Entscheidungsstichwort (Thema)
Baugewerbe. Fassadenbau. ausländischer Arbeitgeber. Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband
Orientierungssatz
1. Werden baugewerbliche Tätigkeiten durch eine Gesamtheit von Arbeitnehmern iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 Satz 3 VTV ausgeführt, ist für die Prüfung, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen der Einschränkungen in der AVE 2006 und in der AVE 2008 eingreifen, ebenfalls auf die Gesamtheit abzustellen. Der Begriff der selbständigen Betriebsabteilung in der AVE-Bekanntmachung und den dort enthaltenen Regelungen über Einschränkungen ist nicht anders auszulegen als im VTV selbst.
2. Erfüllt ein ausländischer Arbeitgeber das Kriterium der unmittelbaren oder mittelbaren Verbandsmitgliedschaft iSv. Abschn. I Nr. 2 Buchst. a AVE 2006 bzw. Abs. 2 Buchst. a AVE 2008, rechtfertigt dies die unmittelbare Anwendung von Abschn. I Nr. 1 AVE 2006 bzw. Abs. 1 AVE 2008 des Ersten Teils der jeweiligen Bekanntmachung.
Normenkette
Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 20. Dezember 1999 i.d.F. vom 15. Dezember 2005 und vom 20. August 2007 (VTV) § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 12; Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 20. Dezember 1999 i.d.F. vom 15. Dezember 2005 und vom 20. August 2007 (VTV) § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 S. 3; Bekanntmachung über die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifvertragswerken für das Baugewerbe vom 24. Februar 2006 (AVE 2006) Erster Teil Abschn. I Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Buchst. a S. 1; Bekanntmachung über die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifvertragswerken für das Baugewerbe vom 15. Mai 2008 (AVE 2008) Erster Teil Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Buchst. a S. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 4. Juni 2014 – 18 Sa 1325/13 – aufgehoben.
2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 31. Juli 2013 – 7 Ca 2999/11 – wird zurückgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Mindestbeiträgen zum Urlaubskassensystem der Bauwirtschaft für den Zeitraum Januar bis Oktober 2007.
Der Kläger ist die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft, eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes in der Rechtsform eines Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit kraft staatlicher Verleihung. Er hat nach den für allgemeinverbindlich erklärten Vorschriften des Bundesrahmentarifvertrags für das Baugewerbe und des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) in der jeweils geltenden Fassung insbesondere die Aufgabe, die Auszahlung der tariflichen Urlaubsvergütung an Arbeitnehmer der Bauwirtschaft zu sichern. Zur Finanzierung seiner Leistungen erhebt er von Arbeitgebern Beiträge. Der Kläger hat die Beklagte, die nicht am Sozialkassenverfahren teilnahm, auf Zahlung von Mindestbeiträgen für den Zeitraum Januar bis Oktober 2007 für insgesamt 43.197 auf zwei Baustellen geleistete Facharbeiterstunden in rechnerisch unumstrittener Höhe von 78.866,49 Euro nebst Verzugszinsen in Anspruch genommen.
Die Beklagte ist eine polnische Gesellschaft mit beschränkter Haftung.
An ihrem Unternehmenssitz in P/Polen stellt sie mit ca. 100 Arbeitnehmern Stahlprodukte her. Seit 1. Januar 2007 ist sie Mitglied in der Fachgruppe Metall/Elektro des Essener Unternehmensverbands e. V. Dieser ist seinerseits Mitglied im Verband der Metall- und Elektro-Industrie Nordrhein-Westfalen e. V. (METALL NRW).
Von Januar bis Oktober 2007 entsandte die Beklagte insgesamt 80 gewerbliche Arbeitnehmer aus Polen auf die Baustellen „B” in M und „L” in F. Sie montierten dort in Gruppen von jeweils mindestens 40 Arbeitnehmern Fassadenbauteile einschließlich der Unterkonstruktionen auf Flächen von 57.458 m2 (M) bzw. 20.119 m2 (F) im Umfang von insgesamt 43.197 Arbeitsstunden. Herstellung und Lieferung der Fassadenbauteile sowie der Elemente für die sie tragenden Edelstahlkonstruktionen erfolgten durch Dritte. Die Beklagte erteilte dem Kläger im Streitzeitraum keine Meldungen und zahlte keine Beiträge zum Urlaubskassensystem.
