Entscheidungsstichwort (Thema)
Tariflicher Sonderkündigungsschutz;. Abgrenzung zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten;. Anzahl der Vollzeitbeschäftigten im Unternehmen als Voraussetzung für den Sonderkündigungsschutz;. Vereinbarkeit dieser Regelung mit höherrangigem Recht
Leitsatz (amtlich)
Es verstößt nicht gegen höherrangiges Recht, wenn ein tarifvertraglicher Sonderkündigungsschutz im Einzelfall von der Anzahl der im Unternehmen beschäftigten Vollbeschäftigten ohne die – ggf. anteilige – Einbeziehung von Teilzeitbeschäftigten abhängig gemacht wird.
Orientierungssatz
1. Auch bei einer geringfügigen Unterschreitung der regelmäßigen vollen Arbeitszeit – hier monatliche Arbeitszeit von 145 bzw. 155 Stunden statt 161,25 Stunden – handelt es sich nicht um eine Vollbeschäftigung im Sinne der tariflichen Regelung.
2. Ohne entsprechende Anhaltspunkte im Tarifvertrag, der auf die Zahl der Vollbeschäftigten im Unternehmen abstellt, können die Teilzeitbeschäftigten – auch nicht anteilig – mitgerechnet werden.
3. Eine tarifliche Regelung, die den Sonderkündigungsschutz von der Anzahl der Vollbeschäftigten im Unternehmen abhängig macht, verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
Normenkette
MTV für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen vom 20. September 1996 § 11 Abs. 9; GG Art. 3 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2-3
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 3. Dezember 1999 – 15 Sa 784/99 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten im Rahmen der Kündigungsschutzklage im wesentlichen um die Frage, ob die Voraussetzungen der Sonderkündigungsschutzregelung des § 11 Abs. 9 Manteltarifvertrag für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen vom 20. September 1996 (MTV) von dem Unternehmen der Beklagten erfüllt sind.
Der am 7. Mai 1942 geborene, verheiratete Kläger war seit dem 4. April 1964 bei der Beklagten, die ein Einzelhandelsunternehmen in I. betreibt, zuletzt als Bereichsleiter Haus- und Heimtextilien mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von 6.200,00 DM beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis lagen die Arbeitsverträge vom 11. Januar 1964, 31. März 1965 und 5. Mai 1970 zugrunde. Im Vertrag vom 5. Mai 1970 ist festgelegt, daß „die Kündigungsfrist nunmehr sechs Monate beträgt und daß eine evtl. Kündigung nur am Ende jeden Mts. per Einschreiben erfolgen kann”. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand kraft Allgemeinverbindlichkeit der MTV Anwendung.
Als Bereichsleiter war der Kläger für die Heimtextilien (Teppiche und Gardinen) sowie Haustextilien (Aussteuer- und Bettwaren) nebst Einkauf zuständig. Neben dem Kläger beschäftigte die Beklagte zwei weitere Bereichsleiter, die für verschiedene Bereiche der Damen- und Herrenbekleidung zuständig waren. Ein weiterer Bereich, Kinderkonfektion und Herrenbekleidung, wurde vom Einkaufsleiter W. betreut, der zugleich Vorgesetzter der Bereichsleiter war.
Die Beklagte beschloß ab dem 1. April 1999 keine Heimtextilien mehr zu verkaufen. Zeitgleich sollte der Prokurist D. die Leitung des Haustextilbereichs mit übernehmen. Weil das Arbeitsverhältnis mit dem Prokuristen D. zum 31. Dezember 1998 beendet wurde, übertrug die Beklagte diese Tätigkeit zusätzlich dem Einkaufsleiter W. Mit Schreiben vom 21. September 1998, dem Kläger am selben Tage übergeben, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis „aus wichtigem Grund” zum 31. März 1999. Bei der Beklagten waren im Kündigungszeitpunkt 37 Vollbeschäftigte mit einer Monatsarbeitszeit von 161,25 Stunden im Durchschnitt, 10 Arbeitnehmer mit einer Monatsarbeitszeit von 155 Stunden, 6 Arbeitnehmer mit einer Monatsarbeitszeit von 145 Stunden sowie weitere 23 Arbeitnehmer mit einer Monatsarbeitszeit zwischen 100 und 120 Stunden beschäftigt.
