Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Anforderungen an die Begründung der Berufung
Orientierungssatz
1. Die Zulässigkeit der Berufung ist eine vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfende Prozessvoraussetzung. Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Berufungsbegründung iSd. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO, verwirft das Landesarbeitsgericht die Berufung aber nicht als unzulässig, sondern weist sie in der Sache zurück, hat das Revisionsgericht die Revision des Berufungsklägers mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Berufung als unzulässig verworfen wird.
2. Um den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung der Berufung zu genügen, muss sich der Berufungskläger in der Berufungsbegründung mit den konkreten Argumenten des angefochtenen Urteils befassen. Der pauschale Hinweis auf die Entscheidung eines anderen Gerichts kann eine eigene Auseinandersetzung des Berufungsklägers mit der angefochtenen Entscheidung grundsätzlich selbst dann nicht ersetzen, wenn dieses Gericht zu dem vom Berufungskläger mit der Berufung angestrebten Ergebnis gekommen ist.
Normenkette
ArbGG § 64 Abs. 6 S. 1; ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 17. Mai 2011 – 3 Sa 1867/10 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 13. Oktober 2010 – 3 Ca 94/10 – als unzulässig verworfen wird.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger begehrt von der Beklagten, Urlaub aus den Jahren 2003 bis 2008 abzugelten.
Rz. 2
Die Parteien verband bis zum 30. September 2008 ein Arbeitsverhältnis. Die Beklagte beschäftigte den mit einem Grad von 50 schwerbehinderten Kläger als Kfz-Mechaniker.
Rz. 3
Die Parteien wendeten auf ihr Arbeitsverhältnis den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst vom 13. September 2005 (TVöD) an. Dieser enthält ua. folgende Regelung:
Ҥ 37
Ausschlussfrist
(1) Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit von der/dem Beschäftigten oder vom Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden. …”
Rz. 4
Der Kläger war im Zeitraum vom 16. September 2002 bis zum 30. September 2008 durchgehend arbeitsunfähig krank.
Rz. 5
Mit Schreiben vom 29. Juli 2009 verlangte der Kläger von der Beklagen erfolglos, den Urlaub für die Jahre 2003 bis 2008 abzugelten.
Rz. 6
Der Kläger hat die Rechtsauffassung vertreten, zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses habe er Anspruch auf 115 Arbeitstage gesetzlichen Mindesturlaub und 29 Arbeitstage Schwerbehindertenzusatzurlaub gehabt. Infolge seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit sei der Urlaubsanspruch nicht verfallen. Die Ausschlussfrist des § 37 Abs. 1 TVöD stehe dem erhobenen Anspruch nicht entgegen, da die gesetzlich wie unionsrechtlich garantierten Urlaubsansprüche tariflichen Ausschlussfristen nicht unterfielen. Selbst wenn § 37 Abs. 1 TVöD auf den Klageanspruch Anwendung finde, habe er die Frist gewahrt. Denn der Anspruch sei erst mit der Verkündung der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 24. März 2009 (– 9 AZR 983/07 – BAGE 130, 119) entstanden.
Rz. 7
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 15.540,48 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 12.410,80 Euro seit dem 7. Januar 2010 und aus 3.129,68 Euro seit dem 17. Juni 2010 zu zahlen.
Rz. 8
Die Beklagte hat die Abweisung der Klage ua. mit der Begründung beantragt, der Klageanspruch sei gemäß § 37 Abs. 1 TVöD verfallen.
Rz. 9
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 10
Die Revision ist unbegründet, weil bereits die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts unzulässig gewesen ist. Das Landesarbeitsgericht hätte die Berufung als unzulässig verwerfen müssen, da die Berufungsbegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen genügt.
Rz. 11
I. Die Zulässigkeit der Berufung ist Prozessvoraussetzung für das gesamte weitere Verfahren nach Einlegung der Berufung und deshalb vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen. Genügt die Berufungsbegründung nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO, verwirft das Landesarbeitsgericht die Berufung aber nicht als unzulässig, sondern weist sie in der Sache zurück, hat das Revisionsgericht die Revision des Berufungsklägers mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Berufung als unzulässig verworfen wird. Dass das Berufungsgericht das Rechtsmittel für zulässig gehalten hat, ist ohne Bedeutung (vgl. BAG 15. März 2011 – 9 AZR 813/09 – Rn. 9 mwN, AP ArbGG 1979 § 64 Nr. 44).
Rz. 12
II. Der Kläger hat die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts nicht ausreichend begründet.
Rz. 13
1. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Gemäß § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Begründung der Berufung auch im Urteilsverfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen anwendbar.
