Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Zuwendung bei befristetem Praktikantenverhältnis
Orientierungssatz
1. Auslegung des § 1 Abs 1 Nr 2 des Tarifvertrages über eine Zuwendung für Praktikantinnen (Praktikanten) vom 12. Oktober 1973 (ZuwendTV Praktikanten).
2. Eine Praktikantin, die aufgrund der §§ 1, 2, 10 des Gesetzes über die Ausübung der Berufe des Masseurs, des Masseurs und medizinischen Bademeisters und des Krankengymnasten vom 21. Dezember 1958 (BGBl I S 985) gezwungen ist, eine einjährige praktische Tätigkeit , das sogenannte Anerkennungsjahr, abzuleisten, hat die Befristung des Praktikantenverhältnisses nicht veranlaßt.
Normenkette
TVG § 1
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 18.12.1984; Aktenzeichen 8 Sa 1623/84) |
ArbG Essen (Entscheidung vom 04.09.1984; Aktenzeichen 2 Ca 1848/84) |
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten eine Zuwendung für das Jahr 1983 nach dem Tarifvertrag über eine Zuwendung für Praktikantinnen vom 12. Oktober 1973 (TV Praktikanten).
Die Klägerin ist Krankengymnastin. Zur Ableistung des sog. Anerkennungsjahres nach §§ 1, 2, 10 des Gesetzes über die Ausübung der Berufe des Masseurs, des Masseurs und medizinischen Bademeisters und des Krankengymnasten vom vom 21. Dezember 1958 bewarb sie sich am 17. Dezember 1981 bei der Beklagten für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1983 als Praktikantin in unmittelbarem Anschluß an das erforderliche viersemestrige Studium.
Nach § 2 des am 29. Dezember 1981 abgeschlossenen Dienstvertrages sollten für das Dienstverhältnis als Praktikantin u.a. analog die Vorschriften des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) vom 23. Februar 1961 und die diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung finden.
Die Beklagte zahlte der Klägerin, deren Bruttoarbeitsentgelt als Praktikantin monatlich 1.558,16 DM betrug, im Dezember 1983 keine Zuwendung. Den mit Schreiben vom 3. Februar 1984 geltend gemachten Anspruch hat die Beklagte am 8. Februar 1984 schriftlich zurückgewiesen.
Der Tarifvertrag über eine Zuwendung für Praktikantinnen (Praktikanten) vom 12. Oktober 1973 (ZuwendTV Praktikanten) hat - soweit es hier interessiert - folgenden Wortlaut:
§ 1
Anspruchsvoraussetzungen
(1) Die Praktikantin (der Praktikant) erhält
in jedem Kalenderjahr eine Zuwendung, wenn
sie (er)
1. am 1. Dezember seit dem 1. Oktober ununterbrochen
bei demselben Ausbildungsträger
im Praktikantenverhältnis steht
und
2. nicht in der Zeit bis einschließlich 31. März
des folgenden Kalenderjahres aus ihrem (seinem)
Verschulden oder auf eigenen Wunsch ausscheidet.
...
§ 4
Zahlung der Zuwendung
(1) Die Zuwendung soll spätestens am 1. Dezember
gezahlt werden.
..."
Die Klägerin hat am 6. Juli 1984 Klage erhoben und die Auffassung vertreten, sie habe einen Anspruch auf die Zuwendung für das Jahr 1983, da sie weder aus ihrem Verschulden, noch auf eigenen Wunsch am 31. Dezember 1983 aus dem Praktikantenverhältnis ausgeschieden sei.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen an sie 1.558,16 DM
brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen und vorgetragen, die Klägerin sei entsprechend der von ihr veranlaßten Befristung am 31. Dezember 1983 auf eigenen Wunsch ausgeschieden. Die Klägerin habe auch zu keiner Zeit zu erkennen gegeben, daß sie über diesen Zeitraum hinaus bei ihr, der Beklagten, habe tätig werden wollen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage entsprochen. Die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Klägerin hat für das Jahr 1983 einen Anspruch auf eine Zuwendung, den sie unstreitig auch innerhalb der Ausschlußfrist des § 70 BAT geltend gemacht hat.
