Entscheidungsstichwort (Thema)
Erweiterung des Direktionsrechts durch Tarifvertrag. Tarifauslegung. tarifvertragliche Erweiterung des Weisungsrechts auf Grund von Rationalisierungsmaßnahmen über die arbeitsvertraglich beschriebenen Grenzen hinaus. Anforderungen an die Verwirkung von Rechten. Tarifvertragsrecht
Orientierungssatz
- Der Senat läßt unentschieden, ob § 5 Nr. 1.3.2 des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer der Papierindustrie in der Bundesrepublik Deutschland vom 7. Februar 1997 eine Erweiterung des Weisungsrechts des Arbeitgebers dahin zu entnehmen ist, daß dieser auch Tätigkeiten auf Dauer zuweisen kann, die tarifvertraglich niedriger zu vergüten sind als die arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeiten.
- Aus der Systematik des Tarifvertrages ergibt sich, daß dem Arbeitnehmer allenfalls eine – nur – im ganzen gleichwertige und zumutbare andere Tätigkeit zugewiesen werden kann, ohne daß der Arbeitsvertrag geändert wird. Diese Grenze wird überschritten, wenn einem Arbeitnehmer eine Tätigkeit zugewiesen wird, deren Vergütung um 37,6 % unter seinem bisherigen Monatseinkommen liegt und die mit einer Abstufung in der betrieblichen Hierarchie verbunden ist.
Normenkette
TVG § 1 Tarifverträge: Papierindustrie; Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Papierindustrie in der Bundesrepublik Deutschland vom 7. Februar 1997 § 5; BGB § 315
Verfahrensgang
Tenor
- Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 27. September 2001 – 4 Sa 348/00 – aufgehoben.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 10. Februar 2000 – 10b Ca 491/99 I – abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt,
- den Kläger entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen vom 1. März 1986 als Schichtwerkführer zu beschäftigen;
an den Kläger 25.731,27 DM (= 13.156,19 €) nebst 4 % Zinsen aus jeweils 2.099,58 DM (= 1.073,50 €) seit dem 1. Februar, 1. März und 1. April 1999 sowie nebst 4 % Zinsen aus jeweils 2.159,17 DM (= 1.103,97 €) seit dem 1. Mai, 1. Juni, 1. Juli, 1. August , 1. September, 1. Oktober, 1. November, 1. Dezember 1999 und 1. Januar 2000 zu zahlen.
Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger über den 31. Dezember 1998 hinaus bis zum 31. März 1999 ein Monatsgehalt in Höhe von 5.582,00 DM und ab dem 1. April 1999 ein Monatsgehalt in Höhe von 5.748,97 DM zu zahlen.
- Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger wehrt sich mit seiner am 6. April 1999 eingegangenen Klage gegen eine zum 1. November 1997 verfügte Umsetzung vom Schichtwerkführer zum Maschinenführer und die damit verbundene Umgruppierung von Gehaltsgruppe C in Lohngruppe 6. Er begehrt Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen und Zahlung der Vergütungsdifferenz für das Jahr 1999 nach Ablauf eines Verdienstsicherungszeitraums von 14 Monaten.
Der 1948 geborene ledige Kläger ist bei der Beklagten, die eine Papier- und Pappefabrik mit ca. 150 Arbeitnehmern betreibt, seit dem 16. September 1974 beschäftigt und war bis Februar 1986 mehrere Jahre als Maschinenführer an einer Papiermaschine tätig. Er wurde sodann als Schichtwerkführer angelernt und seit dem 1. März 1986 eingesetzt. Hierzu unterzeichneten die Parteien am 1. März 1986 einen Formulararbeitsvertrag, in dem es ua. heißt:
“1) Tätigkeit
Der Angestellte wird als Schichtwerkführer (Papierfabrik) eingestellt und mit einschlägigen Arbeiten nach näherer Anweisung der Betriebsleitung und seiner Vorgesetzten beschäftigt. Nach Anweisung der Betriebsleitung und seiner Vorgesetzten sind auch andere zumutbare Arbeiten zu verrichten.
