Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsübergang. Betriebsstilllegung. auf die Bundesagentur für Arbeit übergangene Entgeltansprüche aus Annahmeverzug. Haftung des Betriebserwerbers
Orientierungssatz
1. Nach § 115 Abs. 1 SGB X geht, soweit der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt nicht erfüllt und deshalb ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf den Leistungsträger bis zur Höhe der erbrachten Sozialleistungen über. Davon sind auch die Leistungen erfasst, die der Leistungsträger gemäß § 143 Abs. 3 SGB III erbringt, wenn also der Leistungsträger Arbeitslosengeld zahlt, obwohl der Anspruch darauf gemäß § 143 Abs. 1 oder Abs. 2 SGB III ruht, weil der Arbeitslose vom Arbeitgeber tatsächlich keine Leistungen erhält (sog. Gleichwohlgewährung). Die wegen Annahmeverzugs zu zahlende Vergütung ist Arbeitsentgelt iSv. § 143 Abs. 1 und Abs. 3 SGB III.
2. Im Falle des Betriebsübergangs muss der neue Betriebsinhaber den gegenüber dem früheren Betriebsinhaber eingetretenen Annahmeverzug gegen sich geltend lassen.
3. Betriebsstilllegung und Betriebsübergang schließen einander aus. Unter Betriebsstilllegung ist die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zu verstehen. Abgeschlossen ist die Stilllegung, wenn die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer beendet sind. Kommt es nach der faktischen Einstellung des Betriebs und vor Ablauf der Kündigungsfristen zu einem Betriebsübergang, tritt der Betriebserwerber gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB in die Rechte und Pflichten aus den noch bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Hierzu gehört auch der beim früheren Betriebsinhaber begründete Annahmeverzug. Dies gilt auch bei einem Betriebsübergang in der Insolvenz.
Normenkette
BGB § 613a Abs. 1 S. 1, § 611 Abs. 1, § 615 S. 1; SGB III § 143 Abs. 3; SGB X § 115 Abs. 1
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 17.07.2008; Aktenzeichen 5 Sa 1937/06) |
ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 16.08.2006; Aktenzeichen 22/20 Ca 2448/06) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 17. Juli 2008 – 5 Sa 1937/06 – wird zurückgewiesen.
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 17. Juli 2008 – 5 Sa 1937/06 – teilweise aufgehoben und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 16. August 2006 – 22/20 Ca 2448/06 – abgeändert:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 13.983,34 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 1. Dezember 2005 zu zahlen.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits und die Kosten des Nebenintervenienten zu 1) zu tragen. Der Nebenintervenient zu 2) hat die Kosten seiner Nebenintervention zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte als Betriebsübernehmer für Ansprüche auf Arbeitsentgelt haftet, die nach der Gewährung von Arbeitslosengeld auf die klagende Bundesagentur für Arbeit übergegangen sind.
Rz. 2
Der nach Streitverkündung durch den Beklagten dem Rechtsstreit auf Beklagtenseite beigetretene Nebenintervenient zu 2) war Inhaber einer in Frankfurt am Main gelegenen Metzgerei. Diese betrieb er in Räumlichkeiten, deren Eigentümer er ist. Zum 1. April 1992 übernahm Herr B… (der spätere Insolvenzschuldner) den Betrieb und führte unter der Firmenbezeichnung “Metzgerei H…” eine Metzgerei mit Mittagstisch und Partyservice. Infolge finanzieller Schwierigkeiten beantragte Herr B… Ende Juni/Anfang Juli 2005 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Zum vorläufigen Insolvenzverwalter über sein Vermögen wurde der nach der Streitverkündung durch die Klägerin dem Rechtsstreit auf ihrer Seite beigetretene Nebenintervenient zu 1) bestellt. Dieser erbat mit Schreiben vom 7. Juli 2005 beim Amtsgericht Frankfurt am Main als zuständigem Insolvenzgericht die Zustimmung zur Stilllegung des Metzgereibetriebs, welche mit Beschluss vom 19. Juli 2005 erteilt wurde. Letzter Öffnungstag der Metzgerei war der 16. Juli 2005.
Rz. 3
Am 19. Juli 2005 schlossen Herr B… und der Nebenintervenient zu 2) eine Vereinbarung dahingehend, dass der zwischen ihnen geschlossene Mietvertrag über die Betriebsräumlichkeiten aufgehoben und das bewegliche Anlagevermögen dem Nebenintervenienten zu 2) gegen einen Kostenbeitrag von 1.000,00 Euro überlassen werde. Diese Vereinbarung wurde mit Schreiben des Nebenintervenienten zu 1) vom 21. Juli 2005 bestätigt und vom Nebenintervenienten zu 2) unter dem Zusatz “einverstanden” unterzeichnet. Am 29. Juli 2005 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Herrn B… eröffnet und der Nebenintervenient zu 1) zum Insolvenzverwalter bestellt. Noch während des vorläufigen Insolvenzverfahrens hatte der Insolvenzschuldner mit Zustimmung des Nebenintervenienten zu 1) die Arbeitsverhältnisse der seinerzeit noch beschäftigten elf Arbeitnehmer unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfristen gekündigt. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens kündigte der Nebenintervenient zu 1) den Arbeitnehmern mit längeren gesetzlichen Kündigungsfristen unter Einhaltung der im Insolvenzverfahren geltenden kürzeren Fristen.