I. Die Parteien haben in § 2 des Dienstvertrages die analoge Geltung des BAT und die diesen Tarifvertrag ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge für das Arbeitsverhältnis vereinbart und damit auch den Tarifvertrag über eine Zuwendung für Angestellte (ZuwendTV Ang.). Weder der Tarifvertrag über die Regelung der Arbeitsbedingungen der Praktikantinnen (Praktikanten) für medizinische Hilfsberufe vom 28. Januar 1970 (TV Praktikanten) noch der Tarifvertrag über eine Zuwendung für Praktikantinnen (Praktikanten) vom 12. Oktober 1973 (ZuwendTV Praktikanten) sind den BAT ergänzende, ändernde oder ersetzende Tarifverträge, sondern eigenständige vom BAT unabhängige Tarifwerke. Beide Parteien gehen allerdings im vorliegenden Rechtsstreit von der Geltung des ZuwendTV Praktikanten für ihr Dienstverhältnis aus. Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob darin die stillschweigende Vereinbarung dieses Tarifvertrages liegt, denn die für einen Anspruch auf die Zuwendung hier maßgeblichen Vorschriften sind gleichlautend.
II. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Klägerin sei zwar in der Zeit bis 31. März 1984 aus dem Praktikantenverhältnis ausgeschieden. Dies sei jedoch weder aus ihrem Verschulden noch auf ihren eigenen Wunsch hin geschehen, da das Praktikantenverhältnis auch nicht auf ihre Veranlassung bis zum 31. Dezember 1983 befristet worden sei. Das Praktikantenverhältnis der Klägerin sei vielmehr kraft Gesetzes auf ein Jahr befristet. Es sei deshalb auch unerheblich, daß die Klägerin sich bei ihrer Bewerbung noch nicht um eine spätere Anstellung als Krankengymnastin beworben habe oder ob sie dies später beabsichtigt, aber nicht durchgeführt habe.
III. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
1. Nach § 1 Abs. 1 Ziff. 2 ZuwendTV Praktikanten (ebenso § 1 Abs. 1 Ziff. 3 ZuwendTV Ang.) erhält eine Praktikantin die Zuwendung nur, wenn sie nicht in der Zeit bis 31. März des folgenden Kalenderjahres aus ihrem Verschulden oder auf eigenen Wunsch ausscheidet.
Die Klägerin ist unstreitig nicht aus eigenem Verschulden am 31. Dezember 1983 aus dem Praktikantenverhältnis ausgeschieden. Sie ist entgegen der Auffassung der Revision zu diesem Zeitpunkt aber auch nicht auf eigenen Wunsch aus dem Praktikantenverhältnis ausgeschieden.
Der Tarifvertrag stellt schon seinem Wortlaut nach nicht auf eine bestimmte Form des Ausscheidens ab, sondern allein darauf, auf wessen Wunsch das Vertragsverhältnis beendet wurde. Ob dieser Wunsch in einer Kündigung zum Ausdruck kam oder ob ihm durch einen Aufhebungsvertrag entsprochen wurde, ist unerheblich. Auf eigenen Wunsch scheidet auch ein Arbeitnehmer aus, dessen befristetes Arbeitsverhältnis durch Zeitablauf endet, wenn die Befristung auf dem Wunsch des Arbeitnehmers beruht (BAG Urteil vom 31. Januar 1979 - 5 AZR 551/77 - AP Nr. 101 zu § 611 BGB Gratifikation = AR Blattei "Gratifikation: Entsch. 79" = EzA § 611 BGB Gratifikation, Prämie Nr. 62 mit weiteren Nachweisen). Die in den Zuwendungstarifverträgen geregelte Zuwendung ist nämlich nicht nur Entgelt für die im Bezugsjahr erbrachte Arbeitsleistung und damit vergangenheitsbezogen. Sie soll vielmehr zugleich ein Anreiz sein, über den 31. März des folgenden Jahres hinaus in den Diensten des Arbeitgebers zu verbleiben; insoweit ist sie auch zukunftsbezogen. Nur dann, wenn eine vorherige Beendigung des Arbeitsverhältnisses von dem Arbeitnehmer nicht veranlaßt wird und von ihm auch nicht zu vertreten ist, verzichtet der Tarifvertrag auf die zukunftsbezogene Voraussetzung und er behält den Zuwendungsanspruch.