…
6) Kollektiv-Regelung
Für die Arbeitsbedingungen gelten die jeweiligen Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen der Betriebsstätte, in welcher der Angestellte eingesetzt ist. Sie sind für beide Teile bindend.”
Nach der Anlage zum Arbeitsvertrag war der Kläger in die Gehaltsgruppe C eingruppiert. Er erhielt zuletzt ein entsprechendes Bruttomonatsgehalt von 5.582,00 DM; seit April 1999 beträgt das entsprechende Gehalt nach der Gehaltsgruppe C 5.748,97 DM.
Bei der Beklagten wird im 4-Schicht-Betrieb gearbeitet. Es gab ursprünglich in einer Werkhalle eine große Kartonmaschine (KM) und in einer weiteren Werkhalle zwei Papiermaschinen (PM 1 und 2). In einer oberen Etage unterhielt die Beklagte ein Prüflabor, in dem an Hand von Stichproben Qualitätsprüfungen des erzeugten Papiers vorgenommen wurden. Die Überwachung der KM erfolgte zunächst durch fünf, die der PM 1 und 2 durch vier Schichtwerkführer sowie zwei Springer. Die Fertigungsarbeiten an den Papiermaschinen wurden von jeweils einem Maschinenführer und einem Gehilfen durchgeführt. Der Schichtwerkführer PM war dem Produktionsleiter unter- und den Maschinenführern übergeordnet. Zu seinen Aufgaben gehörte die Bestellung der Stoffmengen, die Qualitätskontrolle, die Kontrolle des Prozeßablaufs und die Aufsicht über die an den Maschinen tätigen Mitarbeiter.
Die PM 1 wurde im Jahre 1993 zunächst vorläufig stillgelegt und sollte nur bei entsprechender Marktsituation wieder in Betrieb genommen werden. 1997 beschloß die Beklagte dann, sie endgültig nicht mehr in Betrieb zu nehmen und ließ sie demontieren. Auf den frei gewordenen Platz in der Werkshalle wurde das Prüflabor verlegt. Der Gehilfe an der PM 2 wurde seit dem 1. November 1997 durch einen Maschinenführer ersetzt, so daß seither gleichzeitig zwei Maschinenführer tätig sind, die sich in Bedienung und Überwachung der PM 2 und der Laborarbeit abwechseln; Gehilfen sind nicht mehr tätig. Neben den beiden Maschinenführern wird pro Schicht ein Schichtwerkführer gemeinsam für die KM und die PM 2 eingesetzt, der für die Steuerung des Personaleinsatzes und des Materialnachschubs sowie die Störungsbehebung zuständig ist. Insgesamt werden mithin für den 4-Schicht-Betrieb einschließlich eines Springers noch fünf Schichtwerkführer beschäftigt.
Die Beklagte führte unter den neun Schichtwerkführern nach einem auf fachliche und soziale Gesichtspunkte aufgebauten Punktesystem eine Auswahl durch, bei der der Kläger wegen fehlender Ausbildung zum Papiermacher/-meister und fehlender Erfahrung mit der KM sowie wegen seiner Sozialdaten die wenigsten Punkte erhielt.