Rz. 4
In den Räumlichkeiten des vormals vom Insolvenzschuldner geführten Betriebs eröffnete der Beklagte am 1. September 2005 eine Metzgerei mit Mittagstisch, Partyservice und Catering, nachdem er einen entsprechenden Mietvertrag mit dem Nebenintervenienten zu 2) geschlossen hatte. Der Betrieb war unter unveränderter Telefon- und Faxnummer zu erreichen und firmierte in den ersten Monaten unter der Bezeichnung “Metzgerei H…, Inhaber Z…”. Seit diesem Zeitpunkt nutzt der Beklagte das vom Insolvenzschuldner dem Nebenintervenienten zu 2) überlassene bewegliche Anlagevermögen, bei dem es sich im Wesentlichen um die Einrichtung des Verkaufsraumes handelt, und beschäftigt sieben der vormals beim Insolvenzschuldner angestellten Arbeitnehmer: Frau Dr… als Verkäuferin, Herrn Hä… als Metzgergesellen, Frau R… als Verkäuferin, Herrn Sc… als Metzgermeister, Frau So als Köchin sowie Herrn Ba… als Metzgermeister und Herrn D… als Koch. Die beiden letztgenannten Arbeitnehmer werden vom Beklagten in Teilzeit beschäftigt, während sie vorher in Vollzeit tätig waren. Ursprünglich hatte der Beklagte in Eschborn mit fünf Arbeitnehmern eine Metzgerei mit Partyservice und Catering betrieben. Von September 2005 bis 31. Dezember 2006 verlegte er sukzessive die Produktion sowie die Arbeitsorte der Beschäftigten nach Frankfurt am Main.
Rz. 5
Die Klägerin zahlte den elf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, deren Kündigungsfristen am 1. September 2005 noch nicht abgelaufen waren, für die Zeit ab Insolvenzeröffnung bis zum 31. August 2005 Arbeitslosengeld in Höhe von insgesamt 6.699,98 Euro. Außerdem bezogen die vormals beim Insolvenzschuldner beschäftigten und vom Beklagten nicht eingestellten vier Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen B…, F…, M… und Sch… für die Zeit vom 1. September 2005 bis zum 31. Oktober 2005 Arbeitslosengeld in Höhe von insgesamt 3.026,96 Euro. Dem vom Beklagten in Teilzeit beschäftigten Mitarbeiter Ba… zahlte die Klägerin für die Zeit vom 1. September 2005 bis 30. November 2005 Arbeitslosengeld in Höhe von 2.552,40 Euro, dem Mitarbeiter D… für den Monat September 2005 in Höhe von 287,40 Euro. Darüber hinaus erhielten für November 2005 die Mitarbeiterin B… 632,40 Euro und der Mitarbeiter F… 784,20 Euro Arbeitslosengeld.
Rz. 6
Die Klägerin hat mit am 4. April 2006 beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main erhobener Klage die Zahlung der Arbeitsentgelte in Höhe des geleisteten Arbeitslosengeldes (insgesamt 13.983,34 Euro) vom Beklagten verlangt und die Ansicht vertreten, dieser habe als Betriebsübernehmer der wirtschaftlichen Einheit “Metzgerei H…” für die Entgeltansprüche der Arbeitnehmer einzustehen. Es könne nicht von einer Betriebsstilllegung durch den Insolvenzschuldner ausgegangen werden. Denn eine solche sei erst mit Beendigung der Arbeitsverhältnisse vollzogen und damit nicht zum 1. September 2005.
Rz. 7
Die Klägerin hat beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, 13.983,34 Euro an sie zu zahlen;
2. den Beklagten zu verurteilen, die Forderung mit Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB ab dem 1. Dezember 2005 zu verzinsen.
Rz. 8
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er hat die Auffassung vertreten, ihm könne die Nutzung der Metzgereieinrichtung nicht vorgehalten werden. Ein Betriebsübergang sei schon deshalb ausgeschlossen, weil der Insolvenzschuldner seinen Betrieb stillgelegt habe. Auch sei keinerlei Kundschaft vom früheren Inhaber übernommen worden; Laufkundschaft habe es vor der Metzgereischließung im Juli 2005 kaum noch gegeben. Der Partyservice habe anfangs ausschließlich alte Eschborner Kunden beliefert. Außerdem seien keine Kundenlisten, Preislisten oder ähnliches übernommen worden. Ferner seien die gesamten Kochkessel, Backöfen und diverse Maschinen zur Herstellung von Wurstwaren aus dem Betrieb in Eschborn nach Frankfurt am Main verbracht worden.
Rz. 9
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Klägerin das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert, den Beklagten zur Zahlung von 12.566,74 Euro nebst Zinsen verurteilt und die Klage insoweit abgewiesen, als die Klägerin für die Arbeitnehmerin B… und den Arbeitnehmer F… Erstattung des gezahlten Arbeitslosengeldes für den Monat November 2005 verlangt. Mit der für beide Parteien zugelassenen Revision verfolgen diese ihre Anträge weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 10
Die Revision des Beklagten ist unbegründet; die der Klägerin ist begründet.
Rz. 11
A. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Beklagte hafte für das den Arbeitnehmern von der Klägerin für die Zeit vom 29. Juli 2005 bis 31. August 2005 gezahlte Arbeitslosengeld iHv. 6.699,98 Euro nach § 613a Abs. 2 Satz 1 BGB als Gesamtschuldner neben dem Insolvenzschuldner bzw. dem Nebenintervenienten zu 1). Für die Zeit danach hafte der Beklagte gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB für die Entgeltansprüche der von ihm nicht übernommenen Arbeitnehmer iHv. 3.026,96 Euro und die der von ihm in Teilzeit und nicht in Vollzeit übernommenen Arbeitnehmer iHv. 2.839,80 Euro. Die eingeschränkte Anwendung des § 613a BGB bei einer Betriebsübernahme in der Insolvenz stehe dem nicht entgegen, weil es sich um Masseforderungen nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO handele.
