Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzrechtliche Einordnung einer Sonderzahlung nach angezeigter Masseunzulänglichkeit
Leitsatz (amtlich)
Alle arbeitsrechtlichen Sonderzahlungen, dh. nicht nur solche mit reinem Entgeltcharakter, sondern auch solche zur reinen Belohnung von Betriebstreue oder mit „Mischcharakter”, unterliegen nach angezeigter Masseunzulänglichkeit § 209 InsO. Nur der auf die Zeit der Arbeitsleistung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit entfallende anteilige Anspruch ist als Neumasseverbindlichkeit iSv. § 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 InsO zu berichtigen.
Orientierungssatz
1. Unter welchen Voraussetzungen jährliche Sonderzahlungen als Masseverbindlichkeiten iSv. §§ 53, 55 InsO anzusehen sind, hängt vom Zweck der Sonderzahlung ab. Ob der Arbeitgeber erbrachte Arbeitsleistung zusätzlich vergütet oder sonstige Zwecke verfolgt, ist durch Auslegung der maßgeblichen Bestimmungen zu ermitteln.
2. Sonderzahlungen mit reinem Betriebstreuecharakter, deren Stichtag nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegt, sind Masseverbindlichkeiten iSv. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO.
3. Bei angezeigter Masseunzulänglichkeit tritt neben die Insolvenzeröffnung ein weiterer rechtlicher Einschnitt. § 209 InsO ordnet in diesem Fall die insolvenzrechtliche Rangfolge der Masseverbindlichkeiten.
4. Nach § 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 InsO gelten die auf einem Dauerschuldverhältnis beruhenden Verbindlichkeiten als Neumasseverbindlichkeiten, soweit der Insolvenzverwalter die Gegenleistung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit für die Insolvenzmasse in Anspruch genommen hat. Der Verwalter nimmt die Gegenleistung des Arbeitnehmers „in Anspruch”, wenn er sie nutzt, den Arbeitnehmer also zur Arbeit heranzieht. Gegenleistung ist die vom Arbeitnehmer nach § 611 Abs. 1 BGB geschuldete Arbeitsleistung. Für sie schuldet der Insolvenzverwalter die volle Vergütung.
5. Alle arbeitsrechtlichen Sonderzahlungen, dh. nicht nur solche mit reinem Entgeltcharakter, sondern auch solche zur reinen Belohnung von Betriebstreue oder mit „Mischcharakter”, unterliegen nach angezeigter Masseunzulänglichkeit § 209 InsO. Neumasseverbindlichkeiten werden nach § 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 InsO lediglich begründet, „soweit” die Gegenleistung zur Masse gelangt. Arbeitnehmer können deshalb nur verlangen, dass der auf die Zeit ihrer Arbeitsleistung (einschließlich entgeltfortzahlungspflichtiger sog. „unproduktiver” Ausfallzeiten) nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit entfallende anteilige Anspruch als Neumasseverbindlichkeit iSv. § 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 InsO berichtigt wird.
Normenkette
InsO §§ 53, 55 Abs. 1 Nr. 2, § 208 Abs. 1, 3, § 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3; BGB §§ 133, 145, 151 S. 1, §§ 157, 611 Abs. 1; Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der obst-gemüse- und kartoffelverarbeitenden Industrie, Essigindustrie Senfindustrie vom 8. Dezember 2004 § 10
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten zu 1. wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 10. Februar 2016 – 12 Sa 1051/15 – aufgehoben.
2. Auf die Berufung der Beklagten zu 1. wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 5. August 2015 – 3 Ca 2646/15 – teilweise abgeändert: Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten noch über die insolvenzrechtliche Einordnung einer Sonderzahlung.
Der Kläger wurde von der Beklagten zu 1. (künftig Beklagte) als gewerblicher Arbeitnehmer in der Lebensmittelproduktion beschäftigt. Grundlage war zunächst der schriftliche Arbeitsvertrag vom 1. Oktober 1980. Er lautet auszugsweise:
„Mit dem 1.10.1980 werden Sie in die Z als jugendl. Arbeiter zu dem in unserem Hause gültigen Lohntarifvertrag zur Probe eingestellt.
…
Es wird ein Probearbeitsverhältnis von 4 Wochen vereinbart.
Es endet, ohne dass es einer besonderen Kündigung bedarf, am 28.10.1980. …
Zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bedarf es in jedem Falle eines neuen Arbeitsvertrages.”
Der Kläger setzte seine Tätigkeit für die Beklagte nach dem 28. Oktober 1980 fort, ohne dass ein weiterer schriftlicher Arbeitsvertrag geschlossen wurde. Die Beklagte war Mitglied des Arbeitgeberverbands der Ernährungsindustrie Nordrhein-Westfalen. Der Kläger wurde wie die tarifgebundenen Arbeitnehmer im Bereich des Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmer der obst-, gemüse- und kartoffelverarbeitenden Industrie, Essigindustrie, Senfindustrie (MTV) vergütet. Er erhielt neben einer Vielzahl anderer tariflicher Leistungen jeweils im November des Bezugsjahres zum Monatsende die Jahressonderzuwendung nach § 10 MTV. Zum 15. Januar 2011 trat die Beklagte aus dem Arbeitgeberverband aus.
