Entscheidungsstichwort (Thema)
Tariflicher Abfindungsanspruch bei Entlassung
Leitsatz (amtlich)
- Ein Tarifvertrag kann als sogenannter mehrgliedriger Tarifvertrag von mehreren auf einer Seite handelnden Tarifvertragsparteien, also auch von mehreren Arbeitgebern, gemeinsam abgeschlossen werden. Dabei können sich diese Unternehmen nach den allgemeinen Regeln des Rechts der Stellvertretung (§§ 164 ff. BGB) durch ein drittes Unternehmen vertreten lassen.
- Die Tarifvertragsparteien sind befugt, Arbeitnehmer, die dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf einen Betriebserwerber widersprochen haben und denen deshalb gekündigt werden muß, von Abfindungsansprüchen auszuschließen.
- Eine solche Ausschlußregel verstößt nicht gegen die Freiheit der Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG). Sie steht auch nicht im Widerspruch zur Berufsausübungsfreiheit und zum Gleichbehandlungsgebot.
- Die Tarifvertragsparteien haben hiermit zumindest unter den besonderen Bedingungen der Privatisierung in den neuen Bundesländern eine von sachgerechten Gründen getragene Regelung geschaffen.
- Es bleibt offen, ob in Ausnahmefällen eine einschränkende Auslegung des Ausschlußtatbestandes geboten ist.
Normenkette
TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel; Tarifvertrag über die Qualifizierung und Milderung wirtschaftlicher Nachteile im Zusammenhang mit der Privatisierung (GPH-TV) vom 28. Januar 1991 §§ 3, 5, 8, 12; TVG § 2 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 17.11.1992; Aktenzeichen 3 Sa 165/92) |
KreisG Stralsund (Urteil vom 18.05.1992; Aktenzeichen 5 Ca 4613/91) |
Tenor
- Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 17. November 1992 – 3 Sa 165/92 – wird zurückgewiesen.
- Die Kosten der Revision hat die Klägerin zu tragen.
Von Rechts wegen !
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob die Klägerin von der Beklagten Zahlung einer Abfindung nach dem Tarifvertrag über die Qualifizierung und Milderung wirtschaftlicher Nachteile im Zusammenhang mit der Privatisierung (GPH-TV) verlangen kann, den die GPH-Gesellschaft zur Privatisierung des Handels mbH am 28. Januar 1991 mit der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen abgeschlossen hat, deren Mitglied die Klägerin ist.
Die am 3. Januar 1945 geborene Klägerin war seit dem Jahre 1960 bei der HO-Gaststätten S… tätig, zuletzt als Buffetleiterin der Gaststätte “S…”. Diese Gaststätte wurde im März 1991 von der zur Privatisierung gegründeten Beklagten auf die J… G… GmbH & Co. KG übertragen. Dieses Unternehmen wollte die Klägerin aufgrund ihrer Bewerbung zunächst in ihrer bisherigen Funktion übernehmen. In einem Gespräch mit der Personalleiterin der Erwerberin hatte die Klägerin aber darauf hingewiesen, daß sie nur noch eine kürzere Zeit im “S…” weiterarbeiten wolle. Ihr Ehemann übernehme eine andere Gaststätte, in der sie dann arbeiten werde. Daraufhin wurde der Klägerin erklärt, es lohne sich angesichts dessen nicht, für die Klägerin die einheitlich für das Bedienungspersonal der Gaststätte geplante Kleidung zu bestellen. Der Klägerin könne für die Übergangszeit eine Tätigkeit als Reinigungskraft angeboten werden. Im Hinblick darauf erklärte die Klägerin unter dem Datum des 14. März 1991 gegenüber der Beklagten, daß sie von dem neuen Erwerber der Gaststätte “S…” nicht übernommen werden wolle. Sie verbleibe im bisherigen Unternehmen der Beklagten. Wegen der Einstellung ihrer Geschäftstätigkeit kündigte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 16. April 1991 zum 30. Juni 1991.