Unter Hinweis auf die geplante Umstrukturierung bat die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 24. September 1997 um Zustimmung zu seiner Umgruppierung als Maschinenführer mit Lohngruppe 6 zu einem Stundenlohn von 20,65 DM nebst freiwilliger Leistungszulage von 1,36 DM = 22,01 DM. Der Kläger ließ mit Schreiben seiner Prozeßbevollmächtigten anfragen, ob die Beklagte eine Änderungskündigung ausgesprochen habe, gegen die er sich ggf. mit einer Kündigungsschutzklage zur Wehr setzen wolle. Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 15. Oktober 1997, es handele sich bei dem Schreiben vom 24. September 1997 um die Ankündigung der Maßnahme. Am 17. Oktober 1997 wurde den von der geplanten Umsetzung betroffenen vier Schichtwerkmeistern neue Arbeitsverträge zur Unterzeichnung vorgelegt. Der Kläger verweigerte die Unterzeichnung. Er nahm die Tätigkeit als Maschinenführer zum 1. November 1997 auf, wobei ihm im Vergleich zu seiner vorangegangenen Tätigkeit einige organisatorische und logistische Aufgaben entzogen waren. Auf weitere Bitte des Klägers um Klarstellung, daß sein Status unangetastet bleibe, ließ die Beklagte durch den Arbeitgeberverband mit Schreiben vom 29. Januar 1998 erklären, sie stütze die Umsetzung des Klägers auf § 5 Ziff. 1.3 des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer der Papierindustrie in der Bundesrepublik Deutschland vom 7. Februar 1997 (MTV). § 5 dieses nach Ziffer 6 des Arbeitsvertrages anwendbaren MTV lautet im hier wesentlichen:
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Absicherung der Arbeitnehmereinkommen
1. Folgen von Rationalisierungsmaßnahmen
1.1. Rationalisierungsbegriff
1.1.1. Führen betriebliche Maßnahmen, die eine rationellere Arbeitsweise bezwecken, die jedoch nicht unmittelbar durch Absatzrückgang bedingt sind (Rationalisierungsmaßnahmen), unmittelbar oder infolge einer dadurch bedingten Umsetzung zu Minderungen des Arbeitsentgelts, Umschulungsmaßnahmen oder Entlassungen, so gelten die folgenden Bestimmungen:
1.1.2. Rationalisierungsmaßnahmen sind unter den Voraussetzungen der Ziffer 1.1.1:
…
1.1.2.3. wesentliche Änderungen der fertigungstechnischen Arbeitsmethoden, wesentliche organisationstechnische Umgestaltungen des betrieblichen Arbeitsablaufs* und die Vergabe betrieblicher Dienstleistungsarbeiten an Spezialunternehmen, wenn diese Maßnahmen eine Gruppe oder mehrere Gruppen von Beschäftigten betreffen;
1.1.2.4. Stillegungen von Produktionen oder Verwaltungen in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit ihrer Verlegung innerhalb des Unternehmens an einen anderen Ort.
…
1.3. Umsetzungen
1.3.1. Fallen infolge von Rationalisierungsmaßnahmen Arbeitsplätze weg, sollen die betroffenen Arbeitnehmer nach Möglichkeit auf andere gleichwertige Arbeitsplätze umgesetzt werden.
1.3.2. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, andere zumutbare Arbeiten zu leisten.
1.3.3. Sind keine gleichwertigen und zumutbaren Arbeiten vorhanden, sollen den betroffenen, im Betrieb tätigen Arbeitnehmern nach Möglichkeit später freiwerdende derartige, ihrem Leistungsvermögen entsprechende Arbeiten bevorzugt angeboten werden.
1.3.4.1. Umsetzungen, die mit Verdienstausgleich gemäß Ziffer 1.4 verbunden sind, werden dem Arbeitnehmer mit einer Frist von 4 Wochen angekündigt.
1.3.4.2. §§ 99 ff. BetrVG bleiben unberührt.
1.4. Verdienstausgleich
1.4.1. Führen Rationalisierungsmaßnahmen unmittelbar oder infolge einer dadurch bedingten Umsetzung zu einer Minderung des durchschnittlichen Stundenverdienstes, so erhält der Arbeitnehmer für die Dauer von 8/10/12 Monaten einen Verdienstausgleich nach der folgenden Staffel, so daß er im Durchschnitt des Lohnabrechungszeitraumes jeweils 100 % seines bisherigen vor der Rationalisierungsmaßnahme erzielten durchschnittlichen Stundenverdienstes erreicht: …
1.5 Abfindungen
1.5.1. Arbeitnehmer, die aufgrund einer rationalisierungsbedingten Kündigung entlassen werden, erhalten eine Abfindung nach folgender Staffel: …
1.5.4. Keinen Anspruch auf Abfindung haben Arbeitnehmer, die
1.5.4.1. eine zugleich mit der Kündigung angebotene im ganzen gleichwertige und zumutbare andere Tätigkeit auch in einem fremden Betrieb aufnehmen oder eine derartige Tätigkeit oder eine Umschulung gemäß Ziffer 1.6 dafür abgelehnt haben, … ”
Nach Einstellung der Differenzzahlung mit der Lohnabrechnung im Januar 1999 korrespondierten die Parteien im März 1999 erneut über die Verdiensteinbußen.