Der VTV vom 20. Dezember 1999 war vom 1. Januar bis zum 30. September 2007 in der Fassung vom 15. Dezember 2005 in Kraft. Ab dem 1. Oktober 2007 galt er in der Fassung vom 20. August 2007. In beiden Fassungen war er ausweislich der Bekanntmachungen über die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifvertragswerken für das Baugewerbe vom 24. Februar 2006 (AVE 2006) und vom 15. Mai 2008 (AVE 2008) – jeweils mit Einschränkungen – ab dem 1. Januar 2006 bzw. ab dem 1. Oktober 2007 für allgemeinverbindlich erklärt worden. Gemäß § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 12 VTV unterfallen Betriebe, in denen Fassadenbauarbeiten ausgeführt werden, dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV.
Nach Abschn. I Abs. 1 Satz 1 (AVE 2006) bzw. Abs. 1 Satz 1 (AVE 2008) des Ersten Teils der jeweiligen Bekanntmachung erstreckt sich die Allgemeinverbindlicherklärung nicht auf Betriebe und selbständige Betriebsabteilungen mit Sitz im Inland, die unter den fachlichen Geltungsbereich der am 1. Januar 2003 geltenden Mantel- oder Rahmentarifverträge der Metall- und Elektroindustrie fallen. Nach Abschn. I Abs. 2 Buchst. a Satz 1 (AVE 2006) bzw. Abs. 2 Buchst. a Satz 1 (AVE 2008) des Ersten Teils der jeweiligen Bekanntmachung gilt Abs. 1 für Betriebe und selbständige Betriebsabteilungen mit Sitz im Inland, solange diese unmittelbar oder mittelbar Mitglied in einem der dort genannten Verbände sind. Zu den betreffenden Verbänden gehört ua. der Verband der Metall- und Elektro-Industrie Nordrhein-Westfalen e. V. (METALL NRW). Gemäß Abschn. IV (AVE 2006) und Abs. 5 (AVE 2008) des Ersten Teils der jeweiligen Bekanntmachung erstreckt sich die Allgemeinverbindlicherklärung nicht auf Betriebe und selbständige Betriebsabteilungen von Arbeitgebern mit Sitz im Ausland, wenn sie überwiegend Tätigkeiten ausüben, die in den vorstehenden Abschnitten (AVE 2006) bzw. Absätzen (AVE 2008) oder fachlichen Geltungsbereichen aufgeführt sind, soweit diese Tätigkeiten eine Ausnahme von den Tarifverträgen des Baugewerbes (AVE 2006) bzw. ein Unterfallen unter den jeweiligen fachlichen Geltungsbereich (AVE 2008) begründen.
Der Kläger hat gemeint, die auf den beiden Baustellen eingesetzten Arbeitnehmer seien als Gesamtheit von Arbeitnehmern iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 Satz 3 VTV eine selbständige Betriebsabteilung, die arbeitszeitlich überwiegend Fassadenbauarbeiten iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 12 VTV ausgeführt hätte. Die Betriebsabteilung falle nicht unter den fachlichen Geltungsbereich der Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie. Die Fassadenbauarbeiten seien handwerklich und nicht industriell ausgeführt worden.
