Entscheidungsstichwort (Thema)

Fristlose Kündigung eines Berufsausbildungsverhältnisses

 

Orientierungssatz

1. Die Verpflichtung bei einem Streit über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung eines Berufsausbildungsverhältnisses, den Schlichtungsausschuß vor Klageerhebung anzurufen, entfällt ausnahmsweise dann, wenn die zuständige Innung oder eine andere zuständige Stelle einen solchen Ausschuß nicht gebildet hat.

2. Gemäß § 111 Abs 2 Satz 5 ArbGG handelt es sich bei dieser vorgeschalteten Verhandlung vor dem Schlichtungsausschuß um eine Prozeßvoraussetzung für die Klage.

 

Normenkette

HwO §§ 60, 67; BBiG § 75; ArbGG § 111 Abs. 2 Fassung: 1979-07-02

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 17.08.1983; Aktenzeichen 7 Sa 113/83)

ArbG Wilhelmshaven (Entscheidung vom 29.07.1982; Aktenzeichen 1 Ca 448/82)

 

Tatbestand

Die am 29. April 1965 geborene Klägerin war seit dem 1. August 1981 bei der Beklagten als Auszubildende für den Beruf eines Bürokaufmanns beschäftigt. Die Beklagte betreibt in der Rechtsform der Gesellschaft mit beschränkter Haftung ein Rohrleitungsbauunternehmen. Sie ist nicht in die Handwerksrolle eingetragen. Mit Schreiben vom 5. April 1982 erstattete die Klägerin Strafanzeige gegen den Geschäftsführer der Beklagten wegen mehrerer strafbarer Handlungen, die dieser ihr gegenüber begangen haben soll. Mit Anwaltsschreiben vom 14. Mai 1982 kündigte die Beklagte das Ausbildungsverhältnis fristlos mit der Begründung, die von der Klägerin in der Strafanzeige erhobenen Vorwürfe seien haltlos. Durch diese falsche Anschuldigung sei die Vertrauensbasis für eine Fortführung des Ausbildungsverhältnisses zerstört.

Gegen diese Kündigung hat sich die Klägerin mit der vorliegenden Klage gewandt. Sie hat vorgetragen, der Inhalt der Strafanzeige sei zutreffend. Eine Anrufung des Ausschusses zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Auszubildenden und Ausbildenden nach § 111 Abs. 2 ArbGG entfalle, da die Beklagte nicht in die Handwerksrolle eingetragen sei. Die Klägerin hat sich insoweit auf eine von ihr eingeholte Auskunft der Handwerkskammer Oldenburg bezogen. Darin wird mitgeteilt, daß wegen fehlender Eintragung der Beklagten in die Handwerksrolle von Seiten der Handwerkskammer die Anrufung des Ausschusses entfalle.

Die Klägerin hat beantragt festzustellen, daß das Ausbildungsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die mit Anwaltsschreiben vom 14. Mai 1982 ausgesprochene fristlose Kündigung beendet worden ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie als unbegründet abgewiesen.

Mit der Revision verfolgt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Sie hat gegen die im Termin über die Verhandlung über die Revision ordnungsgemäß geladene aber nicht vertretene Beklagte den Erlaß eines entsprechenden Versäumnisurteils beantragt.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision ist unbegründet. Sie war allerdings durch ein sogen. unechtes Versäumnisurteil (§ 331 Abs. 2, § 557 ZPO - vgl. BGH NJW 1967, 2162) mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß die Klage als unzulässig abgewiesen wird.

1. Bei einem Streit über die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung eines Berufsausbildungsverhältnisse ist gem. § 111 Abs. 2 ArbGG zunächst das Verfahren vor einem zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Ausbildenden und Auszubildenden gebildeten Ausschuß durchzuführen, sofern bei der zuständigen Handwerksinnung oder einer anderen zuständigen Stelle im Sinne des Berufsbildungsgesetzes ein solcher Ausschuß besteht. Die Verpflichtung, den Schlichtungsausschuß vor Klageerhebung anzurufen, entfällt ausnahmsweise dann, wenn die zuständige Innung oder eine andere zuständige Stelle einen solchen Ausschuß nicht gebildet hat (vgl. BAG 27, 279 = AP Nr. 2 zu § 111 ArbGG 1953; ferner Urteil vom 9. Oktober 1979 - 6 AZR 776/77 - AP Nr. 3 zu § 111 ArbGG 1953). Gemäß § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG handelt es sich bei dieser vorgeschalteten Verhandlung vor dem Schlichtungsausschuß um eine Prozeßvoraussetzung für die Klage (vgl. BAG Urteil vom 25. November 1976 - 2 AZR 751/75 - AP Nr. 4 zu § 15 BBiG).