Die Parteien streiten darum, ob die Klägerin aufgrund dieser betriebsbedingten Kündigung eine Abfindung nach dem GPH-TV verlangen kann. In diesem Tarifvertrag heißt es im hier wesentlichen wörtlich:
“§ 3 Grundsätze
Der Tarifvertrag soll dazu beitragen, daß
- Arbeitsplätze erhalten werden
- von Entlassung betroffene Arbeitnehmer durch Qualifizierungsmaßnahmen auf neue Tätigkeiten vorbereitet werden
- durch Festlegung von Abfindungen wirtschaftliche Nachteile gemindert werden.
- …
§ 5 Maßnahmen der beruflichen Bildung
- Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nicht auf einen Erwerber übergegangen ist, erhalten die Möglichkeit der beruflichen Qualifizierung. Die Arbeitnehmer sind über Qualifizierungsmöglichkeiten in geeigneter Weise zu unterrichten.
Entscheidet sich ein Arbeitnehmer für eine von der Bundesanstalt für Arbeit geförderte Qualifizierungsmaßnahme, so wird neben dem Unterhaltsgeld nach dem AFG ein monatlicher Vorschuß auf die Abfindung gemäß § 8 bezahlt. Der Vorschuß beträgt 17 % des für die Bemessung des Unterhaltsgeldes maßgebenden Einkommens.
Der Vorschuß wird für eine Dauer von bis zu 6 Monaten bezahlt. …
- …
§ 8 Abfindung
§ 12
Dieser Tarifvertrag wird für alle zur Gesellschaft gehörenden Unternehmen gemäß Anlage im Rahmen rechtsgeschäftlich begründeter Tarifführerschaft geschlossen.
Er stellt einen Einheitstarifvertrag dar, der hinsichtlich der in den obligatorischen Bestimmungen festgelegten Rechte und Pflichten nur gemeinsam ausgeübt werden kann.”
Mit ihrer am 22. Oktober 1991 zugestellten Klage hat die Klägerin einen Abfindungsbetrag nach § 8 Abs. 1 GPH-TV in Höhe von 5.154,62 DM verlangt. Sie hat geltend gemacht, sie erfülle die Anspruchsvoraussetzung einer arbeitgeberseitigen betriebsbedingten Kündigung. Ihr Widerspruch gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses schließe den Abfindungsanspruch nicht aus. An einer Qualifizierungsmaßnahme habe sie nicht teilgenommen, weil sie bei ihrem Ehemann in ihrem alten Beruf habe weiterarbeiten können. Angesichts dessen wäre jede Form der Qualifizierung eine Vergeudung von Steuermitteln gewesen.
Das unter dem 14. März 1991 gefertigte Widerspruchsschreiben stammt nach den Vortrag der Klägerin tatsächlich vom 16. April 1991. Es sei geschrieben worden, weil die Beklagte der Klägerin sonst nicht an diesem Tag zum 30. Juni 1991 gekündigt hätte.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 5.154,62 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat behauptet, das Widerspruchsschreiben der Klägerin sei auch tatsächlich am 14. März 1991 geschrieben worden. Die Beklagte hat den Standpunkt vertreten, der Widerspruch der Klägerin gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die Erwerberin der Gaststätte “S… ” schließe den geltend gemachten Abfindungsanspruch aus.
Das Kreisgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verlangt die Klägerin weiter, die Beklagte zur Zahlung der geltend gemachten Abfindung zu verurteilen. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Sie hat keinen Abfindungsanspruch nach § 8 Abs. 1 GPH-TV.
A. Der GPH-TV war auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit der Beklagten anwendbar.
I. Dieser Tarifvertrag ist rechtswirksam zustandegekommen. Dem steht nicht entgegen, daß er auf Arbeitgeberseite nicht von einem Verband oder einem einzelnen Unternehmen, sondern von der Gesellschaft zur Privatisierung des Handels mbH abgeschlossen worden ist, die hierbei mehrere Unternehmen rechtsgeschäftlich vertreten hat.