Der Kläger hat beantragt, 8
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 102.169,62 Euro nebst Zinsen aus einem Betrag in Höhe von 78.866,49 Euro in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 16. Februar 2012 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und behauptet, die Arbeitnehmer hätten konstruktive Fassadenbauarbeiten in Form von hoch arbeitsteiliger industrieller Akkord-Hochbaumontage ausgeführt, weshalb sie jedenfalls als Montagestellen der Metall- und Elektroindustrie von der AVE ausgenommen seien.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung des Klägers gegen das arbeitsgerichtliche Urteil zu Unrecht entsprochen. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von Sozialkassenbeiträgen nach dem VTV. Zwar fand im streitgegenständlichen Zeitraum der VTV auch auf Arbeitgeber mit Sitz im Ausland Anwendung. Ebenso war der betriebliche Geltungsbereich des VTV eröffnet. Die eingesetzten Arbeitnehmergruppen erbrachten auch als Gesamtheit iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 Satz 3 VTV baugewerbliche Tätigkeiten. Die Gesamtheit von Arbeitnehmern wurde jedoch von den für Betriebe der Metall- und Elektroindustrie maßgeblichen Einschränkungen der Allgemeinverbindlicherklärung erfasst.
I. Der VTV fand im Streitzeitraum auf die Beklagte Anwendung.
1. Im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. Oktober 2007 war der VTV vom 20. Dezember 1999 in der Fassung vom 15. Dezember 2005 ab 1. Januar 2006 aufgrund der AVE 2006 und in der Fassung vom 20. August 2007 ab 1. Oktober 2007 aufgrund der AVE 2008 allgemeinverbindlich. Nach § 1 Abs. 3 Satz 2, Abs. 1 Satz 1 AEntG vom 26. Februar 1996 in den Fassungen vom 24. April 2006 und vom 25. April 2007 war ein Arbeitgeber mit Sitz im Ausland verpflichtet, einer gemeinsamen Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes, der nach für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen die Einziehung von Urlaubskassenbeiträgen übertragen ist, diese Beiträge zu leisten, wenn der Betrieb überwiegend Bauleistungen gemäß § 175 Abs. 2 SGB III aF (jetzt § 101 Abs. 2 SGB III) erbrachte.
2. Mit den von der Beklagten von Januar bis Oktober 2007 auf den Baustellen „B” in M und „L” in F ausgeführten Fassadenbauarbeiten unterfiel sie dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV. Das hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen. Die im streitgegenständlichen Zeitraum auf diesen Baustellen in Gruppen von mindestens 40 Personen eingesetzten Arbeitnehmer bildeten eine selbständige Betriebsabteilung iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 Satz 3 VTV.
a) Nach § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 Satz 3 VTV gilt als selbständige Betriebsabteilung – und damit als Betrieb im Sinne des VTV – auch eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die außerhalb der stationären Betriebsstätte eines nicht von den Abschnitten I bis IV erfassten Betriebs baugewerbliche Arbeiten ausführt. Eine Gesamtheit im Sinne dieser Vorschrift ist eine Gruppe von Arbeitnehmern, die koordiniert, dh. geführt und geleitet, außerhalb der stationären Betriebsstätte arbeitszeitlich überwiegend baugewerbliche Arbeiten ausführt. Nicht erforderlich ist eine ständige Zusammenarbeit aller der Gesamtheit angehörenden Arbeitnehmer. Die Gesamtheit kann sowohl vor Ort als auch aus einer Betriebsstätte heraus koordiniert werden. Sie muss baugewerbliche Arbeiten außerhalb der stationären Betriebsstätte ausführen. Werden auch Arbeiten innerhalb der stationären Betriebsstätte ausgeführt, dürfen diese sowohl quantitativ als auch qualitativ allenfalls von untergeordneter Bedeutung sein, selbst wenn es sich um Arbeiten im Zusammenhang mit den baugewerblichen Arbeiten außerhalb der stationären Betriebsstätte handelt (BAG 17. Juni 2015 – 10 AZR 257/14 – Rn. 16; 19. November 2014 – 10 AZR 787/13 – Rn. 12). Mit diesem Verständnis genügt § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 Satz 3 VTV entgegen der Auffassung der Beklagten dem grundsätzlich auch für tarifvertragliche Vorschriften geltenden Gebot der Normenklarheit, weil sich ihr Regelungsgehalt mit herkömmlichen Auslegungsmethoden ermitteln lässt (vgl. BAG 17. Juni 2015 – 10 AZR 257/14 – Rn. 16, 20 mwN).
