Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadenersatz wegen verspäteter Lohnzahlung - Steuerschaden
Orientierungssatz
Parallelentscheidung ohne Langtextwiedergabe zu dem Urteil des BAG vom 23.09.1999 8 AZR 791/98, das vollständig dokumentiert ist.
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen
Landesarbeitsgerichts vom 8. Juni 1998 - 10 Sa 1321/97 - wird
zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen steuerlicher Nachteile aufgrund verspäteter Gehaltszahlung.
Der Kläger war seit 1975 als aufsichtsführender Ingenieur bei den amerikanischen Stationierungsstreitkräften in Hanau beschäftigt. Die Streitkräfte kündigten das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 8. April 1994 außerordentlich fristlos mit der Begründung, der Kläger habe sich mehrfach nachmittags während der Arbeitszeit in Weinlokalen aufgehalten und dort trotz bestehenden Alkoholverbots Alkohol konsumiert. Der gegen diese Kündigung gerichteten Kündigungsschutzklage hat das Arbeitsgericht Hanau mit Urteil vom 22. Dezember 1994 (- 2 Ca 224/94 -) stattgegeben. Das Hessische Landesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 13. Oktober 1995 (- 15 Sa 208/95 -) die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Das Berufungsurteil ist der Beklagten im Januar 1996 zugestellt worden.
Seit Dezember 1995 wurde der Kläger wieder beschäftigt. Die Beklagte zahlte im Februar 1996 die gesamte Arbeitsvergütung für den Zeitraum vom 9. April 1994 bis zum 30. November 1995 aus und führte die hiernach anfallende Einkommensteuer nebst Solidaritätszuschlag ab.
Der Kläger hat vorgetragen, die Arbeitgeberin sei mit den Gehaltszahlungen in Verzug geraten. Sie habe im Hinblick auf ihre unberechtigte Kündigung schuldhaft verspätet gezahlt. Sie könne sich nicht auf einen unverschuldeten Rechtsirrtum berufen, weil sie ernsthaft mit einer abweichenden Beurteilung durch die Gerichte habe rechnen müssen und damit auf eigenes Risiko gehandelt habe. Deshalb müsse die Beklagte die aufgrund der Einmalzahlung 1996 entstandene zusätzliche Steuerbelastung als Verzugsschaden ausgleichen. Die Mehrbelastung betrage bei einem Vergleich mit fiktiven Steuerbescheiden für 1994, 1995 und 1996, fortlaufende Vergütungszahlungen unterstellt, 30.149,60 DM, nämlich 26.807,00 DM Einkommensteuer und 3.342,60 DM Solidaritätszuschlag.
Der Kläger hat - soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung - beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 30.149,60 DM abzugsfrei nebst
4 % Zinsen seit dem 23. Dezember 1995 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie vertritt die Auffassung, sie hafte jedenfalls mangels Verschuldens nicht für eine steuerliche Schlechterstellung des Klägers aufgrund der Nachzahlung im Jahre 1996; denn sie habe die Kündigung für rechtswirksam ansehen und ihre Arbeitgeberinteressen mit gesetzlichen Mitteln verfolgen dürfen. Erst ab Kenntnis der Entscheidungsgründe des Berufungsurteils sei die Nachzahlungspflicht ausreichend geklärt gewesen.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Schadensersatzanspruch unverändert weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Beklagte ist mit den Vergütungszahlungen an den Kläger nicht in Schuldnerverzug geraten. Deshalb steht dem Kläger kein Schadensersatzanspruch gem. § 286 Abs. 1 BGB zu.
