Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Kündigung. freier Arbeitsplatz
Leitsatz (amtlich)
1. Die aus § 1 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 KSchG folgende Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer zur Vermeidung einer Beendigungskündigung an einem anderen – freien – Arbeitsplatz zu beschäftigen, erstreckt sich grundsätzlich nicht auf Arbeitsplätze in einem im Ausland gelegenen Betrieb oder Betriebsteil des Unternehmens.
2. Eine über die Vorgaben des KSchG hinausgehende „Selbstbindung” des Arbeitgebers zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in einem im Ausland gelegenen Betrieb des Unternehmens mag sich im Einzelfall aus § 241 BGB, aus § 242 BGB oder aus einem Verzicht auf den Ausspruch einer Beendigungskündigung ergeben können.
Orientierungssatz
1. Aus § 1 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 KSchG folgt die Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer zur Vermeidung einer Beendigungskündigung an einem anderen – freien – Arbeitsplatz zu beschäftigen. Sie erstreckt sich grundsätzlich nicht auf Arbeitsplätze im Ausland.
2. Der Arbeitgeber ist grundsätzlich nicht gehalten, von einem ihm zustehenden Recht Gebrauch zu machen, wenn dies mit der Gefahr einhergeht, einen Rechtsstreit führen zu müssen. Die Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB verlangt von ihm deshalb regelmäßig nicht, einen Arbeitnehmer auch gegen dessen Willen kraft Direktionsrechts ins Ausland zu versetzen, um eine Beendigungskündigung zu vermeiden.
3. Es ist nicht ohne Weiteres selbstwidersprüchlich, eine außerordentliche Kündigung auf die beharrliche Weigerung des Arbeitnehmers zu stützen, im Ausland tätig zu werden, und eine hilfsweise erklärte ordentliche Beendigungskündigung aus betrieblichen Erfordernissen damit zu begründen, dass er nicht auf einem freien Arbeitsplatz im Ausland weiterbeschäftigt werden müsse.
4. Durch erfolglose Versetzungsangebote und eine – unwirksame – Weisung zum Tätigwerden im Ausland verzichtet der Arbeitgeber grundsätzlich nicht auf den Ausspruch einer nach dem KSchG zulässigen betriebsbedingten Beendigungskündigung wegen der Stilllegung seines Betriebs in Deutschland.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2 Sätze 1, 2 Nr. 1 Buchst. b, S. 3; BGB § 241 Abs. 2, § 242; BetrVG § 102 Abs. 1; BGB § 307 Abs. 1-2, § 315 Abs. 3; GewO § 106; BetrVG § 99
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 20.06.2013; Aktenzeichen 14 Sa 50/12) |
ArbG Mannheim (Urteil vom 14.02.2012; Aktenzeichen 8 Ca 227/11) |
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg – Kammern Mannheim – vom 20. Juni 2013 – 14 Sa 50/12 – teilweise aufgehoben.
2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim vom 14. Februar 2012 – 8 Ca 227/11 – teilweise abgeändert:
Die gegen die ordentliche Kündigung vom 31. Mai 2011 gerichtete Klage wird abgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen. Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz werden ihm zu 2/3 und der Beklagten zu 1/3 auferlegt.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.
Die Beklagte betreibt eine Bank. Sie hat ihren Sitz in der Türkei. In Deutschland unterhielt sie mehrere Zweigstellen. Für diese war ein Betriebsrat gewählt. Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er war seit 1991 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin in deren deutschem Betrieb beschäftigt, zuletzt als Leiter der Zweigstelle M.
Da sie ihren Geschäftsbetrieb in Deutschland zum 30. April 2011 einstellte, wies die Beklagte dem Kläger für die Zeit ab dem 9. Mai 2011 die Tätigkeit des Leiters der Abteilung für Auslandsgeschäfte in einer Handelsfiliale in Istanbul zu. Der Kläger war vom 9. bis mindestens zum 20. Mai 2011 – nach seiner Behauptung bis zum 3. Juni 2011 – arbeitsunfähig. Die Beklagte mahnte ihn unter dem 24. und 27. Mai 2011 wegen Arbeitsverweigerung ab. Mit Schreiben vom 31. Mai 2011 erklärte sie eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung.