2. Das Berufungsgericht hat sich mit dieser Frage nicht befaßt. Das Arbeitsgericht hat hierzu ausgeführt, eine vorherige Anrufung des Schlichtungsausschusses sei nicht möglich gewesen, da die Handwerkskammer Oldenburg ein Tätigwerden des Ausschusses abgelehnt habe. Mit dieser Begründung kann die Anrufung des Ausschusses jedoch nicht für entbehrlich erachtet werden.

Zum einen ist für die Bildung von Ausschüssen gemäß § 111 Abs. 2 Satz 1 ArbGG nicht die Handwerkskammer, sondern die Handwerksinnung zuständig. Gemäß §§ 60, 67 Abs. 3 HandwO ist der Schlichtungsausschuß Organ der Handwerksinnung. Handwerkskammer und Handwerksinnung sind zwei unabhängig voneinander bestehende Handwerksorganisationen mit verschiedenen Aufgaben (vgl. §§ 52 ff. und §§ 90 ff. HandwO). Beide sind Körperschaften des öffentlichen Rechts (vgl. §§ 53 und 90 Abs. 1 HandwO). Insofern konnte die Handwerkskammer über ein Tätigwerden eines Organs der Handwerksinnung nicht ohne weiteres rechtsverbindlich entscheiden. Die Klägerin hätte daher zumindest die Handwerksinnung anrufen müssen.

Zum anderen bestehen vorliegend Zweifel, ob es sich bei dem Betrieb der Beklagten um einen Handwerksbetrieb bzw. handwerksähnlichen Betrieb handelt, nachdem die Beklagte nicht in der Handwerksrolle eingetragen ist. Da sich aus dem festgestellten Sachverhalt weder ergibt, welche Art von Tätigkeiten im Betrieb der Beklagten verrichtet noch wieviel Arbeitnehmer beschäftigt werden, kann diese Frage ohne weiteren Sachvortrag nicht beantwortet werden. Sollte kein Handwerksbetrieb vorliegen, wäre das Schlichtungsverfahren vor dem Ausschuß der zuständigen Industrie- und Handelskammer durchzuführen gewesen. Für die Bildung von Schlichtungsausschüssen außerhalb des Handwerks sind gemäß § 111 Abs. 2 Satz 1 ArbGG die zuständigen Stellen im Sinne des Berufsbildungsgesetzes zuständig. Gemäß § 75 BBiG ist die Industrie- und Handelskammer zuständige Stelle im Sinne des Berufsbildungsgesetzes für die Berufsbildung in Gewerbebetrieben, die nicht Handwerksbetriebe oder handwerksähnliche Betriebe sind.

3. Die Klägerin hat jedoch auch in der Revisionsinstanz nicht dargelegt, daß in ihrem Fall ausnahmsweise auf die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens verzichtet werden konnte.

a) Zwar ist das Vorliegen von Prozeßvoraussetzungen auch noch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen. Amtsprüfung bedeutet jedoch nicht, daß das Gericht von Amts wegen ermittelt und aufklärt; vielmehr hat das Gericht die klagende Partei auf Bedenken aufmerksam zu machen und sie aufzufordern, die Zulässigkeitsvoraussetzungen darzutun und notfalls zu beweisen (vgl. BAG Urteil vom 15. September 1977 - 3 AZR 410/76 - AP Nr. 5 zu § 56 ZPO; Grunsky, ArbGG, 4. Aufl., § 74 Rz 10 m.w.N.; Zöller, ZPO, 14. Aufl., § 56 Anm. II 2).

b) Die Klägerin hat aber auch im weiteren Verlauf des Revisionsverfahrens die Entbehrlichkeit eines Schlichtungsverfahrens nicht dargelegt.

