Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehinderter. Regelfrist zur Unterrichtung des Arbeitgebers
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Arbeitnehmer, der beantragt hat, seine Schwerbehinderteneigenschaft festzustellen, darf die Regelfrist von einem Monat seit Zugang der Kündigung, innerhalb derer er dem Arbeitgeber die Antragstellung mitteilen muß, wenn er sich den Sonderkündigungsschutz nach dem SchwbG erhalten will (Vergleiche BAG 1978-02-23, 2 AZR 462/76, BAGE 30, 141 und BAG 1982-05-14 7 AZR 1221/79, BAGE 39, 59), grundsätzlich voll ausschöpfen. Zu einem früheren Zeitpunkt braucht er den Arbeitgeber nur zu unterrichten, wenn er aufgrund besonderer Umstände damit rechnen muß, während des restlichen Laufs der Regelfrist hierzu nicht mehr in der Lage zu sein.
2. Ob diese Grundsätze auch für die Mitteilung der festgestellten Schwerbehinderteneigenschaft gelten, bleibt unentschieden.
Normenkette
SchwbG § 3 Fassung 1979-10-08, § 18 Fassung 1979-10-08, § 12 Fassung 1979-10-08
Verfahrensgang
LAG Nürnberg (Entscheidung vom 05.05.1983; Aktenzeichen 5 Sa 82/81) |
ArbG Weiden (Entscheidung vom 14.07.1981; Aktenzeichen 3 Ca 316/80) |
Tatbestand
Der Kläger war seit 1974 bei der Beklagten als Verwaltungsangestellter beschäftigt. Im Jahre 1976 wurde ihm eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 40 % zuerkannt. Am 27. November 1979 beantragte er die Feststellung seiner Schwerbehinderteneigenschaft. Vor und nach diesem Zeitpunkt war er wiederholt wegen Trunkenheit an seinem Arbeitsplatz aufgefallen und mehrfach darauf hingewiesen worden, daß er in Wiederholungsfällen mit einer fristlosen Kündigung zu rechnen habe. Nachdem er am 7. August 1980 wieder erheblich im Dienst angetrunken war (2,28 o/oo), kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos mit Schreiben vom 13. August 1980, das dem Kläger am selben Tage zuging.
Vom 16. August 1980 bis 7. November 1980 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung im Nervenkrankenhaus. Vom 24. Oktober bis 30. Oktober 1980 war er zur Erledigung privater Angelegenheiten beurlaubt; am 24. Oktober 1980 gab er die vorliegende Klage bei der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts zu Protokoll. Mit Bescheid vom 7. Oktober 1980 war der Kläger rückwirkend ab 27. November 1979 als Schwerbehinderter (Minderung der Erwerbsfähigkeit um 50 %) anerkannt worden.
Mit der der Beklagten am 27. Oktober 1980 zugestellten Klage hat der Kläger die Feststellung begehrt, daß die fristlose Kündigung vom 13. August 1980 nichtig sei, weil der Beklagten zu diesem Zeitpunkt der Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft vom 27. November 1979 bekannt gewesen sei. In der Zeit seines Aufenthalts im Nervenkrankenhaus sei er nicht in der Lage gewesen, die Beklagte nochmals auf diese Antragstellung hinzuweisen. Mit Schriftsatz vom 26. Mai 1981 beantragte der Kläger die nachträgliche Klagezulassung.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß die von der Beklagten
gegenüber dem Kläger am 13. August 1980
ausgesprochene Kündigung nichtig sei und
das Arbeitsverhältnis daher fortbestehe,
vorsorglich: die Klage nachträglich zu-
zulassen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und im wesentlichen vorgetragen, sie habe erst durch die Zustellung der Klageschrift am 27. Oktober 1980 davon erfahren, daß der Kläger einen Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft gestellt habe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesen worden. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren auf Klageabweisung weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
I. Da unstreitig ist, daß der Personalrat ordnungsgemäß angehört worden ist, und da der Kläger gemäß §§ 13, 4, 7 KSchG das Fehlen eines wichtigen Grundes nicht mehr rügen kann, weil er, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, den Antrag auf nachträgliche Klagezulassung erst nach Ablauf der Frist des § 5 Abs. 3 Satz 2 KSchG gestellt hat, kommt eine Unwirksamkeit der Kündigung nur wegen Fehlens der vorherigen Zustimmung der Hauptfürsorgestelle gemäß § 12 SchwbG in Betracht.
II. Aufgrund des auf den Zeitpunkt der Antragstellung vom 27. November 1979 zurückwirkenden Bescheides des Versorgungsamtes vom 7. Oktober 1980 steht fest, daß der Kläger schon im Kündigungszeitpunkt Schwerbehinderter war. Auch hatte der Kläger im Zeitpunkt der Kündigung schon die Feststellung seiner Schwerbehinderteneigenschaft beantragt, wie es vom Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung als zusätzliche Voraussetzung für das Eingreifen des Sonderkündigungsschutzes eines Schwerbehinderten gefordert wird (seit BAG 29, 17 = AP Nr. 1 zu § 12 SchwbG; ebenso BAG 29, 334 = AP Nr. 2 zu § 12 SchwbG).