Hiergegen hat der Kläger sich rechtzeitig mit der vorliegenden Klage gewandt. Er hat gemeint, soweit die Kündigungen auf Gründe in seinem Verhalten gestützt würden, seien sie schon deshalb unwirksam, weil die Beklagte ihm eine Tätigkeit in der Türkei nicht kraft ihres Direktionsrechts habe zuweisen können. Zur Vermeidung einer Beendigungskündigung aus betrieblichen Gründen habe sie allerdings eine Änderungskündigung mit dem Ziel erklären müssen, ihn als Leiter einer türkischen Filiale zu beschäftigen. Im Übrigen sei der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigungen nicht ordnungsgemäß angehört worden.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 31. Mai 2011 aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, die Kündigungen seien wirksam, weil der Kläger sich beharrlich geweigert habe, die ihm zugewiesene Tätigkeit in der Türkei aufzunehmen. In diesem Zusammenhang hat die Beklagte behauptet, der nicht mehr aufzufindende Arbeitsvertrag mit dem Kläger enthalte eine von ihrer Rechtsvorgängerin standardmäßig verwendete Versetzungsklausel, die sinngemäß wie folgt laute:
„Der Arbeitsort ist die Finanzdienstleistungszweigstelle in […]. Die Bank kann den Arbeitnehmer an einer anderen Arbeitsstätte einsetzen (andere Finanzdienstleistungszweigstelle, ausländische Filiale, Filiale in der Türkei oder in den Abteilungen der Hauptverwaltung). Dieses kann nicht als eine Änderung zu Ungunsten des Personals betrachtet werden. Wenn man in der Türkei arbeitet, wird die Vergütung in Türkische Lira wie die Mitarbeiter in ähnlichen Positionen sein. Bei Versetzung werden Umzugskosten von der Bank erstattet. Vor einer Versetzung wird die Bank den Arbeitnehmer mit einer angemessenen Frist benachrichtigen.”
Die ordentliche Kündigung sei jedenfalls durch dringende betriebliche Erfordernisse sozial gerechtfertigt. Sie sei nicht verpflichtet gewesen, den Kläger in der Türkei weiterzubeschäftigen. Entsprechende, ihm im März und April 2011 unterbreitete Angebote habe er abgelehnt. Eine im Januar 2012 mit dem Ziel der Beschäftigung als Abteilungsleiter in einer Handelsfiliale in Istanbul erklärte Änderungskündigung habe er nicht einmal unter Vorbehalt angenommen.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte nurmehr, die gegen die ordentliche Kündigung gerichtete Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben der gegen die ordentliche Kündigung vom 31. Mai 2011 gerichteten Klage zu Unrecht stattgegeben.
A. Die ordentliche Kündigung ist wirksam. Sie ist sozial gerechtfertigt (I.) und der Betriebsrat ist vor ihrem Ausspruch ordnungsgemäß angehört worden (II.).
I. Die ordentliche Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 2 KSchG durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers in Deutschland entgegenstehen.
1. Der Bedarf an einer Beschäftigung des Klägers im deutschen Betrieb der Beklagten ist vor Ablauf der Kündigungsfrist am 30. November 2011 weggefallen.
a) Die Beklagte hatte ihre Geschäfte in Deutschland bereits mit Ablauf des 30. April 2011 eingestellt. Danach wurden lediglich noch Abwicklungsarbeiten in der Zweigstelle K verrichtet. Die Stilllegung eines Betriebs zählt zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG (BAG 18. Oktober 2012 – 6 AZR 41/11 – Rn. 47; 8. November 2007 – 2 AZR 554/05 – Rn. 17).
b) Der Kläger gehörte im Kündigungszeitpunkt noch dem stillgelegten Betrieb in Deutschland an. Er war zuvor nicht wirksam auf die Stelle des Leiters der Abteilung für Auslandsgeschäfte in einer Handelsfiliale in Istanbul versetzt worden.