Rz. 12
Zum 1. September 2005 habe ein Betriebsübergang auf den Beklagten stattgefunden. Dieser habe die Metzgerei mit Mittagstisch und Partyservice unter Wahrung ihrer Identität fortgeführt. Die Unterbrechung der Geschäftstätigkeit vom 17. Juli 2005 bis zum 31. August 2005 sei unerheblich. Auch sei der Betriebsübergang durch Rechtsgeschäft erfolgt. Im Übrigen liege keine Betriebsstilllegung vor. Denn abgeschlossen sei eine der Annahme eines Betriebsüberganges entgegenstehende Stilllegung des Betriebs erst dann, wenn die Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten beendet seien. Dies sei am 1. September 2005 nicht der Fall gewesen.
Rz. 13
Unbegründet sei die Klage allerdings, soweit die Klägerin Erstattung des Arbeitslosengeldes für die Arbeitnehmerin B… und den Arbeitnehmer F… für November 2005 verlange. Denn deren Arbeitsverhältnisse seien bereits zum 31. Oktober 2005 gekündigt worden.
Rz. 14
B. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand, soweit das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben hat. Für die von der Klägerin ab Insolvenzeröffnung am 29. Juli 2005 bis einschließlich 31. August 2005 erbrachten Leistungen an die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen Ba…, B…, D…, Dr…, F…, Hä…, M…, R…, Sc…, Sch… und So… iHv. 6.699,98 Euro (ohne Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung) haftet der Beklagte gemäß § 611 Abs. 1, § 615 Satz 1 BGB, § 143 Abs. 3 SGB III, § 115 Abs. 1 SGB X iVm. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB. Für die ab dem 1. September 2005 bis zum 31. Oktober 2005 von der Klägerin an die vom Beklagten nicht weiterbeschäftigten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen B…, F…, M… und Sch… erbrachten Leistungen iHv. 3.026,96 Euro haftet der Beklagte gleichfalls nach § 611 Abs. 1, § 615 Satz 1 BGB, § 143 Abs. 3 SGB III, § 115 Abs. 1 SGB X iVm. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB. Darüber hinaus hat der Beklagte für die seitens der Klägerin dem Mitarbeiter Ba… erbrachten Leistungen iHv. 2.552,40 Euro (für den Zeitraum 1. September 2005 bis 30. November 2005) sowie für die dem Mitarbeiter D… erbrachten Leistungen iHv. 287,40 Euro (für den Zeitraum 1. bis 30. September 2005) einzustehen, weil er diese beiden Arbeitnehmer bis zum Ablauf ihrer Kündigungsfristen nur in Teilzeit beschäftigt und bezahlt hat und nicht in Vollzeit; § 611 Abs. 1, § 615 Satz 1 BGB, § 143 Abs. 3 SGB III, § 115 Abs. 1 SGB X iVm. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB.
Rz. 15
I. Nach § 115 Abs. 1 SGB X geht, soweit der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt nicht erfüllt und deshalb ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf den Leistungsträger bis zur Höhe der erbrachten Sozialleistungen über. Davon sind auch die Leistungen erfasst, die der Leistungsträger gemäß § 143 Abs. 3 SGB III erbringt, wenn also der Leistungsträger Arbeitslosengeld zahlt, obwohl der Anspruch darauf gemäß § 143 Abs. 1 oder 2 SGB III ruht, weil der Arbeitslose vom Arbeitgeber tatsächlich keine Leistungen erhält (sog. Gleichwohlgewährung). Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt kann nur so übergehen, wie er besteht. Fehlt es an Anspruchsvoraussetzungen, kann kein Anspruch übergehen (Bieresborn in von Wulffen SGB X 6. Aufl. § 115 Rn. 3a).
Rz. 16
II. Bei den auf die Klägerin übergegangenen Ansprüchen der benannten Arbeitnehmer handelt es sich um solche aus Annahmeverzug (§ 611 Abs. 1 iVm. § 615 Satz 1 BGB). Die wegen Annahmeverzugs zu zahlende Vergütung ist Arbeitsentgelt iSv. § 143 Abs. 1 und 3 SGB III (Henke in Eicher/Schlegel SGB III Stand November 2009 § 143 Rn. 50). Der Beklagte ist Schuldner der Ansprüche, weil er den Betrieb des Insolvenzschuldners übernommen hat, § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB.
Rz. 17
1. Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs liegen vor. Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war letzter Öffnungstag der vom Insolvenzschuldner betriebenen Metzgerei der 16. Juli 2005. Damit kam der frühere Inhaber der Metzgerei ab dem 17. Juli 2005 mit der Annahme der Dienste der bei ihm beschäftigten elf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Verzug. Für die Begründung des Annahmeverzugs bedurfte es keines tatsächlichen oder wörtlichen Arbeitsangebots der Beschäftigten im Sinne der §§ 294, 295 BGB. Ein solches war gemäß § 296 BGB überflüssig, nachdem der Insolvenzschuldner mit der Metzgereischließung zu erkennen gegeben hatte, dass er nicht mehr bereit war, weitere Arbeitsleistungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – auch nicht mehr bis zum Ablauf ihrer Kündigungsfristen – entgegenzunehmen. Nach § 615 Satz 3 BGB trägt grundsätzlich der Arbeitgeber das Risiko, den Arbeitnehmer nicht beschäftigen zu können. Kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zB wegen Auftragsmangels – oder vorliegend: wegen tatsächlicher Schließung der Metzgerei – nicht beschäftigen, wird er von seiner Gegenleistungspflicht nicht befreit. Der Arbeitgeber bleibt vielmehr zur Entgeltzahlung verpflichtet; er trägt das Wirtschaftsrisiko (BAG 23. Juni 1994 – 6 AZR 853/93 – BAGE 77, 123 = AP Nr. 56 zu § 615 BGB = EzA § 615 BGB Betriebsrisiko Nr. 13; HWK/Krause 3. Aufl. § 615 BGB Rn. 112; ErfK/Preis 10. Aufl. § 615 BGB Rn. 121).