Mit der vorliegenden Klage wehrt sich der Kläger gegen diese Kündigung. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, daß die Kündigung bereits deshalb unwirksam sei, weil sie nicht per Einschreiben erfolgt sei. Insbesondere sei er gemäß § 11 Ziff. 9 MTV nicht mehr ordentlich kündbar gewesen. Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung habe nicht vorgelegen. Der für Unternehmen mit mehr als 50 vollbeschäftigten Arbeitnehmern geltende tarifliche Sonderkündigungsschutz finde Anwendung, obwohl die Beklagte in ihrem Unternehmen in Iserlohn nur 37 vollbeschäftigte Arbeitnehmer beschäftige. Auch die von der Beklagten beschäftigen weiteren 16 Arbeitnehmer mit einer Wochenarbeitszeit von 155 bzw. 145 Stunden seien als Vollbeschäftigte im Sinne der Tarifnorm anzusehen. Andernfalls bestünde die Möglichkeit, den besonderen Kündigungsschutz zu umgehen, indem beispielsweise durch Betriebsvereinbarung sämtliche Mitarbeiter statt 37,5 Stunden lediglich 37 Stunden zu arbeiten hätten. Im übrigen seien auch die Vollbeschäftigten in den Filialen in H. und B., die die Beklagte ebenfalls unterhalte, im Rahmen des § 11 Abs. 9 MTV mitzuzählen. Darüber hinaus sei die Kündigung sozial ungerechtfertigt. Der Einkaufsleiter W. sei nicht in der Lage, den Bereich Haustextilien mitzubetreuen, da er überwiegend außer Haus tätig sei. Die soziale Auswahl sei fehlerhaft erfolgt, weil er mit den weiteren Bereichsleitern vergleichbar sei.
Der Kläger hat beantragt
- festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 21. September 1998 aufgelöst ist, sondern ungekündigt fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigung rechtswirksam ausgesprochen zu haben. Die persönliche Übergabe des Kündigungsschreibens sei ausreichend. Die in der Vereinbarung vom 5. Mai 1970 vorgesehene Zustellung per eingeschriebenen Brief habe lediglich den Sinn, den Empfang sicherzustellen. Ein Verstoß gegen § 11 Abs. 9 MTV liege nicht vor. Diese Norm sei mangels hinreichender Zahl vollbeschäftigter Arbeitnehmer nicht anwendbar. Die genannte Tarifbestimmung spreche ausdrücklich nur von Vollbeschäftigten. Eine Anrechnungsklausel für Teilzeitmitarbeiter enthalte die Vorschrift nicht. Das Unternehmen der Beklagten führe nur den Betrieb in I. Die Beklagte betreibe auch nicht mit der H. GmbH & Co. KG, die ihren Sitz in H. habe und eine Filiale in B. betreibe, ein einheitliches Unternehmen. Die Beklagte werde von ihrem Vorstand, Herrn, vertreten. Persönlich haftende Gesellschafterin der niedersächsischen H. GmbH & Co. KG sei die H. Verwaltungsgesellschaft mbH, deren Sitz ebenfalls in H. sei. Geschäftsführer dieser Komplementär-GmbH seien Herr und Herr. Die Kündigung sei auch sozial gerechtfertigt. Zwischenzeitlich sei der Bereich Heimtextilien geschlossen worden; der Bereich Haustextilien werde, wie vorgesehen, vom Einkaufsleiter W. mitbetreut. Der Kläger sei mit keinem der übrigen drei Bereichsleiter vergleichbar gewesen, denn der Kläger habe nur die vertraglich geschuldete Tätigkeit als Bereichsleiter Heim- und Haustextilien ausgeübt, und die übrigen Bereichsleiter seien auch ausdrücklich für die anderen entsprechenden Warenbereiche eingestellt worden. Der Einkaufsleiter W. sei auch in der Lage, wie vorgesehen den Bereich Haustextilien zu betreuen. Im übrigen stelle der Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger auch einen wichtigen Grund im Sinne der Tarifnorm des § 11 Abs. 9 MTV dar.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die vom Kläger eingelegte Berufung hat das Landesarbeitsgericht, nachdem es Auskünfte der Gewerkschaft HBV, der DAG und des Einzelhandelsverbandes für Nordrhein-Westfalen eingeholt hat, zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision hält der Kläger an seinem ursprünglichen Antrag fest. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend erkannt, daß die Kündigung der Beklagten vom 21. September 1998 wirksam ist und das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31. März 1999 beendet hat.