aa) Es spielt keine Rolle, ob der Arbeitsvertrag des Klägers die von der Beklagten behauptete Versetzungsklausel enthält. Jedenfalls ergäbe deren Auslegung nach den für Allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Grundsätzen (vgl. BAG 13. Februar 2013 – 5 AZR 2/12 – Rn. 15; 14. Dezember 2011 – 5 AZR 457/10 – Rn. 14, BAGE 140, 148), dass sie sich allein auf Veränderungen des „Arbeitsorts” durch das einzig vorbehaltene Recht zu einem Einsatz „an einer anderen Arbeitsstätte” bezöge. Damit hätte sie die Zuweisung einer anderen Arbeitsaufgabe – hier: Abteilungsleiter in einer Handelsfiliale statt Leiter einer Zweigstelle – in keinem Fall tragen können. Das nicht erweiterte Direktionsrecht des Arbeitgebers gemäß § 106 GewO umfasst keine Abänderung der arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit.
bb) Da die Versetzung auf den Posten eines Abteilungsleiters wegen Überschreitung der Grenzen des Direktionsrechts unwirksam war, konnte der Arbeitsplatz des Klägers nicht wenigstens bis zu einer gerichtlichen Entscheidung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB in die Türkei verlagert worden sein (zur Problematik „bloß” unbilliger Weisungen vgl. BAG 22. Februar 2012 – 5 AZR 249/11 – Rn. 24, BAGE 141, 34).
2. Die Beklagte musste dem Kläger nicht vorrangig die Leitung einer türkischen Filiale anbieten.
a) Die aus § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b, Satz 3 KSchG folgende Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer zur Vermeidung einer Beendigungskündigung an einem anderen – freien – Arbeitsplatz im selben oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens zu beschäftigen, erstreckt sich grundsätzlich nicht auf Arbeitsplätze im Ausland (BAG 29. August 2013 – 2 AZR 809/12 – Rn. 28 ff., BAGE 146, 37; zustimmend Bauer ArbR 2013, 496; Bodenstedt/Schnabel BB 2014, 1525; Fuhlrott DB 2014, 1198; Günther/Pfister ArbR 2014, 532; Leuchten ZESAR 2014, 319; Todisco P&R 2014, 82). Der Streitfall gibt keine Veranlassung, sich mit dem Einwand von Deinert (Anm. APKSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 202) auseinanderzusetzen, dieses Verständnis von § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 KSchG mache es Unternehmern „allzu einfach (…) die Lasten des Arbeitsrechts durch Standortverlagerungen abzuschütteln”. Es geht hier weder um die Verlegung eines Betriebs oder Betriebsteils noch auch nur um eine Funktionsnachfolge. Die Beklagte hat ihren Geschäftsbetrieb in Deutschland „ersatzlos” eingestellt.
b) Die Beklagte hatte sich nicht – über die Vorgaben des § 1 Abs. 2 KSchG hinaus – in der Weise „selbst gebunden”, dass sie dem Kläger kraft ihres Direktionsrechts einen – freien – Arbeitsplatz als Leiter einer türkischen Filiale hätte zuweisen oder ihm einen solchen im Wege der Änderungskündigung anbieten müssen.
aa) Die Beklagte musste den Kläger nicht kraft ihres Direktionsrechts als Filialleiter in der Türkei einsetzen.
(1) Es kann unterstellt werden, dass sie zu einer solchen Weisung entweder aufgrund der von ihr behaupteten Versetzungsklausel berechtigt gewesen wäre oder sie sich zumindest nach § 242 BGB so hätte behandeln lassen müssen. Gegen beides bestehen allerdings erhebliche Bedenken.
(a) Eine formularmäßig verwendete Versetzungsklausel des vorgetragenen Inhalts dürfte nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam sein. Zum einen dürfte sie iSv. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB irreführend sein, weil durch die Formulierung „Dieses kann nicht als eine Änderung zu Ungunsten des Personals angesehen werden” der – unzutreffende – Eindruck erweckt wird, für eine auch die Interessen des Arbeitnehmers berücksichtigende Ausübungskontrolle im Einzelfall gemäß § 106 Satz 1 GewO, § 315 Abs. 3 BGB bleibe kein Raum mehr. Zum anderen dürfte es sich hinsichtlich der vorbehaltenen Versetzung in die Türkei um eine einheitliche, nicht teilbare Bestimmung handeln, die entgegen § 307 Abs. 2 Nr. 1, § 308 Nr. 4 BGB eine Anpassung der Vergütung an das „ortsübliche” Lohnniveau ohne das Erfordernis einer Änderungskündigung vorsieht.