Mit seiner am 6. April 1999 eingegangenen Klage hat der Kläger seine Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen als Schichtwerkführer zu dem ursprünglichen Monatsgehalt sowie Zahlung der Differenzbeträge seit Wegfall der Ausgleichszulage von Januar bis Dezember 1999 – zunächst monatlich 2.099,58 DM, seit April 1999 monatlich 2.159,17 DM – verlangt. Der Kläger hält die Umsetzung für unwirksam. Eine tarifvertragliche Regelung könne nicht die Möglichkeit eröffnen, einem Arbeitnehmer einen geringerwertigeren Arbeitsplatz bei gleichzeitiger Herabstufung vom Gehalts- zum Lohnempfänger mit zusätzlichen Einkommenseinbußen zuzuweisen. Die Tarifvertragsparteien hätten den Bestandsschutz der einzelnen Arbeitsplätze auch gar nicht unterlaufen und das Erfordernis der Änderungskündigung nicht beseitigen wollen. Zudem sei der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß nach § 99 BetrVG beteiligt worden.
Der Kläger hat sinngemäß beantragt,
- den Kläger zu unveränderten Bedingungen als Schichtwerkführer entsprechend dem Arbeitsvertrag vom 1.3.1986 weiter zu beschäftigen.
- Die Beklagte wird im Wege der Zwischenfeststellungsklage verpflichtet, den Kläger entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen zu einem Monatsgehalt von 5.582,00 DM brutto bis 31.3.1999, ab 1.4.1999 zu einem Monatsgehalt von 5.748,97 DM zu beschäftigen.
- Die Beklagte wird verpflichtet, an ihn 25.731,27 DM für die Monate Januar bis Dezember 1999 nebst Zinsen auf die jeweiligen monatlichen Differenzbeträge, jeweils ab dem 1. des Folgemonats zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat den Standpunkt eingenommen, der Kläger habe sein Klagerecht verwirkt, da er nach Beendigung des Schriftwechsels im Januar 1999 ohne Klageerhebung die Tätigkeit als Maschinenführer aufgenommen habe. Die Umsetzung sei wirksam, da die tariflichen Voraussetzungen vorlägen, durch die ihr Direktionsrecht erweitert worden sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen, der mit der Revision seine letzten Klageanträge weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann der Kläger von der Beklagten verlangen, als Schichtwerkführer weiterbeschäftigt und nach § 14 MTV iVm. den Gehaltsabkommen vom 18. Mai 1998 (Tarifgehalt für Januar – März 1999) und vom 16. April 1999 (Tarifgehalt April – Dezember 1999) entsprechend in der geltend gemachten, rechnerisch zwischen den Parteien nicht umstrittenen Höhe vergütet zu werden.
Der Kläger hat durch den Arbeitsvertrag vom 1. März 1986 einen Rechtsanspruch erworben, als angestellter Schichtwerkführer beschäftigt und mit der dieser Tätigkeit entsprechenden vereinbarten Vergütung nach der Gehaltsgruppe C bezahlt zu werden.
Diese vertragliche Verpflichtung der Beklagten ist nicht einvernehmlich verändert worden. Der Kläger hat den ihm vorgelegten Änderungsvertrag vom 17. Oktober 1997, wonach er in der Funktion als Maschinenführer als gewerblicher Arbeitnehmer weiterbeschäftigt werden sollte, nicht unterschrieben.