b) In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze hat das Landesarbeitsgericht für die auf den Baustellen „B” in M und „L” in F tätig gewesenen Arbeitnehmer zu Recht die an eine Gesamtheit zu stellenden Anforderungen bejaht. Im Streitzeitraum waren bis zu 80 Arbeitnehmer ausschließlich außerhalb der stationären Betriebsstätte der Beklagten in P auf den beiden Baustellen in M und F beschäftigt. Pro Auftrag wurden bis zu 40 Arbeitnehmer gemeinsam arbeitsteilig eingesetzt und aus der stationären Betriebsstätte in P heraus koordiniert. Dass dieser Ort nicht in Deutschland liegt, ist für die Frage des Vorliegens einer Gesamtheit von Arbeitnehmern iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 Satz 3 VTV ohne Bedeutung.
3. Das Landesarbeitsgericht hat ebenfalls zu Recht die Ausführung baugewerblicher Tätigkeiten durch die Gesamtheit in Form von Fassadenbauarbeiten nach § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 12 VTV bejaht. Darunter sind alle Arbeiten zu verstehen, die dazu bestimmt sind, die schützende Außenhaut eines Gebäudes zu schaffen. Diesem Ziel dient sowohl die Montage der metallenen Unterkonstruktionen als auch das nachfolgende Anbringen von Fassadenelementen (vgl. dazu im Einzelnen BAG 17. Oktober 2012 – 10 AZR 500/11 – Rn. 20 mwN).
II. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts wurde die Gesamtheit von Arbeitnehmern von den Einschränkungen des Ersten Teils der jeweiligen Bekanntmachung, Abschn. I Abs. 1 Satz 1 (AVE 2006) bzw. Abs. 1 Satz 1 (AVE 2008), erfasst.
1. Das Berufungsgericht hat für die Prüfung, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen der Einschränkungen in der AVE 2006 und in der AVE 2008 zugunsten der Beklagten eingreifen, zutreffend auf die auf den Baustellen eingesetzte Gesamtheit von Arbeitnehmern und nicht auf den polnischen Betrieb der Beklagten abgestellt. Der Begriff der selbständigen Betriebsabteilung in der AVE-Bekanntmachung und den dort enthaltenen Regelungen über Einschränkungen ist nicht anders auszulegen als im VTV selbst (BAG 21. Januar 2015 – 10 AZR 55/14 – Rn. 32 mwN). Da beide Regelungskomplexe in einem engen Verhältnis zueinander stehen, ist es geboten, die zentralen Begriffe, mit denen Rechte und Pflichten zugewiesen werden, einheitlich auszulegen. Diese Auslegung entspricht dem Sinn und Zweck einer Einschränkung der AVE, Tarifkonkurrenzen zu vermeiden oder sie aufzulösen (BAG 17. Oktober 2012 – 10 AZR 500/11 – Rn. 23). Den Entscheidungen des Neunten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 25. Januar 2005 (– 9 AZR 154/04 – zu I 2 a der Gründe; – 9 AZR 44/04 – zu B II 2 a der Gründe, BAGE 113, 247), auf die sich die Beklagte zur Stützung ihrer gegenteiligen Auffassung beruft, lag eine andere Tarifregelung zugrunde (vgl. bereits BAG 17. Oktober 2012 – 10 AZR 500/11 – Rn. 24).