Über das Vermögen der Beklagten wurde am 1. Mai 2014 das Insolvenzverfahren mit Eigenverwaltung eröffnet. Am 31. Oktober 2014 zeigte der Sachwalter an, die Masse sei unzulänglich. Das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger wurde zunächst fortgesetzt. Sein Monatsentgelt betrug zuletzt 2.406,00 Euro brutto.
Auf die Jahressonderzuwendung für das Jahr 2014 nach § 10 MTV vom 8. Dezember 2004 leistete die Beklagte im November 2014 zwei Zwölftel einer Bruttomonatsvergütung, dh. 401,00 Euro.
Der MTV lautet auszugsweise:
Ӥ 10 Jahressonderzuwendung |
Höhe und Anspruch
Arbeitnehmer, die am 1. Dezember eines Kalenderjahres eine ununterbrochene Betriebszugehörigkeit von 11 Monaten haben und sich an diesem Tage im ungekündigten Arbeitsverhältnis befinden, erhalten eine Jahressonderzuwendung.
Die Jahressonderzuwendung beträgt 100 % des tariflichen Monatsentgelts …
Berechnungsgrundlagen
Der Berechnung des tariflichen Monatsentgelts … sind die für den Berechtigten jeweils am 31.10. des Auszahlungsjahres für die obst- und gemüseverarbeitende Industrie geltenden tariflichen Entgeltsätze
… ohne Zulagen und Zuschläge zugrunde zu legen.
Teilzeitbeschäftigte
Teilzeitbeschäftigte erhalten die Jahressonderzuwendung in einer Höhe, die dem Verhältnis der mit ihnen vereinbarten Arbeitszeit zur regelmäßigen tariflichen Arbeitszeit entspricht.
Ruhen des Arbeitsverhältnisses
Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr ruht, erhalten keine Jahressonderzuwendung; ruht das Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr nur teilweise, so erhalten sie eine anteilige Leistung.
Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Scheidet ein Arbeitnehmer vor dem 1. April aus, so hat er ein Viertel (25 %) der im Vorjahr erhaltenen Jahressonderzuwendung zurückzuzahlen.
Saisonarbeitnehmer
Abweichend von § 10 Abs. 1 und 2 erhalten Arbeitnehmer, die gemäß § 2 Abs. 4 c für saisonmäßig bedingte Arbeiten zusätzlich eingestellt werden, erstmalig eine Jahressonderzuwendung, wenn sie in ununterbrochener Folge 3 Jahre lang je mindestens 3 Monate als Saisonarbeiter im Betrieb beschäftigt waren.
Die Jahressonderzuwendung wird anteilig mit einem Zwölftel für jeden vollen Saison-Beschäftigungsmonat gewährt. … Die anteilige Jahressonderzuwendung wird den Saisonarbeitnehmern am Schluss der Saison ausgezahlt. Maßgebend für die Berechnung dieser anteiligen Jahressonderzuwendung für Saisonarbeiter sind die zu diesem Zeitpunkt geltenden jeweiligen tariflichen Entgeltsätze in der obst- und gemüseverarbeitenden Industrie.
Anrechenbarkeit betrieblicher Leistungen
Auf die Jahressonderzuwendung können betriebliche Leistungen wie ganz oder teilweise vereinbarte 13. Monatsentgelte, Gratifikationen, Weihnachtsgelder, Jahresabschlussvergütungen, einmalig gezahlte Treueprämien, übertarifliches Urlaubsgeld o. ä. angerechnet werden.
Die Jahressonderzuwendung gilt als Einmalleistung im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen.”
Am 15. Dezember 2014 unterzeichnete der Kläger einen „Dreiseitigen Vertrag über Aufhebung des Arbeitsverhältnisses und Beginn eines Beschäftigungsverhältnisses” zwischen ihm, der Beklagten sowie einer Transfer- und Qualifizierungsgesellschaft. Durch den Vertrag wurde das Arbeitsverhältnis des Klägers und der Beklagten mit dem 21. Dezember 2014 aufgehoben. Für die Zeit vom 22. Dezember 2014 bis 21. Juli 2015 wurde ein Arbeitsverhältnis mit der Transfer- und Qualifizierungsgesellschaft begründet.
Mit seiner Klage hat der Kläger ua. eine restliche Jahressonderzuwendung nach § 10 MTV von 2.005,00 Euro brutto geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, wegen des tariflichen Stichtags am 1. Dezember sei der Anspruch auf die Jahressonderzuwendung erst nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit entstanden und in vollem Umfang Neumasseverbindlichkeit. Es handle sich um eine rein stichtagsabhängige Sonderleistung. Selbst wenn der Jahressonderzuwendung ein „Mischcharakter” zukomme, der arbeitsleistungsbezogene Elemente mit Betriebstreuezwecken vereine, dürfe sie insolvenzrechtlich nicht in verschiedene Forderungskategorien für die Zeit vor und nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit aufgeteilt werden.
Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht – soweit für die Revision von Interesse – beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.406,00 Euro brutto Jahressonderzahlung abzüglich geleisteter 401,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 4. Dezember 2014 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, die Jahressonderzuwendung habe zumindest auch Entgeltcharakter. Angesichts der Daten der Insolvenzeröffnung am 1. Mai 2014 und der Anzeige der Masseunzulänglichkeit am 31. Oktober 2014 sei die Forderung insolvenzrechtlich aufzuteilen in vier Zwölftel Insolvenzforderung, sechs Zwölftel Altmasseverbindlichkeit und zwei Zwölftel – unstreitig erfüllte – Neumasseverbindlichkeit. Hinsichtlich der Altmasseverbindlichkeit komme lediglich ein Feststellungsantrag in Betracht. Die Insolvenzforderung sei zur Tabelle anzumelden.
Das Arbeitsgericht hat der auf die Jahressonderzuwendung gerichteten Klage in Höhe von 1.403,50 Euro brutto nebst Zinsen stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Es hat insgesamt eine Neumasseverbindlichkeit bejaht. Der Anspruch sei aufgrund des Ausscheidens des Klägers im Dezember 2014 nach § 10 Nr. 5 MTV auf 75 % von 2.406,00 Euro brutto zu kürzen, dh. auf 1.804,50 Euro brutto. Davon seien die bereits geleisteten 401,00 Euro brutto abzuziehen. Das Landesarbeitsgericht hat die nur von der Beklagten geführte Berufung gegen das Urteil erster Instanz zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte weiter das Ziel der vollständigen Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen durften der noch rechtshängigen Klage nicht stattgeben. Das führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur vollständigen Klageabweisung (§ 563 Abs. 3 ZPO). Der erhobene Anspruch ist nicht als Neumasseverbindlichkeit zu berichtigen.
A. Die noch rechtshängige Klage ist zulässig. Der Kläger macht eine Neumasseverbindlichkeit iSd. §§ 53, 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 InsO geltend. Eine solche Neumasseverbindlichkeit unterliegt nicht den Vollstreckungsverboten des § 210 InsO und des § 123 Abs. 3 Satz 2 InsO. Beruft sich der Arbeitnehmer auf eine vorweg zu berichtigende Masseverbindlichkeit iSv. §§ 53, 55 InsO oder eine Neumasseverbindlichkeit nach § 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 InsO, ist die Klage deshalb nicht unzulässig, sondern unbegründet, wenn es sich in Wirklichkeit um eine Insolvenzforderung oder eine Altmasseverbindlichkeit handelt (vgl. BAG 25. Juni 2014 – 5 AZR 283/12 – Rn. 13, BAGE 148, 290; 12. September 2013 – 6 AZR 980/11 – Rn. 15, BAGE 146, 64; 21. Februar 2013 – 6 AZR 406/11 – Rn. 17 mwN). Die Beklagte hat den Einwand der Neumasseunzulänglichkeit, bei dem auch die Neumassegläubiger ihre Ansprüche nur noch im Weg der Feststellungsklage verfolgen können, nicht erhoben. Für die Leistungsklage besteht daher ein Rechtsschutzbedürfnis (vgl. BAG 8. Mai 2014 – 6 AZR 246/12 – Rn. 13; 19. Juli 2007 – 6 AZR 1087/06 – Rn. 40, BAGE 123, 269).
B. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Anspruch des Klägers auf die restliche, dh. noch nicht erfüllte Jahressonderzuwendung für das Jahr 2014 ist zwar entstanden. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen handelt es sich aber nicht um eine Neumasseverbindlichkeit iSv. §§ 53, 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 InsO, die mit einer Leistungsklage auf volle Berichtigung durchgesetzt werden könnte.
I. Zwischen den Parteien besteht kein Streit darüber, dass die Beklagte dem Kläger auch für das Jahr 2014 unter den Voraussetzungen des § 10 MTV eine Jahressonderzuwendung zugesagt hat, obwohl der Kläger nicht Mitglied einer Gewerkschaft und die Beklagte im Jahr 2011 aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten ist. Die Parteien vertreten lediglich unterschiedliche Auffassungen zu der insolvenzrechtlichen Einordnung der Jahressonderzuwendung. Der Anspruch ist jedenfalls aufgrund einer konkludent getroffenen vertraglichen Abrede entstanden. Danach schuldet die Beklagte auch für das Jahr 2014 unter den Voraussetzungen des § 10 MTV eine Jahressonderzuwendung. Der Senat kann diese Auslegung selbst vornehmen. Der Sachverhalt steht fest. Weiterer Sachvortrag ist nicht zu erwarten (vgl. BAG 13. Mai 2015 – 10 AZR 266/14 – Rn. 16).
1. Leistet der Arbeitgeber zusätzlich zu dem vereinbarten monatlichen Entgelt eine Sonderzahlung, ist durch Auslegung (§§ 133, 157 BGB)zu ermitteln, ob er sich nur zu der konkreten Leistung oder darüber hinaus auch für die Zukunft verpflichtet hat. Eine dauerhafte Verpflichtung kann sich aus einem Verhalten mit Erklärungswert – wie einer betrieblichen Übung – ergeben (vgl. zB BAG 24. Februar 2016 – 4 AZR 990/13 – Rn. 18 ff. mwN; 19. August 2015 – 5 AZR 450/14 – Rn. 20). Auch wenn keine betriebliche Übung besteht, weil der Arbeitgeber eine Leistung nur an einen Arbeitnehmer erbracht hat und damit das kollektive Element fehlt, kann ein Anspruch des Arbeitnehmers entstanden sein. Das ist der Fall, wenn der Arbeitnehmer aus einem tatsächlichen Verhalten des Arbeitgebers auf ein Angebot schließen durfte, das er durch schlüssiges Verhalten angenommen hat (vgl. BAG 13. Mai 2015 – 10 AZR 266/14 – Rn. 11; 14. September 2011 – 10 AZR 526/10 – Rn. 12 f. mwN, BAGE 139, 156).