1. Der Wirksamkeit der Kündigung steht nicht entgegen, daß sie nicht durch eingeschriebenen Brief erfolgt ist. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt. Die Vereinbarung einer bestimmten Versendungsart dient im Gegensatz zum Schriftformerfordernis in der Regel nur Beweiszwecken (BAG 4. März 1965 – 2 AZR 261/64 – AP BGB § 130 Nr. 5; 20. September 1979 – 2 AZR 967/77 – AP BGB § 125 Nr. 8 = EzA BGB § 125 Nr. 5). Allein die Tatsache, daß die Parteien in der Änderungsvereinbarung vom 5. Mai 1970 zusätzlich zu der Kündigungsfrist bzw. dem Kündigungstermin auch geregelt haben, daß die Kündigung nur per Einschreiben erfolgen kann, läßt für sich noch nicht den Schluß zu, daß damit über die Beweisfunktion hinaus ein Formerfordernis begründet werden sollte. Die Revision hat insoweit auch keine Rüge erhoben.
2. Entgegen der vom Kläger auch in der Revision vertretenen Auffassung ist die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers nicht durch § 11 Abs. 9 MTV ausgeschlossen.
a) § 11 Abs. 9 MTV lautet:
„Einem Arbeitnehmer, der das 53., aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet hat und dem Unternehmen mit mehr als 50 vollbeschäftigten Arbeitnehmern mindestens 15 Jahre angehört, kann nur noch aus wichtigem Grund oder mit Zustimmung des Betriebsrates gekündigt werden. Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann der Arbeitgeber die Einigungsstelle anrufen (§ 76 BetrVG).
Dieser Kündigungsschutz gilt nicht, wenn
- Betriebsvereinbarungen gemäß §§ 111, 112 BetrVG oder in Betrieben ohne Betriebsrat sozialplanähnliche Regelungen abgeschlossen werden, die eine Absicherung der mindestens 59 Jahre alten Arbeitnehmer dergestalt enthalten, daß die Dauer der eintretenden Arbeitslosigkeit der Differenzbetrag zwischen Arbeitslosengeld und dem zuletzt bezogenen bzw. dem Nettoentgelt, welches der Arbeitnehmer bezogen hätte, wenn er weiterhin beschäftigt worden wäre, vom Arbeitgeber bezahlt wird und der Arbeitnehmer eine Abfindung wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes erhält;
- Ansprüche auf vorgezogenes Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bestehen.”
b) Der Kläger erfüllt die subjektiven Voraussetzungen des § 11 Abs. 9 MTV hinsichtlich seiner Unternehmenszugehörigkeit und seines Alters. Im Zeitpunkt der Kündigung war der Kläger 56 Jahre alt und gehörte dem Unternehmen der Beklagten mehr als 34 Jahre an.
c) Die objektiven Voraussetzungen des in § 11 Abs. 9 MTV normierten tariflichen Sonderkündigungsschutzes für ältere, langjährig beschäftigte Arbeitnehmer sind jedoch nicht gegeben. Denn das Unternehmen der Beklagten beschäftigte im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vom 21. September 1998 nicht mehr als 50 vollbeschäftigte Arbeitnehmer. Unstreitig waren im Geschäft der Beklagten in I. zum Kündigungszeitpunkt nur 37 Arbeitnehmer mit der vollen tariflichen Wochenarbeitszeit beschäftigt.
aa) Die in den vom Kläger benannten Kaufhäusern in Niedersachsen beschäftigten Mitarbeiter sind bei der Bestimmung der maßgeblichen Beschäftigtenzahl im Sinne von § 11 Abs. 9 MTV nicht zu berücksichtigen. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts führt die Beklagte nur das Kaufhaus in I., während die Kaufhäuser in H. und B. von der Tochterfirma H. GmbH & Co. KG mit Sitz in H. betrieben werden. § 11 Abs. 9 MTV stellt auf das Unternehmen als Bezugsgröße ab, nicht auf den Konzern. Gegen diese Auslegung hat die Revision sich auch nicht gewandt.