2. Bei der auf den Baustellen eingesetzten Gesamtheit von Arbeitnehmern handelte es sich um einen von der Allgemeinverbindlicherklärung ausgenommenen Betrieb ohne eigene Produktionsstätte iSv. Satz 1 Nr. 3 der im Anhang I (AVE 2006) bzw. Anhang 1 (AVE 2008) aufgeführten Einschränkungen für Betriebe der Metall- und Elektroindustrie, der industrielle Montagen ausgeführt hat, die dem fachlichen Geltungsbereich der am 1. Januar 2003 geltenden maßgeblichen Tarifverträge unterfallen.
a) Die Beklagte hat auf den Baustellen in M und F Montagearbeiten ausgeführt. Die dort jeweils tätige Gesamtheit von Arbeitnehmern verfügte nicht über eine eigene Produktionsstätte, sondern montierte auf den Baustellen andernorts vorgefertigte Teile.
b) Nach der revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die auch vom Kläger nicht angegriffen wurde, hat die Gesamtheit von Arbeitnehmern auf den Baustellen in M und F industrielle Arbeiten ausgeführt.
aa) Die Beurteilung der Frage, ob ein Betrieb dem Handwerk zuzuordnen ist oder ob es sich um einen Industriebetrieb handelt, obliegt in erster Linie den Gerichten der Tatsacheninstanzen; sie haben insoweit einen Beurteilungsspielraum, der nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegt. Das Revisionsgericht kann nur nachprüfen, ob das Landesarbeitsgericht den Begriff selbst verkannt hat, ob die Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob die Beurteilung wegen des Übersehens wesentlicher Umstände offensichtlich fehlerhaft ist (BAG 21. Januar 2015 – 10 AZR 55/14 – Rn. 33).
bb) Diesem eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfungsmaßstab hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts stand. Das Landesarbeitsgericht hat die Begriffe „industriell” und „handwerklich” (vgl. dazu BAG 21. Januar 2015 – 10 AZR 55/14 – Rn. 35 mwN) nicht verkannt und im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände in vertretbarer Weise angenommen, die Gesamtheit der auf den Baustellen beschäftigten Arbeitnehmer der Beklagten habe industrielle Arbeiten verrichtet.
(1) Fassadenbauarbeiten können handwerklich ausgeführt werden. Dies zeigt die Verordnung über die Berufsausbildung zum Fassadenmonteur/zur Fassadenmonteurin vom 19. Mai 1999 (FMontAusbV – BGBl. I S. 997), die in der Anlage (Ausbildungsrahmenplan) als „Lernfelder” ua. das Herstellen einer Fassade aus Metall, das Befestigen von Fassadenelementen aus Glas und das Gestalten einer Fassade aus Verbundelementen benennt.
(2) Handwerkliche Montagearbeiten im vorbeschriebenen Sinn haben die Arbeitnehmer der Beklagten auf den Baustellen jedoch nicht verrichtet. Zwar haben sie, was das Landesarbeitsgericht berücksichtigt hat, auch „händisch” gearbeitet, es kamen jedoch auch Großgeräte wie Kräne und Bühnen zum Transport zum Einsatz. Das Landesarbeitsgericht hat weiter in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise darauf abgestellt, dass die eingesetzten Arbeitnehmer mangels umfassender Qualifikation im Sinne eines Handwerksberufs nur zur Ausführung von Teilleistungen in der Lage gewesen seien. Es habe der Zusammenbau ausschließlich industriell vorgefertigter Elemente im Vordergrund gestanden und eine Bearbeitung oder Anpassung der einzelnen Elemente vor Ort nicht stattgefunden. Das Landesarbeitsgericht hat überdies darauf hingewiesen, dass die Arbeitnehmer pro Auftrag ausschließlich arbeitsteilig eingesetzt wurden. Soweit das Landesarbeitsgericht hieraus den Schluss gezogen hat, die Beklagte habe keine handwerkliche Leistung erbracht, hält sich dies in dem Beurteilungsspielraum, der dem Berufungsgericht zusteht.