1. Gem. § 286 Abs. 1 BGB hat der Schuldner dem Gläubiger den durch den Verzug entstehenden Schaden zu ersetzen. Nach den §§ 284, 285 BGB setzt Schuldnerverzug die rechtswidrige Verzögerung der noch möglichen Leistung aus einem vom Schuldner zu vertretenden Grund voraus. Was der Schuldner zu vertreten hat, regeln die §§ 276 - 279 BGB. Danach hat der Schuldner für eigenes Verschulden und das seiner Erfüllungsgehilfen und gesetzlichen Vertreter einzustehen. Nach § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB handelt fahrlässig, wer die erforderliche Sorgfalt außer acht läßt. Der Arbeitgeber kann mit der Leistung der Arbeitsvergütung auch dadurch in Verzug geraten, daß er infolge einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr leistet, obwohl er bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, daß die Kündigung unwirksam ist. Ist dagegen die Rechtslage nicht eindeutig und beruht der Ausspruch der Kündigung auf einem vertretbaren Rechtsstandpunkt, handelt der kündigende Arbeitgeber so lange nicht fahrlässig, wie er auf die Wirksamkeit seiner Kündigung vertrauen darf. Dieses Vertrauen kann im Laufe eines Kündigungsrechtsstreits seine Berechtigung verlieren, z.B. nach Durchführung einer Beweisaufnahme, die zum Ergebnis führt, daß keine Kündigungsgründe vorliegen. Hält der Arbeitgeber in einem solchen Fall die Entgeltzahlungen weiterhin zurück, gerät er in Schuldnerverzug.
Nach § 285 BGB trägt der Schuldner die Darlegungs- und Beweislast für Entschuldigungsgründe, die den Eintritt des Verzuges hindern. Der kündigende Arbeitgeber, der keine Arbeitsvergütung mehr zahlt, hat zum Ausschluß eines Schuldnerverzuges darzulegen und zu beweisen, daß aus seiner Sicht Kündigungsgründe vorliegen, die einen sorgfältig abwägenden Arbeitgeber zur Kündigung veranlassen konnten, so daß er auf die Wirksamkeit der Kündigung vertrauen durfte (zuletzt Senatsurteil vom 27. Mai 1999 - 8 AZR 322/98 - n.v., zu I 1 der Gründe; ebenso Senatsurteil vom 18. Februar 1999 - 8 AZR 320/97 - n.v., zu II 3 a der Gründe; Senatsurteile vom 14. Mai 1998 - 8 AZR 158/97, 8 AZR 633/96 und 8 AZR 634/96 - jeweils n.v., alle zu II 1 a der Gründe; auch schon BAG Urteil vom 23. August 1990 - 2 AZR 156/90 - Der Betrieb 1991, 445 f., zu B I 3 a der Gründe).
2. Die Beurteilung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe bis zum Berufungsurteil im Kündigungsschutzprozeß auf die Rechtswirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vertrauen dürfen, hält der revisionsgerichtlichen Überprüfung stand.
a) Das Landesarbeitsgericht hat hierzu ausgeführt, die Kündigungsvorwürfe gemäß den Beobachtungen der amerikanischen Polizei beträfen nicht nur den Bereich vertraglicher Haupt- und Nebenpflichten, sondern auch den Vertrauensbereich. Der Kläger habe in erheblichem Umfang auf auswärtigen Baustellen außerhalb unmittelbarer Kontrolle des Arbeitgebers gearbeitet. Der Arbeitgeber habe begründet annehmen können, der Kläger habe das in ihn gesetzte Vertrauen bewußt mißbraucht, um Pausen eigenmächtig zu verlängern, und überdies gegen das Verbot verstoßen, Alkohol während der Arbeitszeit zu konsumieren. Eine Abmahnung sei nicht zwingend erforderlich gewesen. Die Beklagte habe nicht damit rechnen müssen, das Landesarbeitsgericht werde den Vorwurf betreffend Gaststättenbesuche während der Arbeitszeit als großzügigen Umgang mit Arbeitszeit- und Pausenregelungen einordnen und unter Hinweis darauf, daß anscheinend sich niemand darum gekümmert habe, den Aspekt eines möglichen Vertrauensmißbrauchs gering bewerten. Sie habe auch nicht damit rechnen müssen, der Alkoholgenuß in Arbeitspausen werde nicht als Verstoß gegen das Verbot des Alkoholkonsums während der Arbeitszeit gewertet werden, obwohl die Wirkung des Alkohols sich notwendig erst während der nachfolgenden Arbeitszeit entfalte. In beiden Bereichen sei das gegenteilige Bewertungsergebnis gleichermaßen vertretbar.
b) Der Begriff der Fahrlässigkeit ist ein Rechtsbegriff. Die Feststellung seiner Voraussetzungen liegt im wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet, wobei dem Tatrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht. Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob der Tatrichter den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob er bei der Beurteilung des Verschuldens die wesentlichen Umstände berücksichtigt und Denkgesetze, Erfahrungssätze und Verfahrensvorschriften beachtet hat (vgl. nur Senatsurteil vom 19. Februar 1998 - 8 AZR 645/96 - AP Nr. 8 zu § 254 BGB, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu I 1 der Gründe, m.w.N.).
c) Die Angriffe der Revision bleiben angesichts dieser eingeschränkten Nachprüfung ohne Erfolg.
