Entscheidungsstichwort (Thema)
Eingruppierung von Erziehern in Wohngruppe
Leitsatz (redaktionell)
Fortführung der Senatsrechtsprechung zur heilpädagogischen Gruppe
Normenkette
BAT 1975 §§ 22-23
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Urteil vom 19.06.1992; Aktenzeichen 12 (13) Sa 1594/91 E) |
ArbG Oldenburg (Oldenburg) (Urteil vom 03.09.1991; Aktenzeichen 1 Ca 275/91 E) |
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 19. Juni 1992 – 12 (13) Sa 1594/91 E – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger in einer „heilpädagogischen Gruppe” tätig ist und Vergütung aus der VergGr. IV b Fallgr. 17 Teil II G Sozial-/Erziehungsdienst der Anl. 1 a zum BAT (n.F.) bzw. Fallgr. 3 (a.F.) zu erhalten hat.
Der Kläger ist staatlich anerkannter Erzieher und aufgrund Arbeitsvertrages vom 2. Oktober 1978 bei dem Beklagten, einer Einrichtung der Jugendhilfe, seit dem 1. Oktober 1978 als Erzieher in einer Wohngruppe tätig. Der beklagte Verein ist eine diakonische Einrichtung der evangelischen Kirche, der in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins betrieben wird. Auf das Arbeitsverhältnis ist kraft einzelvertraglicher Vereinbarung (§ 3 des Arbeitsvertrages) der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) anzuwenden. Der Kläger erhält zur Zeit eine Vergütung nach der VergGr. V c (Fallgr. 1 e) der Anlage 1 a Teil II Abschn. G zum BAT a.F. bzw. V c (Fallgr. 7) BAT in der ab 1. Januar 1991 gültigen Fassung.
Der Beklagte betreut in seinen Heimen Kinder aus zerrütteten Familienverhältnissen, weil zumindest der ganztätige Verbleib der Kinder und Jugendlichen in diesen Familien nicht mehr möglich ist. Die Einweisung der Kinder und Jugendlichen in die Einrichtungen des Beklagten erfolgt durch die Jugendämter auf der Grundlage des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG). Die Tätigkeiten des Klägers sind durch eine sogenannte familienersetzende Funktion gekennzeichnet. Er übernimmt die Aufgabe der Eltern, indem er täglich für die Körperpflege, die Ernährung, die Bekleidung und die Entfaltung der körperlichen, geistigen, gefühlsmäßigen und schöpferischen Kräfte der Jugendlichen sorgt. Er ist Bezugsperson, die gleichermaßen die emotionalen Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen befriedigen soll, die ihnen als Vorbild hilft, ein individuelles Wertsystem aufzubauen. Behinderte Kinder werden bei dem Beklagten grundsätzlich nicht aufgenommen.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die von ihm überwiegend auszuübende Tätigkeit entspreche der VergGr. V b Fallgr. 1 k Teil II Abschn. G Unterabschn. II der Anlage 1 a zum BAT a.F., denn er sei seit dem 1. September 1985 im Gruppendienst in einer heilpädagogischen Gruppe tätig. Im Wege des Bewährungsaufstiegs stehe ihm daher Vergütung nach der VergGr. IV b Fallgr. 3 BAT a.F. zu.
Der Kläger hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß der Kläger seit dem 1. Mai 1990 eingruppiert ist in die Vergütungsgruppe IV b BAT.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, der Kläger sei zutreffend in die VergGr. V c BAT eingruppiert. Die Wohngruppe, in der der Kläger tätig sei, sei keine „heilpädagogische Gruppe”, sondern lediglich eine Gruppe schwererziehbarer Kinder bzw. Jugendlicher. Für die Einweisung der dort in seinen Einrichtungen betreuten Jugendlichen sei nämlich nicht deren eigene Erkrankung oder Störung, sondern allein der Umstand maßgebend, daß ihr Verbleib in den Familien aufgrund der dort herrschenden zerrütteten Familienverhältnisse nicht mehr möglich sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger weiterhin Vergütung nach der VergGr. V b bzw. IV b BAT. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vergütung aus den Vergütungsgruppen V b bzw. IV b Teil II Abschn. G Sozial-/Erziehungsdienst der Anlage 1 a zum BAT a.F., da er nicht in einer „heilpädagogischen Gruppe” tätig ist.
I. Die Parteien gehen in den Schriftsätzen teilweise davon aus, auf das Arbeitsverhältnis seien die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes anwendbar. Teilweise gehen sie von den Bestimmungen des BAT in der bis zum 31. Dezember 1990 gültigen Fassung aus. Nach dem Arbeitsvertrag ist jedoch der BAT anzuwenden.