bb) Entgegen der Auffassung der Revision können die 16 von der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer mit einer monatlichen Arbeitszeit von 145 bzw. 155 Stunden nicht als Vollbeschäftigte iSd. § 11 Abs. 9 MTV angesehen werden. Nach § 2 Abs. 1 MTV beträgt die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 37,5 Stunden ausschließlich der Pausen. Vollbeschäftigt ist im Einzelhandel Nordrhein-Westfalen ein Arbeitnehmer, dessen regelmäßige Arbeitszeit 37,5 Stunden pro Woche beträgt, mithin 161,25 Stunden (37,5 × 4,3) im Monat. Die 16 von der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer mit 145 bzw. 155 Monatsstunden sind danach keine vollbeschäftigten, sondern teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer. Teilzeitbeschäftigte werden auch dann nicht von dem Begriff „Vollbeschäftigte” erfaßt, wenn die zu leistende Arbeitszeit nur geringfügig unter der Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Arbeitnehmers liegt. Das ergibt die Auslegung des MTV.
(1) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Dabei ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mitzuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (ua. Senat 5. Oktober 1999 – 4 AZR 578/98 – AP TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 15 = EzA TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 8).
(2) Der Wortlaut der tariflichen Regelung spricht dafür, daß Teilzeitbeschäftigte ohne Ausnahme nicht bei der Berechnung der für die Anwendbarkeit des § 11 Abs. 9 MTV notwendigen Vollbeschäftigtenzahl einbezogen werden, und zwar unabhängig von dem Umfang ihrer Arbeitszeit. „Vollbeschäftigter Arbeitnehmer” und „teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer” sind sich gegenüberstehende und sich gegenseitig ausschließende Begriffe, so daß jede Beschäftigung unterhalb der vollen regelmäßigen Arbeitszeit als Teilzeitbeschäftigung verstanden werden muß. Das entspricht dem allgemeinen Sprachgebrauch. Auch die gesetzlichen Regelungen gehen von diesem Verständnis aus. Nach § 2 Abs. 2 BeschFG sind die Arbeitnehmer teilzeitbeschäftigt, deren regelmäßige Wochenarbeitszeit kürzer ist als die regelmäßige Wochenarbeitszeit vergleichbarer vollbeschäftigter Arbeitnehmer des Betriebes. Die Definition in § 2 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (TzBfG) vom 21. Dezember 2000 stimmt inhaltlich damit überein. In keinem Fall wird die Unterscheidung vom Umfang der Arbeitszeitverkürzung im Verhältnis zur Vollbeschäftigung abhängig gemacht.
(3) Die vom Landesarbeitsgericht eingeholten Tarifauskünfte der beteiligten Tarifvertragsparteien bestätigen diese am Wortlaut orientierte Auslegung. Der zuständige Einzelhandelsverband hat dargelegt, daß Teilzeitbeschäftigte nicht, auch nicht anteilig berücksichtigt werden sollten. Eine Regelung über deren Einbeziehung wie in dem Gehaltstarifvertrag bei den Gehaltsgruppen III und IV sei bewußt unterlassen worden. Auch die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen hat erklärt, daß § 11 Abs. 9 MTV nur die Vollbeschäftigten berücksichtigt und Teilzeitbeschäftigte nicht aufaddiert werden könnten, und die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft hat bestätigt, daß in § 11 Abs. 9 MTV bewußt auf die Zahl der vollbeschäftigten Arbeitnehmer abgestellt worden sei.
(4) Weder aus dem Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelung noch aus den sonstigen möglichen Auslegungskriterien ergeben sich Anhaltspunkte für eine Einbeziehung von Arbeitnehmern mit auch nur geringfügig verkürzter Arbeitszeit bzw. für eine anteilige Einbeziehung von Teilzeitbeschäftigten. Eine Regelung über die Anrechnung von Teilzeitbeschäftigten entsprechend dem Umfang ihrer regelmäßigen Arbeitszeit ist im Rahmen des Sonderkündigungsschutzes gem. § 11 Abs. 9 MTV nicht enthalten, anders als zB in dem gleichzeitig für den selben Geltungsbereich abgeschlossenen Gehaltstarifvertrag, der im Rahmen der Gehaltsgruppen III und IV im Hinblick auf die für die Eingruppierung maßgebliche Zahl der unterstellten Beschäftigten Teilzeitbeschäftigte einbezieht, und zwar entsprechend ihrer regelmäßigen Arbeitszeit.
cc) Dem Landesarbeitsgericht kann auch darin gefolgt werden, daß die tarifliche Regelung nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Somit ist auch keine verfassungskonforme Auslegung dahingehend geboten, daß die Teilzeitbeschäftigten bei der Bestimmung der Betriebsgröße als Voraussetzung für den Sonderkündigungsschutz einbezogen werden müssen.