Jede Tarifvertragspartei kann sich bei Tarifvertragsverhandlungen und dem Abschluß eines Tarifvertrages nach den allgemeinen Regeln des Rechts der Stellvertretung (§§ 164 ff. BGB) durch Dritte vertreten lassen (BAGE 27, 175, 180 f. = AP Nr. 29 zu § 1 TVG, zu I 3 der Gründe). Es ist auch allgemein anerkannt, daß ein Tarifvertrag auch – als sogenannter mehrgliedriger Tarifvertrag – von mehreren auf einer Seite handelnden Tarifvertragsparteien, z.B. von mehreren einzelnen Arbeitgebern, gemeinsam abgeschlossen werden kann. Dies kann in der Form geschehen, daß mehrere rechtlich selbständige Verträge in einer Vertragsurkunde zusammengefaßt werden. Es ist aber auch möglich, daß nur ein Vertrag abgeschlossen wird, und die Tarifvertragsparteien festlegen, bestimmte Vertragsrechte nur gemeinsam auszuüben (Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., Rz 107; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rz 341 ff.; MünchArbR-Löwisch, Bd. 3, § 249 Rz 4 ff.; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 7. Aufl., S. 1495; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 2 Rz 64; Windbichler, Arbeitsrecht im Konzern, S. 470 f.).
Aus § 2 Abs. 1 TVG, der als Tarifvertragsparteien neben den Arbeitgeberverbänden nur “einzelne Arbeitgeber” nennt, ergibt sich nichts Gegenteiliges. Der hier verwendete unbestimmte Plural läßt die Zahl der als Tarifvertragsparteien Handelnden offen. Die Verwendung des Wortes “einzelne” macht nur deutlich, daß neben Arbeitgebervereinigungen auch Arbeitgeber als solche tariffähig sein sollen. Wieviele einzelne Arbeitgeber als Tarifvertragsparteien auftreten können, sagt § 2 Abs. 1 TVG nicht.
II. Der GPH-TV galt unmittelbar und zwingend zwischen den Parteien nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG.
Die Klägerin war Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen. Die Beklagte war Partei des GPH-TV. Sie gehörte zu den Unternehmen, die von der Gesellschaft zur Privatisierung des Handels mbH bei Abschluß dieses Tarifvertrages vertreten worden sind (Anlage 1 S. 4 zum GPH-TV).
B. Aus dem GPH-TV ergibt sich für die Klägerin jedoch kein Abfindungsanspruch. Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß jedenfalls der Widerspruch der Klägerin gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die Betriebsübernehmerin nach § 8 Abs. 5 GPH-TV einen Abfindungsanspruch ausschließt.
I. Es ist schon zweifelhaft, ob die Klägerin überhaupt die Anspruchsvoraussetzungen des § 8 Abs. 1 GPH-TV erfüllt.
Es ist hierfür zunächst erforderlich, daß das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht auf einen neuen Arbeitgeber übergegangen ist. Mit der Gaststätte “S…” ist aber Anfang März 1991 der Betriebsteil der Beklagten nach § 613a Abs. 1 BGB von einer Erwerberin übernommen worden, in dem die Klägerin zuletzt beschäftigt war. Damit ging an sich auch deren Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes auf die Erwerberin über. Diese Rechtsfolge ist unabhängig davon, ob der Weiterbeschäftigungsentschluß der Erwerberin erst nach einem Bewerbungsverfahren gebildet wurde. Die Rechtsfolge des § 613a Abs. 1 BGB greift unabhängig vom Willen des Erwerbers und ist auch im Beitrittsgebiet für den Arbeitgeber unabdingbar. Die Klägerin konnte zwar die Rechtsfolge des Überganges ihres Arbeitsverhältnisses durch einen Widerspruch verhindern. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die nicht im Widerspruch zum Europäischen Gemeinschaftsrecht steht (vgl. zuletzt BAG Urteil vom 7. April 1993 – 2 AZR 449/91 (B) – NZA 1993, 795, 796 f., m.w.N.; EuGH Urteil vom 16. Dezember 1992 – Rs C-132/91, 138/91 und 139/91 – AP Nr. 97 zu § 613a BGB = NZA 1993, 169). Ein solcher Widerspruch muß jedoch grundsätzlich bis zum Betriebsübergang erklärt worden sein, damit die gesetzliche Rechtsfolge des Überganges des Arbeitsverhältnisses nicht eintritt. Nur ausnahmsweise genügt ein Widerspruch innerhalb einer in ihrem Umfang noch nicht abschließend geklärten kurzen Frist nach dem Betriebsübergang (vgl. hierzu Erman/Hanau, BGB, 9. Aufl., 1. Bd., § 613a Rz 54 ff.; RGRK-BGB/Ascheid, § 613a Rz 167; Moll, NJW 1993, 2016).
