Entscheidungsstichwort (Thema)
Zusammenfassung des Anspruchs auf Arbeitnehmerweiterbildung aus mehreren Kalenderjahren nach dem nordrhein-westfälischen AWbG
Leitsatz (redaktionell)
Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 ArbWeitBiG NW kann der Arbeitnehmer den Anspruch auf Arbeitnehmerweiterbildung von zwei Kalenderjahren zusammenfassen. Der zusammengefaßte Anspruch darf nur zur Teilnahme an einer mehr als fünftägigen Bildungsveranstaltung oder an mehreren zusammenhängenden Veranstaltungen von insgesamt mehr als fünftägiger Dauer genutzt werden.
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 07.12.1988; Aktenzeichen 3 Sa 1018/88) |
ArbG Bochum (Entscheidung vom 22.04.1988; Aktenzeichen 1 Ca 115/88) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Voraussetzungen für eine Zusammenfassung des Anspruchs auf Arbeitnehmerweiterbildung aus mehreren Kalenderjahren.
Der Kläger ist seit 1962 im B Betrieb der Beklagten, einem Automobilhersteller, beschäftigt. Seit 1975 ist er Mitglied des Betriebsrats.
Unter dem 3. November 1987 richtete der Kläger an die Beklagte folgendes Schreiben:
Betr.: Geltendmachung meines Weiterbildungsur-
laubs 1987 nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsge-
setz NRW auf das Jahr 1988.
Hiermit mache ich den Anspruch auf den mir zuste-
henden Weiterbildungsurlaub 1987 geltend. Ich
werde ihn auf das Jahr 1988 übertragen und dann
in Anspruch nehmen.
Die Beklagte erwiderte am 4. Dezember 1987 schriftlich, sie könne diesem Antrag nicht entsprechen, weil der Anspruch auf Bildungsurlaub mit Ablauf des Kalenderjahres verfalle.
Nach Einleitung des vorliegenden Verfahrens kündigte der Kläger am 9. März 1988 gegenüber der Beklagten seine Teilnahme an zwei "Arbeitnehmerweiterbildungsmaßnahmen für die Jahre 1987 und 1988" an. In diesem Schreiben heißt es u. a.:
1.) Die Bildungsmaßnahme vom 20.06.88 - 24.06.88
ist mein Anspruch für das Jahr 1988.
2.) Bei der Maßnahme vom 10.10. - 14.10.88 han-
delt es sich um meinen geltend gemachten Anspruch
aus dem Jahre 1987.
Das Thema der ersten Veranstaltung lautete "Krise der Automobilindustrie", das der zweiten "Internationale Konzerne und Gewerkschaftspolitik". Die Tagungsunterlagen waren beigefügt. Die Beklagte entgegnete wiederum, daß eine Übertragung des Bildungsurlaubsanspruchs für das Jahr 1987 auf das Kalenderjahr 1988 nicht möglich sei.
Daraufhin nahm der Kläger an der Weiterbildungsveranstaltung im Juni 1988 teil, nicht aber an der Veranstaltung im Oktober 1988.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, daß ihm der Anspruch auf Arbeitnehmerweiterbildung aus dem Jahr 1987 noch zustehe. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 AWbG NW könne der Arbeitnehmer frei wählen, ob überhaupt und ggf. ob im Vorgriff oder Rückgriff er seinen Anspruch aus 2 Kalenderjahren zusammenfasse.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger 5 Tage
Arbeitnehmerweiterbildung aus dem Jahre 1987 zu
gewähren,
hilfsweise,
festzustellen, daß dem Kläger aus dem Jahre 1987
noch 5 Tage Arbeitnehmerweiterbildung zustehen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Meinung vertreten, der Anspruch auf Arbeitnehmerweiterbildung für das Jahr 1987 sei mit Ablauf dieses Jahres verfallen. Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 2 AWbG NW lägen hier schon deshalb nicht vor, weil es dem Kläger gar nicht um die Teilnahme an einer zweiwöchigen Veranstaltung gegangen sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Der Anspruch des Klägers auf Arbeitnehmerweiterbildung für das Kalenderjahr 1987 ist spätestens mit dem 31. Dezember 1988 ersatzlos untergegangen.
1. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, der Weiterbildungsanspruch des Klägers für das Jahr 1987 sei mit dessen Ablauf erloschen, da weder die Voraussetzungen des § 3 Abs. 4, noch die des § 3 Abs. 1 Satz 2 AWbG NW vorlägen. Mit dieser letztgenannten Vorschrift solle dem Arbeitnehmer lediglich ermöglicht werden, eine längere als fünftägige Bildungsveranstaltung zu besuchen und dafür die Weiterbildungsansprüche für zwei Jahre zusammenzufassen. Mit seinem Schreiben vom 3. November 1987 habe der Kläger aber seinen Anspruch des Jahres 1987 nicht zusammengefaßt, sondern nur auf das Kalenderjahr 1988 übertragen wollen, um ihn für eine beliebige Weiterbildungsveranstaltung zu verwenden.
2. Der erkennende Senat folgt diesen Ausführungen nur zum Teil.
a) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AWbG NW haben Arbeitnehmer einen Anspruch auf Arbeitnehmerweiterbildung von fünf Arbeitstagen im Kalenderjahr. Der Anspruch auf Weiterbildung ist demnach - wie der Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz (vgl. etwa BAGE 66, 288 = EzA § 7 BUrlG Nr. 79) - befristet. Er entsteht mit Beginn des Jahres und erlischt mit seinem Ablauf, es sei denn, die Voraussetzungen des § 3 Abs. 4 oder des § 3 Abs. 1 Satz 2 AWbG NW lägen vor. Nach der erstgenannten Vorschrift "ist der Anspruch ... einmalig auf das folgende Kalenderjahr übertragen", wenn der Arbeitgeber die Arbeitnehmerweiterbildung innerhalb eines Kalenderjahres unter Berufung auf § 5 Abs. 2 AWbG NW, also auf zwingende betriebliche oder dienstliche Belange oder Urlaubsanträge anderer Arbeitnehmer, abgelehnt hat. Um einen solchen Fall handelt es sich hier nicht.
b) Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 AWbG NW kann der Anspruch auf Arbeitnehmerweiterbildung von zwei Kalenderjahren zusammengefaßt werden. Erfahrungsgemäß gibt es zahlreiche Bildungsveranstaltungen, die länger als fünf Tage dauern. Weiter gibt es Bildungsveranstaltungen von jeweils höchstens fünftägiger Dauer, die aber inhaltlich, zeitlich oder organisatorisch zusammenhängen, und die zusammen länger als fünf Tage dauern. Durch § 3 Abs. 1 Satz 2 AWbG NW soll dem Arbeitnehmer die Teilnahme an einer längeren oder an mehreren zusammenhängenden Veranstaltungen von insgesamt mehr als fünftägiger Dauer ermöglicht werden. Wie eng der Zusammenhang zwischen mehreren Veranstaltungen jeweils sein muß, bedarf hier keiner Entscheidung. Dem Gesetz läßt sich entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht entnehmen, daß der Arbeitnehmer die Ansprüche zweier Jahre nur für den Besuch einer längeren Bildungsveranstaltung zusammenfassen darf.
3. Im Gegensatz zur Auffassung der Revision ist für den Arbeitnehmer durch § 3 Abs. 1 Satz 2 AWbG NW aber auch nicht die Übertragung des Anspruchs auf Weiterbildung auf das nächste Kalenderjahr ohne weitere Voraussetzungen nach seinem Belieben eröffnet. Den hierzu von der Revision aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes gezogenen Schlüssen kommt schon deshalb keine Bedeutung zu, weil die im Entwurf enthaltene Fassung von § 3 Abs. 1 Satz 2 AWbG NW im Gesetzgebungsverfahren grundlegend verändert worden ist.
a) In § 3 Abs. 1 Satz 2 AWbG NW ist im übrigen nicht die Übertragung des Anspruchs auf Weiterbildung auf das folgende Jahr geregelt, sondern nur, daß der Arbeitnehmer die Ansprüche zweier Kalenderjahre zusammenfassen, also nicht etwa zum Besuch von voneinander thematisch unabhängigen Veranstaltungen nützen kann. Fehlt es daher an einer inhaltlichen Verbindung von Weiterbildungsmaßnahmen, ist der Arbeitnehmer nicht befugt, hierfür den von ihm mit dem Anspruch für das laufende Jahr zusammengefaßten Anspruch zu verwenden.
