Entscheidungsstichwort (Thema)
Belehrung über Zusatzversorgung
Leitsatz (redaktionell)
Ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes braucht bei Abschluß eines Aufhebungsvertrages die Versorgungsansprüche des Arbeitnehmers gegen die gesetzliche Rentenversicherung oder die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) nicht von sich aus zu überprüfen und den Arbeitnehmer hierüber zu belehren, wenn er davon ausgehen kann, daß der Arbeitnehmer nicht informationsbedürftig ist und wenn er selbst die Versicherungsabläufe nicht kennen kann.
Normenkette
BBG § 42; BGB §§ 611, 242; SGB I § 15; GG Art. 3 Abs. 2; BetrAVG § 1; VBLSa §§ 70 a, 65 Abs. 7
Verfahrensgang
ArbG Oldenburg (Oldenburg) (Entscheidung vom 12.11.1986; Aktenzeichen 5 Ca 244/85) |
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 17.10.1986; Aktenzeichen 12 Sa 216/86) |
Tatbestand
Die Klägerin fordert vom beklagten Landkreis, ihrem früheren Arbeitgeber, Schadenersatz wegen entgangener Rente aus der Zusatzversorgung.
Die am 26. Juni 1924 geborene, um 50 v.H. schwerbehinderte Klägerin trat am 2. März 1965 in die Dienste des Beklagten. Seit dem 1. März 1966 wurde sie bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) versichert. Wegen einer Erkrankung ihres Ehemannes arbeitete sie seit dem 26. Juni 1982 vorübergehend nur noch 20 Wochenstunden. In dem Teilzeitarbeitsvertrag kommt die Erwartung des Beklagten zum Ausdruck, daß sie später einmal vorgezogenes Altersruhegeld beantragen werde. Um die Jahreswende 1983/1984 erkundigte sich die Klägerin nach den Beendigungsmöglichkeiten ihres Arbeitsverhältnisses. Am 7. März 1984 schloß sie mit dem Beklagten einen Auflösungsvertrag zum 30. Juni 1984. Am 9. März 1984 beantragte sie vorgezogenes Altersruhegeld für Frauen. Im Mai oder Juni 1984 erkundigte sie sich bei dem Beklagten nach ihrer VBL-Rente. Die Personalsachbearbeiterin erklärte ihr, daß sie die volle VBL-Rente erhalte. Dies wurde in der Folgezeit mehrmals bestätigt. Seit dem 1. Juli 1984 erhält die Klägerin vorgezogenes Altersruhegeld von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) nach § 25 Abs. 3 AVG (Altersruhegeld für weibliche Versicherte - Bescheid vom 9. August 1984). Im Juli/August 1984 wurde die Klägerin vom Versicherungsamt darauf aufmerksam gemacht, daß ihre Versorgungsrente von der VBL teilweise ruhe, da sie die Wartezeit von 30 Versicherungsjahren nicht erfülle. Die Personalsachbearbeiterin der Beklagten erklärte zunächst, daß sie dies nicht nachvollziehen könne. Die VBL setzte am 9. Oktober 1984 den Zahlbetrag der Rente auf 142,30 DM fest. Die volle Versorgungsrente hätte 989,41 DM mehr betragen; sie wird seit dem 1. Juli 1986 gezahlt. Am 25. November 1984 verlangte die Klägerin Schadenersatz wegen fehlerhafter Belehrung. Dieses Begehren wies die Beklagte am 3. Dezember 1984 zurück.
Die Klägerin hat behauptet, sie habe vom Versicherungsamt keine Auskunft über ihre Rentenansprüche verlangt. Sie hat die Auffassung vertreten, die Beklagte hätte sie vor Auflösung des Arbeitsverhältnisses betreuen müssen. Tatsächlich habe ihr die Personalsachbearbeiterin eine fehlerhafte Auskunft gegeben. Im übrigen habe der Beklagte sie wieder einstellen müssen, um ihr die Gelegenheit zu geben, noch die fehlenden zehn Monate an der Wartezeit zu erfüllen. Der Schaden bestehe in der entgangenen Rente. Um die drei Monate, für die sie Übergangsgeld beanspruchen könne, und um die zehn Monate, in denen sie bei richtiger Belehrung noch gearbeitet hätte, ermäßige sich dieser Schaden.