Rz. 18
2. Der Beklagte haftet als Betriebserwerber für die auf die Klägerin übergegangenen Annahmeverzugsansprüche. Mit Wirkung vom 1. September 2005 ist der Metzgereibetrieb durch Rechtsgeschäft auf ihn übergegangen. Er ist somit in die zwar gekündigten, aber noch bestehenden Arbeitsverhältnisse mit allen Rechten und Pflichten eingetreten, § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB. Hierzu gehört auch der beim früheren Betriebsinhaber begründete Annahmeverzug (BAG 23. September 2009 – 5 AZR 518/08 – Rn. 25 mwN). Im Falle des Betriebsübergangs muss sich der neue Betriebsinhaber Gegebenheiten zurechnen lassen, die als Tatbestandsmerkmale für spätere Rechtsfolgen von Bedeutung sind (BAG 21. März 1991 – 2 AZR 577/90 – AP BGB § 615 Nr. 49 = EzA BGB § 615 Nr. 68; zsf. ErfK/Preis § 615 BGB Rn. 11). Dies gilt gleichfalls, wenn ein Erwerber den Betrieb in der Insolvenz übernimmt.
Rz. 19
a) Ein Betriebs- oder Betriebsteilübergang nach § 613a Abs. 1 BGB setzt die Wahrung der Identität der betreffenden wirtschaftlichen Einheit voraus. Eine solche besteht aus einer organisatorischen Gesamtheit von Personen und/oder Sachen zur auf Dauer angelegten Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Bei der Prüfung, ob eine solche Einheit übergegangen ist, müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehören als Teilaspekte der Gesamtwürdigung namentlich die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebes, der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel, wie Gebäude oder bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft, der etwaige Übergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit. Die Identität der Einheit kann sich auch aus anderen Merkmalen, wie ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und gegebenenfalls den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln ergeben. Den für das Vorliegen eines Übergangs maßgeblichen Kriterien kommt je nach der ausgeübten Tätigkeit und je nach den Produktions- und Betriebsmethoden unterschiedliches Gewicht zu (st. Rspr. des Senats im Anschluss an EuGH 11. März 1997 – C-13/95 – [Ayse Süzen] Rn. 13 – 18, Slg. 1997, I-1259 = AP EWG-Richtlinie Nr. 77/187 Nr. 14 = EzA BGB § 613a Nr. 145; BAG 21. Februar 2008 – 8 AZR 77/07 – Rn. 18, AP BGB § 613a Nr. 343; 15. Februar 2007 – 8 AZR 431/06 – Rn. 17, AP BGB § 613a Nr. 320 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 64).
Rz. 20
In betriebsmittelgeprägten Betrieben kann ein Betriebsübergang auch ohne Übernahme von Personal vorliegen, wenn der Betriebsübernehmer Betriebsmittel des Vorgängers übernimmt. Sächliche Betriebsmittel sind im Rahmen einer Auftragsneuvergabe wesentlich, wenn bei wertender Betrachtungsweise ihr Einsatz den eigentlichen Kern des zur Wertschöpfung erforderlichen Funktionszusammenhanges ausmacht und wenn sie somit unverzichtbar zur auftragsgemäßen Verrichtung der Tätigkeiten sind (BAG 27. September 2007 – 8 AZR 941/06 – Rn. 20 mwN, BAGE 124, 159 = AP BGB § 613a Nr. 332 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 86; 14. August 2007 – 8 AZR 1043/06 – Rn. 18, AP BGB § 613a Nr. 325 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 74).
Rz. 21
Soweit es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt (sog. betriebsmittelarme Betriebe), kann auch eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden ist, eine wirtschaftliche Einheit darstellen. Die Wahrung der Identität der übergegangenen wirtschaftlichen Einheit ist in diesem Falle anzunehmen, wenn der neue Betriebsinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt, das sein Vorgänger bei dieser Tätigkeit eingesetzt hatte (BAG 27. September 2007 – 8 AZR 941/06 – Rn. 20 mwN, BAGE 124, 159 = AP BGB § 613a Nr. 332 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 86).
Rz. 22
Der Betriebsübergang tritt mit dem Wechsel in der Person des Inhabers des Betriebs ein. Der bisherige Inhaber muss seine wirtschaftliche Betätigung in dem Betrieb oder Betriebsteil einstellen; der Übernehmer muss die Geschäftstätigkeit tatsächlich weiterführen oder wieder aufnehmen. Der Wechsel der Inhaberschaft tritt nicht ein, wenn der neue “Inhaber” den Betrieb nicht führt (BAG 15. Dezember 2005 – 8 AZR 202/05 – Rn. 42, AP BGB § 613a Nr. 294 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 45; 18. März 1999 – 8 AZR 159/98 – zu II 1 der Gründe mwN, BAGE 91, 121 = AP BGB § 613a Nr. 189 = EzA BGB § 613a Nr. 177). Maßgeblich für den Termin des Betriebsübergangs ist der Zeitpunkt, in dem der neue Inhaber, dh. die Person, die den Betrieb im eigenen Namen führt und nach außen als Betriebsinhaber auftritt, die Geschäftstätigkeit tatsächlich weiterführt oder wieder aufnimmt (BAG 21. Februar 2008 – 8 AZR 77/07 – Rn. 28, AP BGB § 613a Nr. 343).