Rz. 14
a) Erforderlich ist eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Die Regelung des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO soll gewährleisten, dass der Rechtsstreit für die Berufungsinstanz durch eine Zusammenfassung und Beschränkung des Rechtsstoffs ausreichend vorbereitet wird. Deshalb hat der Berufungskläger die Beurteilung des Streitfalls durch den Erstrichter zu überprüfen und darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und aus welchen Gründen er das angefochtene Urteil für unrichtig hält. Dadurch soll bloß formelhaften Berufungsbegründungen entgegengewirkt werden. Die Berufungsbegründung muss deshalb auf den Streitfall zugeschnitten sein. Eine schlüssige Begründung kann zwar nicht verlangt werden. Jedoch muss sich die Berufungsbegründung mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie diese bekämpfen will. Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen (BAG 15. März 2011 – 9 AZR 813/09 – Rn. 11 mwN, AP ArbGG 1979 § 64 Nr. 44).
Rz. 15
b) Der pauschale Hinweis auf die Entscheidung eines anderen Gerichts kann eine eigene Auseinandersetzung des Berufungsklägers mit der angefochtenen Entscheidung grundsätzlich selbst dann nicht ersetzen, wenn dieses Gericht zu dem vom Berufungskläger mit der Berufung angestrebten Ergebnis gekommen ist. Aus einer solchen Bezugnahme lässt sich ohne eigenständige Würdigung dieser Entscheidung durch den Berufungskläger und ihre Anwendung auf die anzufechtende Entscheidung nicht entnehmen, welche rechtlichen Argumente das Gericht in der herangezogenen Entscheidung für tragend erachtet hat. Insbesondere lässt sich nicht erkennen, ob und inwieweit sich die Argumentation der in Bezug genommenen Entscheidung auf die tragenden Gründe der angefochtenen Entscheidung bezieht und damit überhaupt geeignet ist, diese infrage zu stellen (vgl. BAG 19. Oktober 2010 – 6 AZR 118/10 – Rn. 14, EzA ZPO 2002 § 520 Nr. 8).
Rz. 16
2. Die Berufungsbegründungsschrift des Klägers vom 21. Februar 2011 genügt diesen Anforderungen nicht.
Rz. 17
a) Das Arbeitsgericht hat angenommen, mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30. September 2008 habe sich der Urlaubsanspruch des Klägers gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG in einen Abgeltungsanspruch umgewandelt, der zu diesem Zeitpunkt fällig geworden sei. Geltend gemacht habe der Kläger den Anspruch erstmals mit dem Schreiben vom 29. Juli 2009 und damit außerhalb der am 30. März 2009 abgelaufenen Ausschlussfrist.
Rz. 18
b) Die Berufungsbegründungsschrift enthält keine argumentative Auseinandersetzung mit diesen Erwägungen des Arbeitsgerichts.
Rz. 19
aa) Dem Kläger oblag es aufzuzeigen, warum die Annahme des Arbeitsgerichts unrichtig ist, der Urlaubsabgeltungsanspruch sei gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30. September 2008 entstanden. Die bloße Wiederholung seines erstinstanzlichen Vortrags aus der Klageschrift vom 23. Dezember 2009, das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 24. März 2009 (– 9 AZR 983/07 – BAGE 130, 119) sei eine Anspruchsgrundlage, genügt hierzu nicht. Argumente aus der herangezogenen Entscheidung, die seiner Auffassung nach seine Rechtsansicht stützen, hat der Kläger nicht dargetan. Eine solche Darlegung war insbesondere deswegen unverzichtbar, weil das Bundesarbeitsgericht in der vom Kläger angezogenen Entscheidung (BAG 24. März 2009 – 9 AZR 983/07 – Rn. 69, aaO) angenommen hat, der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Urlaubsabgeltung werde mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig.
Rz. 20
bb) Eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Arbeitsgerichts war nicht deshalb entbehrlich, weil das Arbeitsgericht die Ansicht des Klägers, sein Abgeltungsanspruch sei erst mit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 24. März 2009 (– 9 AZR 983/07 – aaO) entstanden, nicht ausdrücklich gewürdigt hat. Maßgebend ist, dass das Arbeitsgericht deutlich zu erkennen gegeben hat, dass es die Rechtsauffassung des Klägers nicht teilt, indem es angenommen hat, mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30. September 2008 habe sich der Urlaubsanspruch des Klägers gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG in einen Abgeltungsanspruch umgewandelt, der zu diesem Zeitpunkt fällig geworden sei.
Rz. 21
III. Der Kläger hat die Kosten der ohne Erfolg eingelegten Revision zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Brühler, Krasshöfer, Klose, Kranzusch, Martin Lücke
Fundstellen
Haufe-Index 3710778 |
DB 2013, 1616 |