Die Klägerin hat nach teilweiser Rücknahme der Klage in der Revisionsinstanz zuletzt beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin in der Zeit vom 1. September 1985 bis zum 30. Juni 1986 eine jeweils Mitte des Monats fällige Schadenersatzrente in Höhe von je 989,41 DM nebst 4 % Zinsen auf den jeweils monatlich fällig werdenden Betrag zu zahlen. Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat behauptet, daß die Klägerin zunächst erschienen sei, um sich über die Auflösungsmöglichkeiten des Arbeitsverhältnisses zu erkundigen. Sie habe erklärt, daß sie zuvor noch zum Versicherungsamt gehen wolle, um sich beraten zu lassen. Im März habe er bei Abschluß des Auflösungsvertrages davon ausgehen können, daß die Klägerin sich habe beraten lassen. Sie habe sogar ein Formular für eine Verdienstbescheinigung mitgebracht, das von ihm üblicherweise nicht benutzt werde. Eine etwaige, fehlerhafte Belehrung seiner Personalsachbearbeiterin sei für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht ursächlich geworden. Eine Verpflichtung zur Wiedereinstellung habe nicht bestanden, weil der Wunsch erst geäußert worden sei, als die Stelle durch zwei teilzeitbeschäftigte Arbeitskräfte anderweitig besetzt worden sei. Zumindest sei die Klägerin bei erneuter Anstellung nicht mehr versicherungspflichtig gewesen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren eingeschränkten Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Die Klägerin kann von dem Beklagten keinen Schadenersatz wegen unzureichender Aufklärung über ihre Versorgungsansprüche gegen die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) verlangen.
1. Der Beklagte hat seine Unterrichtungspflicht nicht verletzt. Er brauchte die Klägerin vor Abschluß des Aufhebungsvertrages nicht über ihre Rentenansprüche gegen die VBL aufzuklären.
a) Aus einem Arbeitsvertrag folgen auch vertragliche Nebenpflichten. Zu den Nebenpflichten des Arbeitgebers gehören auch Aufklärungs- und Informationspflichten über die arbeits- und sozialrechtlichen Folgen eines Aufhebungsvertrages. Inhalt und Umfang dieser Aufklärungs- und Informationspflichten sind unter Abwägung der beiderseitigen Interessen und Möglichkeiten nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu bestimmen (BAG Urteil vom 22. November 1963 - 1 AZR 17/63 - AP Nr. 6 zu § 611 BGB Öffentlicher Dienst; BAGE 47, 169, 173 ff. = AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen, zu 3 der Gründe; Urteil vom 18. September 1984 - 3 AZR 118/82 - AP Nr. 6, aa0, zu 1 und 2 der Gründe; Urteil vom 10. März 1988 - 8 AZR 420/85 -, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen, zu II der Gründe).
Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses können von einem Arbeitgeber besondere Hinweise auf die arbeits- und sozialrechtlichen Folgen der Beendigung erwartet werden, wenn der Arbeitgeber erkennen muß, daß der Arbeitnehmer weiterer Informationen bedarf und er selbst die Auskünfte unschwer erteilen oder beschaffen kann. Andererseits ist von einem Arbeitnehmer, der sein Arbeitsverhältnis beendet, um in den Ruhestand zu treten, auch zu erwarten, daß er von sich aus Auskünfte über die zu erwartenden Rentenansprüche einholt. Sowohl die BfA als auch die VBL erteilen auf Anfrage als Rententräger Rentenauskünfte (§§ 13 ff. SGB I; § 70 a VBL-Satzung).
b) Der Beklagte hat bei Abschluß des Aufhebungsvertrages am 7. März seine Aufklärungspflichten gegenüber der Klägerin nicht verletzt.