Die Beklagte hat die von ihr am 1. März 1986 vertraglich übernommenen Verpflichtungen auch nicht wirksam einseitig abgeändert.
1. Das allgemeine arbeitsvertragliche Weisungsrecht wird durch den Arbeitsvertrag begrenzt. Es ermächtigt den Arbeitgeber nicht, den Arbeitnehmer auf einen niedriger entlohnten Arbeitsplatz zu versetzen (ständige Rechtsprechung seit BAG 10. November 1955 – 2 AZR 591/54 – BAGE 2, 221, 223). Da die Tätigkeit als Maschinenführer wesentlich niedriger als die des Schichtwerkführers vergütet wird, bestand für die Beklagte kein Versetzungsrecht in dem von ihr angestrebten Sinne.
2. Nichts anderes ergibt sich auch aus Ziffer 1 Satz 2 des Arbeitsvertrages. Die Beklagte ist nach dieser Vereinbarung zwar berechtigt, dem Kläger auch andere zumutbare Arbeiten verbindlich zuzuweisen. Diese vertragliche Ermächtigung nach § 315 BGB besteht aber nur für den Einzelfall und in dem vom Arbeitsvertrag vom 1. März 1986 vorgegebenen Rahmen, auf der Grundlage einer arbeitsvertraglichen Beschäftigungspflicht als Schichtwerkführer und einer entsprechenden Bezahlung. Eine Befugnis, den Arbeitsvertrag als Ganzen auf Dauer einseitig zu verändern, ergibt sich aus Ziffer 1 Satz 2 des Arbeitsvertrages nicht.
3. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts besteht die von der Beklagten in Anspruch genommene Berechtigung auch nicht nach § 5 Nr. 1.3 MTV, der nach Ziffer 6 des Arbeitsvertrages auf das Arbeitsverhältnis des Klägers Anwendung findet.
a) Dabei kann unentschieden bleiben, ob die von der Beklagten vorgenommene tatsächliche Umsetzung des Klägers auf den Arbeitsplatz eines Maschinenführers infolge von Rationalisierungsmaßnahmen nach § 5 Nr. 1.1.2 MTV geschehen ist. Es spricht allerdings einiges für die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe im Jahre 1997 eine wesentliche organisationstechnische Umgestaltung des betrieblichen Ablaufs (§ 5 Nr. 1.1.2.3 MTV) vorgenommen, auf Grund deren vier Arbeitsplätze von Schichtwerkführern weggefallen sind. Durch die Entscheidung, eine von zwei Papiermaschinen zu demontieren und zu veräußern und zugleich das bisher weiter entfernt liegende, aber in die Produktionsabläufe eingebundene Prüflabor in die unmittelbare räumliche Nähe der Produktion zu bringen, ist der betriebliche Ablauf in dem betreffenden Bereich wesentlich verändert worden.