2. Diesen Anforderungen wird das Verhalten der Parteien gerecht. Die Beklagte leistete die Jahressonderzuwendung während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses seit 1980 auch nach dem Austritt aus dem Arbeitgeberverband im Jahr 2011. Sie hielt an der Leistung in der Phase der Nachbindung nach § 3 Abs. 3 TVG weiter fest. Daraus durfte der Kläger auf ein verbindliches Angebot der Beklagten iSv. § 145 BGB unter Verzicht auf den Zugang der Annahmeerklärung (§ 151 Satz 1 BGB) schließen. Er akzeptierte die Zahlungen unwidersprochen und nahm das Angebot der Beklagten damit durch schlüssiges Verhalten an.
II. Bei dem nicht erfüllten Anspruch auf die noch ausstehende Jahressonderzuwendung handelt es sich entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts jedoch nicht um eine Neumasseverbindlichkeit iSv. §§ 53, 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 InsO.
1. Unter welchen Voraussetzungen jährliche Sonderzahlungen als Masseverbindlichkeiten iSv. §§ 53, 55 InsO anzusehen sind, hängt vom Zweck der Sonderzahlung ab. Ob der Arbeitgeber erbrachte Arbeitsleistung zusätzlich vergütet oder sonstige Zwecke verfolgt, ist durch Auslegung der maßgeblichen Bestimmungen zu ermitteln (vgl. BAG 13. Mai 2015 – 10 AZR 266/14 – Rn. 12 ff.; 14. November 2012 – 10 AZR 3/12 – Rn. 18, 21).
a) Mit einer Sonderzahlung kann die vom Arbeitnehmer im Bezugszeitraum erbrachte Arbeitsleistung zusätzlich honoriert werden. Der Anspruch auf eine solche Sonderzahlung entsteht in diesem Fall regelmäßig während des Bezugszeitraums entsprechend der zurückgelegten Dauer „pro rata temporis”) und wird nur zu einem anderen Zeitpunkt insgesamt fällig. Insolvenzrechtlich sind solche arbeitsleistungsbezogenen Sonderzahlungen dem Zeitraum zuzuordnen, für den sie als Gegenleistung geschuldet sind (vgl. BAG 13. November 2013 – 10 AZR 848/12 – Rn. 33, BAGE 146, 284; 14. November 2012 – 10 AZR 793/11 – Rn. 14 mwN). Soweit mit ihnen Arbeitsleistungen vergütet werden, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht wurden, handelt es sich um Masseverbindlichkeiten iSv. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Werden vor der Verfahrenseröffnung erbrachte Arbeitsleistungen honoriert, bestehen Insolvenzforderungen (vgl. BAG 13. November 2013 – 10 AZR 848/12 – aaO; 14. November 2012 – 10 AZR 793/11 – aaO).
b) Sonderzahlungen können auch anderen Zwecken als der Vergütung erbrachter Arbeitsleistung dienen. Sie können als „Treueprämie” langfristige oder als „Halteprämie” kurzfristige oder künftige Betriebstreue belohnen (vgl. BAG 12. September 2013 – 6 AZR 980/11 – Rn. 32 ff., BAGE 146, 64; 14. November 2012 – 10 AZR 793/11 – Rn. 15 mwN; 18. Januar 2012 – 10 AZR 667/10 – Rn. 13, BAGE 140, 239). Der Arbeitgeber kann auch den Zweck verfolgen, sich anlassbezogen an den zum Weihnachtsfest typischerweise erhöhten Aufwendungen seiner Arbeitnehmer zu beteiligen (vgl. BAG 18. Mai 2016 – 10 AZR 233/15 – Rn. 10, 12 f.; 5. Juli 2011 – 1 AZR 94/10 – Rn. 35). Die Leistung solcher Sonderzahlungen hängt nicht von einer bestimmten Arbeitsleistung, sondern regelmäßig nur vom Bestand des Arbeitsverhältnisses ab (vgl. BAG 14. November 2012 – 10 AZR 793/11 – aaO; 18. Januar 2012 – 10 AZR 667/10 – aaO). Reiner Gratifikationscharakter ist anzunehmen, wenn eine Leistung nicht von einer Gegenleistung abhängig ist (vgl. BAG 18. Mai 2016 – 10 AZR 233/15 – Rn. 18). Insolvenzrechtlich sind stichtagsbezogene Sonderzahlungen dem Zeitraum zuzurechnen, in den der Stichtag fällt (vgl. BAG 14. November 2012 – 10 AZR 793/11 – aaO; 11. Dezember 2001 – 9 AZR 459/00 – zu I 1 der Gründe). Liegt der Stichtag zeitlich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, handelt es sich um eine Masseverbindlichkeit iSv. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO (vgl. BAG 14. November 2012 – 10 AZR 793/11 – aaO mwN). Sonst ist eine solche Zahlung in voller Höhe als Insolvenzforderung anzusehen. Diese Unterscheidung entspricht auch der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Einbeziehung von Vergütungsbestandteilen in die Insolvenzgeldberechnung (vgl. BSG 21. Juli 2005 – B 11a/11 AL 53/04 R –).