2. Im Streitfall hat das Landesarbeitsgericht zutreffend das hier vorliegende Praktikantenverhältnis nicht auf Veranlassung der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1983 als befristet angesehen.
a) Um die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung "Krankengymnastin" zu erhalten, war die Klägerin nämlich nach §§ 1, 2, 10 des Gesetzes über die Ausübung der Berufe des Masseurs, des Masseurs und medizinischen Bademeisters und des Krankengymnasten vom 21. Dezember 1958 (BGBl. I S. 985) gezwungen, eine einjährige praktische Tätigkeit, das sog. Anerkennungsjahr, abzuleisten. Die Befristung dieser Tätigkeit beruhte mithin auf dem Gesetz; sie ist Konsequenz der Regelung der Ausbildungsordnung. Daraus folgt jedoch, daß die Beendigung des Praktikantenverhältnisses am 31. Dezember 1983 weder von der Klägerin noch von der Beklagten veranlaßt worden ist. Eine "Veranlassung" der Befristung im Sinne des Zuwendungstarifvertrages kann schließlich - worauf das Landesarbeitsgericht zutreffend hingewiesen hat - nicht darin gesehen werden, daß die Klägerin den Ausbildungsgang als Krankengymnastin überhaupt gewählt hat. Ebensowenig kann es bei dieser Sachlage darauf ankommen, ob die Klägerin beabsichtigt hat, nach Beendigung des Anerkennungsjahres weiterhin bei der Beklagten als Krankengymnastin tätig zu werden oder nicht, da die Dauer des Praktikantenverhältnisses hiervon völlig unabhängig ist.
b) Im Gegensatz zur Auffassung der Revision ergibt sich auch nichts anderes daraus, daß die Klägerin sich zur Ableistung des Anerkennungsjahres für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1983 beworben hat. Wie die Beklagte insoweit vorträgt, ist dies allein auf den Wunsch der Klägerin zurückzuführen, ihre Ausbildung zügig durchzuführen und keine Fehlzeiten zu verursachen. Es ist der Revision zwar zuzugestehen, daß die Praktikantin durch die Wahl des Zeitpunkts des Beginns der Praktikantenzeit Einfluß auf die Höhe der Zuwendung nehmen kann. Hieraus folgt jedoch nicht, daß die Befristung des Praktikantenverhältnisses auf ein Jahr auf Veranlassung der Praktikantin erfolgt.
c) Den Tarifvertragsparteien ist bei Abschluß des Tarifvertrages bekannt gewesen, daß die Praktikantenverhältnisse der unter den Tarifvertrag vom 28. Januar 1970 fallenden Praktikantinnen für medizinische Hilfsberufe jeweils nur ein Jahr dauern. Wenn sie gleichwohl die zukunftsbezogene Komponente des Tarifvertrages nur dann haben entfallen lassen, wenn die Praktikantin aus ihrem Verschulden oder auf eigenen Wunsch bis zum 31. März des folgenden Kalenderjahres ausscheidet, kann dies nur dahin ausgelegt werden, daß damit das Ausscheiden aus dem Praktikantenverhältnis vor Ablauf des Praktikantenjahres gemeint ist, in den Fällen der hier gegebenen Art aber ein Anspruch bestehen sollte.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. Röhsler Dörner Schneider
Ramdohr Schmidt
Fundstellen