Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsfreistellung an Tagen mit regionalem Brauchtum
Leitsatz (redaktionell)
Ob aus einem wiederholten tatsächlichen Verhalten des Arbeitgebers eine betriebliche Übung mit Anspruch der Arbeitnehmer auf eine zukünftige Gewährung entsteht oder ob aus dem Verhalten des Arbeitgebers nur eine Vergünstigung für das jeweilige Jahr abzuleiten ist, hat der Tatsachenrichter unter Berücksichtigung aller Umstände zu ermitteln (Bestätigung von BAG Urteil vom 17.09.1970 5 AZR 539/69 = BAGE 22, 429 = AP Nr 9 zu § 242 BGB Betriebliche Übung).
Normenkette
BGB §§ 242, 133, 151, 157, 315 Abs. 1; BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Anspruch des Klägers, am Frankfurter "Wäldchestag" 1991 sowie am Rosenmontag bzw. Faschingsdienstag 1992 einen halben Arbeitstag bezahlte Freizeit zu erhalten.
Der Kläger ist seit dem 1. April 1972 im Betrieb Frankfurt am Main der Beklagten beschäftigt. Sein monatlicher Verdienst belief sich zuletzt auf 6.600,-- DM brutto. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die für die Beklagte maßgebenden Tarifverträge, darunter insbesondere der Manteltarifvertrag Nr. 12 Bodenpersonal in seiner jeweils geltenden Fassung (MTV), kraft einzelvertraglicher Bezugnahme Anwendung. Der Kläger ist seit 1983 freigestelltes Betriebsratsmitglied.
Bereits vor 1972 sowie durchgängig bis 1990 gewährte die Beklagte ihren Mitarbeitern in Frankfurt am Main, soweit betriebliche Belange es zuließen, wahlweise am Rosenmontag oder Fastnachtsdienstag einen halben Arbeitstag bezahlte Freizeit. Unter der gleichen Voraussetzung wurde den Frankfurter Mitarbeitern seit jeher auch ein halber Arbeitstag bezahlte Freizeit für den Besuch des Frankfurter Volksfestes "Wäldchestag" (Pfingstdienstag) zugestanden. Über diese Arbeitsbefreiung wurden die Mitarbeiter alljährlich mit im wesentlichen gleichlautenden Verlautbarungen (Aushänge bzw. Bekanntgabe in den einzelnen Abteilungen) unterrichtet. So lautete der Aushang vom 2. Mai 1989 auszugsweise wie folgt:
"Arbeitsbefreiung am Wäldchestag (16. Mai 1989)
Zum Besuch des Frankfurter Volksfestes am Nach-
mittag/Abend des Pfingstdienstag kann - sofern
die betrieblichen Belange dies zulassen - wie in
den Vorjahren eine zweckgebundene Arbeitsbefrei-
ung bis zu einem halben Arbeitstag gewährt wer-
den.
Es gelten weiterhin folgende Regelungen:
....."
Die wegen der Karnevalstage 1990 aufgrund interner Dienstanweisung vom 17. Januar 1990 erfolgte Bekanntgabe in den einzelnen Dienststellen hatte im wesentlichen folgenden Inhalt:
"Arbeitszeitregelung/stundenweise Arbeitsbefrei-
ung am Rosenmontag oder Fastnachtsdienstag
(26.02. oder 27.02.1990), wahlweise jeweils
vormittags oder nachmittags
Zum Besuch von Faschingsveranstaltungen ist, so-
fern die betrieblichen Belange dies zulassen,
auch in diesem Jahr folgendes Verfahren vorgese-
hen:
Es kann eine Arbeitsbefreiung bis max. 3.85 Stun-
den (netto) erfolgen, die tägliche Grundarbeits-
zeit darf jedoch hierdurch nicht über die planmä-
ßige Brutto-Grundarbeitszeit hinausgehen (bei
gleitender Arbeitszeit max. 8.45 Std.). Zusätz-
lich hierzu kann eine Pausenzuschreibung erfol-
gen, soweit diese nicht während der Arbeitszeit
genommen wird.