c) Soll eine Sonderzahlung die gezeigte oder erwartete Betriebstreue belohnen, kann sie dennoch zugleich an die Arbeitsleistung im Bezugszeitraum anknüpfen. Es handelt sich dann um eine Sonderzahlung mit sog. Mischcharakter (vgl. zB BAG 13. November 2013 – 10 AZR 848/12 – Rn. 13, 18, BAGE 146, 284; 18. Januar 2012 – 10 AZR 612/10 – Rn. 16, 28, BAGE 140, 231).
2. Die Anzeige des Insolvenzverwalters oder Sachwalters, die Masse reiche nicht zur vollständigen Befriedigung aller Massegläubiger aus (§ 208 Abs. 1 InsO), führt zu einer Neuordnung der Masseverbindlichkeiten. Sie werden nur unter den Voraussetzungen des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO – ggf. iVm. § 209 Abs. 2 InsO – als Neumasseverbindlichkeiten vorab aus der Masse berichtigt. Die Gläubiger von Altmasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO sind dagegen auf eine lediglich anteilige Berichtigung ihrer Forderungen beschränkt (vgl. BAG 21. November 2006 – 9 AZR 97/06 – Rn. 17, BAGE 120, 232). Bei der Befriedigung der Massegläubiger ist die Rangfolge des § 209 Abs. 1 InsO einzuhalten. Hierfür ist neben den Kosten des Insolvenzverfahrens (§ 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO) zwischen Neumasseverbindlichkeiten (§ 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 InsO) und Altmasseverbindlichkeiten (§ 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO) zu unterscheiden (vgl. Oetker DZWIR 2002, 373).
3. Das Landesarbeitsgericht hat die noch ausstehende Jahressonderzuwendung für das Jahr 2014 zu Unrecht als Neumasseverbindlichkeit iSv. § 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 InsO eingeordnet.
a) Die Beurteilung des Berufungsgerichts beruht darauf, dass es die Jahressonderzuwendung nach § 10 MTV ua. wegen der Stichtage in § 10 Nr. 1 Abs. 1 und Nr. 5 MTV als reine Betriebstreueregelung verstanden hat. Dagegen sprechen Nr. 3, Nr. 4, Nr. 1 Abs. 2 und Nr. 7 Abs. 1 des § 10 MTV, die erkennen lassen, dass die Sonderzahlung auch arbeitsleistungsbezogen erbracht wird. Es handelt sich wegen der kombinierten Zwecke der Förderung der Betriebstreue und der zusätzlichen Vergütung der Arbeitsleistung um eine Sonderzahlung mit „Mischcharakter” (vgl. etwa BAG 13. November 2013 – 10 AZR 848/12 – Rn. 13, 18, BAGE 146, 284; 18. Januar 2012 – 10 AZR 612/10 – Rn. 16, 28, BAGE 140, 231).
aa) Die Gruppe der Teilzeitbeschäftigten, deren Anspruch in § 10 Nr. 3 MTV geregelt ist, unterscheidet sich von der Gruppe der Vollzeitbeschäftigten nur im Hinblick auf das geringere Arbeitszeitvolumen. Teilzeitbeschäftigte erhalten die Jahressonderzuwendung in einer Höhe, die dem Verhältnis der mit ihnen vereinbarten Arbeitszeit zur regelmäßigen tariflichen Arbeitszeit entspricht. Das spricht über die Gruppe der Teilzeitbeschäftigten hinaus für einen Arbeitsleistungsbezug der Jahressonderzuwendung neben dem Zweck der Belohnung der Betriebstreue (vgl. BAG 26. April 2016 – 1 AZR 435/14 – Rn. 23).
bb) Darauf deutet auch § 10 Nr. 4 MTV hin. Danach erhalten Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr ganz oder teilweise ruht, keine oder eine anteilige Leistung. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dadurch werde nicht an die erbrachte Arbeitsleistung, sondern an den Bestand des Arbeitsverhältnisses angeknüpft. Die Suspendierung der wechselseitigen Hauptpflichten könne fehlender Betriebstreue gleichgestellt werden. Dem kann sich der Senat nicht anschließen. Das Ruhen der Hauptleistungspflichten lässt den Bestand des Arbeitsverhältnisses und damit die reine Betriebstreue unberührt (vgl. BAG 25. September 2013 – 10 AZR 850/12 – Rn. 14). Der Ausschluss- und Kürzungstatbestand in § 10 Nr. 4 MTV macht vielmehr deutlich, dass § 10 MTV nicht nur geleistete Betriebstreue honorieren, sondern auch erbrachte Arbeitsleistung vergüten soll (vgl. BAG 26. April 2016 – 1 AZR 435/14 – Rn. 23).
