Entscheidungsstichwort (Thema)
Befreiende Lebensversicherung im Vorruhestand
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Vorruhestandsleistungen erlischt, wenn der Arbeitnehmer vorgezogenes Altersruhegeld oder eine vergleichbare Leistung einer Versicherung beanspruchen kann (§ 8 Abs 1 Tarifvertrag über den Vorruhestand im Baugewerbe vom 26. September 1984).
2. Hat ein Arbeitnehmer eine befreiende Lebensversicherung abgeschlossen, so braucht er diese nicht vorzeitig auf das 63. Lebensjahr fällig zu stellen, wenn ihm dies nicht zumutbar ist. Dies ist ihm nicht zumutbar, wenn seine geplante Altersversorgung wegen der versicherungsmathematischen Abschläge insgesamt gefährdet würde.
Normenkette
TVG § 1; VRG §§ 5, 2 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 01.07.1987; Aktenzeichen 12 Sa 1899/86) |
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 12.11.1986; Aktenzeichen 10 Ca 3921/86) |
Tatbestand
Der Kläger verlangt von seinem früheren Arbeitgeber Vorruhestandsleistungen.
Der am 3. März 1924 geborene Kläger ist Schwerbehinderter mit einem Grad der Erwerbsminderung von 50 v.H. Vom Beginn seines Berufslebens bis zum 31. Dezember 1967 war er insgesamt 22,33 Versicherungsjahre bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) versichert, ohne Berücksichtigung der Ersatz- und Ausfallzeiten 15 Jahre und acht Monate. Mit Wirkung vom 1. Januar 1968 wurde er auf seinen Antrag wegen Überschreitens der Pflichtversicherungsgrenze von der Versicherungspflicht befreit. Er schloß bei der Allianz Lebensversicherung eine befreiende Lebensversicherung ab, die am 1. Januar 1989 fällig wird.
Am 31. Dezember 1984 beendete der Kläger sein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten und trat in den Vorruhestand. Er bezog ein Vorruhestandsgeld in Höhe von 3.815,86 DM, das die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes, die auf seiten der Beklagten dem Rechtsstreit beigetreten ist, erstattete. Im Juli 1986 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß sie nur noch bis zum 31. März 1987 Vorruhestandsgeld zahle. Die Zusatzversorgungskasse habe angekündigt, sie werde zu diesem Zeitpunkt die Erstattung einstellen. Zur Rechtfertigung der Einstellung berief sich die Streithelferin darauf, daß einem Versicherten, dessen Altersversorgung sich aus einem Rentenanspruch gegen den gesetzlichen Rentenversicherungsträger und einer befreienden Lebensversicherung zusammensetze, zuzumuten sei, mit dem 63. Lebensjahr die befreiende Lebensversicherung in Anspruch zu nehmen. Die Leistungen der befreienden Lebensversicherung stellten die Hauptversorgung dar. Das führte zum Erlöschen des Anspruchs auf Vorruhestandsgeld. Nach Auskünften der Bundesversicherungsanstalt und der Allianz Lebensversicherung betrugen die Werte der Rentenanwartschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung am 25. Juli 1985 1.137,40 DM und in der befreienden Lebensversicherung ab 1. April 1987 814,-- DM.