Der bis zu zweimal im Monat mögliche Eingriff in
die Kernarbeitszeit gem. der Rahmenbetriebsver-
einbarung "Gleitende Arbeitszeit" bleibt unbe-
rührt.
Soweit Überstunden und/oder Plusstunden für Frei-
zeitausgleich im laufenden Monat zur Verfügung
stehen, bestehen - sofern wiederum mit dem be-
trieblichen Ablauf vereinbar - keine Bedenken
gegen eine Verbindung von Abfeiern mit der halb-
tägigen Arbeitsbefreiung.
Es muß jedoch sichergestellt werden, daß an bei-
den Tagen die notwendige Mindestbesetzung der je-
weiligen Arbeitsgruppe ganztägig gewährleistet
ist.
......"
Im Jahre 1991 wurde die Arbeitsbefreiung für Rosenmontag/Faschingsdienstag seitens der Beklagten wegen des Golfkrieges nicht gewährt. Der Betriebsrat hatte dem bezogen auf das laufende Kalenderjahr zugestimmt. Als die Beklagte im Frühjahr 1991 - aufgrund ihrer ungünstigen wirtschaftlichen Entwicklung - erklärte, in Zukunft solle Arbeitsbefreiung zur Karnevalszeit und aus Anlaß des Frankfurter Wäldchestages nicht mehr gewährt werden, widersprach der Betriebsrat und berief sich auf ein Mitbestimmungsrecht im Sinne des § 87 Abs. 1 BetrVG.
Mit Schreiben vom 21. Mai 1991 beanspruchte der Kläger bezahlte Freistellung für den Besuch des Wäldchestages 1991. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 27. Mai 1991 ab. Als der Kläger daraufhin am Wäldchestag 1991 seinen Dienst um 12.10 Uhr beendete, weigerte sich die Beklagte, die Arbeitszeit am Nachmittag jenes Tages im Umfange von 3,50 Stunden zu bezahlen. Dienstliche Belange standen an jenem Tage einer Arbeitsbefreiung des Klägers nicht entgegen.
Mit seiner am 24. Juni 1991 zugestellten Klage hat der Kläger geltend gemacht, er habe auch in Zukunft Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung für Rosenmontag/Faschingsdienstag sowie für den Wäldchestag. Rechtsgrundlage hierfür bilde eine seit Jahrzehnten bestehende betriebliche Übung, die sich durch das stets wiederholte Verhalten der Beklagten gebildet habe. Einen Widerruf der freiwilligen Leistung habe sich die Beklagte nicht vorbehalten. Die alljährlichen Aushänge der Beklagten hätten nur darauf beruht, daß es sich bei den jeweiligen Freistellungen um variable, d. h. kalendermäßig nicht für alle Jahre festliegende Tage gehandelt habe. Es sei mithin darauf angekommen, die jeweiligen Tage in die Schichtpläne einzubeziehen und auch neu eingestellte, mit den Betriebsübungen bzw. regionalen Gebräuchen nicht vertraute Arbeitnehmer hierauf hinzuweisen.
