG-Urlaub teilen wir Ihnen mit, daß wir Sie in der Zeit vom 5.3.–9.3.1990 zwar freistellen, die Lohnfortzahlung jedoch ablehnen müssen.
Die Bildungsveranstaltung in Nümbrecht an der Sie teilnehmen wollen, ist nicht für Jedermann zugängig und ist nach unserer Einschätzung eine Veranstaltung mit Zugängigkeit nur für Gewerkschaftsmitglieder. Im übrigen ist es zweifelhaft, ob diese Veranstaltung den Zweck der beruflichen und politischen Weiterbildung erfüllt. Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf § 1 AWbG.
Bezüglich der Ablehnung der Lohnfortzahlung verweisen wir auf die zwischenzeitlich gefällten Urteile der Arbeitsgerichte.”
Der Kläger nahm an der Veranstaltung teil. Die Beklagte verweigerte die Fortzahlung des Arbeitsentgelts. Dem Kläger entstand ein Lohnausfall in unstreitiger Höhe von 761,03 DM netto.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, ihm stehe ein Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung zu. Die Veranstaltung habe alle Voraussetzungen des AWbG erfüllt, insbesondere sei sie für jedermann zugänglich gewesen.
Das Seminar habe ihm auch für seine berufliche Tätigkeit zusätzliche neue Erkenntnisse vermittelt. So habe es dazu geführt, daß der Umgang mit Lösungsmitteln in seinem Arbeitsbereich sehr viel sparsamer geworden sei.
Mit seiner Klage hat der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 761,03 DM netto begehrt. Im Kammertermin vom 25. Oktober 1990 war der Kläger säumig. Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Versäumnisurteil abgewiesen. Der Kläger hat hiergegen fristgerecht Einspruch eingelegt.
Der Kläger hat beantragt,
das Versäumnisurteil vom 25. Oktober 1990 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 761,03 DM netto nebst 4 % Zinsen seit dem 16. Mai 1990 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
das Versäumnisurteil vom 25. Oktober 1990 aufrechtzuerhalten.
Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe nicht hinreichend dargelegt, daß die Veranstaltung den Voraussetzungen des AWbG genügt habe. Aus dem Hinweis auf das Programm ergebe sich keine Aussage über die tatsächliche Gewährleistung der Allgemeinzugänglichkeit. Die Teilnahmegebühr von 200,00 DM für nichtorganisierte Arbeitnehmer sei außerdem ein Zugangshemmnis, das teilnahmeabstoßend wirke.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 6. Dezember 1990 das Versäumnisurteil aufrechterhalten und die Berufung zugelassen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert, das Versäumnisurteil aufgehoben und der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte, das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben und die Berufung des Klägers zurückzuweisen. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I. Die zulässige Revision ist nicht begründet, denn die Beklagte ist aufgrund der von ihr gewährten Freistellung nach § 7 Satz 1 AWbG zur Fortzahlung der Vergütung verpflichtet.
1.a) Die Beklagte hat den Kläger auf seinen Antrag nach dem AWbG für die von diesem nach § 5 Abs. 1 AWbG angegebene Bildungsveranstaltung freigestellt (§ 1 Abs. 1 AWbG). Daraus folgt nach § 7 Satz 1 AWbG die Lohnfortzahlungspflicht, ohne daß es auf den Inhalt der Veranstaltung oder einen Verpflichtungswillen des Arbeitgebers zur Entgeltfortzahlung ankommt (ständige Senatsrechtsprechung; Urteile vom 9. Februar 1993 – 9 AZR 648/90 – EzA § 1 HBUG Nr. 2, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen; vom 11. Mai 1993 – 9 AZR 231/89 – EzA § 7 AWbG NW Nr. 9, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen; vom 21. September 1993 – 9 AZR 335/91 – DB 1993, 2531 und vom 19. Oktober 1993 – 9 AZR 476/91 – zur Veröffentlichung vorgesehen).
b) Die Erklärung der Beklagten vom 2. Februar 1990 ist nach § 133 BGB als Freistellung von der Arbeit zum Zwecke der Arbeitnehmerweiterbildung auszulegen.
aa) Die Auslegung einer atypischen Willenserklärung ist zwar grundsätzlich Sache des Tatsachengerichts, hat das Berufungsgericht jedoch von einer Auslegung abgesehen, und hängt die Auslegung nicht mehr von der Feststellung besonderer Umstände des Einzelfalles ab, die nur das Berufungsgericht treffen könnte, ist das Revisionsgericht befugt, die Auslegung selbst vorzunehmen (vgl. BAG Urteil vom 17. Mai 1984 – 2 AZR 161/83 – AP Nr. 3 zu § 55 BAT, zu II 3 a der Gründe). Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Dem Vorbringen der Parteien lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, daß über den im Sachverhalt wiedergegebenen Schriftwechsel hinaus weitere Verhandlungen zwischen den Parteien erfolgten oder weitere Vereinbarungen getroffen wurden. Da besondere, außerhalb der Urkunde liegende Umstände, die der Auslegung eine bestimmte Richtung geben könnten, von den Parteien nicht vorgebracht worden sind, ist der erkennende Senat selbst zur abschließenden Auslegung der Urkunde befugt (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG Urteil vom 28. Februar 1990 – 7 AZR 143/89 – BAGE 64, 220, 227 = AP Nr. 14 zu § 1 BeschFG 1985, zu II 2 a der Gründe).
bb) Nach § 133 BGB ist die Erklärung der Beklagten so auszulegen, wie sie der Empfänger aufgrund des aus der Erklärung erkennbaren Willens der Beklagten verstehen mußte.
Bei Anwendung dieses Maßstabs ist die Erklärung der Beklagten als Freistellung nach dem AWbG zu beurteilen. Hierfür spricht bereits der Wortlaut der Erklärung. Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf den Antrag des Klägers auf Freistellung nach dem AWbG mitgeteilt, daß sie den Kläger zwar freistelle, die Lohnfortzahlung jedoch ablehnen müsse. Damit hat sie für ihn erkennbar erklärt, zwar den geltend gemachten Freistellungsanspruch erfüllen zu wollen, jedoch die Fortzahlung der Vergütung zu verweigern. Die in dem Schreiben der Beklagten angeführten Gründe, die Veranstaltung sei nicht für jedermann zugänglich und es sei zweifelhaft, ob die Veranstaltung den Voraussetzungen des § 1 AWbG entspreche, dienen als Argumente für die Verweigerung der Lohnfortzahlung. Aus der Sicht des Erklärungsempfängers ist darin nicht enthalten, daß die begehrte Freistellung nach dem AWbG verweigert und statt dessen ein unbezahlter Sonderurlaub angeboten werden soll. Da im ersten Satz des Schreibens die Beklagte ausdrücklich auf eine Freistellung nach dem AWbG Bezug nimmt, scheidet schon nach dem Wortlaut die Annahme aus, sie wolle dem Kläger eine andere als die beantragte Freistellung nach dem AWbG anbieten.
2. Die Beklagte hat die Forderung mit dem Eintritt der Rechtshängigkeit mit dem gesetzlichen Zinsfuß zu verzinsen (§§ 291, 288 BGB).
II. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zutragen.
Unterschriften
Dr. Leinemann, Dörner, Düwell, Schodde, Brückmann
Fundstellen