Der Beklagte vermochte zu diesem Zeitpunkt nicht zu erkennen, daß die Klägerin informationsbedürftig war. Unstreitig hat sich die Klägerin um die Jahreswende 1983/1984 nur nach den rechtlichen Möglichkeiten zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses erkundigt und im übrigen erklärt, sie werde sich um ihre Rentenansprüche selbst bemühen. Bei Abschluß des Aufhebungsvertrages konnte der beklagte Arbeitgeber deshalb davon ausgehen, daß die Klägerin entsprechend verfahren sei.
Darüber hinaus hatte der Beklagte aber auch keine Möglichkeit, die Klägerin über ihre Rentenansprüche zu belehren. Ob und welchen Rentenantrag die Klägerin stellen würde, war ihm bei Abschluß des Aufhebungsvertrages nicht bekannt. Die Anspruchsvoraussetzungen für das vorgezogene Altersruhegeld bei Frauen konnte er nicht beurteilen. Nach § 25 Abs. 3 AVG erhält auf Antrag die Versicherte vorgezogenes Altersruhegeld für Frauen, die das 60. Lebensjahr vollendet hat und eine Wartezeit von 180 Kalendermonaten zurückgelegt hat, sofern sie in den letzten 20 Jahren überwiegend eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit ausgeübt hat. Ohne genaue Kenntnis des Versicherungsverlaufes der Klägerin war nicht zu beurteilen, ob die seit knapp 19 Jahren beschäftigte Klägerin die Wartezeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllte. War aber schon der gesetzliche Rentenversicherungsanspruch nicht zu beurteilen, so galt dies auch für den Versorgungsanspruch gegen die VBL. Nach § 65 Abs. 7 VBL-Satzung ruht die Versorgungsrente einer Versorgungsberechtigten, die vorgezogenes Altersruhegeld für Frauen in Anspruch nimmt, bis zum Ablauf des Monats, in dem sie das 62. Lebensjahr vollendet. Damit war von der Klägerin zu erwarten, daß sie sich um ihre Rentenansprüche selbst kümmerte.
Die Satzungsbestimmung, nach der die Versorgungsrente bei Frauen bis zur Vollendung des 62. Lebensjahres ruht und bis dahin nur in Höhe der Versicherungsrente gezahlt wird, verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Sie berücksichtigt im Rahmen der Orientierung der Zusatzversorgung an Grundsätzen der Beamtenversorgung, daß weibliche Beamte nicht mit 60 Jahren in den vorgezogenen Ruhestand treten können (vgl. § 42 Abs. 3 BBG).
c) Der Beklagte hatte gegenüber der Klägerin auch keine gesteigerten Beratungspflichten. Allerdings hat der Beklagte in dem Änderungsarbeitsvertrag, aufgrund dessen die Klägerin vorübergehend nur Teilzeitbeschäftigung verrichtete, die Erwartung zum Ausdruck gebracht, daß sie vorgezogenes Altersruhegeld beanspruche. Die Erwartung des Beklagten beruhte aber auf der bevorstehenden Teilzeittätigkeit. Für eine gesteigerte Beratungspflicht war jedoch kein Raum mehr, nachdem die Klägerin wieder vollbeschäftigt war.