cc) Der neben dem Betriebstreuecharakter bestehende Vergütungscharakter wird durch die Bezugsgröße der Berechnung der Jahressonderzuwendung gestützt (vgl. BAG 26. April 2016 – 1 AZR 435/14 – Rn. 23). Die Jahressonderzuwendung beträgt nach § 10 Nr. 1 Abs. 2 MTV 100 % des tariflichen Monatsentgelts. Hinzu kommt, dass die Sonderzahlung in Höhe eines Bruttomonats-entgelts ein Dreizehntel und damit einen nicht unwesentlichen Teil der Gesamtjahresvergütung des Klägers ausmachte (vgl. zu diesem Indiz für Entgeltcharakter zB BAG 13. Mai 2015 – 10 AZR 266/14 – Rn. 25).
dd) Schließlich spricht – zumindest entfernt – für einen „Mischcharakter” der Jahressonderzuwendung, dass § 10 Nr. 7 Abs. 1 MTV es zulässt, betriebliche Leistungen unabhängig von ihrem Entgelt- oder Gratifikationscharakter auf die Jahressonderzuwendung anzurechnen.
b) Abgesehen davon sind auch Sonderzahlungen mit reinem Betriebstreuecharakter nach angezeigter Masseunzulänglichkeit nicht vollständig Neumasseverbindlichkeiten iSv. § 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 InsO, selbst wenn die Forderung erst mit einem Stichtag nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit entsteht. Alle Sonderzahlungen sind als Neumasseverbindlichkeiten nur anteilig für den Zeitraum geleisteter Arbeit nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit zu berichtigen.
aa) Dem Berufungsgericht ist zuzugeben, dass das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein davon ausgegangen ist, eine Sonderzahlung mit „Mischcharakter”, die auch Zeiten der Arbeitsleistung vor Insolvenzeröffnung vergüte, wegen ihres Betriebstreueanteils aber erst nach Insolvenzeröffnung entstehe, stelle ebenso wie eine Sonderzahlung mit reinem Betriebstreuecharakter insgesamt eine Masseverbindlichkeit iSv. § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO dar (vgl. LAG Schleswig-Holstein 12. März 2008 – 6 Sa 411/07 – zu 2 b und d der Gründe; ebenso Fischermeier in Heinrich Symposion Insolvenz- und Arbeitsrecht 2011 S. 81, 83; Gossak in Göpfert Handbuch Arbeitsrecht in Restrukturierung und Insolvenz § 10 Rn. 30). Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein bezieht sich dabei auf eine Entscheidung des Zehnten Senats des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 1995 zum Haftungsprivileg des Betriebserwerbers nach Konkurseröffnung (vgl. BAG 11. Oktober 1995 – 10 AZR 984/94 – zu II 2 der Gründe, BAGE 81, 132). Der Zehnte Senat hat dort angenommen, die Haftungseinschränkung des Betriebserwerbers gelte lediglich für Konkursforderungen, nicht für Masseschulden nach § 59 Abs. 1 KO (vgl. BAG 11. Oktober 1995 – 10 AZR 984/94 – zu II 2 a der Gründe, aaO). Ein Anspruch auf eine tarifliche Sonderzahlung könne gegen die Gemeinschuldnerin nur dann entstehen, wenn es sich bei der Sonderzahlung um einen Vergütungsbestandteil handle, der in das vertragliche Austauschverhältnis von Vergütung und Arbeitsleistung eingebunden sei und mit dem kein anderer Zweck verfolgt werde als die Entlohnung tatsächlich erbrachter Arbeitsleistung (vgl. BAG 11. Oktober 1995 – 10 AZR 984/94 – zu II 2 d der Gründe, aaO). Der Zehnte Senat hat im konkreten Fall allerdings eine reine Betriebstreueregelung bejaht (vgl. BAG 11. Oktober 1995 – 10 AZR 984/94 – zu II 2 der Gründe, aaO).
bb) Die genannten Entscheidungen des Zehnten Senats und des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein behandeln keine Fallgestaltungen, in denen die Masseunzulänglichkeit angezeigt war (vgl. BAG 11. Oktober 1995 – 10 AZR 984/94 – zu II 2 der Gründe, BAGE 81, 132; LAG Schleswig-Holstein 12. März 2008 – 6 Sa 411/07 – zu 2 b und d der Gründe). Bei angezeigter Masseunzulänglichkeit tritt neben die Insolvenzeröffnung ein weiterer rechtlicher Einschnitt. § 209 InsO ordnet in diesem Fall die insolvenzrechtliche Rangfolge der Masseverbindlichkeiten (vgl. zu der insolvenzrechtlichen Rangfolge von Mietansprüchen BGH 3. April 2003 – IX ZR 101/02 – zu II 2 der Gründe, BGHZ 154, 358; ohne Bezug auf § 209 InsO weiterentwickelt durch: BGH 5. Juli 2007 – IX ZR 185/06 – Rn. 8 ff., BGHZ 173, 116; 11. Dezember 2014 – IX ZR 87/14 – Rn. 7 ff., BGHZ 204, 1). Auch alle arbeitsrechtlichen Sonderzahlungen, dh. nicht nur solche mit reinem Entgeltcharakter, sondern auch solche zur reinen Belohnung von Betriebstreue oder mit „Mischcharakter”, unterliegen bei angezeigter Masseunzulänglichkeit § 209 InsO. Soweit die insolvenzrechtlichen Verteilungsgrundsätze reichen, gehen sie den allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätzen als Spezialregelungen vor. Damit wird sichergestellt, dass alle Gläubiger gleichmäßig befriedigt werden (vgl. BAG 14. November 2012 – 5 AZR 778/11 – Rn. 13 mwN).