Die Frage, ob ein nach dem Vortrag der Klägerin erst am 16. April 1991 erklärter Widerspruch diese Voraussetzung erfüllt hat, kann unentschieden bleiben. Ebensowenig bedarf es einer Entscheidung dazu, ob die Beklagte sich auf eine etwaige Verfristung berufen könnte, nachdem sie den Widerspruch entgegengenommen und der Klägerin gegenüber eine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen hat. Ein Abfindungsanspruch scheitert jedenfalls an § 8 Abs. 5 GPH-TV.
II. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, daß nach dieser Vorschrift der Widerspruch eines Arbeitnehmers gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses grundsätzlich jeden Abfindungsanspruch ausschließt, wenn der widersprechende Arbeitnehmer nicht an einer Qualifizierungsmaßnahme teilnimmt.
1. Bei der Auslegung des § 8 Abs. 5 GPH-TV sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats die für die Gesetzesauslegung geltenden Regeln anzuwenden. Es ist vom Wortlaut der Tarifnorm auszugehen. Ohne am Buchstaben zu haften, ist dabei der von den Tarifvertragsparteien verfolgte maßgebliche Sinn und Zweck der Vorschrift zu erforschen, soweit er in der tariflichen Regelung seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil er Hinweise auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geben kann. Verbleiben danach noch Zweifel, kann auf weitere Umstände zurückgegriffen werden, wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, die praktische Tarifübung oder auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse (BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung; Senatsurteil vom 23. September 1992 – 4 AZR 66/92 – AP Nr. 8 zu § 1 TVG Tarifverträge: Großhandel, zu I 2a der Gründe, jeweils m.w.N.).
2. Die Anwendung dieser Regeln führt zu dem vom Landesarbeitsgericht gefundenen Auslegungsergebnis.
a) § 8 Abs. 5 GPH-TV legt abschließend fest, welche tarifvertraglichen Rechte Arbeitnehmer haben, die den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf einen Betriebserwerber durch Widerspruch verhindert haben.
Satz 1 bestimmt zunächst, daß auch in diesem Fall das Recht auf Teilnahme an beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen nach § 5 GPH-TV besteht. Den Abfindungsanspruch, der nach einer vom Arbeitgeber ausgehenden Auflösung des Arbeitsverhältnisses an sich nach § 8 Abs. 1 GPH-TV zustehen würde, beschränkt § 8 Abs. 5 Satz 2 GPH-TV aber auf die sich aus § 5 Abs. 2 und § 8 Abs. 4 Buchst. b GPH-TV ergebenden Leistungen: Während der Zeit einer Qualifizierungsmaßnahme, in der der Arbeitnehmer Unterhaltsgeld bezieht, kann er nach § 5 Abs. 2 GPH-TV einen monatlichen Vorschuß auf die Abfindung nach § 8 Abs. 1 GPH-TV in bestimmter Höhe verlangen. Hat die Qualifizierungsmaßnahme mindestens zwei Monate gedauert, ist nach § 8 Abs. 4 Buchst. b GPH-TV außerdem eine Mindestrestabfindung zu zahlen, die je nach Lebensalter des Arbeitnehmers bis zu 75 % eines tariflichen Bruttomonatseinkommens beträgt. Dabei verweist § 8 Abs. 5 Satz 2 GPH-TV nicht nur auf die Rechtsfolge, sondern auch auf den Rechtsgrund dieser Vorschriften. Nur wenn die Voraussetzungen der Anspruchsnormen, auf die verwiesen wird, erfüllt sind, bestehen die betreffenden Ansprüche auch. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Verweisungsnorm sowie daraus, daß eine bloße Rechtsfolgenverweisung nicht umgesetzt werden könnte. Die in § 5 Abs. 2 und § 8 Abs. 4 Buchst. b GPH-TV genannten Rechtsfolgen hängen in ihrem Umfang u.a. davon ab, wie lange der Arbeitnehmer tatsächlich an einer geförderten Qualifizierungsmaßnahme teilgenommen hat. Für die Arbeitnehmer, die dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses widersprochen, aber nicht an einer Qualifizierungsmaßnahme teilgenommen haben, ist damit nach § 8 Abs. 5 Satz 2 GPH-TV jeder Abfindungsanspruch ausgeschlossen. Bei denjenigen, die sich nach einem Widerspruch beruflich weiterqualifiziert haben, ist der Abfindungsanspruch der Höhe nach auf die Vorschüsse und die Mindestrestabfindung beschränkt.
