Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebungsvertrag - Schadensersatz
Orientierungssatz
Eine Vereinbarung, in der sich der Arbeitnehmer verpflichtet, keinen Antrag auf Arbeitslosengeld zu stellen, ist nach § 32 SGB 1 nichtig, denn mit dem Verlust der Rechtsvorteile, die das Gesetz in Gestalt der Ausfallzeit in der Rentenversicherung und des Krankenversicherungsschutzes nach § 155 AFG an den Bezug von Arbeitslosengeld knüpft, wird substantiell die Rechtsposition des leistungsberechtigten Arbeitnehmers zu seinem Nachteil verändert. Damit wird von den Vorschriften des Sozialgesetzbuches im Sinne von § 32 SGB 1 abgewichen.
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Beklagte ist am 10. Februar 1927 geboren und war seit dem 3. April 1941 bei der Klägerin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete am 31. Januar 1985 durch folgenden Aufhebungsvertrag vom 11. Juli 1983:
"1. Das Arbeitsverhältnis von Herrn Edmund G
endet auf Veranlassung von B in beiderseitigem
Einvernehmen am 31. Januar 1985.
2. Zum Ausgleich aller künftigen Nachteile durch
die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhält
Herr Edmund G eine Abfindung in Höhe von
ca. DM 33.464,-- brutto.
Die endgültige Festsetzung der Abfindung erfolgt
im Austrittsmonat.
3. Die Abfindung wird entsprechend den Steuer-/
Sozialversicherungsbestimmungen lohnsteuer-/
sozialversicherungsfrei bzw. -pflichtig mit
Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgezahlt.
4. Herr Edmund G verpflichtet sich, sich
unverzüglich beim Arbeitsamt zu melden und den
jeweiligen Aufforderungen des Arbeitsamtes nach-
zukommen.
5. Bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen
zum Rentenbezug, so insbesondere nach Ablauf
eines Jahres der Arbeitslosigkeit und Vollendung
des 60. Lebensjahres hat Herr Edmund G
einen Antrag auf Gewährung des vorgezogenen
Altersruhegeldes beim zuständigen Rentenver-
sicherungsträger zu stellen.
6. Mit Erfüllung dieses Vertrages sind sämtliche
Ansprüche von Herrn Edmund G aus dem
Arbeitsverhältnis sowie aus Anlaß seiner Beendi-
gung abgegolten."
Zur Vermeidung von Erstattungsansprüchen der Bundesanstalt für Arbeit an die Klägerin haben die Parteien am 25. Januar 1985 folgende Abrede getroffen:
"Aufhebungsvertrag vom 11.07.1983
Zwischen Herrn Edmund G und B ,
Fertigungsstätte Gr
besteht Übereinstimmung, daß Herr Edmund
G nur bis zum 31.01.1986 Arbeits-
losengeld bezieht.
Diese Vereinbarung erfolgt in Anpassung an
die geänderten gesetzlichen Regelungen.
Die Abfindung in Höhe von DM 36.683,49 wird
mit der letzten Abrechnung ausgezahlt."
Der Beklagte war vom 1. Februar bis zum 26. Februar 1985 arbeitsunfähig krank. Am 27. Februar 1985 meldete er sich arbeitslos und bezog demnach bis zum 28. Februar 1986 Arbeitslosengeld.
Mit Bescheid vom 19. März 1986 nahm die Bundesanstalt für Arbeit die Klägerin nach § 128 AFG wegen des von ihr an den Beklagten für die Zeit vom 10. Februar 1986 (Vollendung des 59. Lebensjahres des Beklagten) bis zum 28. Februar 1986 gezahlten Arbeitslosengeldes einschließlich der Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 1.213,41 DM in Anspruch.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin Ersatz des der Bundesanstalt erstatteten Betrags. Sie hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie 1.213,41 DM nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung (12. Juli 1986) zu zahlen. Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Klage hatte in beiden Vorinstanzen Erfolg. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Zahlung des von ihr gemäß § 128 AFG an das Arbeitsamt erstatteten Arbeitslosengeldes zu.
1. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, daß der Klägerin ein Schadenersatzanspruch aus positiver Forderungsverletzung (§§ 280, 286 BGB analog) wegen Verletzung der Vereinbarung vom 25. Januar 1985 zusteht. Diese Vereinbarung ist nach § 32 SGB I nichtig.