c) Die auf den Baustellen ausgeführten Montagen entsprachen allerdings entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts dem fachlichen Geltungsbereich der am 1. Januar 2003 geltenden Mantel- oder Rahmentarifverträge der Metall- und Elektroindustrie. Unter den fachlichen Geltungsbereich der Tarifverträge für die Metall- und Elektroindustrie fallen nach Satz 1 Nr. 1 der im Anhang I (AVE 2006) bzw. im Anhang 1 (AVE 2008) enthaltenen Bestimmungen zur Metall- und Elektroindustrie „- ohne Rücksicht auf die verarbeiteten Grundstoffe -” unter anderem die Fachzweige „Schlosserei” und „Stahl- und Leichtmetallbau”.
aa) Die Montage der die Fassadenbauteile tragenden Unterkonstruktionen aus Edelstahl ist dem Fachzweig „Stahlbau” zuzurechnen. Unter Stahlbau wird ua. das Verbinden von Stahlträgern durch Verschrauben, Verschweißen oder Nieten zu einem Tragwerk verstanden (vgl. Brockhaus Die Enzyklopädie 20. Aufl. Zwanzigster Band „Stahlbau”).
bb) Das nachfolgende Einpassen und Montieren der einzelnen Fassadenbauteile auf der Unterkonstruktion unterfällt dem Fachzweig „Schlosserei”. Dabei ist in Bezug auf die Terminologie zu berücksichtigen, dass das Berufsbild des Industrieschlossers im Zuge der Neuordnung der industriellen Ausbildungsberufe im Berufsbild „Konstruktionsmechaniker/Konstruktionsmechanikerin” aufgegangen ist. Gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 16 und Nr. 18 der Verordnung über die Berufsausbildung in den industriellen Metallberufen vom 23. Juli 2007 (IndMetAusbV 2007 – BGBl. I S. 1599, zul. geändert durch Art. 1 der VO vom 1. März 2011, BGBl. I S. 326) ist das „Fügen von Bauteilen” und das „Montieren von Metallkonstruktionen” Gegenstand der Berufsausbildung zum Konstruktionsmechaniker/zur Konstruktionsmechanikerin. Dabei gehört der Stahl- und Metallbau zu den Einsatzgebieten, in denen diese Qualifikationen anzuwenden und zu vertiefen sind (§ 15 Abs. 2 Nr. 5 IndMetAusbV 2007). Der Ausbildungsrahmenplan (Anlage 4 zu § 16 Teil A) beschreibt als für diese Berufsbilder zu vermittelnde Fachqualifikationen unter Nr. 15 ua. „Profile oder Baugruppen nach Zeichnungen form-, kraft- und stoffschlüssig verbinden” (Buchst. b) und unter Nr. 18 „Passen und funktionsgerechtes Ausrichten von Bauteilen und Baugruppen unter Beachtung der Maßtoleranzen …” (Buchst. c) und „Bauteile und Baugruppen nach technischen Unterlagen montieren” (Buchst. d).
cc) Der Umstand, dass die auf die Unterkonstruktionen montierten Fassadenelemente nicht oder nur teilweise aus Metall bestanden, ändert nichts an der Zuordnung der Montagearbeiten zum Fachzweig „Schlosserei”. Nach dem Eingangssatz im Anhang I (AVE 2006) bzw. im Anhang 1 (AVE 2008) erfolgt die Zuordnung der Betriebe der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie zu den Fachzweigen ausdrücklich „ohne Rücksicht auf die verarbeiteten Grundstoffe”. Gerade im Fachzweig „Schlosserei” kommen häufig Materialien wie zB Glas, Holz, Kunststoffe, Dämmstoffe oder Heizelemente zum Einsatz, zB beim Bau von Geländern, Dächern und Stahlwänden. Dies ist auch typisch bei anderen, ebenfalls vom fachlichen Geltungsbereich der Metall- und Elektroindustrie erfassten Fachbereichen wie Schiffbau und Flugzeugbau. Einzig bei der Herstellung von Musikinstrumenten, Sportgeräten, Spiel- und Schmuckwaren kommt es nach Satz 1 Nr. 1 im Anhang I (AVE 2006) bzw. Anhang 1 (AVE 2008) entscheidend darauf an, ob sie (nur) „aus Metall gefertigt sind”.
