Entscheidungsstichwort (Thema)
Urteil ohne Tatbestand - Kündigung wegen Entziehung der Fahrerlaubnis
Orientierungssatz
1. Gemäß § 313 Abs 1 Nr 5 ZPO, der vorbehaltlich der Sonderregelung des § 543 ZPO auch für ein Berufungsurteil gilt, muß das Urteil einen den Anforderungen des § 313 Abs 2 ZPO entsprechenden Tatbestand enthalten. Nur dann, wenn gegen das Berufungsurteil die Revision nicht stattfindet, kann gemäß § 543 Abs 1 ZPO von der Darstellung des Tatbestandes abgesehen werden. Ist hingegen die Revision statthaft, muß das Berufungsurteil einen Tatbestand enthalten, für den allerdings die Erleichterungen des § 543 Abs 2 ZPO gelten. Diese Grundsätze sind auch dann anzuwenden wenn die Revision erst durch das Bundesarbeitsgericht aufgrund einer Nichtzulassungsbeschwerde zugelassen worden ist; denn auch dann findet gegen das Urteil die Revision statt, so daß dem Revisionsgericht nach dem Zweck dieser Vorschrift eine Nachprüfung des Berufungsurteils auf der Grundlage des vom Berufungsgericht festgestellten Sach- und Streitstandes ermöglicht werden muß.
2. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gilt im Kündigungsschutzrecht allgemein der Grundsatz, daß eine Beendigungskündigung, gleichgültig, ob sie auf betriebs-, personen- oder verhaltensbedingten Gründen beruht, und gleichgültig, ob sie als ordentliche oder außerordentliche Kündigung ausgesprochen wird, erst in Betracht kommt, wenn keine Möglichkeit zu einer anderweitigen Beschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz, unter Umständen auch zu schlechteren Arbeitsbedingungen, besteht, wobei der Arbeitgeber bei Vorliegen einer solchen Beschäftigungsmöglichkeit die Weiterbeschäftigung von sich aus anbieten muß. Dies gilt auch für den Fall, daß einem Arbeitnehmer wegen Trunkenheit am Steuer auf einer Privatfahrt für eine bestimmte Zeit die zur Ausübung seiner vertraglich geschuldeten Arbeit als Kraftfahrer erforderliche Fahrerlaubnis entzogen wird.
3. Ist der Arbeitnehmer an der Ausübung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit vorübergehend gehindert, so ist für die Frage, ob und welche Überbrückungsmaßnahmen dem Arbeitgeber für die Dauer der Verhinderung zumutbar sind, auch der Grund der Verhinderung von Bedeutung.
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 25.10.1989; Aktenzeichen 7 Sa 689/89) |
ArbG Siegburg (Entscheidung vom 16.05.1989; Aktenzeichen 4 Ca 214/89) |
Tatbestand
Das angefochtene Urteil enthält keinen formellen Tatbestand und keine Bezugnahme auf das erstinstanzliche Urteil, Schriftsätze und Protokolle. In der in den Entscheidungsgründen vorgenommenen rechtlichen Würdigung finden sich vereinzelte Tatsachenfeststellungen.
Mit welchen Anträgen, mit welchem unstreitigen Sachverhalt und mit welchem streitigen Vorbringen in der Berufungsinstanz verhandelt worden ist, ist dem Berufungsurteil nicht zu entnehmen.
Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien auch durch die fristgemäße Kündigung der Beklagten vom 20. Januar 1989 nicht aufgelöst ist.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts, soweit dieses die Klage abgewiesen hat. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht. Hierbei hat der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.
I. Das Berufungsurteil ist schon deshalb aufzuheben, weil es entgegen § 313 Abs. 1 Nr. 5, § 543 Abs. 2 ZPO keinen Tatbestand enthält und dieser Mangel, der von Amts wegen zu berücksichtigen ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG Urteil vom 30. Oktober 1987 - 7 AZR 92/87 - AP Nr. 7 zu § 543 ZPO 1977, m.w.N.), die revisionsrechtliche Überprüfung unmöglich macht.