b) Zusammenfassen des Anspruchs auf Arbeitnehmerweiterbildung von zwei Kalenderjahren bedeutet demnach die Vereinigung beider Ansprüche zu einem Anspruch von zehn Kalendertagen, der - soweit er den Anspruch des laufenden Kalenderjahres übersteigt - nur zur Teilnahme an einer mehr als fünftägigen Bildungsveranstaltung oder an mehreren zusammenhängenden Veranstaltungen von insgesamt mehr als fünftägiger Dauer genutzt werden kann. Eine solche Zusammenfassung von Ansprüchen kommt nur in Betracht, soweit im Zeitpunkt der Erklärung des Arbeitnehmers hierzu der Anspruch auf Weiterbildung aus dem laufenden Kalenderjahr noch besteht. Daher ist es nicht möglich, im laufenden Jahr einen Anspruch aus dem Vorjahr, den ein Arbeitnehmer nicht ausgeübt hat, oder für den er nicht erklärt hat, daß er ihn mit dem Anspruch des folgenden Jahres zusammenfasse, mit dem des laufenden Jahres zu vereinigen, weil der Anspruch aus dem Vorjahr in einem solchen Fall bereits mit dem Ende des vorangegangenen Jahres erloschen ist. Um Ansprüche auf Weiterbildung von zwei Kalenderjahren zusammenzufassen, bedarf es mithin einer Erklärung des Arbeitnehmers, der zu entnehmen ist, daß er den Anspruch auf Weiterbildung nicht in diesem, sondern im nächsten Jahr wahrnehmen will. Dagegen ist nicht erforderlich, daß der Arbeitnehmer bereits zu diesem Zeitpunkt angeben müßte, zum Besuch welcher Veranstaltung oder Veranstaltungen er die Ansprüche zusammenfassen will. Hierzu reicht aus, wenn er den Arbeitgeber im folgenden Jahr rechtzeitig über die Veranstaltung oder die Veranstaltungen, an denen er teilnehmen will, unterrichtet.
4. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der Kläger hat zwar durch seine Mitteilung an den Arbeitgeber vom 3. November 1987 seinen Anspruch auf Bildungsurlaub aus dem Jahre 1987 mit dem des Jahres 1988 zusammengefaßt. Hierfür ist unbeachtlich, daß er statt des Wortes "zusammenfassen" den Ausdruck "übertragen" gebraucht hat. Vom Standpunkt der Beklagten als Empfänger dieser Erklärung war hinreichend klar, welches rechtliche Ziel der Kläger mit seiner Mitteilung verfolgte.
Der Kläger hat aber - wie sich aus seinem Schreiben vom 9. März 1988 ergibt - im Jahre 1988 nicht an einer längeren Bildungsveranstaltung oder an mehreren zusammenhängenden Bildungsveranstaltungen teilnehmen wollen, sondern an zwei Bildungsveranstaltungen, die weder inhaltlich noch zeitlich oder organisatorisch miteinander zusammenhingen. Die Beklagte war daher nicht verpflichtet, den Kläger auch für die Zeit vom 10. bis 14. Oktober 1988 zur Teilnahme an der Veranstaltung mit dem Thema "Internationale Konzerne und Gewerkschaftspolitik" freizustellen. Damit ist der Anspruch des Klägers auf Arbeitnehmerweiterbildung aus dem Jahre 1987 spätestens mit dem 31. Dezember 1988 erloschen.
5. Der Kläger hat die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Dr. Leinemann Dörner Dr. Reinecke ist
wegen Urlaubs gehindert zu
unterschreiben
Dr. Leinemann
Dr. Jesse Trümner
Fundstellen
BB 1993, 1950 |
BB 1993, 1950-1951 (LT1) |
DB 1993, 1825-1826 (LT1) |
AiB 1994, 124 (L1) |
EzB AWbG Nordrhein-Westfalen § 3, Nr 7 (LT1) |
NZA 1993, 1086 |
NZA 1993, 1086-1087 (LT1) |
SAE 1994, 53-54 (LT1) |
AP § 3 BildungsurlaubsG NRW (LT1), Nr 2 |
EzA § 3 AWbG Nordrhein-Westfalen, Nr 1 (LT1) |
VersorgVerw 1994, 15 (L) |