Rz. 23
b) Nach diesen Grundsätzen liegt – wie das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat – ein Betriebsübergang der Metzgerei mit Mittagstisch, Partyservice und Catering iSd. § 613a Abs. 1 BGB auf den Beklagten vor.
Rz. 24
aa) Nach den mit der Revision des Beklagten nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts handelt es sich bei der Metzgerei um einen handwerklichen Produktionsbetrieb mit Ladengeschäft. Der Beklagte verfolgt keinen anderen Betriebszweck als zuvor der Insolvenzschuldner; auch ist die Art des betreffenden Betriebs gleich geblieben. Ob dieser Betrieb betriebsmittelgeprägt oder ein solcher ist, bei dem es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, kann im Streitfalle dahinstehen, weil der Beklagte sowohl materielle und immaterielle Betriebsmittel als auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernommen hat.
Rz. 25
(1) Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Beklagte die wesentlichen materiellen Betriebsmittel für die Unterhaltung der Metzgerei über den Nebenintervenienten zu 2) erworben hat. Insoweit ist nicht erforderlich, dass der Übernehmer vom Veräußerer das Eigentum an den übertragenen Betriebsmitteln erlangt. Maßgeblich und ausreichend ist, dass dem Übernehmer die fraglichen Betriebsmittel zugerechnet werden können, weil dieser die arbeitstechnische Organisationsgewalt über diese ausüben kann (EuGH 15. Dezember 2005 – C-232/04 und C-233/04 – [Güney-Görres] Rn. 37 – 42, Slg. 2005, I-11237; BAG 31. Januar 2008 – 8 AZR 2/07 – Rn. 32, AP BGB § 613a Nr. 339). Dies ist vorliegend der Fall. So betreibt der Beklagte seit dem 1. September 2005 die Metzgerei mit Mittagstisch, Partyservice und Catering in denselben Räumlichkeiten wie zuvor der Insolvenzschuldner bis Mitte Juli 2005. Diese Räumlichkeiten hat er vom Nebenintervenienten zu 2) angemietet. Darüber hinaus nutzt der Beklagte bewegliches Anlagevermögen, welches dem Nebenintervenienten zu 2) zuvor vom Insolvenzschuldner mit Vertrag vom 19./21. Juli 2005 überlassen wurde. Damit hat der Beklagte die tatsächliche Nutzungsmöglichkeit im Sinne der arbeitstechnischen Organisationsgewalt über die wesentlichen Betriebsmittel für die Unterhaltung der Metzgerei erhalten.
Rz. 26
(2) Auch hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei dem Beklagten als immaterielle Betriebsmittel die Nutzung der Firmenbezeichnung “Metzgerei H…” und derselben Telefon- und Faxnummer zugerechnet. Nach den bindenden Feststellungen des Gerichts ist der Beklagte unmittelbar nach dem 1. September 2005 unter der Bezeichnung “Metzgerei H… Inhaber Z…” aufgetreten. Damit hat er an den bereits vor dem 1. September 2005 eingeführten Namen der Metzgerei und die bekannten Telefonverbindungen angeknüpft. Mit dem Berufungsgericht ist weiter davon auszugehen, dass der Beklagte jedenfalls Teile der Kundschaft übernommen hat und dass es dazu nicht der Übergabe oder Übernahme von gegenständlichen Kundenlisten bedurfte. Ob es sich dabei um wesentliche Teile der Kundschaft handelte, kann dahinstehen. Im Zusammenhang mit dem Eintritt des Übernehmers in Kundenbeziehungen kommt es darauf an, ob die Grundlagen für die Erhaltung der Kundenbeziehungen bestehen bleiben. Davon kann bei einem Metzgereibetrieb mit Mittagstisch im Hinblick auf die “Laufkundschaft” ausgegangen werden. Diese rekrutiert sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung beim Verkauf von Wurstwaren und Mittagstisch idR aus dem näheren örtlichen Umfeld, so dass die Beibehaltung der Verkaufsräume und des Warensortiments für die Kundenbindung ausschlaggebend ist. Dagegen kann dahinstehen, ob der Beklagte – wie er behauptet – keinerlei Kunden aus dem Bereich des Caterings übernommen hat. Denn dass er allein das Catering-Geschäft betreibt, behauptet er bereits selbst nicht.
Rz. 27
(3) Ungeachtet dessen hat der Beklagte ab 1. September 2005 einen Hauptteil der Belegschaft des Insolvenzschuldners übernommen. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Beklagte zum 1. September 2005 von den elf beschäftigten Arbeitnehmern sieben eingestellt. Angesichts der Art des betreffenden Betriebs hat der Beklagte mit den Metzgern, Köchen und Verkäuferinnen einen nach Anzahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernommen und den Betrieb mit einem “eingespielten Team” fortsetzt.