1. Gemäß § 313 Abs. 1 Nr. 5 ZPO, der vorbehaltlich der Sonderregelung des § 543 ZPO auch für ein Berufungsurteil gilt, muß das Urteil einen den Anforderungen des § 313 Abs. 2 ZPO entsprechenden Tatbestand enthalten. Nur dann, wenn gegen das Berufungsurteil die Revision nicht stattfindet, kann gemäß § 543 Abs. 1 ZPO von der Darstellung des Tatbestandes abgesehen werden. Ist hingegen die Revision statthaft, muß das Berufungsurteil einen Tatbestand enthalten, für den allerdings die Erleichterungen des § 543 Abs. 2 ZPO gelten. Diese Grundsätze sind auch dann anzuwenden wenn, wie im vorliegenden Fall, die Revision erst durch das Bundesarbeitsgericht aufgrund einer Nichtzulassungsbeschwerde zugelassen worden ist; denn auch dann findet gegen das Urteil die Revision statt, so daß dem Revisionsgericht nach dem Zweck dieser Vorschrift eine Nachprüfung des Berufungsurteils auf der Grundlage des vom Berufungsgericht festgestellten Sach- und Streitstandes ermöglicht werden muß (BAG Urteil vom 22. November 1984 - 6 AZR 103/82 - AP Nr. 5 zu § 543 ZPO 1977).
2. Das angefochtene Urteil enthält keinen Tatbestand. Zwar finden sich in den die rechtliche Würdigung enthaltenden Ausführungen einzelne Tatbestandselemente. Diese genügen jedoch nicht, um erkennen zu können, daß das Urteil hinsichtlich der Anforderungen an seinen Tatbestand der Vorschrift des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO genügt (vgl. dazu BAG Urteil vom 30. Oktober 1987, aaO, zu I 2 a der Gründe).
a) Dem Tenor des angefochtenen Urteils ist zu entnehmen, daß Gegenstand des Berufungsverfahrens eine fristgemäße Kündigung der Beklagten vom 20. Januar 1989 gewesen ist. In den Entscheidungsgründen werden zunächst Erklärungen des Geschäftsführers der Beklagten und des Klägers wiedergegeben und daraufhin wird überprüft, ob der Kläger sich mit einer ordentlichen Kündigung einverstanden erklärt habe. Dies wird verneint und es wird weiter ausgeführt, die Beklagte sei offenbar selbst nicht von einem Einverständnis des Klägers ausgegangen, weil sie ein solches weder dem Betriebsrat noch dem Arbeitsgericht gegenüber geltend gemacht habe.
Den Ausführungen zur sozialen Rechtfertigung der Kündigung ist in tatsächlicher Hinsicht zu entnehmen, daß der seit dem Jahre 1980 bei der Beklagten beschäftigte und 49 Jahre alte Kläger als Kraftfahrer der Fahrerlaubnis der Klasse II bedurfte und ihm diese schon zweimal wegen alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit während einer Privatfahrt entzogen worden war. Der Kläger habe geltend gemacht, er sei nach dem erstmaligen Entzug der Fahrerlaubnis als Beifahrer eingesetzt worden und habe auch nach dem erneuten Entzug der Fahrerlaubnis in dieser Funktion oder als Gabelstaplerfahrer eingesetzt werden können. Die letztgenannte Möglichkeit habe bestanden, weil die Beklagte einen Gabelstaplerfahrer als Beifahrer habe einsetzen können, der hierzu bereit und im Besitz der Fahrerlaubnis der Klasse II gewesen sei. Die Beklagte habe behauptet, sie habe die unternehmerische Entscheidung getroffen, als Beifahrer nur Arbeitnehmer einzusetzen, die eine Fahrerlaubnis der Klasse II besäßen; die Beschäftigung des Klägers als Beifahrer hätte aber erhebliche Schwierigkeiten gemacht. Sie habe nicht geltend gemacht, daß der Kläger auch im Dienst Alkohol getrunken habe.
b) Diese punktuellen Feststellungen stellen auch in ihrer Gesamtheit keinen Tatbestand im Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO dar.
Die Feststellungen zur Frage eines Einverständnisses des Klägers mit einer ordentlichen Kündigung sind nicht entscheidungserheblich, weil die Beklagte sich im Prozeß hierauf nicht als Beendigungstatbestand berufen hat und das Gericht deshalb eine Entscheidung hierauf gar nicht stützen durfte.