Der Senat hat die Klägerin darauf aufmerksam gemacht, ihr Vortrag zu diesem Punkt sei aus den vorstehend dargelegten Gründen unzureichend und welcher Vortrag noch erforderlich sei. Er hat insbesondere darauf hingewiesen, daß näher dargelegt werden müßte, ob es sich bei dem Betrieb der Beklagten um einen Handwerksbetrieb handele und daß in diesem Fall für das Schlichtungsverfahren nicht die Handwerkskammer, sondern die betreffende Innung zuständig sei. Sollte es sich um einen Industriebetrieb handeln, so komme es darauf an, ob bei der Industrie- und Handelskammer zur Zeit des Ausspruchs der Kündigung ein Ausschuß bestanden habe. Das Schlichtungsverfahren sei nur entbehrlich, wenn bei der Innung bzw. der Industrie- und Handelskammer als der nach § 111 Abs. 2 Satz 1 ArbGG zuständigen Stelle kein Schlichtungsausschuß gebildet sei oder ein bestehender Ausschuß die Durchführung des Schlichtungsverfahrens ablehne.

Daraufhin hat die Klägerin nochmals das Schreiben der Handwerkskammer Oldenburg vom 10. Juni 1982 und später eine Mitteilung der Industrie- und Handelskammer vorgelegt, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei bei ihr nicht registriert und deshalb werde der Ausschuß nicht tätig. Hierauf hat der Senat der Klägerin dargelegt, daß ein bestehender Ausschuß ohne Rücksicht auf die Eintragung der Beklagten in die Handwerksrolle und des Berufsausbildungsverhältnisses in das bei der Industrie- und Handelskammer geführte Register angerufen werden müsse, weil diese Eintragungen nur deklaratorischen Charakter hätten. Sie müsse vortragen, welcher Ausschuß zuständig sei und demgemäß darlegen, ob es sich um einen Handwerksbetrieb oder Industriebetrieb handele, und daß bei der danach zuständigen Stelle (Handwerksinnung oder Industrie- und Handelskammer) kein Ausschuß bestehe oder ein bestehender Ausschuß die Durchführung des Schlichtungsverfahrens ablehne. Hierauf hat die Klägerin nicht mehr erwidert. Ihr Prozeßbevollmächtigter hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt, daß er nichts weiter vortragen könne.

5. Bei dieser Sachlage erweist sich die Klage als unzulässig.

Die Klägerin hat nicht dargelegt, daß die Durchführung des Schlichtungsverfahrens nach § 111 Abs. 2 ArbGG nicht möglich war und deshalb diese Prozeßvoraussetzung für ihre Feststellungsklage ausnahmsweise entfiel. Weitere Hinweise und Auflagen waren nach § 139 ZPO nicht mehr geboten. Sie versprachen keinen Erfolg, nachdem die Klägerin trotz mehrfacher eingehender Belehrungen auf die wesentlichen Gesichtspunkte nicht eingegangen ist. Eigene Ermittlungen sind, wie ausgeführt, den Gerichten im Rahmen der Prüfung von Amts wegen verwehrt. Der Senat mußte deshalb davon ausgehen, daß die Prozeßvoraussetzung der Durchführung des Schlichtungsverfahrens nach § 111 Abs. 2 ArbGG nicht erfüllt und die Klage unzulässig ist.

II. Das angefochtene Urteil stellt sich somit aus anderen Gründen als richtig dar (§ 563 ZPO). Dementsprechend war die Revision mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß die Klage als unzulässig abgewiesen wird. Da das Urteil gegen die nicht säumige Revisionsklägerin und nicht gegen die säumige Revisionsbeklagte zu ergehen hatte, war durch normales Endurteil (unechtes Versäumnisurteil) zu entscheiden (BGH NJW 1967, 2162; Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Albers, ZPO, 44. Aufl., § 557 Anm. 2).

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Fundstellen

Dokument-Index HI437995

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