Aufgrund der Mitteilung der Beklagten meldete sich der Kläger arbeitslos. Nach dem Bewilligungsbescheid des Arbeitsamtes Düsseldorf bezog der Kläger ab 1. Oktober 1986 für 572 Tage Arbeitslosengeld in Höhe von 466,80 DM wöchentlich. Gegenüber der Beklagten verzichtete er auf Vorruhestandsgeld für die Zeit vom 1. Oktober 1986 bis 31. März 1987 unter der Bedingung, daß er in dem inzwischen anhängigen Verfahren auf Vorruhestandsleistungen unterliegen werde.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, daß ein Anspruch auf Vorruhestandsgeld nicht mit dem 31. März 1987 erloschen sei, weil er aus der befreienden Lebensversicherung keine der Altersversorgung vergleichbare Leistung beziehen könne. Um nicht auf den Satz eines Sozialhilfeempfängers abzusinken, habe er sich arbeitslos melden müssen. Jedoch seien seine Bezüge aus der Arbeitslosenversicherung monatlich um 966,11 DM geringer als das von der Beklagten bezogene Vorruhestandsgeld. Für die Zeit vom 1. Oktober 1986 bis 31. Dezember 1986 stehe ihm mithin ein Betrag von 2.898,33 DM zu. Weiterhin bedürfe es der Feststellung, daß die Beklagte auch über den 31. Dezember 1986 hinaus zur Zahlung von Vorruhestandsgeld verpflichtet sei. Vorsorglich müsse er jedoch noch Hilfsanträge stellen, wenn das Gericht die Auffassung vertrete, daß die Feststellungsklage teilweise unzulässig sei. Mit dem ersten Hilfsantrag verlange er die Zahlung des monatlichen Ausfalls für die Zeit vom 1. Oktober 1986 bis 30. April 1987 (7 x 966,11 DM) = 6.762,77 DM und erhebe darüber hinaus Klage auf zukünftige Leistung für die Zeit ab 1. Mai 1987. Mit dem äußerst hilfsweise gestellten Antrag verlange er statt der Klage auf zukünftige Leistung Feststellung der Zahlungsverpflichtung der Beklagten.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an den
Kläger für die Monate Oktober bis De-
zember 1986 je 966,11 DM netto, ins-
gesamt also 2.898,33 DM netto zu zah-
len,
2. festzustellen, daß die Beklagte ver-
pflichtet ist, auch für die Monate Ja-
nuar bis März 1987 sowie über den Mo-
nat März 1987 hinaus Vorruhestandsgeld
nach dem Tarifvertrag für den Vorruhe-
stand im Baugewerbe vom 26. September
1984 zu zahlen,
hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen,
1. an den Kläger 6.762,77 DM und 4 %
Zinsen seit dem 1. April 1987 zu zah-
len,
2. an den Kläger darüber hinaus auch ab
Mai 1987 fortlaufend Vorruhestands-
geld nach dem Tarifvertrag über den
Vorruhestand im Baugewerbe vom 26.
September 1984 zu zahlen,
äußerst hilfsweise
festzustellen, daß die Beklagte verpflich-
tet ist, auch für die Zeit ab Mai 1987 fort-
laufend Vorruhestandsgeld nach dem Tarifver-
trag über den Vorruhestand im Baugewerbe vom
26. September 1984 zu zahlen.
Die Beklagte und ihre Streithelferin haben beantragt, die Klage abzuweisen. Sie haben vorgetragen, daß der Kläger als Schwerbehinderter bereits mit dem 60. Lebensjahr habe in den Ruhestand treten können. Nach dem Vorruhestandstarifvertrag entfalle bereits zu diesem Zeitpunkt der Anspruch auf Vorruhestandsgeld. Die Tarifvertragsparteien hätten jedoch beschlossen, den Dienstblatt-Runderlaß der Bundesanstalt für Arbeit anzuwenden. Danach müsse der Kläger mit dem 63. Lebensjahr die Leistungen der befreienden Lebensversicherung beanspruchen. Wenn die Leistungen nicht ausreichten, hätte er auf den Vorruhestand verzichten müssen.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte für die Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1986 zur Zahlung von 2.898,33 DM Vorruhestandsgeld verurteilt und weiter festgestellt, daß die Beklagte für die Folgezeit Vorruhestandsgeld zu zahlen habe. Auf die Berufung der Beklagten und der Streithelferin hat das Landesarbeitsgericht die geänderten und erweiterten Klageanträge und Hilfsanträge abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, mit der er seine zuletzt gestellten Hauptanträge zusammengefaßt hat.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist zum Teil begründet. Der Kläger kann von der Beklagten bis zum 31. Dezember 1988 die vollen und danach bis zum 31. März 1989 anteilige Vorruhestandsleistungen verlangen.