Die Darstellung des Vortrags der Beklagten zur Frage, ob der Kläger als Beifahrer oder Gabelstaplerfahrer hätte eingesetzt werden können, enthält nur pauschale Zusammenfassungen, jedoch keine konkrete Schilderung der von der Beklagten für ihre Entscheidung im einzelnen vorgetragenen Umstände. Deshalb fehlt die Grundlage für eine revisionsrechtliche Überprüfung der Wertung des Berufungsgerichts, die Behauptung der Beklagten, die Beschäftigung des Klägers als Beifahrer hätte erhebliche Schwierigkeiten gemacht, sei wegen Fehlens einer näheren Erläuterung nicht nachvollziehbar, ein Einsatz des Klägers als Stapelfahrer erscheine nicht unzumutbar und die weitere Behauptung der Beklagten, ihr seien jedenfalls wegen der Wiederholung keine Überbrückungsmaßnahmen zumutbar gewesen, sei unzutreffend.
c) Dieser Mangel des angefochtenen Urteils ist auch nicht mit Hilfe von § 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO zu beheben. Nach dieser Vorschrift ist eine Bezugnahme auf das angefochtene Urteil sowie auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen zulässig, soweit hierdurch die Beurteilung des Parteivorbringens durch das Revisionsgericht nicht erschwert wird. Das angefochtene Urteil enthält jedoch keine solche Bezugnahme.
II. Für das erneute Berufungsverfahren gibt der Senat folgende Hinweise:
Legt man das bisherige schriftsätzliche Parteivorbringen zugrunde, so hätte das Berufungsgericht die ordentliche Kündigung mit der von ihm gegebenen Begründung nicht für sozial ungerechtfertigt erachten dürfen.
1. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:
Verliere ein Berufskraftfahrer vorübergehend seine Fahrerlaubnis, sei eine Entlassung nur dann billigenswert und angemessen, wenn er nicht anderweitig beschäftigt werden könne. Hier habe der Kläger geltend gemacht, vorübergehend als Beifahrer und Gabelstaplerfahrer eingesetzt werden zu können.
Einer solchen Weiterbeschäftigung stehe nicht entgegen, daß die Beklagte entschieden habe, auch als Beifahrer nur Arbeitnehmer mit Fahrerlaubnis der Klasse II einzusetzen. Es könne unterstellt werden, daß dies eine vom Gericht hinzunehmende Unternehmerentscheidung sei. Vorliegend komme es auf die Ausnahmeentscheidungen der Beklagten an, und bei diesen habe sich die Beklagte von überprüfbaren Interessenlagen leiten lassen. So habe der erstmalige Entzug der Fahrerlaubnis einer Weiterbeschäftigung des Klägers als Beifahrer nicht entgegengestanden.
Die weitere Behauptung der Beklagten, eine solche Beschäftigung des Klägers hätte erhebliche Schwierigkeiten bereitet, sei mangels näherer Erläuterungen nicht nachvollziehbar, zumal sie gegebenenfalls den Staplerfahrer als Beifahrer hätte einsetzen können, der hierzu bereit und in der Lage gewesen sei. Ein Einsatz des Klägers als Gabelstaplerfahrer erscheine nicht unzumutbar. Die Beklagte habe nicht geltend gemacht, daß der Kläger im Dienst Alkohol getrunken habe. Für die negative Beurteilung des Sicherheitsbeauftragten seien keine Gründe erkennbar. Zu Unrecht mache die Beklagte geltend, ihr seien jedenfalls wegen der Wiederholung keine Überbrückungsmaßnahmen zumutbar gewesen. Die Wiederholung habe lediglich zu einer Minderung der Anforderungen an die Bemühungen der Beklagten geführt. Der Kläger habe seit 1980 für die Beklagte gearbeitet und mit 49 Jahren die mit diesem Alter verbundenen Schwierigkeiten, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Deshalb sei die Beklagte zumindest zu einigen Anstrengungen verpflichtet, ihn vorübergehend anderweitig zu beschäftigen. Auch in dem hier vorliegenden Fall einer verschuldeten Arbeitsverhinderung müsse der Arbeitgeber konkret darlegen, wie sich diese auf den Betriebsablauf auswirke. Zudem sei der Kläger nicht, wie im Falle der Verbüßung einer Straftat, völlig, sondern nur für gewisse Tätigkeiten ausgefallen.