(1) Dabei kann offenbleiben, ob und inwieweit die Tarifvertragsparteien an die Grundrechte, insbesondere an Art. 3 Abs. 1 GG, gebunden sind(vgl. dazu Senat 30. August 2000 – 4 AZR 563/99 – NZA 2001, 613 = DB 2001, 985, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, im Hinblick auf eine tarifliche Regelung zum persönlichen Geltungsbereich mwN).
(2) Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist auch bei strenger Bindung an diese Norm nicht gegeben. Die Einbeziehung nur der Vollzeitbeschäftigten bei der Bestimmung der notwendigen Unternehmensgröße ist nicht willkürlich in dem Sinne, daß sich dafür kein vernünftiger Grund finden läßt. Den Tarifvertragsparteien steht es frei, einen Sonderkündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer einzuführen. Eine solche Regelung muß im Hinblick auf die tariflichen Voraussetzungen für den Sonderkündigungsschutz notwendigerweise typisierende Regelungen treffen, damit die Regelung verständlich und praktikabel ist. In § 11 Abs. 9 MTV sind typisierende Regelungen nicht nur im Hinblick auf Alter und Betriebszugehörigkeit, sondern auch im Hinblick auf die Unternehmensgröße getroffen worden. Unternehmen mit einer bestimmten Größe sollen die wirtschaftlichen Belastungen des Sonderkündigungsschutzes tragen. Es kann nicht als sachwidrig angesehen werden, wenn die Tarifvertragsparteien statt anderer möglicher Kriterien für die wirtschaftliche Belastungsfähigkeit die Beschäftigtenzahl beschränkt auf die Zahl der Vollbeschäftigten gewählt haben. Die Tarifvertragsparteien haben mehrere, jedenfalls vertretbare Gründe dafür genannt, daß sie nur auf die Zahl der Vollbeschäftigten abgestellt haben.
So hat der zuständige Einzelhandelsverband darauf hingewiesen, daß durch die Nichtanrechnung der Teilzeitbeschäftigten der verschärfte Kündigungsschutz nicht auf noch mehr Betriebe ausgedehnt werden sollte. Es liegt auf der Hand, daß bei Einbeziehung der Teilzeitbeschäftigten die maßgebliche Beschäftigungszahl wieder Verhandlungsgegenstand geworden und ggf. anders bestimmt worden wäre. Die Entscheidung zwischen den tarifpolitischen Alternativen eines Sonderkündigungsschutzes im Unternehmen mit mehr als 50 Vollbeschäftigten ohne Teilzeitbeschäftigte oder mit weniger als 50 Vollbeschäftigten mit anteiliger Berücksichtigung von Teilzeitbeschäftigten unterfällt der Einschätzungs- und Bewertungsprärogative der Tarifvertragsparteien, insbesondere wenn man berücksichtigt, daß die saisonale bzw. sonderaktionsbezogene Aufstockung der Teilzeitbeschäftigten im Einzelhandel wenig Aussagekraft für die wirtschaftliche Belastungsfähigkeit eines Unternehmens hat. Soweit die HBV in ihrer Tarifauskunft die Regelung mit dem Hinweis erklärt hat, daß angesichts der Personalstruktur im Einzelhandel bei Abschluß der Tarifverträge mit dem Überwiegen von Vollzeitbeschäftigung die Einbeziehung der Teilzeitbeschäftigten unterblieben sei, ist das nur die Darlegung eines Befundes, aber noch keine Begründung. Allerdings unterliegt es dem Beurteilungsspielraum der Tarifvertragsparteien, die Bedeutung der Teilzeitbeschäftigung im Hinblick darauf zu bewerten, wie wichtig ihre Einbeziehung bei der Bestimmung der Voraussetzungen für den Sonderkündigungsschutz ist. Eine weitergehende inhaltliche Rechtfertigung der Regelung enthält die Tarifauskunft der DAG dahingehend, daß für den Sonderkündigungsschutz nach der tariflichen Regelung die erheblichen Fluktuationen bei Teilzeitbeschäftigten bzw. geringfügig Beschäftigten außer Betracht bleiben und sich nur die geringfügigen Schwankungen im Hinblick auf die Grenze von 50 Vollzeitbeschäftigten