III. Im Streitfall ist deshalb entscheidend, ob die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle entbehrlich war, weil, wie das Landesarbeitsgericht in den Senat bindender Weise festgestellt hat, der Beklagten erst durch die Zustellung der Klageschrift am 27. Oktober 1980 bekannt geworden ist, daß der Kläger einen Antrag auf Feststellung seiner Schwerbehinderteneigenschaft gestellt hatte. Diese Frage ist zu verneinen.
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entfällt der besondere Kündigungsschutz des Schwerbehinderten, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nicht spätestens innerhalb einer Regelfrist von einem Monat seit Zugang der Kündigung mitteilt, daß er als Schwerbehinderter anerkannt ist oder einen entsprechenden Antrag gestellt hat (BAG 30, 141 = AP Nr. 3 zu § 12 SchwbG und BAG Urteil vom 19. April 1979 - 2 AZR 469/78 - AP Nr. 5 zu § 12 SchwbG). Dies gilt auch für die außerordentliche Kündigung (BAG 39, 59 = AP Nr. 4 zu § 18 SchwbG). Ausnahmsweise ist eine Kenntnis des Arbeitgebers innerhalb der Regelfrist entbehrlich, wenn die Schwerbehinderteneigenschaft des Arbeitnehmers offenkundig ist oder der Arbeitgeber Kenntnis von solchen gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Arbeitnehmers hat, die ihrer Art nach den Schluß auf eine Schwerbehinderteneigenschaft nahelegen (Senatsurteil vom 5. Dezember 1980 - 7 AZR 931/78 -, nicht veröffentlicht). Sind dem Arbeitgeber dagegen solche Umstände nicht bekannt, so darf er mit dem Ablauf der Regelfrist grundsätzlich darauf vertrauen, daß die Rechtswirksamkeit der Kündigung jedenfalls nicht mehr durch eine Schwerbehinderteneigenschaft des Arbeitnehmers in Zweifel gezogen werden kann (Senatsurteil vom 16. Dezember 1980 - 7 AZR 1031/78 -, nicht veröffentlicht).
2. Das Landesarbeitsgericht hat die Kündigung wegen fehlender Zustimmung der Hauptfürsorgestelle als unwirksam angesehen, weil der Kläger unverschuldet an der Einhaltung der Regelfrist von einem Monat gehindert gewesen sei. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei der Kläger von der Aufnahme in das Nervenkrankenhaus bis zum 24. Oktober 1980 körperlich und geistig nicht in der Lage gewesen, der Beklagten die bereits erfolgte Antragstellung mitzuteilen. Nach der Bewilligung des einwöchigen Urlaubs vom 24. Oktober bis 30. Oktober 1980 habe der Kläger diese Mitteilung unverzüglich durch Erhebung der Feststellungsklage nachgeholt. Damit habe der Kläger alles seinem Krankheitsbild entsprechende getan, um sich den Sonderkündigungsschutz als Schwerbehinderter zu erhalten.
3. Die tatsächliche Feststellung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger sei von der Aufnahme in das Nervenkrankenhaus bis zum 24. Oktober 1980 zur Mitteilung der Antragstellung nicht in der Lage gewesen, bindet den Senat (§ 561 Abs. 2 ZPO). Denn sie ist im Revisionsverfahren nicht mit Verfahrensrügen angegriffen worden.
4. Auf der Grundlage dieser tatsächlichen Feststellung ist auch die rechtliche Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger habe trotz der Versäumung der Regelfrist seinen Sonderkündigungsschutz als Schwerbehinderter behalten, nicht zu beanstanden. a) Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat die Regelfrist aufgestellt, damit der Arbeitgeber von einem objektiv bestimmbaren Zeitpunkt an darauf vertrauen darf, daß die Wirksamkeit der Kündigung nicht mehr wegen einer ihm nicht bekannten Schwerbehinderteneigenschaft in Zweifel gezogen werden kann und es der Einleitung eines Zustimmungsverfahrens (zu einer erneut auszusprechenden Kündigung) nicht bedarf. Lediglich als Folge (gleichsam als Reflex) dieser Wertung ergibt sich für den Arbeitnehmer die Obliegenheit, im eigenen Interesse für die Kenntniserlangung des Arbeitgebers innerhalb der Regelfrist zu sorgen, wenn er sich seinen Sonderkündigungsschutz erhalten will. Hierzu ist der Arbeitnehmer, der einen Antrag auf Feststellung seiner Schwerbehinderteneigenschaft gestellt hat, im Gegensatz zur Schwangeren, die ihren Zustand nicht kennt, auch stets in der Lage. Denn die Antragstellung kann er dem Arbeitgeber unmittelbar nach der Antragstellung mitteilen.