Das Landesarbeitsgericht ist von dem zutreffenden Maßstab ausgegangen. Es hat entgegen der Auffassung der Revision nicht angenommen, dem Arbeitgeber sei die Berufung auf einen Rechtsirrtum "nur dann" zu versagen, wenn dem vorgebrachten Kündigungssachverhalt bereits die grundsätzliche Eignung zur Kündigung fehle. Vielmehr hat es hiermit nur einen der Fälle herausgestellt, in denen der Rechtsirrtum verschuldet sei. Ob dem in jedem Falle zu folgen ist, kann dahingestellt bleiben.
Das Landesarbeitsgericht hat bei der Subsumtion die wesentlichen Umstände berücksichtigt. In der Tat wog die Pflichtverletzung des Klägers schwer. Die Beurteilung, diese Pflichtverletzung habe auch einen verständigen Arbeitgeber ohne Abmahnung zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung veranlassen können, läßt Rechtsfehler nicht erkennen. Das Landesarbeitsgericht hat nachvollziehbar ausgeführt, die Beklagte habe mit der Rechtsauffassung im Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 13. Oktober 1995 nicht rechnen müssen. Der Arbeitgeber muß sein Interesse an einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus verhaltensbedingten Gründen nicht deswegen hintanstellen, weil eine abweichende Interessenabwägung und damit ein für ihn negativer Ausgang des Kündigungsschutzprozesses nicht auszuschließen ist. Er handelt vielmehr im Hinblick auf die gebotene Interessenabwägung nicht schuldhaft, wenn seine Abwägung auf einem vertretbaren Rechtsstandpunkt beruht und er auf deren Rechtmäßigkeit vertrauen darf. Die Beurteilung im Berufungsurteil, der Rechtsstandpunkt der Beklagten sei im Zeitpunkt der Kündigung auch aus der Sicht eines sorgfältig abwägenden Arbeitgebers vertretbar gewesen, läßt Rechtsfehler nicht erkennen.
Der von der Revision gerügte Verstoß gegen den Verhandlungsgrundsatz liegt nicht vor. Die Beklagte hat sich im Laufe des Verfahrens mehrfach darauf berufen, sie habe bei und nach Kündigungsausspruch mit der später erfolgten abschließenden Beurteilung im Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 13. Oktober 1995 nicht rechnen müssen. Entgegen der Annahme der Revision ist der Beurteilung eines Verschuldens der Beklagten nicht diese nachträgliche rechtliche Beurteilung maßgeblich zugrunde zu legen. Die Beklagte mußte mit dieser Rechtsauffassung gerade nicht rechnen. Entscheidend ist ihr jeweiliger Kenntnisstand nach dem Maßstab eines verständig abwägenden und handelnden Arbeitgebers.
Die Beklagte konnte nach Erlaß des arbeitsgerichtlichen Urteils vom 22. Dezember 1994 weiterhin auf die Richtigkeit ihres Rechtsstandpunkts vertrauen. Die Begründung dieses Urteils erschien fehlerhaft. Der Rechtsstandpunkt der Beklagten blieb weiterhin vertretbar. Das änderte sich noch nicht mit der Verkündung des Berufungsurteils im Oktober 1995. Vielmehr durfte die Beklagte dessen Begründung abwarten, um die Erfolgsaussichten einer Nichtzulassungsbeschwerde zu prüfen. Wenn sie sich schon im Dezember 1995 zur Weiterbeschäftigung des Klägers entschieden hat, bedeutete das noch keine endgültige Hinnahme der Kündigung. Erst im Januar 1996 stellte sich die Verbindlichkeit der arbeitsgerichtlichen Entscheidungen heraus. Die Beklagte konnte den Schaden dann nicht mehr vermeiden.
3. Der Kläger hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.
Ascheid
Dr. WittMikosch Lorenz
Heydenreich
Fundstellen
Haufe-Index 611129 |
AUR 2000, 195 |