II.1. Demgemäß kommen für die Eingruppierung des Klägers nur die Tätigkeitsmerkmale des BAT für Angestellte im Erziehungsdienst in Betracht. Damit sind die folgenden Tätigkeitsmerkmale des Teils II Abschn. G Unterabschn. II der Anlage 1 a zum BAT (a. F.) für die Eingruppierung des Klägers maßgebend:
Vergütungsgruppe V c
1. Erzieher(innen), Kindergärtnerinnen, Hortnerinnen
…
e) in Gruppen von körperlich, seelisch oder geistig gestörten oder gefährdeten oder schwer erziehbaren Kindern oder Jugendlichen
nach einjähriger Berufsausübung in einer Tätigkeit der VergGr. VI b Fallgr. 2 oder nach mehrjähriger Berufsausübung einer Tätigkeit der VergGr. VI b Fallgr. 1.
(Hierzu Protokollnotizen Nr. 5, 6, 10, 11, 13 und 14)
Vergütungsgruppe V b
1. Sozialarbeiter/Sozialpädagogen mit staatlicher Anerkennung oder Jugendleiterinnen mit staatlicher Prüfung
…
k) in geschlossenen (gesicherten) Gruppen oder in Aufnahme-(Beobachtungs-)gruppen oder in heilpädagogischen Gruppen,
…
(Hierzu Protokollnotizen Nr. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 9, 10 und 14)
Vergütungsgruppe IV b
…
3. Sozialarbeiter/Sozialpädagogen mit staatlicher Anerkennung oder Jugendleiterinnen mit staatlicher Prüfung der VergGr. V b Fallgr. 1 nach vierjähriger Berufsausübung in einer Tätigkeit der VergGr. V b.
…
(Hierzu Protokollnotizen Nr. 1, 2, 3 und 14)
Protokollnotiz Nr. 3:
Erzieher(innen), Kindergärtnerinnen, Hortnerinnen mit staatlicher Anerkennung als Erzieher oder Kindergärtnerin
oder
mit staatlicher Prüfung als Kindergärtnerin/Hortnerin
oder
mit staatlicher Erlaubnis als Krankenschwester/Krankenpfleger/Kinderkrankenschwester
sowie
Angestellte in der Tätigkeit von Erziehern (Erzieherinnen), Kindergärtnerinnen oder Hortnerinnen mit abgeschlossener mindestens gleichwertiger Fachausbildung
werden nach diesem Tätigkeitsmerkmal eingruppiert, wenn sie am 1. April 1970 die in dem Tätigkeitsmerkmal geforderte Tätigkeit ausüben oder ihnen bis zum 31. Dezember 1986 diese Tätigkeit übertragen wird.
a) Obwohl der Kläger die persönlichen Voraussetzungen der VergGr. V b BAT Fallgr. 1 k a.F. (Sozialarbeiter/Sozialpädagogen mit staatlicher Anerkennung oder Jugendleiterinnen mit staatlicher Prüfung) nicht erfüllt, kann er nach dieser Fallgruppe eingruppiert werden, weil aufgrund der Protokollnotiz Nr. 3 auch Erzieher nach VergGr. V b Fallgr. 1 k eingruppiert werden können, wenn ihnen bis zum 31. Dezember 1986 diese Tätigkeit übertragen wurde, was für den Kläger zutrifft, weil er seit dem 1. Oktober 1978 als Erzieher in einer Wohngruppe beschäftigt ist.
Der Kläger ist jedoch nicht in einer heilpädagogischen Gruppe im Sinne dieser Vergütungsgruppe beschäftigt.
b) Der Begriff „heilpädagogische Gruppe” ist in dem BAT nicht definiert. Zu seiner Bestimmung ist deshalb in erster Linie auf den Wortlaut der Vorschrift zurückzugreifen. Dieser richtet sich nach dem Begriff der Heilpädagogik, wie er sich aus dem Sprachgebrauch der beteiligten Fachkreise ergibt. Danach ist unter einer heilpädagogischen Tätigkeit nach der ständigen Rechtsprechung des Senats eine Tätigkeit zu verstehen, die mit besonderen spezifischen Erziehungsformen die Förderung und Betreuung behinderter Menschen umfaßt (BAG Beschluß vom 3. Dezember 1985, BAGE 50, 241 = AP Nr. 31 zu § 99 BetrVG 1972; BAG Urteil vom 6. Dezember 1989 – 4 AZR 450/89 – AP Nr. 148 zu §§ 22, 23 BAT 1975; BAG Urteil vom 4. April 1990 – 4 AZR 20/90 – ZTR 1990, 380, 381; BAG Urteil vom 25. August 1993 – 4 AZR 533/92 –, n.v.). Dabei kann sich die heilpädagogische Förderung nicht auf einzelne Lebensbereiche des Betreuten beschränken, sondern muß in einem umfassenden Sinn seine gesamte Persönlichkeit zum Gegenstand haben (vgl. Senatsurteil vom 4. April 1990 – 4 AZR 20/90 – ZTR, a.a.O.).