Darüber hinaus hält der Kläger die Ankündigung, die bezahlte Arbeitsbefreiung in Zukunft zu verweigern, für unwirksam, weil die Beklagte den Betriebsrat nicht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG beteiligt habe.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Zeitgut-
schrift über sieben Stunden zu erteilen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat eine betriebliche Übung bestritten. Eine solche habe nicht wirksam entstehen können, weil sie schon durch ihre alljährlichen Aushänge zu erkennen gegeben habe, daß sie sich die Freiwilligkeit ihrer Leistung vorbehalten wolle. Überdies habe sie die Arbeitsbefreiungen in den zurückliegenden Jahren jeweils zweckgebunden sowie mit dem ausdrücklichen Hinweis gewährt, daß betriebliche Belange dies zuließen. Aus diesem tatsächlichen Verhalten, mit welchem sie Jahr für Jahr die Möglichkeit der Gewährung jener Arbeitsbefreiungen angekündigt habe, könne gerade nicht auf einen entsprechenden Verpflichtungswillen für die Zukunft geschlossen werden. Der Zweck ihrer Aushänge habe sich auch nicht in der Bedeutung einer bloßen Erinnerungshilfe hinsichtlich der Arbeitsbefreiungen erschöpft, denn die konkreten Daten der anschließenden Karnevalstage bzw. des traditionellen Brauchtumsfestes am Wäldchestag seien den einzelnen Mitarbeitern bekannt gewesen. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG bestehe nicht, da sich die Arbeitsbefreiungen als einseitiger freiwilliger Verzicht auf die Arbeitsleistung im Einzelfalle, und zwar ereignisgebunden sowie ohne Nachgewährungsanspruch darstellten.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Dem Kläger steht die verlangte Zeitgutschrift nicht zu.
I. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß dem Kläger ein Anspruch auf bezahlte Freistellung nur aus Vertrag entstanden sein könnte.
1. Die Vertragsbeziehungen der Parteien könnten sich nur aufgrund betrieblicher Übung zum Anspruch auf bezahlte teilweise Freistellung am Rosenmontag/Fastnachtsdienstag sowie am Wäldchestag ausgestaltet haben. Unter einer betrieblichen Übung versteht man die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden. Aus diesem als Willenserklärung, die von den Arbeitnehmern stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB), zu wertenden Verhalten des Arbeitgebers erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Leistungen (vgl. nur BAGE 40, 126, 133 = AP Nr. 1 zu § 3 TVArb Bundespost; aus neuester Zeit BAGE 59, 73, 84 f. = AP Nr. 33 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, zu II 3 a der Gründe, mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Bei der Anspruchsentstehung ist nicht entscheidend ein Verpflichtungswille des Arbeitgebers, sondern nur die Frage, wie die Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände (§§ 133, 157 BGB) verstehen durften (BAGE 23, 213, 220 = AP Nr. 10 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, zu I 2 b der Gründe).
2. Will der Arbeitgeber verhindern, daß aus der Stetigkeit seines Verhaltens eine in die Zukunft wirkende Bindung entsteht, muß er einen entsprechenden Vorbehalt erklären. In welcher Form dies geschieht, etwa durch Aushang oder Rundschreiben oder durch Erklärung gegenüber dem einzelnen Arbeitnehmer, ist nicht entscheidend. Erforderlich ist nur, daß der Vorbehalt klar und unmißverständlich kundgetan wird (BAGE 23, 213, 221 = AP Nr. 10 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, zu I 2 c der Gründe). Allerdings darf der Arbeitgeber, der sich den Widerruf oder die Kürzung freiwilliger Leistungen vorbehalten hat, diese Gestaltungsrechte nur nach billigem Ermessen gemäß § 315 Abs. 1 BGB ausüben (BAG Urteil vom 30. August 1972 - 5 AZR 140/72 - AP Nr. 6 zu § 611 BGB Lohnzuschläge, zu 3 der Gründe; BAGE 25, 194, 200 ff. = AP Nr. 6 zu § 242 BGB Ruhegehalt-Unterstützungskassen, zu B II 2 der Gründe). Dies muß entsprechend gelten, wenn die Leistung durch betriebliche Übung Bestandteil des Arbeitsvertrages geworden ist.
II.1. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist durch die seitens der Beklagten jahrelang gewährte Vergünstigung eine betriebliche Übung und damit ein vertraglicher Anspruch der Mitarbeiter der Beklagten auf teilweise Freistellung am Rosenmontag/Fastnachtsdienstag sowie am Wäldchestag nicht entstanden. Vielmehr hat die Beklagte die betreffenden Vergünstigungen nur von Jahr zu Jahr für die jeweiligen Tage angekündigt und gewährt. Das Landesarbeitsgericht hat den Wortlaut der von ihm festgestellten Aushänge bzw. Bekanntmachungen der Beklagten über die jeweilige Arbeitsbefreiung nicht ausreichend berücksichtigt und ist dadurch bei der ihm als Tatsacheninstanz obliegenden Würdigung des Gesamtverhaltens der Beklagten zu einem unzutreffenden Auslegungsergebnis gelangt (Verletzung der §§ 133, 157 BGB).