b) Ebensowenig muß abschließend entschieden werden, ob § 5 Nr. 1.3 MTV der Beklagten ein über das allgemeine arbeitsvertragliche Weisungsrecht wesentlich hinausgehendes Recht auf einseitige Vertragsgestaltung zu Lasten von solchen Arbeitnehmern einräumt, deren Arbeitsplatz durch eine Rationalisierungsmaßnahme weggefallen ist. Dafür spricht die Verwendung des Wortes Umsetzung im Zusammenhang mit der Pflicht eines derart betroffenen Arbeitnehmers, bei einem Fehlen gleichwertiger Arbeitsplätze eine andere zumutbare Arbeit nach einer Vorankündigung von vier Wochen vor Wirksamwerden der Umsetzung auch dann übernehmen zu müssen, wenn sich daraus eine Minderung des durchschnittlichen Stundenverdienstes ergibt (§ 5 Nr. 1.3 und § 5 Nr. 1.4 MTV) (vgl. hierzu auch BAG 26. Juni 1985 – 4 AZR 585/83 – BAGE 49, 125). Andererseits haben die Tarifvertragsparteien des MTV abweichend von anderen Tarifverträgen (zB § 16 Abs. 1 des Lohntarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bahn: BAG 22. Mai 1985 – 4 AZR 88/84 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bundesbahn Nr. 6) in ihren Regelungen nicht ausdrücklich ausgesprochen, daß es für die Zuweisung einer niedriger vergüteten Arbeit einer förmlichen Vertragsänderung nicht bedürfe. Eine Verdienstminderung im Sinne von § 5 Nr. 1.4 MTV ist darüber hinaus auch in der Form zumindest denkbar, daß eine an sich gleichwertige andere Arbeit zugewiesen wird, bei der lediglich, etwa auf Grund einer anderen Lage der Arbeitszeit, bestimmte Zuschläge nicht mehr verdient werden können. Dagegen, daß die Tarifvertragsparteien in § 5 Nr. 1.3 MTV ein Recht zur einseitigen Verschlechterung der vereinbarten Vertragsbedingungen auf Dauer begründen wollten, spricht schließlich auch § 5 Nr. 1.5.4.1 MTV: Dort wird ein Anspruch auf die zuvor festgelegten Abfindungen für rationalisierungsbedingte Kündigungen ua. für die Arbeitnehmer ausgeschlossen, die eine zugleich mit der Kündigung angebotene im ganzen gleichwertige und zumutbare Tätigkeit abgelehnt haben; dabei soll es sich auch um eine Tätigkeit in einem fremden Betrieb handeln können, aber eben nicht nur; auch die Ablehnung einer im ganzen gleichwertigen und zumutbaren anderen Tätigkeit im bisherigen Beschäftigungsbetrieb soll abfindungsschädlich sein. Eine solche Regelung scheint nur dann Sinn zu machen, wenn eine – nur – im ganzen gleichwertige und zumutbare andere Tätigkeit nicht in Ausübung eines tarifvertraglich erweiterten Weisungsrechts als geschuldete Tätigkeit zugewiesen werden kann, sondern wenn es hierfür eines notfalls mit Hilfe einer Änderungskündigung zu erzwingenden Änderungsvertrages bedarf.
c) Auch hierauf kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht an. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die zugewiesene Tätigkeit als Maschinenführer jedenfalls nicht zumutbar im Sinne von § 5 Nr. 1.3.2 MTV. Selbst wenn in dieser Tarifbestimmung eine Erweiterung des Weisungsrechts des Arbeitgebers liegen sollte, würde sie nicht dazu führen, daß der Kläger ohne Vertragsänderung verpflichtet wäre, anstelle seiner vertraglichen Tätigkeit als Schichtwerkführer auf Dauer die Tätigkeit als Maschinenführer zu übernehmen mit einer dem entsprechenden, um 37,6 % unter seinem bisherigen Monatseinkommen liegenden Vergütung und verbunden mit einer Abstufung in der betrieblichen Hierarchie.
Es ist schon fraglich, ob eine derartige tarifvertragliche Erweiterung des Vertragsgestaltungsrechts des Arbeitgebers nicht als objektive Umgehung des zwingenden allgemeinen Änderungsschutzes aus § 2 KSchG rechtlichen Bedenken begegnete. Darauf kommt es aber nicht an. In der Zusammenschau der Bestimmungen des § 5 Nr. 1 MTV wird deutlich, daß die Tarifvertragsparteien ein etwaiges Gestaltungsrecht des Arbeitgebers aus § 5 Nr. 1.3.2 MTV begrenzt haben. Ohne Änderung des Arbeitsvertrages kann dem Arbeitnehmer allenfalls eine – nur – im ganzen gleichwertige und zumutbare andere Tätigkeit zugewiesen werden. Wird diese Grenze überschritten, sieht § 5 Nr. 1.5.4.1 MTV auch für den Fall der Ablehnung eines solchen mit einer Kündigung verbundenen Änderungsangebots eine Pflicht des Arbeitgebers vor, eine Abfindung für den rationalisierungsbedingten Verlust des Arbeitsplatzes vor. Es ist auszuschließen, daß die Tarifvertragsparteien einerseits ein abfindungsunschädliches Ablehnungsrecht im Rahmen einer Änderungskündigung für Arbeitsbedingungen festgelegt haben, zu deren Hinnahme auf Grund einer einseitigen Umsetzungsanordnung des Arbeitgebers sie zuvor den Arbeitnehmer als verpflichtet angesehen haben.