(b) Die Beklagte wird sich nach § 242 BGB nicht so behandeln lassen müssen, als wäre die Klausel wirksam (vgl. BAG 3. April 2008 – 2 AZR 879/06 – Rn. 36). Der Kläger hatte zuvor weder Nachteile durch eine Anwendung dieser (unwirksamen) Versetzungsklausel erlitten, noch hatte sich bei ihm ein schutzwürdiges Vertrauen darauf bilden können, die Beklagte werde zur Vermeidung einer Beendigungskündigung von ihr Gebrauch machen. Er wurde zu keiner Zeit im Ausland beschäftigt, bestreitet die Existenz der – vermeintlich – dazu berechtigenden Klausel und bezeichnet es als „beiderseitige Vertragsgrundlage”, dass er ausschließlich in Deutschland eingesetzt werden sollte.
(2) Jedenfalls war die Beklagte nicht verpflichtet, dem Kläger – über die dazu nicht ausreichenden Vorgaben des § 1 Abs. 2 KSchG hinaus – einen Arbeitsplatz in der Türkei zuzuweisen.
(a) Der Arbeitgeber ist grundsätzlich nicht gehalten, von einem ihm zustehenden Recht Gebrauch zu machen, wenn dies für ihn die Gefahr begründet, einen Rechtsstreit führen zu müssen. Die Pflicht zur Rücksichtnahme gemäß § 241 Abs. 2 BGB verlangt von ihm nicht, die Belange des Arbeitnehmers unter Hintanstellung eigener schutzwürdiger Belange – oder derjenigen anderer Arbeitnehmer – durchzusetzen (für die zu erwartende Gegenwehr eines anderen Arbeitnehmers gegen seine Versetzung im Zuge einer Umorganisation siehe BAG 24. Februar 2011 – 2 AZR 636/09 – Rn. 48, BAGE 137, 164; 19. Mai 2010 – 5 AZR 162/09 – Rn. 31, BAGE 134, 296; für die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zu einer Versetzung vgl. BAG 29. Januar 1997 – 2 AZR 9/96 – zu II 1 d der Gründe, BAGE 85, 107).
(b) Die Beklagte durfte aufgrund der vorangegangenen Gespräche der Parteien erwarten, dass der in Deutschland inzwischen tief „verwurzelte” Kläger, der es bevorzugt hatte, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung zu beenden, die Zuweisung einer – jeden – Tätigkeit in der Türkei nicht einfach hinnähme. Sie musste ihn nicht aus falsch verstandener „Fürsorge” gleichsam zu seinem „Glück zwingen”. Es kommt hinzu, dass der für den „abgebenden” deutschen Betrieb gewählte Betriebsrat nach § 99 BetrVG die Zustimmung zur Versetzung sämtlicher betroffener Arbeitnehmer – auch des Klägers – in die Türkei verweigert hatte. Darauf, ob dies beachtlich war (vgl. BAG 8. Dezember 2009 – 1 ABR 41/09 – Rn. 26, BAGE 132, 324), kommt es nicht an.
(c) Es bedarf deshalb auch keiner Entscheidung, ob eine Pflicht zur Weiterbeschäftigung im Ausland aufgrund einer entsprechenden Versetzungsklausel – sei es aus § 1 Abs. 2 KSchG oder aus § 241 Abs. 2 BGB – ohnehin nur bei einer Betriebs- oder Betriebsteilverlagerung in einen anderen Staat oder zumindest bei einer „grenzüberschreitenden” Funktionsnachfolge, nicht aber in dem hiesigen Fall der „ersatzlosen” Einstellung des Geschäftsbetriebs in Deutschland in Betracht kommt (zur Unterscheidung zwischen „Wegfall” und „Verlagerung” in sog. Konzernfällen vgl. BAG 18. September 2003 – 2 AZR 79/02 – zu B II 4 der Gründe, BAGE 107, 318; 27. November 1991 – 2 AZR 255/91 – zu B III 3 b dd der Gründe; zur Differenzierung zwischen der Verwirklichung des allgemeinen Arbeitsplatzrisikos und der Realisierung einer spezifischen Gefahr von Organisationsverschiebungen in „Konzernfällen” vgl. grundlegend Martens FS 25 Jahre Bundesarbeitsgericht S. 367, 380).
bb) Die Beklagte musste dem Kläger einen Arbeitsplatz als Filialleiter in der Türkei auch nicht im Wege der Änderungskündigung anbieten. Eine solche, über die Vorgaben des § 1 Abs. 2 KSchG hinausgehende Verpflichtung folgte weder aus § 241 Abs. 2 BGB noch aus § 242 BGB. Die Beklagte hatte auf ihr Recht, eine Beendigungskündigung zu erklären, nicht verzichtet.