2. Bei dieser Würdigung hat das Berufungsgericht erheblichen und unter Beweis gestellten Vortrag der Beklagten nicht beachtet.
a) Die Beklagte hat vorgetragen (Bl. 99 VorA), im Zeitpunkt der Kündigung sei ungewiß gewesen, ob die Stelle des Klägers - also die Stelle eines LKW-Fahrers und nicht, wie das Berufungsgericht angenommen hat, diejenige eines Beifahrers - wieder besetzt werde, weil mehrere bisher belieferte Kunden abgesprungen seien. Tatsächlich habe sie seine Stelle auch nicht mehr besetzt. Trifft diese Behauptung zu, so schied ein Tausch zwischen dem Kläger und dem Gabelstaplerfahrer H - Einsatz des Klägers als Gabelstaplerfahrer, Einsatz H 's als LKW-Fahrer - bereits wegen Wegfalls des bisherigen Arbeitsplatzes des Klägers aus. Der Kläger hat den Vortrag der Beklagten zum Wegfall seines Arbeitsplatzes als LKW-Fahrer bestritten (Bl. 109 VorA).
Soweit das Berufungsgericht daher auf die Möglichkeit des Einsatzes des Klägers als Gabelstaplerfahrer abgestellt hat, hätte es über diese bestrittenen Behauptungen Beweis erheben müssen.
b)aa) Zur Frage des Einsatzes des Klägers als Beifahrer hat die Beklagte zunächst vorgetragen, sie setze grundsätzlich auch als Beifahrer nur festangestellte Mitarbeiter mit Fahrerlaubnis der Klasse II, Mitarbeiter ohne diese Qualifikation nur kurzfristig, z.B. zur Überbrückung von krankheits- oder urlaubsbedingten Ausfällen von Beifahrern ein. Der Kläger hätte aber für längere Zeit in dieser Funktion eingesetzt werden müssen, da er als Wiederholungstäter mit einem Entzug der Fahrerlaubnis für mindestens neun Monate habe rechnen müssen. Sie habe am 17. April 1989 im Zusammenhang mit der Umänderung der Faßabfüllerei zwei Arbeiter befristet bis zum 28. Juli 1989 eingestellt und sie ausschließlich in diesem Rahmen, nicht aber als Beifahrer eingesetzt. Nach dem erstmaligen Entzug der Fahrerlaubnis sei der Kläger nicht ausschließlich mit dem LKW-Fahrer B zusammen als Beifahrer eingesetzt worden. Er sei nicht nur von einer bestimmten Tour (B -M) ausgenommen worden. Vielmehr sei es auch zum Teil erforderlich gewesen, andere, normalerweise zusammen eingesetzte Teams auszutauschen. Überwiegend sei der Kläger jedoch mit dem Fahrer B gefahren. Im Durchschnitt sei er während des ersten Überbrückungszeitraums bis zu etwa 10 % seiner Gesamtarbeitszeit im Lager eingesetzt worden. Diese Ausweichmöglichkeit habe nach dem zweiten Entzug der Fahrerlaubnis nicht mehr bestanden, weil sie inzwischen im Lager zwei zusätzliche Arbeiter beschäftige (Bl. 96/97 VorA). Eine Stelle als Beifahrer sei im Zeitpunkt der Kündigung nicht frei gewesen, und es sei auch nicht absehbar gewesen, daß eine solche frei werde (Bl. 31 VorA). Es könne von ihr nicht verlangt werden, ihre Einsatzplanung der Auslieferungsfahrzeuge so einzurichten, daß eine Beschäftigung des Klägers als führerscheinloser Beifahrer auch über einen Zeitraum von mindestens neun Monaten möglich wäre. Dies sei praktisch nicht durchführbar, wäre betriebswirtschaftlich und gegenüber den Arbeitskollegen nicht sinnvoll und liefe ihrer Unternehmerentscheidung zuwider (Bl. 20 VorA).
Dieser Vortrag hat, zusammengefaßt, zum Inhalt, daß ein freier Arbeitsplatz des Klägers als Beifahrer, anders als nach der ersten Entziehung der Fahrerlaubnis an der Seite des Fahrers B, nicht vorhanden war.
Der Kläger hat demgegenüber vorgetragen, daß die Beklagte Mitarbeiter ohne Fahrerlaubnis der Klasse II längerfristig als Beifahrer einsetze. Zur Zeit der Kündigung sei zwar kein freier Arbeitsplatz als Beifahrer vorhanden gewesen. Diesen Zustand habe die Beklagte aber selbst herbeigeführt, da sie von seinem letzten Arbeitstag an zwei Mitarbeiter ohne Fahrerlaubnis der Klasse II befristet für drei bzw. sechs Monate eingestellt und als Beifahrer eingesetzt habe (Bl. 83 und 85 VorA).