I. Die Klage ist mit den beiden Hauptanträgen zulässig.
Mit dem Klageantrag zu 1) verlangt der Kläger für die Zeit von Oktober bis Dezember 1986 Vorruhestandsgeld. Dieser Antrag ist bestimmt genug (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZP0) und als Leistungsantrag ohne weitere Prüfung eines Rechtsschutzinteresses zulässig. Aber auch gegen den Feststellungsantrag zu 2) bestehen keine Bedenken. Nach § 256 Abs. 1 ZP0 kann auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, daß das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird. Der Kläger begehrt mit dem Klageantrag zu 2), wie sich im Wege der Auslegung ergibt, die Feststellung eines Anspruchs auf Vorruhestandsleistungen. An dieser Feststellung besteht ein rechtliches Interesse. Es ist zwischen den Parteien umstritten, ob der Bezug privater Versicherungsleistungen zum Erlöschen des Anspruches geführt hat. Eine Leistungsklage für die Zeit ab Januar 1987 war bei Klageerhebung noch nicht möglich. Eine Klage auf zukünftige Leistung (§ 257 ZP0) steht einer Feststellungsklage nicht entgegen (BGH NJW 1986, 2507, mit weiterem Nachweis). Soweit während der Dauer des Rechtsstreits Forderungen fällig geworden sind, brauchte der Kläger nicht zur Leistungsklage überzugehen (BGH NJW 1978, 470).
II. Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Vorruhestandsleistungen.
Ein Anspruch auf Vorruhestandsgeld entsteht, wenn der Arbeitnehmer 58 Jahre alt ist, persönlich bestimmte Wartezeiten erfüllt hat, innerhalb der letzten fünf Jahre vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses mindestens 1.080 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hat und dem Betrieb unmittelbar vor Beginn des Vorruhestandes ununterbrochen mindestens 12 Monate als vom Geltungsbereich des Vorruhestandstarifvertrages erfaßter Arbeitnehmer angehört hat (§ 2 Abs. 2 VRTV-Bau).
Der am 3. März 1924 geborene Kläger war am 31. Dezember 1984 bereits über 60 Jahre alt. Er erfüllte nach der übereinstimmenden Annahme der Parteien und der Zusatzversorgungskasse auch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen bis zum 30. September 1986.
III. Der Anspruch des Klägers auf Vorruhestandsleistungen ist nicht mit dem 30. September 1986 erloschen.
1. Der Anspruch besteht bis zum 31. Dezember 1988 in voller Höhe.
Der Anspruch auf Vorruhestandsleistungen erlischt mit Ablauf des Kalendermonats vor dem Monat, von dem an der ausgeschiedene Arbeitnehmer Altersruhegeld vor Vollendung des 65. Lebensjahres oder eine andere der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b und Abs. 2 VRG genannten Leistungen beanspruchen kann (§ 8 Abs. 1 VRTV-Bau).
a) Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 b VRG erlischt der Anspruch auf Vorruhestandsleistungen, wenn der Arbeitnehmer vor Vollendung des 65. Lebensjahres Altersruhegeld, Knappschaftsausgleichsleistungen oder sonstige Bezüge öffentlich-rechtlicher Art beanspruchen kann. Aus der gesetzlichen Sozialversicherung konnte der Kläger kein vorgezogenes Altersruhegeld wegen Erreichens des 63. Lebensjahres oder als anerkannter Schwerbehinderter beziehen, da er die Rahmenfrist von 35 Jahren nicht erfüllte (§ 25 Abs. 1, 7 Satz 1 AVG; § 1248 RV0). Für einen Anspruch auf sonstige öffentlich- rechtliche Leistungen gibt es keine Anhaltspunkte.
b) Den in § 2 Abs. 1 Nr. 1 b VRG bezeichneten Leistungen, die zum Erlöschen des Anspruchs auf Vorruhestandsleistungen führen, stehen vergleichbare Leistungen einer Versicherung oder Versorgungseinrichtung oder eines Versorgungsunternehmens gleich, wenn der Arbeitnehmer in der vorhergehenden Beschäftigung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung befreit war (§ 2 Abs. 2 VRG).
Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß der Kläger seit dem 1. Januar 1968 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit war, da sein Einkommen die Versicherungspflichtgrenze überschritten und er seine Freistellung beantragt hatte (Art. 2 § 1 AnVNG).
c) Nach dem Versicherungsvertrag werden die Leistungen aus der befreienden Lebensversicherung erst am 1. Januar 1989 fällig.
Die Entscheidung in diesem Rechtsstreit hängt deshalb davon ab, ob dem Kläger zuzumuten war, die Lebensversicherung vorzeitig fällig zu stellen. Denn nach § 8 VRTV-Bau hat der Arbeitnehmer frühestmöglich den Antrag auf Altersruhegeld oder auf andere der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) und Abs. 2 VRG genannten Leistungen - hier Antrag auf Auszahlung der Versicherungssumme - zu stellen.