Daß die Tätigkeit eines Maschinenführers der eines Schichtwerkführers nicht im ganzen gleichwertig und zumutbar ist, von ihr also nicht nur geringfügig zum Nachteil des Arbeitnehmers abweicht, bedarf schon angesichts eines derart hohen Einkommensverlustes (37,6 %) keiner weiteren Begründung mehr.
d) Da die Umsetzung des Klägers auf die Stelle als Maschinenführer auch dann nicht nach § 5 Nr. 1.3 MTV rechtmäßig und wirksam war, wenn man dieser Tarifbestimmung eine wirksame Erweiterung des Weisungsrechts des Arbeitgebers über die vom Individualvertrag gezogenen Grenzen entnimmt, kommt es auch nicht darauf an, ob die Beklagte bei ihrer Umsetzungsmaßnahme die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats ausreichend beachtet hat. Der Kläger war von Rechts wegen auch über den 1. November 1997 als Schichtwerkführer zu beschäftigen und nach der Gehaltsgruppe C zu bezahlen.
- Das Recht, sich hierauf zu berufen und die sich daraus ergebenden Beschäftigungs- und Entgeltansprüche geltend zu machen, hat der Kläger nicht verwirkt. Eine solche Annahme hat das Landesarbeitsgericht mit überzeugender Begründung zu Recht abgelehnt. Es ist angesichts der zwischenzeitlichen Korrespondenz der Parteien und der endgültigen Durchführung der Umsetzung einschließlich der Verdienstabsenkung erst zum 1. Januar 1999 schon fraglich, ob das für eine solche Annahme erforderliche Zeitmoment vorliegt. Jedenfalls fehlt es am Umstandsmoment (vgl. zu diesen Anforderungen zuletzt BAG 25. April 2001 – 5 AZR 497/99 – BAGE 97, 326; 28. Mai 2002 – 9 AZR 145/01 – EzA BGB § 242 Verwirkung Nr. 2). Der Kläger hat der Beklagten vielfach selbst sowie durch seine späteren Prozeßbevollmächtigten mitgeteilt, daß die von dieser beabsichtigte und dann auch tatsächlich durchgeführte einseitige Verschlechterung seiner Arbeitsbedingungen nach seiner Auffassung von Rechts wegen ausgeschlossen und er mit ihr nicht einverstanden ist. Er verweigerte die Unterschrift unter den Änderungsvertrag, zeichnete seine Prüfberichte trotz gegenteiliger Anweisung nicht als “Maschinenführer” ab und beharrte mehrfach in den Jahren 1997 und 1998 darauf, daß sein Status und Einkommen als Schichtwerkführer unangetastet bleibe. Angesichts dessen und des Umstandes, daß die Tätigkeit als Maschinenführer keine grundlegende Veränderung der bisherigen Tätigkeit bedeutet und sie bis zum 31. Dezember 1998 mit dem Tarifgehalt für Schichtwerkführer vergütet wurde, bestand für die Beklagte auch angesichts der tatsächlichen Arbeit des Klägers als Maschinenführer im Jahre 1998 nicht der geringste Anlaß, vor Klageerhebung darauf zu vertrauen, der Kläger habe die ihm angesonnene Vertragsänderung hingenommen und wolle die ihm zustehenden vertraglichen Rechte nicht mehr geltend machen.
Unterschriften
Reinecke, Bepler, Breinlinger, Kaiser, Platow
Fundstellen
Haufe-Index 954251 |
NZA 2003, 880 |
AP, 0 |
EzA |
NJOZ 2003, 1878 |