(1) Zwar kann nach § 241 BGB unter Umständen eine Pflicht zur Vertragsanpassung bestehen. Eine solche erwächst jedoch lediglich auf Wunsch einer Vertragspartei und ist nur im Zusammenwirken beider Vertragspartner zu erfüllen (vgl. BAG 13. August 2009 – 6 AZR 330/08 – Rn. 31 mwN, BAGE 131, 325). Damit scheidet eine Nebenpflicht des Arbeitgebers zum Ausspruch einer Änderungskündigung zumindest dann aus, wenn – wie im Streitfall – nicht auszuschließen ist, dass der Arbeitnehmer das mit ihr verbundene Änderungsangebot allenfalls unter dem Vorbehalt sozialer Rechtfertigung iSv. § 2 Satz 1 KSchG annähme.
(2) Die Beklagte verhielt sich mit der Erklärung einer Beendigungskündigung aus dringenden betrieblichen Erfordernissen auch nicht selbstwidersprüchlich iSv. § 242 BGB (zu den Anforderungen an rechtsmissbräuchlich widersprüchliches Verhalten vgl. BGH 15. November 2012 – IX ZR 103/11 – Rn. 12 mwN).
(a) Sie agierte nicht unredlich, indem sie dem Kläger zunächst eine Versetzung in die Türkei angeboten und ihm sodann eine entsprechende Weisung erteilt, schließlich aber eine betriebsbedingte Beendigungskündigung ausgesprochen hat. Durch die vorangegangenen „Versetzungsversuche” hat sie dieses Recht – unabhängig von dem Fehlen des Zeitmoments – nicht verwirkt. Sie hatte nicht etwa eine Änderungskündigung als „kleinste” zu befürchtende Alternative hingestellt.
(b) Es war nicht – zumal nicht treuwidrig – selbstwidersprüchlich, die Kündigungen vorrangig auf die Weigerung des Klägers zu stützen, weisungsgemäß in der Türkei tätig zu werden, und die ordentliche Beendigungskündigung hilfsweise damit zu begründen, dass er dort nicht eingesetzt werden müsse. Zum einen war der Kläger lediglich dann – noch – vom Wegfall des Beschäftigungsbedarfs in Deutschland betroffen, wenn die Versetzung in die Türkei sich als unwirksam erwiese. Zum anderen ist die Annahme der Beklagten, ein Versetzungsrecht zu besitzen, aus dessen Wahrnehmung die Tätigkeitspflicht des Klägers folge, ohne weiteres mit ihrer Leugnung einer Versetzungspflicht vereinbar. Nichts anderes folgt aus den ihre Weisung „bekräftigenden” Abmahnungen. Auch sie verdeutlichten bloß, dass die Beklagte sich zu einer Weisung berechtigt und den Kläger deshalb zum Tätigwerden in der Türkei verpflichtet sah. Für den Fall besserer Erkenntnis durfte sie – vorsorglich – eine Beendigungskündigung aus dringenden betrieblichen Erfordernissen erklären.