Rz. 28
(4) Mit dem Berufungsgericht ist davon auszugehen, dass zwischen dem vom Insolvenzschuldner unterhaltenen Betrieb und dem des Beklagten eine große Ähnlichkeit besteht. Es handelt sich jeweils um eine Metzgerei mit Mittagstisch und Catering, welche in denselben Räumlichkeiten betrieben wurde und wird. Darüber hinaus hat der Beklagte den Betrieb auch unter Wahrung seiner wirtschaftlichen Identität tatsächlich fortgeführt. Der Beklagte hat selbst vorgetragen, dass er ab 1. September 2005 bis 31. Dezember 2006 sukzessive seinen Betrieb von Eschborn nach Frankfurt verlegt hat, wobei zunächst die Produktion verlegt wurde. Schließlich hat er – zu einem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt – seine im März 2005 in Eschborn beschäftigten fünf Mitarbeiter auch in Frankfurt eingesetzt, wo bereits ab 1. September 2005 sieben vormals beim Insolvenzschuldner beschäftigte Arbeitnehmer tätig wurden. Damit liegen erkennbar gerade kein geändertes Konzept oder wesentlich geänderte Arbeitsstrukturen vor. Allein die pauschale Behauptung des Beklagten, er verfolge ein anderes Konzept als der ehemalige Betriebsinhaber, begründet nicht die Annahme, die wirtschaftliche Einheit habe ihre Identität nicht gewahrt. Soweit der Beklagte erstmals in der Revision behauptet hat, dass bereits ab 1. September 2005 die “Produktion und alles” in Frankfurt stattgefunden habe, musste dieses Vorbringen bereits im Hinblick auf § 559 Abs. 1 ZPO unberücksichtigt bleiben.
Rz. 29
(5) Die Schließung der Metzgerei für knapp sieben Wochen (17. Juli 2005 bis 31. August 2005) genügt nicht, um die Annahme eines Betriebsübergangs auszuschließen. Diese Zeitspanne ist jedenfalls bei einem Geschäft wie dem vorliegenden als wirtschaftlich unerhebliche Zeitspanne zu bewerten. Es handelte sich um eine nur kurzfristige Unterbrechung der betrieblichen Tätigkeit, zumal sie nicht länger währte als jede gesetzliche Kündigungsfrist von Arbeitsverhältnissen nach § 622 Abs. 2 BGB (vgl. zu diesem Kriterium: BAG 22. Mai 1997 – 8 AZR 101/96 – zu B II 2b der Gründe, BAGE 86, 20 = AP BGB § 613a Nr. 154 = EzA BGB § 613a Nr. 149).
Rz. 30
bb) Auch erfolgte der Betriebsübergang durch Rechtsgeschäft iSd. § 613a BGB. Nach den mit der Revision des Beklagten nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat dieser ab 1. September 2005 die zuvor vom Insolvenzschuldner gemieteten Geschäftsräume der Metzgerei vertraglich vom Nebenintervenienten zu 2) zur Nutzung überlassen bekommen. Auch das bewegliche Anlagevermögen erhielt der Beklagte aufgrund einer Vereinbarung mit dem Nebenintervenienten zu 2), nachdem dieser es zuvor vom Insolvenzschuldner erhalten hatte. Nach dem Zweck des § 613a BGB ist es nicht erforderlich, dass ein Rechtsgeschäft unmittelbar zwischen dem bisherigen Inhaber und dem Erwerber zustande kommt. Ein rechtsgeschäftlicher Betriebsübergang kann auch dann angenommen werden, wenn er – wie hier – durch eine Reihe von verschiedenen Rechtsgeschäften veranlasst wird (vgl. BAG 28. Mai 2009 – 8 AZR 273/08 – Rn. 45, AP BGB § 613a Nr. 370; 21. August 2008 – 8 AZR 201/07 – Rn. 47, AP BGB § 613a Nr. 353 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 96).
Rz. 31
cc) Eine vom Insolvenzschuldner bzw. dem Insolvenzverwalter geplante Betriebsstilllegung war zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs am 1. September 2005 noch nicht abgeschlossen und steht damit dem Betriebsübergang nicht entgegen.
Rz. 32
(1) Allerdings schließen sich Betriebsveräußerung und Betriebsstilllegung systematisch aus und die Veräußerung des Betriebs allein – wie bereits die Wertung in § 613a BGB zeigt – stellt keine Stilllegung dar, weil die Identität des Betriebs gewahrt bleibt und lediglich ein Inhaberwechsel stattfindet (BAG 28. Mai 2009 – 8 AZR 273/08 – Rn. 45, AP BGB § 613a Nr. 370; 27. September 2007 – 8 AZR 941/06 – Rn. 32, BAGE 124, 159 = AP BGB § 613a Nr. 332 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 86). Entsprechend scheidet ein Betriebsübergang aus, wenn der Betrieb vor dem Erwerb stillgelegt wurde (so ausdrücklich BAG 16. Juli 1998 – 8 AZR 80/97 – zu B II 2a der Gründe; 16. Mai 2002 – 8 AZR 319/01 – zu B III 1b bb, B III 1 c, B III 4 der Gründe, AP BGB § 613a Nr. 237 = EzA BGB § 613a Nr. 210). Die bloße Einstellung der Produktion bedeutet allerdings noch keine Betriebsstilllegung (BAG 16. Mai 2002 – 8 AZR 319/01 – zu B III 1b bb der Gründe, aaO). Unter Betriebsstilllegung ist vielmehr die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zu verstehen, die ihre Veranlassung und zugleich ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, dass der Unternehmer die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, die Verfolgung des bisherigen Betriebszwecks dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne nicht weiter zu verfolgen. Abgeschlossen ist die Stilllegung dann, wenn die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer beendet sind (BAG 26. April 2007 – 8 AZR 695/05 – Rn. 34, AP InsO § 125 Nr. 4; 16. Mai 2002 – 8 AZR 319/01 – zu B III 1b bb der Gründe, aaO; 29. März 1977 – 1 AZR 46/75 – BAGE 29, 114 = AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 11 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 27).