dd) Soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, die Montage der Fassadenelemente werde typischerweise nicht vom Hersteller der Metallelemente für die Unterkonstruktion, sondern von einem auf Fassadenbauarbeiten spezialisierten Unternehmen ausgeführt, hat es nicht beachtet, dass sich die Tätigkeitsfelder der Fassadenmonteure mit denen der Konstruktionsmechaniker insoweit überschneiden (vgl. § 5 Nr. 18 und Nr. 19 FMontAusbV einerseits und § 15 Abs. 1 Nr. 16 und Nr. 18 IndMetAusbV 2007 andererseits). Die im Streitfall ausgeführten Montagearbeiten können daher nicht „typischerweise” nur von einem Fassadenbauunternehmen, sondern ebenso von einem Montagebetrieb der Metall- und Elektroindustrie ausgeführt werden.
III. Die Beklagte kann sich nach dem Ersten Teil Abschn. I Abs. 1 Satz 1 iVm. Abs. 2 Buchst. a Satz 1 AVE 2006 und dem Ersten Teil Abs. 1 Satz 1 iVm. Abs. 2 Buchst. a Satz 1 AVE 2008 für den gesamten Streitzeitraum mit Erfolg auf diese AVE-Einschränkungen berufen.
1. Die Beklagte ist am 1. Januar 2007 Mitglied in der Fachgruppe Metall/Elektro des Essener Unternehmensverbands e. V. und damit mittelbar Mitglied in einem der im Anhang III AVE 2006 und im Anhang 2 AVE 2008 genannten Arbeitgeberverbände geworden, auf die Abschn. I Abs. 2 Satz 1 Buchst. a AVE 2006 bzw. Abs. 2 Satz 1 Buchst. a AVE 2008 verweisen.
2. Der Umstand, dass sich der Hauptbetrieb der Beklagten nicht in Deutschland befindet, hindert die Anwendung der Einschränkungsklauseln in Abschn. I Nr. 1 (AVE 2006) bzw. Abs. 1 (AVE 2008) des Ersten Teils der jeweiligen Bekanntmachung nicht. Nach Abschn. IV AVE 2006 und Abs. 5 AVE 2008 wird bei ausländischen Arbeitgebern auf die Verbandsmitgliedschaft verzichtet, um deren Benachteiligung gegenüber deutschen Arbeitgebern zu verhindern (BAG 25. Januar 2005 – 9 AZR 44/04 – zu B II 3 der Gründe, BAGE 113, 247).
Erfüllt ein ausländischer Arbeitgeber indes das Kriterium der unmittelbaren oder mittelbaren Mitgliedschaft iSv. Abschn. I Nr. 2 Buchst. a AVE 2006 bzw. Abs. 2 Buchst. a AVE 2008, ist schon aus Gründen der Vermeidung einer nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung (vgl. EuGH 25. Oktober 2001 – C-49/98 ua. – [Finalarte ua.] Rn. 82 f., Slg. 2001, I-7831) die Anwendung von Abschn. I Nr. 1 AVE 2006 bzw. Abs. 1 AVE 2008 ohne den „Umweg” über Abschn. IV AVE 2006 bzw. Abs. 5 AVE 2008 geboten. Daher kommt es nicht auf die vom Landesarbeitsgericht erörterte Frage an, ob Arbeitgeber mit Sitz im Ausland aufgrund der Regelung im letzten Satzteil von Abschn. IV AVE 2006 „soweit diese Tätigkeiten eine Ausnahme von den Tarifverträgen des Baugewerbes begründen”) gegenüber inländischen Arbeitgebern benachteiligt werden.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Unterschriften
Linck, Schlünder, Brune, Zielke, W. Guthier
Fundstellen
BB 2016, 2676 |
FA 2016, 389 |
NZA 2017, 872 |
AP 2017 |
EzA-SD 2016, 14 |
NZA-RR 2016, 652 |
AUR 2016, 475 |