c) Auch aus dem Regelungszusammenhang des BAT folgt, daß für eine heilpädagogische Tätigkeit nicht die übliche erzieherische Tätigkeit ausreicht, sondern die Anwendung spezifischer Erziehungsformen erforderlich ist. Der BAT enthält nämlich mehrere Bestimmungen, in denen ausdrücklich die Eingruppierung von Mitarbeitern, die als Erzieher in einer Gruppe von körperlich, seelisch oder geistig gestörten oder gefährdeten oder schwer erziehbaren Kindern oder Jugendlichen arbeiten, in die VergGr. VI b/V c vorgesehen ist. Eine solche Eingruppierung ist enthalten u.a. in VergGr. V c Fallgr. 1 e/VergGr. VI b Fallgr. 2 e. Diesen Tätigkeiten ist gemeinsam, daß sie von pädagogisch qualifizierten Personen in der Betreuung von Kindern und Jugendlichen ausgeübt werden und pädagogischen Charakter haben. Die in den genannten Fallgruppen zu den VergGr. VI b/V c enthaltenen, auf genau umschriebene Einzeltätigkeiten bezogenen Eingruppierungsbestimmungen wären gegenstandslos, wenn die von den dort angeführten Personen ausgeübte pädagogische – und damit fördernde – Betreuung Jugendlicher ohne weiteres zugleich als heilpädagogische Tätigkeit zu qualifizieren wäre. Wenn die Tätigkeit der Betreuer nämlich eine heilpädagogische ist, handelt es sich bei der betreuten Gruppe um eine heilpädagogische Gruppe mit der Folge, daß Betreuer mit den genannten Qualifikationen entgegen den dort enthaltenen ausführlichen Vorgaben nicht in die VergGr. VI b/V c. sondern in die VergGr. V b oder IV b einzugruppieren wären.
d) Demnach erfordert die zu einer höheren Eingruppierung führende Tätigkeit in einer heilpädagogischen Gruppe mehr als die mit der Arbeit von Erziehern in Gruppen von Kindern und Jugendlichen der genannten Art zwangsläufig verbundene pädagogische Einwirkung. Es genügt hierfür nicht, daß diese pädagogische Arbeit in Formen erfolgt, die auf die besonderen Belange der Kinder und Jugendlichen zugeschnitten sind, denn dies ist schon Grundvoraussetzung jeder in VergGr. VI b/V c eingestuften pädagogischen Arbeit in solchen Gruppen von Kindern und Jugendlichen. Hinzukommen muß vielmehr, daß die individuelle und umfassende Förderung eines jeden Jugendlichen mit über Erziehungsmaßnahmen hinausgehenden Mitteln je nach seiner spezifischen Persönlichkeit im Vordergrund der Betreuungsarbeit in der Gruppe steht.
e) Unter einer heilpädagogischen Tätigkeit ist damit nur eine solche Tätigkeit zu verstehen, die in irgendeiner Weise den irregulären Zustand (= Krankheit) der Betreuten verbessern soll. Der Senat hat dementsprechend eine heilpädagogische Tätigkeit und damit eine heilpädagogische Gruppe bei der Betreuung von behinderten oder sonst kranken Menschen gleich welcher Altersgruppe nur bei bestimmten spezifischen Erziehungsformen angenommen (Urteile vom 26. Mai 1993 – 4 AZR 383/92 –, – 4 AZR 358/92 – und – 4 AZR 382/92 –, sämtlich zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen sowie – 4 AZR 381/92 –, nicht zur Veröffentlichung vorgesehen). Für die heilpädagogische Tätigkeit mit Kindern und Jugendlichen gilt das gleiche (Senatsurteil vom 25. August 1993 – 4 AZR 533/92 –, n.v.).
2. Eine solche heilpädagogische Tätigkeit wird aber von dem Kläger selbst nicht vorgetragen. Nach seinem eigenen Vortrag ist er vielmehr mit erzieherischen Tätigkeiten beschäftigt, die normalerweise in einer Familie geleistet werden. Er ist damit zutreffend in die VergGr. VI b/V c als „Erzieher in Gruppen von körperlich, seelisch oder geistig gestörten oder gefährdeten oder schwer erziehbaren Kindern oder Jugendlichen” einzugruppieren. Dies ergibt sich auch aus dem Umstand, daß nach der für diese Fallgruppen geltenden Protokollnotiz Nr. 5 sich in den entsprechenden Einrichtungen nicht ausschließlich Kinder und Jugendliche der genannten Art zu befinden brauchen, sondern nur im Durchschnitt überwiegen müssen. Zwar kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, daß er bei seiner Tätigkeit auch Maßnahmen zu ergreifen hat, die als heilpädagogisch zu qualifizieren wären. Solche Maßnahmen können aber nach dem vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt allenfalls einen geringen Teil der in der Wohngruppe des Klägers geleisteten Betreuungsarbeit ausmachen und ihr daher nicht das Gepräge geben.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Schaub, Dr. Wißmann, Schneider, Wiese, Schamann
Fundstellen