Rz. 33
(2) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist mit dem Berufungsgericht davon auszugehen, dass eine seitens des Insolvenzschuldners bzw. des Insolvenzverwalters geplante Betriebsstilllegung im Zeitpunkt des Betriebsübergangs auf den Beklagten am 1. September 2005 jedenfalls noch nicht abgeschlossen war. Denn zu diesem Zeitpunkt waren die Arbeitsverhältnisse der zuletzt beschäftigten elf Arbeitnehmer noch nicht beendet, weil deren Kündigungsfristen unstreitig noch nicht abgelaufen waren. Insoweit kann unterstellt werden, dass der Insolvenzschuldner bzw. der Insolvenzverwalter beabsichtigten, den Betrieb stillzulegen und die Kündigungen der Arbeitsverhältnisse nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt waren (BAG 26. April 2007 – 8 AZR 695/05 – Rn. 55 mwN, AP InsO § 125 Nr. 4). Dies schließt nicht aus, dass es aufgrund nachträglicher Entwicklungen noch während des Laufs der Kündigungsfrist zu einem Betriebsübergang kommt (BAG 13. Mai 2004 – 8 AZR 198/03 – Rn. 15 mwN, BAGE 110, 336 = AP BGB § 613a Nr. 264 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 25). Maßgeblich ist, dass eine eventuell geplante Betriebsstilllegung mangels Beendigung der Arbeitsverhältnisse vor dem Betriebsübergang am 1. September 2009 noch nicht abgeschlossen war. Solange die Betriebsstilllegung noch nicht abgeschlossen ist, kann der Betrieb noch übergehen.
Rz. 34
3. Die Klägerin hat zur Höhe der Sozialleistungen an die einzelnen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und zu den Entgeltzahlungszeiträumen ausreichend vorgetragen. Sie hat bereits mit der Klageschrift eine entsprechende Liste als Anlage K 1 vorgelegt, aus der sich die Höhe des Arbeitslosengeldes bezogen auf die Zahlungszeiträume von Insolvenzeröffnung bis einschließlich 31. August 2005 und ab 1. September 2005 bis zur jeweiligen Beendigung der Arbeitsverhältnisse ergeben. Der Beklagte hat diesen Vortrag nicht bestritten, so dass es einer näheren Substantiierung der einzelnen Zahlungen durch die Klägerin nicht bedurfte.
Rz. 35
Der vom Insolvenzschuldner begründete und auch gegenüber dem Beklagten als Betriebsübernehmer wirkende Annahmeverzug bestand während der gesamten Dauer der von der Klägerin angeführten Leistungsbezugszeiten. Dies gilt auch für die Mitarbeiter Ba… und D…, die vom Beklagten bis zum Ablauf ihrer Kündigungsfristen in Teilzeit beschäftigt worden sind. Eine “Beendigung” des Annahmeverzugs ist gesetzlich nicht geregelt. Das ist auch nicht erforderlich. Denn ein Annahmeverzug endet, sobald seine Voraussetzungen entfallen. Das kann dadurch geschehen, dass der Arbeitgeber das beseitigt, was den Annahmeverzug begründet hat (BAG 19. Januar 1999 – 9 AZR 679/97 – BAGE 90, 329 = AP BGB § 615 Nr. 79 = EzA BGB § 615 Nr. 93). Mit der Teilzeit(fort-)beschäftigung hat der Beklagte weniger Arbeitsleistung angenommen als die Arbeitnehmer Ba… und D… aufgrund ihres bis zum 30. November 2005 bzw. bis zum 30. September 2005 unverändert bestehenden Arbeitsverhältnisses schuldeten und somit den Umfang ihrer Arbeitsleistungen rechtswidrig einschränkt. Ebenso wie der Arbeitgeber teilweise in Annahmeverzug kommen kann (hierzu: BAG 7. November 2002 – 2 AZR 742/00 – zu B I 1a der Gründe, BAGE 103, 265 = AP BGB § 615 Nr. 100 = EzA BGB 2002 § 612a Nr. 1), ist der Annahmeverzug dadurch im vorliegenden Fall allenfalls teilweise “beendet” worden. Über die Höhe des für diese Zeiträume von der Klägerin den Arbeitnehmern Ba… und D… gezahlten (“Teil-”)Arbeitslosengeldes besteht kein Streit.
Rz. 36
III. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht schließlich angenommen, dass der Beklagte uneingeschränkt hafte.
Rz. 37
Die in teleologischer Reduktion der Haftungsregelung des § 613a BGB entwickelten Grundsätze zu den Haftungsbeschränkungen des Erwerbers bei Betriebsübernahme in der Insolvenz (vgl. hierzu zB BAG 30. Oktober 2008 – 8 AZR 54/07 – mwN, AP BGB § 613a Nr. 357 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 101) greifen nicht. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB gilt nach diesen Grundsätzen bei einer Betriebsveräußerung in der Insolvenz nicht für die Abwicklung von Insolvenzforderungen. Ansprüche aus einem nach der Insolvenzeröffnung fortbestehenden Arbeitsverhältnis sind nach § 108 Abs. 3 InsO Insolvenzforderungen, wenn es sich um solche “für” die Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens handelt. Wird die Erfüllung für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschuldet, handelt es sich dagegen um Masseforderungen – auch: Masseverbindlichkeiten – nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO (BAG 30. Oktober 2008 – 8 AZR 54/07 – aaO; 19. Dezember 2006 – 9 AZR 230/06 – AP ATG § 3 Nr. 19). Dies gilt auch dann, wenn zwar keine Arbeitsleistung erbracht worden ist, aber ein Entgeltanspruch besteht (zB Zwanziger BB 2008, 946). Entsprechend haftet der Beklagte für die von der Klägerin geltend gemachten Forderungen uneingeschränkt, weil es sich ausschließlich um Ansprüche auf Arbeitsentgelt aus der Zeit nach Insolvenzeröffnung handelt.