cc) Nach § 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 InsO gelten die auf einem Dauerschuldverhältnis beruhenden Verbindlichkeiten als Neumasseverbindlichkeiten, soweit der Verwalter die Gegenleistung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit für die Insolvenzmasse in Anspruch genommen hat. Der Insolvenzverwalter oder Sachwalter nimmt die Gegenleistung des Arbeitnehmers „in Anspruch”, wenn er sie nutzt, den Arbeitnehmer also zur Arbeit heranzieht. Gegenleistung ist die vom Arbeitnehmer nach § 611 Abs. 1 BGB geschuldete Arbeitsleistung (vgl. BAG 8. Mai 2014 – 6 AZR 246/12 – Rn. 24 mwN; sh. auch BGH 3. April 2003 – IX ZR 101/02 – zu III 1 d der Gründe, BGHZ 154, 358). Für sie schuldet der Verwalter die volle Vergütung (vgl. BAG 21. November 2006 – 9 AZR 97/06 – Rn. 20, BAGE 120, 232).
dd) Der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat daraus abgeleitet, eine völlige Vernachlässigung der tatsächlichen Arbeitsleistung für sog. geldwerte Urlaubsansprüche auf Urlaubsentgelt und Urlaubsabgeltung sei – im Unterschied zu dem auf Freistellung gerichteten Urlaubsanspruch – nicht mit dem Wortlaut des § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO vereinbar. Sie entspreche auch nicht der Zielsetzung, im Interesse der ordnungsgemäßen Abwicklung des Insolvenzverfahrens die Entgeltansprüche der weiterbeschäftigten Arbeitnehmer zu sichern. Abweichend von der Konzeption des gesetzlichen Urlaubsrechts sei deswegen im Anwendungsbereich des § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO der auf die Dauer der tatsächlich entgegengenommenen Arbeitsleistung entfallende „anteilige” Geldwert des Urlaubs als Neumasseverbindlichkeit zu berichtigen. Maßgeblich sei das Verhältnis der möglichen Arbeitstage im Jahr zu den vom Arbeitnehmer nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit geleisteten Arbeitstagen (vgl. BAG 21. November 2006 – 9 AZR 97/06 – Rn. 26 f., BAGE 120, 232; Düwell/Pulz NZA 2008, 786, 788; aA Betz BB 2015, 886, 888 ff., der Ansprüche auf Urlaubsentgelt und -abgeltung wegen ihrer Unabhängigkeit von der Arbeitsleistung immer als Altmasseverbindlichkeiten versteht).
ee) Diese Überlegungen sind nicht nur auf Sonderzahlungen mit Entgeltcharakter, sondern auch auf Sonderzahlungen mit reinem Betriebstreue- oder „Mischcharakter” zu übertragen.
(1) Der Zweck der Begünstigung der Neumassegläubiger soll den Insolvenzverwalter in die Lage versetzen, seinen Pflichten nachzukommen. Mit dem in § 209 InsO begründeten Vorrang der Neumasseverbindlichkeiten soll es dem Verwalter ermöglicht werden, die Masse nach § 208 Abs. 3 InsO auch nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit zu verwalten und zu verwerten. Gläubigern, die Sach- oder Dienstleistungen zugunsten der Masse erbringen, soll im Gegenzug ein möglichst ungekürzter Leistungsanspruch gegen die Masse zustehen (vgl. BAG 21. November 2006 – 9 AZR 97/06 – Rn. 24, BAGE 120, 232).
(2) Die Beschäftigung von Arbeitnehmern liegt auch im Interesse der im Rang zurückgestuften (Alt-)Massegläubiger, wenn der Betrieb zumindest zeitweise fortgeführt werden kann. Ihnen wird der Forderungsausfall lediglich in engen Grenzen zugemutet. Neumasseverbindlichkeiten werden nach § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO nur begründet, „soweit” die Gegenleistung zur Masse gelangt. Würde demgegenüber der gesamte Urlaub in seinem Geldwert oder eine Jahressonderzuwendung mit reinem Betriebstreue- oder „Mischcharakter” vollständig „nachgezogen”, würde die Masse nicht angereichert, sondern mit zusätzlichen Kosten belastet. Das widerspräche der Systematik der Insolvenzordnung. Neumasseverbindlichkeiten zeichnen sich dadurch aus, dass sie vom Verwalter regelmäßig freiwillig begründet und ihm nicht aufgezwungen „oktroyiert”) werden. § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO setzt voraus, dass der Verwalter die Gegenleistung aus einem Dauerschuldverhältnis nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit für die Insolvenzmasse in Anspruch genommen hat. Darunter ist – wie in § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO – ein Verhalten des Verwalters zu verstehen, mit dem er die Gegenleistung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit selbstbestimmt nutzt, obwohl er dies pflichtgemäß hätte verhindern können (vgl. BGH 3. April 2003 – IX ZR 101/02 – zu III 1 d der Gründe, BGHZ 154, 358; Raiß AnwZert InsR 24/2009 Anm. 4 zu B II 3; Zwanziger NZA 2015, 577, 578 f.). „Freiwillig” kann der Verwalter lediglich entscheiden, ob und mit welchen Arbeitnehmern er den Betrieb (begrenzt) fortführt. Dagegen kann er nach angezeigter Masseunzulänglichkeit nicht auf die oft erheblichen Resturlaubsansprüche und die damit verbundenen geldwerten Ansprüche, die bereits geleistete Betriebstreue oder die schon erbrachten Arbeitsleistungen einwirken, die sich neben dem Betriebstreuezweck in einer Sonderzahlung mit „Mischcharakter” widerspiegeln (zu sog. auf Geld gerichteten Urlaubsansprüchen BAG 21. November 2006 – 9 AZR 97/06 – Rn. 25, BAGE 120, 232). Die Rückstufung drängender (Alt-)Masseverbindlichkeiten auf den Rang des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO hat zum Ziel, dem Verwalter den Handlungsspielraum zu geben, damit er die Verwertung auch bei Masseunzulänglichkeit zum Abschluss bringen kann (vgl. die Begründung zu § 321 Abs. 2 Nr. 3 des Regierungsentwurfs einer InsO in BT-Drs. 12/2443 S. 220; Windel in Jaeger InsO 5. Aufl. [online] § 209 Rn. 1).