(3) Durch die Versetzungsangebote und die anschließende, durch zwei Abmahnungen „untermauerte” Weisung hat die Beklagte nicht auf den Ausspruch einer Beendigungskündigung wegen der Stilllegung ihres deutschen Betriebs verzichtet. Die Rechtsprechung zum Verzicht auf eine verhaltensbedingte Kündigung durch die Erteilung einer Abmahnung (vgl. BAG 26. November 2009 – 2 AZR 751/08 – Rn. 11 ff.; 13. Dezember 2007 – 6 AZR 145/07 – Rn. 22 ff., BAGE 125, 208) kann nicht auf die hier zu beurteilende Konstellation übertragen werden. Dem Verhalten der Beklagten lässt sich ein Verzicht auf eine Beendigungskündigung aus betrieblichen Erfordernissen nicht entnehmen. Handelte sie bei den „Versetzungsversuchen” in Unkenntnis ihrer Berechtigung zum Ausspruch einer betriebsbedingten Beendigungskündigung, fehlte es ihr an einem Verzichtsbewusstsein. Unternahm sie diese Versuche wissentlich „überobligationsgemäß”, wollte sie sich für den Fall von deren Scheitern erkennbar nicht den „Rückzug” auf die Gesetzeslage versperren. Sie ab durch keinerlei Verhalten konkludent zu verstehen, allenfalls eine Änderungskündigung erklären zu wollen.
3. Eine Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG war entbehrlich. Die Beklagte hat aufgrund der Stilllegung die Arbeitsverhältnisse sämtlicher Arbeitnehmer ihres – auch insofern allein in den Blick zu nehmenden – deutschen Betriebs beendet.
II. Die ordentliche Kündigung ist nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.
1. Das Landesarbeitsgericht war aufgrund der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß beteiligt worden ist. Zwar hätten Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen U bestanden. Jedoch sei die Aussage des Betriebsobmanns A derart glaubhaft gewesen, dass Zweifel an einer korrekten Anhörung ausgeräumt worden seien. Aus den Bekundungen des Zeugen A ergebe sich, dass er auch über die Absicht einer betriebsbedingten ordentlichen Kündigung wegen des – ihm ohnehin bekannten – Wegfalls des Beschäftigungsbedarfs in Deutschland informiert worden sei und mitgeteilt habe, sich zu der Angelegenheit nicht äußern zu wollen. Besonders überzeugend sei gewesen, dass beide Zeugen angegeben hätten, der U habe dem A das Kündigungsschreiben vor dessen Absendung an den Kläger gezeigt.
2. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist in sich widerspruchsfrei, ohne Verletzung von Denkgesetzen und Erfahrungssätzen erfolgt und rechtlich möglich. Damit ist sie revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BAG 23. Oktober 2014 – 2 AZR 865/13 – Rn. 37; 21. Juni 2012 – 2 AZR 694/11 – Rn. 28, BAGE 142, 188).
a) Entgegen der Annahme des Klägers hat das Landesarbeitsgericht nicht alle Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen U durch die Aussage des Zeugen A ausgeräumt gesehen. Vielmehr hat es seine Überzeugung von einer ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung auf die von ihm für glaubhaft gehaltenen Bekundungen des Zeugen A gestützt. Das durfte es. Ein Gericht ist grundsätzlich frei darin, welche Beweiskraft es einzelnen Beweismitteln für seine Überzeugungsbildung beimisst.
b) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Widerspruch oder Verletzung von Denkgesetzen angenommen, dem Zeugen A sei das Kündigungsschreiben vorgelegt worden. Die Revision verkennt, dass es nicht davon ausgegangen ist, dies sei bereits während der Anhörung am 27. Mai 2011 und mithin zu einem Zeitpunkt geschehen, als nach der Aussage des Zeugen U die Kündigungen noch nicht einmal „aufgesetzt” waren. Das Landesarbeitsgericht hat vielmehr der Bekundung des Zeugen A Glauben geschenkt, „ihm seien die aus der Türkei eingetroffenen Kündigungsschreiben vor Absendung an die Mitarbeiter” von dem Zeugen U gezeigt worden. Das kann auch nach dem 27. Mai 2011 erfolgt sein.
c) In der Erklärung des Zeugen A, sich zu der Angelegenheit nicht äußern zu wollen, durfte das Landesarbeitsgericht dessen das Anhörungsverfahren beendende, abschließende Stellungnahme als Betriebsobmann erblicken. Soweit der Kläger die Zeugenaussage anders verstanden wissen will, setzt er nur seine eigene Wertung an die Stelle derer des Landesarbeitsgerichts. Rechtsfehler zeigt er damit nicht auf.
B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1, § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Unterschriften
Kreft, Berger, Niemann, Beckerle, Grimberg
Fundstellen
Haufe-Index 8719507 |
BAGE 2016, 337 |
BB 2015, 2867 |
DB 2015, 7 |
DB 2016, 120 |