Schon die Tatsache, daß die Beklagte jedes Jahr von neuem durch Aushang oder Bekanntgabe die Arbeitsbefreiung als solche eingehend regelte und dabei klarstellte, daß die Vergünstigung "wie in den Vorjahren" bzw. "auch in diesem Jahr" gewährt werden solle - soweit die betrieblichen Belange dies zuließen - spricht erkennbar dafür, daß die Freistellungen nicht ohne jede Einschränkung auf Dauer gewährt werden sollten. Die Arbeitnehmer der Beklagten konnten aus diesen immer von neuem getroffenen, sehr differenzierten Verlautbarungen nicht entnehmen, daß sie unterschiedslos und für alle Zukunft mit einer Arbeitsbefreiung an den Karnevalstagen und am Wäldchestag rechnen durften. Konnte sich daher ein rechtlich geschütztes Vertrauen auf die Fortsetzung des bisherigen Verhaltens des Arbeitgebers nicht bilden, so ist auch die Entstehung einer betrieblichen Übung und eines entsprechenden vertraglichen Anspruchs auf Arbeitsbefreiung zu verneinen. Hinzu kommt, daß die Arbeitsfreistellung sich jeweils nur auf wenige Stunden erstreckte und letztlich nur eine Annehmlichkeit bedeutete, jedoch nicht als materiell ins Gewicht fallende Leistung anzusehen war (vgl. insoweit auch BAGE 22, 429, 435 = AP Nr. 9 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, zu 2 b der Gründe).
2. Selbst wenn man mit dem Landesarbeitsgericht annehmen würde, eine betriebliche Übung sei vorliegend zu bejahen, so könnte die Klage gleichwohl keinen Erfolg haben. Denn aus dem Gesamtverhalten der Beklagten müßte ein Vorbehalt zum Widerruf der bislang gewährten Vergünstigungen entnommen werden. Die Beklagte hat durch ihre Erklärung im Frühjahr 1991 den Widerruf ausgesprochen. Dieser müßte auch - weil sachlich gerechtfertigt und damit gemäß § 315 Abs. 1 BGB billigem Ermessen entsprechend - im Hinblick auf die vom Landesarbeitsgericht als unstreitig festgestellte Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Beklagten als wirksam anerkannt werden. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG für den Widerruf ist zu verneinen. Die Beklagte will lediglich die Einhaltung der tariflichen Arbeitszeit erreichen. Es geht nicht um eine vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit, und die Arbeitsentgelte bleiben in jedem Fall unverändert.
Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Reinecke
Hansen Köhne
Fundstellen
Haufe-Index 440128 |
BB 1994, 724 |
DB 1994, 2034 (LT1) |
DStR 1994, 984 (T) |
NJW 1994, 3372 |
NJW 1994, 3372-3373 (LT1) |
BetrVG EnnR BetrVG § 87 Abs 1, Nr 3 (7) (ST1-3) |
EWiR 1994, 537 (L) |
NZA 1994, 694 |
NZA 1994, 694-696 (LT1) |
ZAP, EN-Nr 460/94 (S) |
ZTR 1994, 254-255 (LT1) |
AP § 242 BGB Betriebliche Übung (LT1), Nr 43 |
AR-Blattei, ES 510 Nr 28 (LT1) |
EzA-SD 1994, Nr 7, 7-9 (LT1) |
EzA § 242 BGB Betriebliche Übung, Nr 30 (LT1) |
EzBAT § 52 BAT, Nr 23 (LT1) |
VersorgVerw 1995, 31 (L) |