Ob der Kläger nach dem Inhalt seines Versicherungsvertrages die Möglichkeit hatte, die vorzeitige Fälligkeit der befreienden Lebensversicherung herbeizuführen, hat das Landesarbeitsgericht nicht aufgeklärt. Aber selbst wenn ihm dies rechtlich möglich war, konnte die Beklagte dies vom Kläger nicht verlangen. Ein Arbeitnehmer braucht nur dann einen Antrag auf Auszahlung der Versicherungssumme aus der befreienden Lebensversicherung zu stellen, wenn ihm dieser Antrag auch zumutbar ist. Dies war aber bei dem Kläger nicht der Fall. Der Kläger hätte durch einen derartigen Antrag die finanzielle Basis seiner Altersversorgung zerstört.
In der gesetzlichen Rentenversicherung kann vorgezogenes Altersruhegeld verlangt werden, wenn der Versicherte das 63. Lebensjahr vollendet hat und eine Wartezeit von 35 Versicherungsjahren erfüllt hat (§ 1248 Abs. 1, 7 RV0; § 25 Abs. 1 AVG). Ein Anspruch kommt mithin nur dann in Betracht, wenn lange Versicherungszeiten zurückgelegt worden sind. Da die Rentenberechnung vor allem von der Dauer der Versicherungszeit abhängt (§ 1254 RV0; § 31 AVG), werden sich im allgemeinen die durch eine vorgezogene Antragstellung bedingten Rentenminderungen in einem vertretbaren Rahmen halten. Die Rente wird nur ratierlich gekürzt. Der Kläger müßte - nach einer überschlägigen Berechnung - mit einer Kürzung der Rente um 2/37 rechnen.
Anders ist es dagegen in der befreienden Lebensversicherung. Bei vorzeitiger Inanspruchnahme der Versicherungsleistungen muß der Versicherte in Kauf nehmen, daß seine Ansprüche um versicherungsmathematische Abschläge gekürzt werden. Nach einer Stellungnahme des Verbandes der Lebensversicherungsunternehmen e.V. wird die Versicherungssumme einer Kapitalversicherung um 39 % bis 43 % gekürzt, wenn der Versicherungsnehmer sie fünf Jahre früher in Anspruch nimmt als vereinbart. Wählt der Versicherungsnehmer die Auszahlung in Form der Rente, muß er mit Abschlägen zwischen 46 % und 30 % rechnen. Die Kürzung beträgt noch 19 bis 21 % bei Kapitalversicherungen und 23 bis 25 % bei verrenteten Versicherungen, wenn sie um zwei Jahre früher beansprucht werden. Diese Abschläge mögen aus versicherungsmathematischen Grundsätzen geboten sein. Sie machen aber eine 20 Jahre zurückliegende Versorgungsplanung zunichte.
Der Einwand der Beklagten, unter diesen Umständen habe der Kläger nicht in den Vorruhestand treten dürfen, ist nicht berechtigt. Der mit dem Vorruhestandstarifvertrag verfolgte Zweck, weitere Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen, kann nur erreicht werden, wenn ältere Arbeitnehmer - allerdings unter zumutbaren Bedingungen - aus dem Arbeitsleben ausscheiden und Arbeitsplätze frei machen.
2. Der Anspruch auf Vorruhestandsgeld erlischt mit dem 31. Dezember 1988 zum Teil.
a) Die gesamte Versorgung des Klägers besteht aus einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die er mit Erreichen des 65. Lebensjahres beanspruchen kann (§ 25 Abs. 5 AVG; § 1248 Abs. 5 RV0) und der ersetzenden Lebensversicherung, die am 1. Januar 1989 fällig wird.
Aus dem Wortlaut von § 8 VRTV-Bau ergibt sich nicht unmittelbar, ob der Anspruch in vollem Umfang erlischt, wenn der Vorruheständler sowohl die eine als auch die andere Versorgungsleistung erhält. Dasselbe gilt auch für den Erstattungsanspruch des Arbeitgebers auf Vorruhestandsgeld gegen die Bundesanstalt für Arbeit (§ 2 Abs. 1 VRG). Im Schrifttum wird zum Teil angenommen, daß § 2 Abs. 1 Nr. 1 b und § 5 VRG bezogen auf den Zeitpunkt, zu dem der Anspruch erlöschen soll, eine Regelungslücke enthält (vgl. Schenke in Andresen/Barton/Kuhn/Schenke, VRG, Stand 1. Februar 1987, Teil 6 Rz 24; Grüner/Dalichau, VRG, Stand 1. September 1988, § 2 Anm. III 5). Jedenfalls sind zum Anspruch des Arbeitgebers gegen die Bundesanstalt für Arbeit auf Erstattung von Vorruhestandsgeld verschiedene Versuche unternommen werden, den Erlöschenstatbestand näher zu bestimmen.