Dieses Auslegungsergebnis entspricht dem im tariflichen Gesamtzusammenhang zum Ausdruck gekommenen Regelungszweck. Nach § 3 GPH-TV soll der Arbeitgeber zunächst versuchen, Arbeitsplätze zu erhalten. Dies kann angesichts der umfassenden Privatisierungsaufgabe im Bereich der Handelsorganisation (HO) nur in der Form der Veräußerung von Betrieben oder Betriebsteilen an Private geschehen. Gelingt dies nicht, sollen die wirtschaftlichen Nachteile des Arbeitsplatzverlustes durch Abfindungszahlungen gemindert werden. Mit diesem Regelungsziel stimmt es überein, daß Arbeitnehmer grundsätzlich keine Abfindung erhalten, wenn sie freiwillig auf einen durch Veräußerung des Beschäftigungsbetriebes erhaltenen Arbeitsplatz verzichten.
b) Die Klägerin vertritt demgegenüber zu Unrecht die Auffassung, nach § 8 Abs. 5 Satz 2 GPH-TV könne derjenige, der an einer Qualifizierungsmaßnahme teilnehme, nur die eingeschränkten Leistungen nach § 5 Abs. 2 und § 8 Abs. 4 Buchst. b GPH-TV erhalten, während demjenigen, der sich gegen eine solche Qualifizierung entscheidet, der uneingeschränkte Abfindungsanspruch nach § 8 Abs. 1 GPH-TV erhalten bleiben soll.
Diese Auslegung steht nicht nur im Widerspruch zu Wortlaut und Systematik des § 8 Abs. 5 Satz 2 GPH-TV. Sie ist auch nicht mit dem in § 3 GPH-TV weiter zum Ausdruck gekommenen Regelungsziel in Übereinstimmung zu bringen, die von Entlassung bedrohten Arbeitnehmer durch Qualifizierungsmaßnahmen möglichst weitgehend auf eine neue Tätigkeit vorzubereiten. Diese Zielvorstellung schließt es aus, Arbeitnehmer, die sich dem Regelungsziel gemäß verhalten, schlechter zu stellen, als diejenigen, die dem nicht entsprechen.
III. In dieser Auslegung begegnet § 8 Abs. 5 Satz 2 GPH-TV keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Dabei kann die Streitfrage offenbleiben, in welcher Intensität und auf welchem konstruktiven Weg die Grundrechte auf Tarifnormen einwirken (vgl. hierzu zuletzt Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., Rz 411 ff.; MünchArbR-Richardi, Bd. 3, § 233 Rz 42 f., jeweils m.w.N.). Ein Verfassungsverstoß besteht auch bei unmittelbarer und umfassender Grundrechtsgeltung nicht.
1. Es gibt keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, daß Arbeitnehmer trotz der vom Arbeitgeber ausgehenden Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses nach § 8 Abs. 5 Satz 2 GPH-TV grundsätzlich dann keine Abfindung erhalten, wenn sie den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf einen Betriebserwerber durch Widerspruch verhindert haben.