auf den Sonderkündigungsschutz auswirken sollten. Das ist ein unter den Gesichtspunkten der Praktikabilität und Rechtssicherheit legitimer Gesichtspunkt. Die Zahl der Vollbeschäftigten gerade in Einzelhandelsgeschäften ist typischerweise weniger Veränderungen unterworfen als die Zahl der Teilzeitbeschäftigten. Bei der Einbeziehung von Teilzeitbeschäftigten würde deshalb häufiger ein Wechsel hinsichtlich der Anwendbarkeit des Sonderkündigungsschutzes eintreten, was im Hinblick auf den Charakter des Sonderkündigungsschutzes als Dauertatbestand für die die subjektiven Voraussetzungen erfüllenden Arbeitnehmer wenig sinnvoll ist.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 1998(– 1 BvL 22/93 – BVerfGE 97, 186 = AP KSchG 1969 § 23 Nr. 18 = EzA KSchG § 23 Nr. 18) führt zu keiner anderen Beurteilung. Die Entscheidung betraf die Verfassungsgemäßheit des § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG idF des Gesetzes vom 26. April 1985 („Kleinbetriebsklausel”), wonach vom Geltungsbereich der genannten Regelungen des KSchG solche Betriebe ausgenommen waren, die nicht mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigten; eine Anrechnung Teilzeitbeschäftigter, deren regelmäßige Arbeitszeit wöchentlich 10 Stunden oder monatlich 45 Stunden nicht übersteigt, war bei der Ermittlung der Mitarbeiterzahl nicht vorgesehen. Das Bundesverfassungsgericht hat im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG eine einschränkende Auslegung dahingehend für geboten gehalten, daß nur die Kleinbetriebe aus dem Geltungsbereich ausgenommen sind, die auch unter Zugrundelegung der Anrechnungsmodalitäten für Teilzeitbeschäftigte nach § 23 Abs. 1 KSchG idF vom 1. Oktober 1996 Kleinbetriebe sind. Dabei ging es um den betrieblichen Geltungsbereich des allgemeinen Kündigungsschutzes. Dieser Kündigungsschutz bleibt vorliegend unberührt. Die Tarifvertragsparteien haben in § 11 MTV vielmehr einen weitergehenden Sonderkündigungsschutz geschaffen. Die insoweit tarifvertraglich als Voraussetzung bestimmte Betriebsgröße konnte, wie dargelegt, aus sachlich vertretbaren Gründen von der Anzahl der vollbeschäftigten Arbeitnehmer abhängig gemacht werden.
(3) Es liegt auch kein Verstoß gegen das Verbot der ggf. mittelbaren Diskriminierung der Frauen oder der Teilzeitbeschäftigten vor (Art. 3 Abs. 3 GG, § 2 Abs. 1 BeschFG/§ 4 Abs. 1 TzBfG), auch nicht im Sinne der mittelbaren Diskriminierung. Zwar knüpft § 11 Abs. 9 MTV an das Merkmal der Vollzeitbeschäftigung an und läßt die Anzahl der Teilzeitbeschäftigten bei der Ermittlung der Bezugsgröße unberücksichtigt. Die Regelung differenziert aber hinsichtlich der Anwendbarkeit des Sonderkündigungsschutzes nicht zwischen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern einerseits und vollbeschäftigten Arbeitnehmern andererseits, sondern zwischen kleinen und größeren Betrieben. In Betrieben mit 50 vollbeschäftigten Arbeitnehmern unterfallen Teilzeitbeschäftigte wie Vollbeschäftigte dem Sonderkündigungsschutz. Es ist nicht erkennbar, daß in Betrieben mit weniger als 50 Vollbeschäftigten deutlich mehr teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer tätig sind.
dd) Die Einbeziehung der Teilzeitbeschäftigten kann auch nicht auf Grund einer ergänzenden Auslegung des § 11 Abs. 9 MTV erfolgen. Es liegt schon keine lückenhafte Regelung vor, weil die Bestimmung der erforderlichen Betriebsgröße anhand der Anzahl der Vollbeschäftigten eine in sich klare und vollständige Regelung ist. Die Möglichkeit oder ggf. Wünschbarkeit einer abweichenden Regelung kann nicht zur Annahme einer auszufüllenden Lücke führen.