b) Die Bundesanstalt für Arbeit hat in einem Dienstblatt-Runderlaß vom 14. Juni 1985 (82/85) den Erlöschenstatbestand eines Erstattungsanspruchs wie folgt bestimmt:
...
3.1 Ist ein sog. befreiender Lebensversicherungsver-
trag auf ein vor dem 65. Lebensjahr liegendes
Endalter abgeschlossen (z.B. 62. oder 63. Le-
bensjahr) oder wird ein solcher Versicherungs-
vertrag vor seiner Fälligkeit in Anspruch genom-
men, so endet der Anspruch auf Zuschuß zu den
Vorruhestandsleistungen und der auf Vog gem. § 9
mit der Fälligkeit des Versicherungsvertrages bzw.
der tatsächlichen Inanspruchnahme, wenn die Ver-
sicherung zugleich die Hauptversorgung darstellt.
Das ist der Fall, wenn die zeitliche Dauer des
Versicherungsvertrages bis zu der tatsächlichen
oder zumutbaren Inanspruchnahme länger ist als
die Zeit des Bestehens einer beitragspflichtigen
Beschäftigung in der gesetzlichen Rentenversi-
cherung (ohne Ausfall- und Ersatzzeiten). Der er-
ste Wert ergibt sich aus dem Versicherungsvertrag,
der zweite aus der Auskunft des gesetzlichen Ver-
sicherungsträgers über die Rentenanwartschaft
(§ 104 AVG). Wird die Hauptversorgung durch die
Inanspruchnahme der Versicherung nicht gewährlei-
stet, besteht der Anspruch auf Zuschuß zu den Vor-
ruhestandsleistungen und der auf Vog längstens bis
zur Vollendung des 65. Lebensjahres.
c) Dieser Rechtsauffassung vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen. Der Erlaß hat als Verwaltungsanordnung keine die Gerichte oder die Bürger bindende Wirkung. Er ist nicht im Rahmen der der Bundesanstalt für Arbeit zugewiesenen Selbstverwaltungsaufgaben ergangen.
Aus dem VRG und dem VRTV-Bau lassen sich keine hinreichenden Anhaltspunkte gewinnen, daß der gesamte Anspruch auf Vorruhestandsgeld bzw. der Erstattungsanspruch des Arbeitgebers gegen die Bundesanstalt für Arbeit erlischt, wenn der Vorruheständler nur einen Teil seiner Altersversorgung erhält. Es mag sein, daß § 8 VRTV-Bau (Erlöschen und Ruhen des Anspruchs eines Arbeitnehmers) in enger Anlehnung an § 5 VRG (Erlöschen und Unterbrechung des Anspruchs auf Erstattung der Arbeitgeberleistung gegen die Bundesanstalt für Arbeit) formuliert worden ist und daß § 5 VRG seinerseits an § 118 AFG (Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld) angelehnt worden ist. Das Bundessozialgericht mag auch bei ausländischen öffentlichen Teilrenten von einem Erlöschen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld ausgegangen sein (BSGE 43, 26). Hieraus ist aber nichts für die Auslegung von § 5 VRG und die sich daran anschließenden Tarifverträge abzuleiten. Die zu § 118 AFG ergangene Rechtsprechung hat ihren Rechtsgrund darin, daß Leistungen der Arbeitslosenversicherung nicht zum Ausgleich anderer Rentensysteme dienen sollen (BAG Urteil vom 17. Mai 1988 - 3 AZR 419/87 -, zur Veröffentlichung vorgesehen, zu II 3 b der Gründe).