Durch diese Regelung wird nicht in die Freiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG eingegriffen, einen bestimmten Beruf zu wählen oder dies zu unterlassen. Es kommt nur eine Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit in Betracht. Dies bedarf keiner abschließenden Beurteilung. Ein etwaiger Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit wäre sachlich gerechtfertigt.
a) Ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsplatz aufgrund einer Betriebs- oder Betriebsteilveräußerung an sich erhalten werden konnte, nimmt mit seinem Widerspruch den Verlust des Arbeitsverhältnisses bewußt in Kauf. Die am GPH-TV beteiligten Unternehmen sind als Teile der früheren Handelsorganisation (HO) zur Privatisierung gegründet worden. Mit der Erreichung dieses Zwecks sind sie zu liquidieren. Es besteht deshalb in diesen Unternehmen von vornherein erkennbar keine Möglichkeit zur Beschäftigung auf Dauer. Vor diesem Hintergrund konnten die Tarifvertragsparteien ohne Verstoß gegen höherrangiges Recht davon ausgehen, daß bei einem Arbeitnehmer, der freiwillig durch Widerspruch auf seinen bisherigen Arbeitsplatz verzichtet, mit dem Arbeitsplatzverlust regelmäßig ein wesentlich geringerer wirtschaftlicher Nachteil auszugleichen ist, als bei einem Arbeitnehmer, dem nach gescheiterter Privatisierung gekündigt werden muß. Zumindest unter den besonderen Bedingungen im Beitrittsgebiet ist es nicht zu beanstanden, wenn § 8 Abs. 5 Satz 2 GPH-TV die Arbeitnehmer, die den ihnen an sich erhaltenen Arbeitsplatz nicht in Anspruch nehmen wollen, grundsätzlich von jedem Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile wegen des Arbeitsplatzverlustes ausnimmt. Die für den grundlegenden und umfassenden Umbau der Wirtschaftsordnung in den neuen Bundesländern zur Verfügung stehenden Mittel sind begrenzt und können deshalb auch gezielt dort eingesetzt werden, wo von einem erheblichen Ausgleichsbedarf ausgegangen werden kann.
b) Die Regelung des § 8 Abs. 5 Satz 2 GPH-TV steht auch nicht im Widerspruch zu der verfassungsrechtlich nach Art. 1 und Art. 12 GG geschützten Rechtsposition des Arbeitnehmers, die Grund dafür war, ihm im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang nach § 613a BGB ein Recht zum Widerspruch gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses einzuräumen.
Dieses Recht besteht, damit ein Arbeitnehmer sich bei dem mit einem Wechsel des Arbeitgebers verbundenen rechtsgeschäftlichen Betriebsübergang frei für oder gegen die Beibehaltung des bisherigen Arbeitsplatzes entscheiden kann (zuletzt: BAG Urteil vom 7. April 1993 – 2 AZR 449/91 (B) – NZA 1993, 795, 796 f., m.w.N.). Daraus folgt aber nicht, daß das aufgrund der freien Entscheidung des Arbeitnehmers erhalten gebliebene Arbeitsverhältnis zum Betriebsveräußerer in jedem Falle ebenso behandelt werden müßte, wie das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers, der die Möglichkeit nicht hatte, sein Arbeitsverhältnis mit einem Betriebserwerber fortzusetzen. Das Recht der Europäischen Gemeinschaft, auf das die Regelung des § 613a BGB zurückgeht, enthält hierfür keine Vorgaben (EuGH Urteil vom 16. Dezember 1992 – Rs C-132/91, 138/91, 139/91 – AP Nr. 97 zu § 613a BGB = NZA 1993, 169 f.). Eine Gleichbehandlung ist auch im nationalen Recht nicht geboten. In seinem Urteil vom 7. April 1993 (NZA 1993, 795, 798) hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts entschieden, daß die Grundsätze der sozialen Auswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG nur eingeschränkt Anwendung finden im Verhältnis zwischen einem Arbeitnehmer, der dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf einen Betriebserwerber widersprochen hat, und einem Arbeitnehmer, für den keine Möglichkeit der Weiterbeschäftigung durch einen Betriebsteilübernehmer bestanden hat. Die Möglichkeit für eine differenzierte Regelung ergibt sich erst recht innerhalb eines Tarifvertrages, der ähnlich einem Sozialplan Regelungen trifft. Ein Anspruch auf eine Abfindung wird hier deshalb und in dem Umfang eingeräumt, wie aufgrund der betriebsbedingten Beendigung des Arbeitsverhältnisses typischerweise wirtschaftliche Nachteile eines Arbeitnehmers auszugleichen sind. Bei der hierfür stets erforderlichen Prognose können die Tarifvertragsparteien an die Ausübung eines Widerspruchs gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses anknüpfen und hieraus auf einen fehlenden Ausgleichungsbedarf schließen.