Damit war nach dem bisherigen schriftsätzlichen Parteivortrag unstreitig, daß im Zeitpunkt der Kündigung tatsächlich kein freier Arbeitsplatz als Beifahrer vorhanden war. Streitig war, ob die Beklagte zu diesem Zeitpunkt zwei neue Mitarbeiter befristet für drei bis sechs Monate für diese Tätigkeit eingestellt hat.
bb) Das Berufungsgericht hat zugunsten der Beklagten unterstellt, daß ihre Entscheidung, grundsätzlich nur Mitarbeiter mit Fahrerlaubnis der Klasse II längerfristig als Beifahrer einzusetzen, eine grundsätzlich vom Gericht hinzunehmende Unternehmerentscheidung darstellt. Es hat dies jedoch für unerheblich angesehen, weil die Beklagte jedenfalls gegenüber dem Kläger nach dem ersten Entzug der Fahrerlaubnis eine Ausnahme gemacht und nicht nachvollziehbar dargelegt habe, eine erneute Ausnahmeentscheidung dieses Inhalts hätte erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Wie ausgeführt, hat die Beklagte jedoch substantiiert dargelegt, welche Unterschiede zwischen der Lage nach dem ersten und dem zweiten Entzug der Fahrerlaubnis des Klägers bestanden haben. Eine Einsatzmöglichkeit als Beifahrer in dem damaligen Umfang und als Gabelstaplerfahrer war danach nicht möglich. Die Begründung, die das Berufungsgericht für seine Würdigung gegeben hat, der Beklagten sei der Einsatz des Klägers als Beifahrer als Überbrückungsmaßnahme zumutbar gewesen, ist somit nach dem schriftsätzlichen Parteivortrag unzureichend, weil wesentlicher Vortrag der Beklagten als nicht nachvollziehbar angesehen worden ist.
3. Für die rechtliche Würdigung wird das Berufungsgericht folgendes zu beachten haben:
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gilt im Kündigungsschutzrecht allgemein der Grundsatz, daß eine Beendigungskündigung, gleichgültig, ob sie auf betriebs-, personen- oder verhaltensbedingten Gründen beruht, und gleichgültig, ob sie als ordentliche oder außerordentliche Kündigung ausgesprochen wird, erst in Betracht kommt, wenn keine Möglichkeit zu einer anderweitigen Beschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz, u.U. auch zu schlechteren Arbeitsbedingungen, besteht, wobei der Arbeitgeber bei Vorliegen einer solchen Beschäftigungsmöglichkeit die Weiterbeschäftigung von sich aus anbieten muß (BAGE 47, 26 = AP Nr. 8 zu § 2 KSchG 1969). Dies gilt auch für den Fall, daß einem Arbeitnehmer wegen Trunkenheit am Steuer auf einer Privatfahrt für eine bestimmte Zeit die zur Ausübung seiner vertraglich geschuldeten Arbeit als Kraftfahrer erforderliche Fahrerlaubnis entzogen wird (BAGE 30, 309 = AP Nr. 70 zu § 626 BGB; vgl. ferner Senatsurteil vom 18. Dezember 1986 - 2 AZR 34/86 - AP Nr. 2 zu § 297 BGB). In allen Fällen hat das Bundesarbeitsgericht eine Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers jedoch nur dann angenommen, wenn eine anderweitige Beschäftigung des Arbeitnehmers auf einem freien Arbeitsplatz möglich war.
b) Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, daß die Kündigung der Beklagten sozial gerechtfertigt ist, wenn der vorstehend wiedergegebene Sachvortrag der Beklagten zutrifft, weil dann im Zeitpunkt der Kündigung keine Beschäftigungsmöglichkeit auf einem freien Arbeitsplatz bestanden hat. Dies gilt auch für eine Beschäftigung des Klägers als Gabelstaplerfahrer, wenn die Beklagte im Zeitpunkt der Kündigung wegen ungewisser Entwicklung des Umsatzes bei der Getränkeauslieferung den Arbeitsplatz des Klägers als Auslieferungsfahrer nicht mehr besetzt hätte.
c) War unabhängig von dem Tausch mit dem Gabelstaplerfahrer der Arbeitsplatz eines Beifahrers frei, und hat die Beklagte als Beifahrer ohne Fahrerlaubnis der Klasse II auch Mitarbeiter - sogar festangestellte - nicht nur für begrenzte kurze Zeiträume, sondern für längere Zeit eingesetzt, so könnte eine Beschäftigungspflicht der Beklagten in Betracht zu ziehen sein.