Die Aufteilung der Altersversorgung in eine Haupt- und Nebenversorgung mit der Wirkung, daß der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Vorruhestandsgeld im Falle der Hauptversorgung in vollem Umfang erlischt, verstößt gegen allgemeine Grundsätze des Zivil- und Arbeitsrechts und gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Nach § 362 BGB erlischt das Schuldverhältnis, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger erbracht wird. Wird nur eine Teilleistung erbracht, kann das Schuldverhältnis nur teilweise erlöschen. Dieser Grundgedanke ist auch auf die hier zu beurteilende Fallgestaltung anzuwenden. Der Gleichheitssatz gebietet eine Regelung, die Ungleiches ungleich, aber Gleiches im wesentlichen gleich behandelt (vgl. zur Bindung des Gesetzgebers BVerfGE 3, 58, 135; 42, 64, 72; 71, 255, 271).
Ob und in welchem Umfang ein Versorgungsberechtigter einen Anspruch aus der gesetzlichen Rentenversicherung und einen Anspruch aus der befreienden Lebensversicherung - gemessen an den Versicherungszeiten - hat, hängt sehr von Zufälligkeiten ab, die nicht zum Maßstab einer Regelung genommen werden können.
Der Anspruch auf Vorruhestandsgeld erlischt mit Ablauf des Kalendermonats vor dem Monat, von dem an der ausgeschiedene Arbeitnehmer Leistungen der vorgezogenen Altersversorgung bezieht oder beziehen kann. Durch § 8 Abs. 1 VRTV-Bau wird gewährleistet, daß der Arbeitgeber nur dann und nur insoweit und solange Vorruhestandsleistungen zu erbringen hat, wie der Lebensbedarf des Arbeitnehmers nicht durch Ruhestandsleistungen gedeckt wird. Werden die Leistungen der Altersversorgung erst zum Teil erbracht, erlöschen auch die Vorruhestandsleistungen nur zum Teil. Eine Teilaltersrente kann nicht mit einer Vollrente gleichgesetzt werden. Bei einer Gleichsetzung würden Arbeitnehmer mit längeren Versicherungszeiten im vorzeitig fällig werdenden Altersversorgungsteil benachteiligt, die Arbeitnehmer mit kürzeren Versicherungszeiten würden dagegen ungerechtfertigt doppelt versorgt. Nur bei der Teilverrechnung der Versorgungs- und Vorruhestandsleistungen wird der von den Tarifvertragsparteien übernommene Zweck des Vorruhestandes gefördert, den Arbeits- und Stellenmarkt durch vorzeitige Pensionierung zu verbreitern, andererseits aber auch die Wirtschaft nicht unangemessen zu belasten. Nur bei einer teilweisen Verrechnung kann sich ein Gesamtausgleich der Aufwendungen ergeben.
Aus diesen Gründen kann der Senat auch nicht der in der Rechtsprechung geäußerten Auffassung folgen, die Haupt- und Nebenversorgung sei nach der Versorgungshöhe zu bestimmen (ArbG Wiesbaden NZA 1986, 611). Diese Bestimmung begegnet den gleichen Bedenken. Mit ihr kann man nicht begründen, warum eine Teilleistung der gesamten geplanten Altersversorgung die Vorruhestandsleistung insgesamt zum Erlöschen bringen soll.
d) Der Einwand der Beklagten, nach dem Gesamtzusammenhang der Vorschriften über das Vorruhestandsgeld und dem Erstattungsanspruch gegen die Bundesanstalt für Arbeit sei eine Aufteilung nach Teilleistungen ausgeschlossen, ist nicht begründet. Zwar kommt nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 a VRG ein Anspruch auf Erstattung von Vorruhestandsgeld nur in Betracht, wenn der Arbeitgeber an den Arbeitnehmer mindestens 65 v.H. des Bruttoarbeitsentgelts im Sinne von § 3 Abs. 2 VRG zahlt. Doch verkennt die Beklagte, daß diese Bestimmung nur eine ausreichende Mindestversorgung des Arbeitnehmers sicherstellen will. Wenn im Falle von Teilleistungen der Anspruch auf Vorruhestandsgeld teilweise erfüllt wird, führt dies gleichzeitig dazu, daß der Erstattungsbetrag von dem Rest zu berechnen ist. Nichts anderes gilt auch für die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 165 Abs. 2 RV0).