Rz. 38
IV. Der Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1 BGB.
Rz. 39
C. Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand, soweit die Klage abgewiesen worden ist. Die Klägerin kann vom Beklagten auch die Zahlung des der Arbeitnehmerin B… und dem Arbeitnehmer F… für November 2005 im Wege der Gleichwohlgewährung geleisteten Arbeitslosengeldes in unstreitiger Höhe von insgesamt 1.416,60 Euro nebst Verzugszinsen verlangen. Es handelt sich – wie im Urteil unter B… ausgeführt – um auf die Klägerin übergegangene Ansprüche auf Arbeitsentgelt aus Annahmeverzug, für die der Beklagte als Betriebsübernehmer haftet, § 611 Abs. 1, § 615 Satz 1 BGB, § 143 Abs. 3 SGB III, § 115 Abs. 1 SGB iVm. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts endeten die Arbeitsverhältnisse der beiden Beschäftigten nicht bereits am 31. Oktober 2005. Denn die Feststellung des Berufungsgerichts, dass die Arbeitsverhältnisse dieser Mitarbeiter zum 31. Oktober 2005 gekündigt worden seien, ist mit einer zulässigen und begründeten Verfahrensrüge der Klägerin angegriffen worden.
Rz. 40
I. Die Revision der Klägerin rügt zu Recht, dass die teilweise Klageabweisung auf einer Verletzung der Hinweispflicht nach § 139 Abs. 2 ZPO durch das Landesarbeitsgericht beruht.
Rz. 41
Die Klägerin hat dargelegt, welchen Hinweis das Landesarbeitsgericht hätte erteilen müssen, nämlich, dass es davon ausgeht, dass die beiden Arbeitsverhältnisse zum 31. Oktober 2005 beendet wurden. Ferner hat die Klägerin dargelegt, dass für das Landesarbeitsgericht die Hinweispflicht bestanden hat, weil die Klägerin bereits mit der Klageschrift unter Bezugnahme auf die Anlagen K1 und K9 und in der Folgezeit in den Instanzen unwidersprochen vorgetragen hatte, dass die beiden Arbeitsverhältnisse erst zum 30. November 2005 endeten. Auch hat die Klägerin dargetan, dass sie auf einen entsprechenden gerichtlichen Hinweis die Insolvenzgeldbescheinigungen vorgelegt hätte, denen sich das Ende der Arbeitsverhältnisse zum 30. November 2005 entnehmen ließe. Aus dem Berufungsurteil folgt, dass die gerügte Verletzung für das Urteil kausal war, weil das Landesarbeitsgericht die Klage bezüglich der beiden Arbeitnehmer für November 2005 abgewiesen hat.
Rz. 42
II. Ein Hinweis, dass das Berufungsgericht vom Ende der Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer B… und F… zum 31. Oktober 2005 ausging, hätte im Hinblick auf § 139 Abs. 2 ZPO nicht unterbleiben dürfen, weil beide Parteien offensichtlich davon ausgingen, dass die fraglichen Arbeitsverhältnisse zum 30. November 2005 endeten. Eine Zurückverweisung an das Berufungsgericht ist nicht erforderlich, weil die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen getroffen worden sind und neuer Tatsachenvortrag nicht zu erwarten ist (vgl. BGH 25. November 1966 – V ZR 30/64 – zu IIb der Gründe, BGHZ 46, 281; Zöller/Heßler ZPO 28. Aufl. § 563 Rn. 11). Das Berufungsgericht hat in den Gründen der angefochtenen Entscheidung unter I (Seite 6 des Urteils) und unter I 2 (Seite 12 des Urteils) ausdrücklich auf die Anlage K1 Bezug genommen. Dabei handelt es sich um eine Aufstellung der Klägerin über die von ihr an die elf Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen geleisteten Zahlungen und Leistungszeiträume. Diese hat der Beklagte zu keinem Zeitpunkt in Abrede gestellt; entsprechend hat das Berufungsgericht bei allen anderen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die angeführten Daten seiner Entscheidung zugrunde gelegt und beispielsweise auch beim Arbeitnehmer Ba einen auf die Klägerin übergegangenen Annahmeverzugsanspruch aufgrund eines bis zum 30. November 2005 bestehenden Arbeitsverhältnisses angenommen. Bei den Beschäftigten B… und F… ist der Inhalt der Liste im Hinblick auf die in der Aufstellung angeführten Zahlungen und Beendigungsdaten ebenso als unstreitig zu behandeln mit der Folge, dass von einem Ende der Arbeitsverhältnisse B… und F… zum 30. November 2005 auszugehen ist.
Rz. 43
D. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO. Die Kosten des Nebenintervenienten zu 1) hat der Beklagte zu tragen, die Kosten seiner Nebenintervention hat der Nebenintervenient zu 2) selbst zu tragen, § 101 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Hauck, Böck, Schmidt, Hermann, R. Koglin
Fundstellen
Haufe-Index 2315389 |
BB 2009, 2421 |
BB 2010, 695 |
DB 2010, 624 |