c) Nach dem Regelungszweck des GPH-TV und aufgrund der Wertungen der Art. 1 und 12 GG kommt allenfalls eine einschränkende Auslegung des § 8 Abs. 5 Satz 2 GPH-TV in Betracht. Man kann den Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses als abfindungsunschädlich ansehen, wenn auch ohne den Widerspruch des Arbeitnehmers dessen Arbeitsverhältnis vorhersehbar aus betrieblichen Gründen alsbald geendet hätte. Dieselbe Rechtsfolge ist denkbar, wenn der Widerspruch maßgeblich aus sachlich gerechtfertigten Gründen im Betrieb, in der Person oder in einem Verhalten des neuen Arbeitgebers erfolgte. Hierbei könnte auf die Grundsätze zurückgegriffen werden, die für die Rechtfertigung des Auflösungsantrages eines Arbeitnehmers nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG entwickelt wurden.
Die aufgeworfenen Fragen bedürfen keiner abschließenden Entscheidung. Der Widerspruch der Klägerin ist aus keinem der genannten Gründe erfolgt. Eine betriebsbedingte Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin durch die Betriebserwerberin stand nicht bevor. Die Klägerin hatte auch keine sachlich gerechtfertigten Gründe außerhalb ihrer Person für ihren Widerspruch. Sie hat zwar geltend gemacht, sie habe dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses deshalb widersprochen, weil die Erwerberin sie nicht als Büffetleiterin, sondern als Reinigungskraft habe weiterbeschäftigen wollen. Unstreitig sollte die Klägerin aber zunächst in ihrer bisherigen Funktion übernommen werden. Sie wies dann aber gegenüber der Erwerberin darauf hin, daß sie nur kurz bei ihr tätig werden wolle, weil sie bei ihrem Ehemann in dessen Gaststätte weiterzuarbeiten beabsichtige. Nur deshalb hielt es die Erwerberin für nicht sinnvoll, die einheitliche Bekleidung für das Bedienungspersonal auch für die Klägerin anzuschaffen, und bot der Klägerin die niedrigerwertige Tätigkeit für die vorübergehende Zeit bis zum Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis an. Danach widersprach dann die Klägerin dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses, wobei sie nicht behauptet, zuvor noch einmal erfolglos auf die Einhaltung ihres Arbeitsvertrages bestanden zu haben. Dieser unstreitige Geschehensablauf macht deutlich, daß die entscheidende Ursache dafür, daß das Arbeitsverhältnis nicht unverändert mit der Erwerberin fortgesetzt wurde, aus dem persönlichen Bereich der Klägerin stammte und nicht in betrieblichen Umständen lag. Damit war auch der Widerspruch der Klägerin nicht aus betrieblichen Gründen sachlich gerechtfertigt.
2. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist es auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß die Tarifvertragsparteien Arbeitnehmer, die nach einem Widerspruch gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses an einer Qualifizierungsmaßnahme teilnehmen, besser behandeln, als diejenigen, die dies nicht tun. Hierin liegt weder eine Beeinträchtigung der Freiheit der Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG), noch ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
a) Mit Art. 12 Abs. 1 GG wird die Freiheit geschützt, sich im Rahmen der persönlichen Lebensgestaltung für oder gegen einen Beruf zu entscheiden (vgl. nur Maunz/Dürig/Scholz, Grundgesetz, Stand Dezember 1992, Art. 12 Rz 477). In dieses Freiheitsrecht haben die Tarifvertragsparteien mit § 8 Abs. 5 Satz 2 GPH-TV nicht eingegriffen. Die Freiheit, einen bestimmten Beruf zu wählen, wird durch diese Vorschrift nicht beschränkt. Die Tarifvertragsparteien haben lediglich für die Arbeitnehmer, die durch ihren Widerspruch im Ergebnis von sich aus ihren bisherigen Arbeitsplatz aufgegeben haben, Anreize geschaffen, zumindest ihre Chancen am Arbeitsmarkt durch die Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen zu steigern. Sie haben zugleich auch die vorhersehbaren wirtschaftlichen Nachteile ausgeglichen, die ein Arbeitnehmer, der an einer Qualifizierung teilnimmt, gegenüber demjenigen hinnehmen muß, der einen neuen Arbeitsplatz im unmittelbaren Anschluß an sein bisheriges Arbeitsverhältnis gefunden hat.
b) Für die Ungleichbehandlung der beiden Arbeitnehmergruppen gibt es auch einen ausreichenden sachlichen Grund. Die Ungleichbehandlung ist nicht willkürlich.
Die Tarifvertragsparteien können ihrer Normsetzung eine typisierende Betrachtungsweise zugrundelegen. Danach liegt es nahe, bei Arbeitnehmern, die nach einem Widerspruch gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses an einer Qualifizierungsmaßnahme teilnehmen, davon auszugehen, daß sie mit ihrer bisherigen Qualifikation keine ausreichenden Chancen am Arbeitsmarkt sehen. Bei denen, die sich nicht weiter qualifizieren, wird dies regelmäßig anders sein. Entweder sie haben bereits eine neue Arbeitsstelle, oder sie halten ihre erreichte berufliche Leistungsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt für ausreichend, oder aber sie wollen derzeit kein neues Arbeitsverhältnis aufnehmen. In jedem dieser Fälle ist es nicht willkürlich, wenn die Teilnehmer an einer Qualifizierungsmaßnahme durch § 8 Abs. 5 Satz 2 GPH-TV besser gestellt werden.
IV. Die Klägerin kann gegenüber der Beklagten auch keine Rechte daraus herleiten, daß sie im Zusammenhang mit der betriebsbedingten Kündigung nicht persönlich und konkret auf die Möglichkeit von Qualifizierungsmaßnahmen hingewiesen worden ist.
Der hiernach ohnehin nur in Betracht kommende Schadenersatzanspruch wegen Verletzung der Pflicht aus § 5 Abs. 1 GPH-TV umfaßt das Klageziel der Klägerin nicht voll, eine Abfindung nach § 8 Abs. 1 GPH-TV zu erhalten. Ein solcher Anspruch besteht darüber hinaus schon dem Grunde nach nicht. Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin ist ihr durch eine etwaige Pflichtverletzung der Beklagten kein Schaden entstanden. Ansprüche aus § 5 Abs. 2 und § 8 Abs. 4 Buchst. b GPH-TV sind der Klägerin dadurch nicht entgangen. Auch wenn die Beklagte die Klägerin pflichtgemäß über die möglichen Qualifizierungsmaßnahmen informiert hätte, hätte die Klägerin sich nach ihrem Vorbringen nicht an einer solchen für sie nicht sinnvollen Maßnahme beteiligt, sondern die Tätigkeit in der Gaststätte ihres Ehemannes aufgenommen. Sie hätte damit auch bei pflichtgemäßem Verhalten der Beklagten die Voraussetzung für Ansprüche aus § 5 Abs. 2 und § 8 Abs. 4 Buchst. b GPH-TV nicht erfüllt.
C. Die Klägerin hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Unterschriften
Schaub, Schneider, Bepler, Dr. Reinfeld, Bruse
Fundstellen
Haufe-Index 845952 |
BB 1993, 2308 |
BB 1994, 1224 |
JR 1994, 528 |
NZA 1994, 892 |