Nach § 32 SGB I sind privatrechtliche Vereinbarungen, die zum Nachteil der Sozialleistungsberechtigten von Vorschriften dieses Gesetzbuchs abweichen, nichtig. Das Bundessozialgericht hat hierzu am 24. März 1988 (- 5/5 b RJ 84/86 - BB 1988, 1964) entschieden, daß eine Vereinbarung, in der sich der Arbeitnehmer verpflichtet, keinen Antrag auf Arbeitslosengeld zu stellen, nach § 32 SGB I nichtig ist. Denn mit dem Verlust der Rechtsvorteile, die das Gesetz in Gestalt der Ausfallzeit in der Rentenversicherung und des Krankenversicherungsschutzes nach § 155 AFG an den Bezug von Arbeitslosengeld knüpft, werde substantiell die Rechtsposition des leistungsberechtigten Arbeitnehmers zu seinem Nachteil verändert. Damit werde von den Vorschriften des Sozialgesetzbuchs i. S. von § 32 SGB I abgewichen (vgl. BSG Urteil vom 24. März 1988, aaO). Dem ist zuzustimmen.
Dementsprechend ist auch ein Verzicht auf Arbeitslosengeld - wie ihn das Landesarbeitsgericht als Verpflichtung des Beklagten aus der Vereinbarung der Parteien angenommen hat - unwirksam. Zwar ist in § 46 SGB I vorgesehen, daß der Arbeitslose sogar dem Arbeitsamt gegenüber auf Arbeitslosengeld verzichten kann. Dieser Verzicht kann aber - anders als die hier zu beurteilende vertragliche Verpflichtung - jederzeit für die Zukunft widerrufen werden. Da die Rechtsvorteile des Sozialgesetzbuchs aber an den Bezug von Arbeitslosengeld anknüpfen (vgl. § 155 AVG, § 1259 Abs. 1 Nr. 3 und 3 a RVO, § 36 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 3 a AVG), sind vertragliche Vereinbarungen - wie die vorliegende -, in denen sich der Arbeitnehmer unwiderruflich verpflichtet, kein Arbeitslosengeld zu beziehen, rechtsunwirksam (vgl. Gagel, Probleme der "128er-Vereinbarung", BB 1988, 1957, 1958).
Unerheblich ist dabei, daß derartige privatrechtliche Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber in der Regel im Verhältnis zum Arbeitsamt keine Bindungswirkung entfalten. Das ändert nichts daran, daß der sozialleistungsberechtigte Arbeitnehmer durch die vertragliche Bindung in der Ausübung seiner sozialen Rechte eingeschränkt wird. Dies aber ist nach § 32 SGB I unzulässig (vgl. auch Gagel, aaO; Hauck/Haines, SGB I, Stand: Oktober 1988, § 32 Rz 5).
Es ist auch nicht darauf abzustellen, ob die vertragliche Verpflichtung, kein Arbeitslosengeld zu beziehen, im jeweiligen Einzelfall die sozialrechtliche Rechtsposition des Arbeitnehmers konkret beeinträchtigt, d. h. ob eine Minderung der Rente aufgrund fehlender Ausfallzeit oder Krankheitskosten aufgrund fehlender Krankenversicherung tatsächlich entstanden sind. Denn nach § 32 SGB I sind derartige Vereinbarungen unabhängig von dem Eintritt eines konkreten Nachteils mißbilligt. Auch ließe sich andernfalls die Rechtswirksamkeit der vertraglichen Vereinbarung jeweils erst im Nachhinein feststellen.
2. Entgegen der Ansicht der Klägerin steht ihr aus ungerechtfertigter Bereicherung ein Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung des der Bundesanstalt für Arbeit erstatteten Arbeitslosengeldes nicht zu. Der Beklagte hat das Arbeitslosengeld nicht durch Leistung der Klägerin oder in sonstiger Weise auf deren Kosten erlangt. Der Beklagte hat das Arbeitslosengeld aufgrund seines sozialrechtlichen Anspruchs nach dem Arbeitsförderungsgesetz - also mit Rechtsgrund - erhalten.
3. Schließlich muß auch ein Anspruch nach § 826 BGB gegen den Beklagten mangels eines hierfür festzustellenden Vorsatzes des Beklagten oder gar einer Schädigungsabsicht ausscheiden.
Dr. Leinemann Dr. Peifer Dr. Wittek
Harnack Wittendorfer
Fundstellen
Haufe-Index 441728 |
EWiR 1990, 833 (S1-2) |
DBlR, I/§ 32 (ST) |
EzA § 128 ArbGG, Nr 2 (ST1-2) |