2. Die Klägerin kann auch keinen Schadenersatz verlangen, weil sie nach Abschluß des Aufhebungsvertrages von der Personalsachbearbeiterin des Beklagten über ihre Versorgungsansprüche gegen die VBL falsch belehrt worden ist.
a) Erteilt ein Arbeitgeber Rentenauskünfte, so müssen sie wegen der häufig irreparablen Folgen umfassend, eindeutig richtig und vollständig sein (BAG Urteil vom 24. Mai 1974 - 3 AZR 422/73 - AP Nr. 6 zu § 242 BGB Ruhegehalt-VBL, zu II 2 der Gründe; Urteil vom 17. April 1984 - 3 AZR 383/81 - AP Nr. 2 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen, zu II 1 der Gründe; Urteil vom 15. Oktober 1985 - 3 AZR 612/83 - AP Nr. 12, aa0, zu I der Gründe). Im vorliegenden Fall mag die dem Beklagten zuzurechnende Auskunft der Personalsachbearbeiterin (§ 278 BGB) zwar falsch gewesen sein. Die fehlerhafte Auskunft ist jedoch für die Rentenschäden der Klägerin nicht ursächlich gewesen. Der Aufhebungsvertrag war lange vor Erteilung der falschen Auskunft abgeschlossen worden.
b) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts und dem eigenen Sachvortrag der Klägerin bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, daß die Klägerin gerade wegen der falschen Auskunft bewogen wurde, vor Auslaufen des Arbeitsverhältnisses an dem Aufhebungsvertrag ausdrücklich festzuhalten. Ein durch Irrtum verursachtes Beharren auf dem Aufhebungsvertrag hat keinen Schaden verursacht.
3. Der Beklagte ist schließlich nicht zum Schadenersatz verpflichtet, weil er der Klägerin nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht die Möglichkeit eingeräumt hat, die fehlende Wartezeit von zehn Monaten durch Verlängerung oder Neubegründung des Arbeitsverhältnisses noch zu erfüllen.
a) Es kann unentschieden bleiben, ob durch Verlängerung oder Neubegründung des Arbeitsverhältnisses eine weitere Versicherungspflicht der Klägerin in der VBL begründet werden konnte. Die Klägerin hätte ihren Antrag auf die gesetzliche Rente zurücknehmen oder gegen den Bewilligungsbescheid fristgemäß Rechtsmittel einlegen müssen, da bei Bezug von vorgezogenem Altersruhegeld keine Versicherungspflicht mehr besteht (§ 28 Abs. 2 lit. l VBL-Satzung). Der Senat brauchte diesen Überlegungen nicht abschließend nachzugehen. Der Beklagte konnte die Klägerin am Aufhebungsvertrag festhalten.
b) Der Beklagte war nicht verpflichtet, die Klägerin wieder einzustellen. Eine Rechtspflicht des Beklagten läßt sich nicht mit seinem vorausgegangenen Verhalten begründen. Der Beklagte hat die Klägerin nicht zum Abschluß des Aufhebungsvertrages veranlaßt. Ebensowenig vermag sich die Klägerin zur Begründung ihres Begehrens auf den Erlaß des niedersächsischen Ministers der Finanzen vom 15. Januar 1979 zu berufen. Durch den Erlaß werden unmittelbare Ansprüche der Arbeitnehmer des Beklagten nicht begründet, da er nur Bedienstete des Landes betrifft. Auch aus Gründen der Gleichbehandlung stehen der Klägerin keine Ansprüche zu, da der Erlaß einen anderen Personenkreis betrifft. Im übrigen war dem Beklagten die Wiedereinstellung unzumutbar, da er den Arbeitsplatz der Klägerin bei Erhebung des Wiedereinstellungsbegehrens bereits anderweitig besetzt hatte.
Dr. Heither Schaub Griebeling
Halberstadt Fieberg
Fundstellen
Haufe-Index 438513 |
BB 1989, 988-989 (LT1) |
DOK 1990, 160 (KT) |
NZA 1989, 512-512 (LT1) |
RdA 1989, 135 |
USK, 88140 (ST1) |
WzS 1990, 29 (L1) |
ZAP, EN-Nr 18/89 (S) |
ZTR 1989, 194-195 (LT1) |
AP § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen (LT1), Nr 23 |
EzBAT § 8 BAT Fürsorgepflicht, Nr 19 (LT1) |
VersR 1989, 502-503 (LT1) |