Selbst wenn von einer Lücke ausgegangen würde, handelte es sich um eine bewußte Lücke, weil die Tarifvertragsparteien, wie die oben dargestellten Tarifauskünfte und Regelungen im Gehaltstarifvertrag zeigen, bewußt keine Anrechnung der Teilzeitbeschäftigten vorgegeben haben. Eine bewußte Lücke (Nichtregelung) in normativen Bestimmungen eines Tarifvertrages darf von den Gerichten für Arbeitssachen grundsätzlich nicht geschlossen werden, denn die Gestaltung von Tarifverträgen hat Art. 9 Abs. 3 GG allein den Tarifvertragsparteien zugewiesen(Senat 21. Oktober 1992 – 4 AZR 88/92 – AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 165; 16. Februar 2000 – 4 AZR 422/99 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Dachdecker Nr. 6 = EzA TVG § 4 Eingruppierung Nr. 9; BAG 3. November 1998 – 3 AZR 432/97 – AP BetrAVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 41 = EzA TVG § 1 Auslegung Nr. 31; Löwisch/Rieble TVG § 1 Rn. 425 f.).
3. Die Wirksamkeit der Kündigung scheitert auch nicht an § 1 KSchG.
Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht erkannt, daß die Schließung des Bereiches Heimtextilien und Übertragung des Bereiches Haustextilien an den Einkaufsleiter W. einer Weiterbeschäftigung des Klägers auf seinem bisherigen Arbeitsplatz entgegenstand und deshalb ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung des Klägers nach § 1 Abs. 2 KSchG darstellte; die Revision erhebt insoweit auch keine Rügen. Das Landesarbeitsgericht hat weiter ohne erkennbaren Rechtsfehler angenommen, daß der Kläger nicht auf einem anderen Arbeitsplatz im Betrieb der Beklagten weiterbeschäftigt werden konnte (§ 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 b KSchG); auch insoweit erhebt die Revision keine Rügen.
Ebenfalls ohne erkennbaren Rechtsfehler – und auch von der Revision nicht gerügt – hat das Landesarbeitsgericht die getroffene soziale Auswahl bestätigt. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit die Vergleichbarkeit mit den anderen Bereichsleitern unter Hinweis darauf verneint, daß der Kläger ausdrücklich als Abteilungsleiter für die Teppichabteilung übernommen worden ist, ebenso wie – nach unwidersprochenem Vorbringen – die anderen Bereichsleiter der Beklagten ebenfalls für ihren konkreten Warenbereich eingestellt und dort tätig waren. Auch wenn die soziale Auswahl grundsätzlich betriebsbezogen, dh. ggf. auch abteilungsübergreifend durchzuführen ist (vgl. BAG 17. Februar 2000 – 2 AZR 142/99 – AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 46), war die Beschäftigung des Klägers auf den Einsatz im Heim- und Haustextilienbereich beschränkt. An einer Vergleichbarkeit iSd. § 1 Abs. 3 KSchG fehlt es, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht einseitig auf einen anderen Arbeitsplatz um- oder versetzen kann (vgl. BAG 17. September 1998 – 2 AZR 725/97 – AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 36 mwN). Um den Kläger als Abteilungs- bzw. Bereichsleiter eines anderen Warenbereiches einzusetzen, hätte es einer Vertragsänderung durch Änderungsvereinbarung oder Kündigung bedurft.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Unterschriften
Schliemann, Bott, Wolter, Fieberg, Jürgens
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 14.03.2001 durch Freitag, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BB 2001, 2654 |
NWB 2002, 19 |
ARST 2002, 64 |
FA 2002, 30 |
SAE 2002, 40 |
AP, 0 |
EzA |