(3) Dem Landesarbeitsgericht ist nicht darin zuzustimmen, dass die Erwägungen des Neunten Senats zu geldwerten Urlaubsansprüchen nicht auf die Frage des insolvenzrechtlichen Charakters des Anspruchs auf eine Sonderzahlung mit Betriebstreue- oder „Mischcharakter” übertragen werden können. Soweit das Berufungsgericht darauf abstellt, der volle Urlaubsanspruch aus §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG entstehe nach erfüllter Wartezeit (§ 4 BUrlG) unabhängig von der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers immer am 1. Januar des Urlaubsjahres, trifft das zu (vgl. für die st. Rspr. BAG 11. November 2015 – 10 AZR 645/14 – Rn. 18; 22. Juli 2014 – 9 AZR 981/12 – Rn. 27; in einem insolvenzrechtlichen Zusammenhang BAG 21. November 2006 – 9 AZR 97/06 – Rn. 13, BAGE 120, 232). Der Urlaubsabgeltungsanspruch aus § 7 Abs. 4 BUrlG entsteht jedoch erst mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Er ist seit Aufgabe der Surrogatstheorie auch nicht länger Ersatz des auf Freistellung gerichteten Urlaubsanspruchs, sondern ein reiner Geldanspruch (vgl. nur BAG 22. September 2015 – 9 AZR 170/14 – Rn. 14, BAGE 152, 308; grundlegend BAG 19. Juni 2012 – 9 AZR 652/10 – Rn. 15 ff., BAGE 142, 64; zu den insolvenzrechtlichen Auswirkungen der Aufgabe der Surrogatstheorie Betz BB 2015, 886, 889). Die Interessenlage ist daher bei einem Anspruch auf eine Sonderzahlung mit Betriebstreue- oder „Mischcharakter” vergleichbar mit geldwerten Urlaubsansprüchen. Die Aufteilung in Insolvenzforderungen, Alt- und Neumasseverbindlichkeiten entspricht auch der Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit zur beschränkten Insolvenzgeldsicherung von Sonderzahlungen mit reinem Arbeitsleistungsbezug oder „Mischcharakter” (vgl. BSG 21. Juli 2005 – B 11a/11 AL 53/04 R –; 10. September 1987 – 10 RAr 10/86 – BSGE 62, 131; Bayerisches LSG 25. Juli 2013 – L 9 AL 274/11 –).
III. Die Klage ist deshalb unbegründet. Der Kläger konnte nur verlangen, dass der auf die Zeit seiner Arbeitsleistung (einschließlich entgeltfortzahlungspflichtiger sog. „unproduktiver” Ausfallzeiten, vgl. BAG 8. Mai 2014 – 6 AZR 246/12 – Rn. 25) nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit entfallende anteilige Anspruch auf die Jahressonderzuwendung als Neumasseverbindlichkeit iSv. § 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 InsO berichtigt wurde. Dieser Anteil des Anspruchs ist kein Gegenstand des Rechtsstreits. Die Neumasseverbindlichkeit ist erfüllt. Die vier Zwölftel der Jahressonderzuwendung für die Monate von Januar bis April 2014 – die Zeit vor Insolvenzeröffnung am 1. Mai 2014 – und die weiteren sechs Zwölftel der Jahressonderzuwendung für die Zeit zwischen Insolvenzeröffnung und Anzeige der Masseunzulänglichkeit von Mai bis Oktober 2014 sind keine Neumasseverbindlichkeiten. Sie sind der auf volle Berichtigung gerichteten Leistungsklage nicht zugänglich.
C. Der Kläger hat nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Unterschriften
Fischermeier, Spelge, Gallner, D. Knauß, Talkenberg
Fundstellen
Haufe-Index 10715881 |
BAGE 2017, 376 |
BB 2017, 1204 |
BB 2017, 1404 |
DB 2017, 7 |
DStR 2017, 14 |