b) Eine Ausnahme von der der Regelfrist zugrundeliegenden Wertung ist deshalb nur geboten, wenn entweder der Arbeitgeber weniger schutzbedürftig oder der Arbeitnehmer schutzbedürftiger als im Regelfalle ist.
aa) Ersteres ist hier nicht der Fall. Der Beklagten war zwar bekannt, daß dem Kläger eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 % zuerkannt war und daß der Kläger wiederholt darauf hingewiesen hatte, daß er einen Antrag auf Feststellung seiner Schwerbehinderteneigenschaft stellen wolle. Die der Beklagten bekannte Minderung der Erwerbsfähigkeit um 40 % aber reichte für eine Schwerbehinderteneigenschaft gerade nicht aus; auch die der Beklagten bekannte Alkoholabhängigkeit des Klägers hatte mit der dann später anerkannten Schwerbehinderteneigenschaft nichts zu tun. Die Beklagte hatte also keinen Anlaß anzunehmen, der Kläger sei Schwerbehinderter oder habe bereits einen entsprechenden Antrag gestellt.
bb) Indessen war der Kläger schutzbedürftiger als ein Arbeitnehmer im Regelfalle, weil er während der Regelfrist körperlich und geistig nicht in der Lage war, dem Arbeitgeber die Antragstellung mitzuteilen.
Die der Einführung der Regelfrist zugrundeliegende Wertung geht davon aus, daß dem Arbeitnehmer noch die Regelfrist zur Verfügung steht, um dem Arbeitgeber die Schwerbehinderteneigenschaft oder die entsprechende Antragstellung mitzuteilen. Wollte man unberücksichtigt lassen, ob der Arbeitnehmer diese Möglichkeit der nachträglichen Unterrichtung des Arbeitgebers tatsächlich hatte, so würde man dem Arbeitnehmer im Ergebnis auferlegen, zur Vermeidung der sich aus einer späteren Verhinderung ergebenden Risiken dem Arbeitgeber sofort von der Antragstellung Mitteilung zu machen.
Hiergegen bestehen (jedenfalls für die Mitteilung der Antragstellung; anderes gilt möglicherweise für die Mitteilung der Schwerbehinderteneigenschaft) Bedenken. Der Arbeitnehmer kann durchaus ein berechtigtes Interesse daran haben, den Arbeitgeber nicht sofort davon zu unterrichten, daß er einen Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter gestellt hat. Denn die Erfolgsaussichten dieses Antrags können zweifelhaft sein; auch wird meist der Gedanke an eine mögliche Kündigung überhaupt noch nicht aufkommen. Aber selbst wenn - wie im Falle des Klägers - die Gefahr einer Kündigung bereits besteht, kann der Arbeitnehmer regelmäßig davon ausgehen, daß er die Antragstellung dem Arbeitgeber noch rechtzeitig nach Zugang der Kündigung mitteilen kann.
c) Eine Obliegenheit des Arbeitnehmers, den Arbeitgeber schon vor dem Ablauf der Regelfrist von der erfolgten Antragstellung zu unterrichten, besteht deshalb nur, wenn der Arbeitnehmer aufgrund besonderer Umstände damit rechnen muß, er könne während des restlichen Laufes der Regelfrist an der Unterrichtung des Arbeitgebers gehindert sein. In einem solchen Falle handelt er auf eigenes Risiko, wenn er die Unterrichtung des Arbeitgebers aufschiebt.
Im Streitfalle sind solche besonderen Umstände nicht festgestellt. Selbst wenn, worauf die Revision zutreffend hinweist, der Kläger in den ersten beiden Tagen nach Zugang der Kündigung noch zur Unterrichtung der Beklagten in der Lage gewesen sein sollte, so ergeben sich doch keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, der Kläger habe an diesen beiden Tagen - oder gar schon früher - vorhersehen können, daß er für die Dauer eines ganzen Monats nicht in der Lage sein würde, der Beklagten die Antragstellung mitzuteilen. IV. Die Revision war daher mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Roeper Dr. Becker Dr. Steckhan
Nehring Jubelgas
Fundstellen
DB 1985, 2106-2107 (LT1-2) |
BehindR 1985, 88-89 (LT1) |
BlStSozArbR 1985, 324-325 (T) |
NZA 1986, 31-32 (LT1-2) |
RzK, IV 8a Nr 7 (LT1-2) |
AP § 12 SchwbG (LT1-2), Nr 14 |
AR-Blattei, ES 1440 Nr 78 (LT1-2) |
AR-Blattei, Schwerbehinderte Entsch 78 (LT1-2) |
EzA § 12 SchwbG, Nr 14 |