Zwar geht die Beklagte zutreffend davon aus, daß ihre Entscheidung, grundsätzlich nur festangestellte Mitarbeiter mit Fahrerlaubnis der Klasse II als Beifahrer einzusetzen, eine organisatorische Unternehmerentscheidung darstellt, die im Hinblick auf die hierfür angeführten Gründe (Einhaltung der Lenkzeiten bei längeren Touren, Möglichkeit jederzeitiger Übernahme des Steuers durch den Beifahrer bei Ausfall des Fahrers) weder als offenbar unvernünftig noch willkürlich anzusehen ist und deshalb von den Gerichten nicht überprüft werden kann (vgl. BAGE 55, 262, 270 ff. = AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu III 2 b, c der Gründe, m.w.N.). Nachprüfbar für die Gerichte ist jedoch, ob die Durchführung der Unternehmerentscheidung zum Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers führt (vgl. Senatsurteil vom 18. Januar 1990 - 2 AZR 183/89 -, auch zur Veröffentlichung bestimmt). Führt der Unternehmer daher ein bestimmtes Konzept nicht strikt durch, sondern läßt selbst Ausnahmen zu, so ist nachzuprüfen, ob im konkreten Fall der gekündigte Arbeitnehmer unter einen solchen Ausnahmetatbestand fällt. Das setzt voraus, daß der Arbeitgeber auch bei seinen Ausnahmeentscheidungen ein gewisses Konzept verfolgt. Im vorliegenden Fall müßte die Beklagte dann Gründe für den längerfristigen Einsatz von festangestellten Beifahrern ohne Fahrerlaubnis der Klasse II vortragen, die auf den Kläger nicht zutreffen. Nur dann könnte nachgeprüft werden, ob letztlich das gesamte Konzept - Grundsatzentscheidung und Ausnahme - einem Einsatz des Klägers als Beifahrer entgegenstand. Läßt der Unternehmer Ausnahmen von einem bestimmten Konzept zu, geht er selbst nicht davon aus, daß sein Unternehmensziel nur durch die strikte Durchführung seines Konzepts verwirklicht werden kann (vgl. Senatsurteil vom 18. Januar 1990, aaO).
d) Bestand nach dem Ausfall des Klägers als Fahrer weiterhin eine Einsatzmöglichkeit auf diesem Arbeitsplatz, so war der Einsatz des Gabelstaplerfahrers H als Fahrer und der des Klägers auf dessen Posten objektiv möglich. Das Berufungsgericht müßte dann prüfen, ob es der Beklagten zumutbar war, dem rund 15 Monate nach der ersten Trunkenheitsfahrt und etwa sechs Monate nach Wiedererteilung der Fahrerlaubnis wegen Alkohols am Steuer, wenn auch im privaten Bereich, rückfällig gewordenen Kläger die Führung eines Gabelstaplers zu übertragen. Ist der Arbeitnehmer an der Ausübung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit vorübergehend gehindert, so ist für die Frage, ob und welche Überbrückungsmaßnahmen dem Arbeitgeber für die Dauer der Verhinderung zumutbar sind, auch der Grund der Verhinderung von Bedeutung. So hat der Senat entschieden, daß dem Arbeitgeber zur Überbrückung des Ausfalls eines wegen Strafverbüßung verhinderten Arbeitnehmers geringere Anstrengungen und Belastungen zuzumuten sind als im Falle eines krankheitsbedingten Ausfalls (Urteil vom 15. November 1984 - 2 AZR 613/83 - AP Nr. 87 zu § 626 BGB). Entsprechendes gilt auch, wenn gegen den Arbeitnehmer wegen einer Straftat, dazu noch im Rückfall, eine Maßregel der Besserung und Sicherung wie die Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) verhängt wird, die ihn jedenfalls an der Ausübung seiner vertraglich geschuldeten Tätigkeit hindert.
Hillebrecht Triebfürst Bitter
Thieß Nipperdey
Fundstellen
Haufe-Index 437580 |
RzK, I 5h 18 (ST1-2) |