3. Zur Ermittlung des Umfanges, in dem Ruhegeldleistungen auf das Vorruhestandsgeld angerechnet werden, ist allein von den zurückgelegten Versicherungszeiten auszugehen. Das sind die Zeiten, für die der Arbeitnehmer Beiträge zu einer befreienden Lebensversicherung gezahlt hat.
a) Maßgebend sind die Zeiten, für die Beiträge zur befreienden Lebensversicherung gezahlt werden. Richtig ist allerdings, daß die Höhe einer Rente nicht allein von der Dauer der Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung oder in einer befreienden Lebensversicherung abhängt. Für die Berechnung der Leistungen im Vorruhestand kann es aber nicht darauf ankommen, ob der Arbeitnehmer eine zweckmäßige oder unzureichende Versicherung abgeschlossen hat.
b) Der auf die Vorruhestandsleistung anzurechnende Teil der anrechenbaren Leistungen ist zu ermitteln, indem von sämtlichen Versicherungszeiten diejenigen Versicherungszeiten abgezogen werden, die zu der vorzeitigen Versorgung durch eine befreiende Lebensversicherung führen. Der Versorgungsanspruch beruht auf der Gesamtversicherungszeit; dann muß auch diese zur Rentenberechnung herangezogen werden. Die Altersversorgung des Klägers beruht auf 43,33 Versicherungsjahren. Für 21 Jahre hat er Beiträge zur befreienden Lebensversicherung entrichtet, so daß die Vorruhestandsleistungen um 21/43,33 zu kürzen sind und 22,33 zu zahlen sind.
4. Der Anspruch auf Vorruhestandsleistungen ist auch nicht deswegen in vollem Umfang erloschen, weil der Kläger sich zum 1. Oktober 1986 arbeitslos gemeldet hat und damit den Vorruhestand beendet hat. Der Senat kann unentschieden lassen, ob der Arbeitgeber das Vorruhestandsverhältnis kündigen oder widerrufen kann, wenn der Arbeitnehmer sich arbeitslos meldet (vgl. BAG Urteil vom 17. Mai 1988 - 3 AZR 419/87 - zur Veröffentlichung vorgesehen, zu III der Gründe); die Beklagte hat nichts für eine Kündigung oder den Widerruf vorgetragen.
IV. Die Beklagte braucht nicht deshalb höhere Leistungen zu erbringen, weil die Zusatzversorgungskasse in einem Vorbescheid die Voraussetzungen des Vorruhestandes bejaht hat.
Der Vorbescheid enthält kein Schuldanerkenntnis gegenüber dem Kläger (§ 781 BGB). Nach § 6 des Tarifvertrages über das Verfahren für den Vorruhestand im Baugewerbe (TV-Vorruhestandsverfahren) vom 12. Dezember 1984 hat die Beklagte dem Arbeitgeber unverzüglich mitzuteilen, ob ein Erstattungsanspruch dem Grunde nach besteht (Vorbescheid), wenn die Wartezeitvoraussetzungen bis zum Ablauf des Tages vor dem beantragten Beginn des Vorruhestands erfüllt sein können. Der Vorbescheid ergeht unter dem Vorbehalt, daß die Wartezeiten des § 2 Abs. 2 VRTV-Bau bis zum Beginn des Vorruhestandes erfüllt werden. Von diesem Vorbescheid erhält der Arbeitnehmer eine Kopie (§ 6 Abs. 4 TV-Vorruhestandsverfahren). Die Übersendung der Kopie des Bescheides durch die Beklagte enthält kein Schuldanerkenntnis (§ 781 BGB). Überdies ergibt sich aus dem Vorbescheid, daß nur die Anspruchsvoraussetzungen und nicht auch die Voraussetzungen des Erlöschens geprüft werden.
Dr. Heither Schaub Griebeling
Kunze Dr. Reinfeld
Fundstellen
Haufe-Index 438771 |
BAGE 60, 38-48 (LT1-2) |
BAGE, 38 |
BB 1989, 1342-1343 (LT1-2) |
DB 1989, 887-888 (LT1-2) |
EWiR 1989, 719 (L1-2) |
NZA 1989, 510-511 (LT1-2) |
RdA 1989, 130 |
AP § 5 VRG (LT1-2), Nr 2 |
AR-Blattei, ES 1750 Nr 6b (LT1-2) |
AR-Blattei, Vorruhestand Entsch 6b (LT1-2) |
EzA § 2 VRG Bauindustrie, Nr 3 (LT1-2) |
VersR 1989, 533-536 (LT1-2) |