Entscheidungsstichwort (Thema)
Verspätete Urteilsabsetzung
Leitsatz (redaktionell)
Hinweise des Senats:
Gelangt ein Urteil nicht innerhalb von fünf Monaten nach seiner Verkündung in vollständiger Form zur Geschäftsstelle, so gilt es als nicht mit Gründen versehene Entscheidung i.S.d. § 551 Nr. 7 ZPO (im Anschluß an den Beschluß des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27. April 1993 – GmS-OGB 1/92 – NJW 1993, 2603).
Normenkette
ZPO § 551 Nr. 7; VwGO § 138 Nr. 6; ArbGG § 45
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 10.11.1992; Aktenzeichen 13 (6) Sa 264/92) |
ArbG Siegen (Urteil vom 17.01.1992; Aktenzeichen 2 Ca 1087/91) |
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 10. November 1992 – 13 (6) Sa 264/92 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Sozialplanabfindung.
Der Kläger war seit 1. Juli 1985 bei der Beklagten in deren Werk E als technischer Angestellter beschäftigt.
Am 20. Dezember 1990 gab die Beklagte allen bei ihr beschäftigten Arbeitnehmern bekannt, daß das Werk E ganz oder teilweise verkauft oder in einen Industriepark umgewandelt werden solle. Für den Fall, daß dieses nicht gelingen sollte, solle das Werk geschlossen werden.
Die Beklagte vereinbarte am 30. Januar 1991 mit dem bei ihr gewählten Betriebsrat einen Sozialplan, der u. a. folgende Regelung enthält:
„5. Abfindungen:
Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis durch betriebsbedingte Kündigung oder durch nach dem 20/12/1990 abgeschlossene Beendigungsvereinbarung endet bzw. geendet hat, erhalten eine volle Abfindung.
Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis durch eine nach dem 08/10/1990, aber vor dem 20/12/1990 geschlossene Beendigungsvereinbarung endet bzw. geendet hat, erhalten 50 % der im folgenden angesetzten Abfindung.
Auf diese Abfindungen werden bereits in den Aufhebungsverträgen vereinbarte Abfindungen angerechnet.
…”
Mit Schreiben vom 16. August 1991 kündigte der Kläger sein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zum 30. September 1991. Er ist der Meinung, ihm stehe ein Anspruch auf eine Abfindung aus dem Sozialplan zu, weil dieser insoweit unwirksam sei, als er Arbeitnehmern, welche ihr Arbeitsverhältnis im Zusammenhang mit der beabsichtigten Betriebsschließung selbst gekündigt hätten, keinen Abfindungsanspruch gewähre.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 32.128,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Oktober 1991 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Sie beruft sich insbesondere darauf, dem Kläger sei zum Zeitpunkt seiner Eigenkündigung bekannt gewesen, daß der Bereich, in dem er tätig gewesen sei, mit großer Wahrscheinlichkeit auf einen „seriösen Dritten” übergehen werde. Daher sei sein Arbeitsplatz nicht konkret gefährdet gewesen.
Den Ausschluß derjenigen Arbeitnehmer, die ihr Arbeitsverhältnis selbst gekündigt haben, von Abfindungsansprüchen aus dem Sozialplan hält die Beklagte für Rechtens.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen.
Wie sich aus dem Vermerk der Kanzlei des Landesarbeitsgerichts Hamm ergibt, ist das am 10. November 1992 verkündete landesarbeitsgerichtliche Urteil am 15. Juni 1993 zur Kanzlei gegeben worden, am 21. Juni 1993 ausgefertigt und am 22. Juni 1993 an die damaligen Prozeßbevollmächtigten der Parteien abgesandt worden. Am 23. Juni 1993 ist das Urteil dem Kläger in vollständiger Form zugestellt worden.
Der Kläger verfolgt mit seiner Revision den Klageanspruch weiter und rügt insbesondere, das angefochtene Urteil stelle eine nicht mit Gründen versehene Entscheidung im Sinne des § 551 Nr. 7 ZPO dar, weil es nicht innerhalb von fünf Monaten nach seiner Verkündung zur Geschäftsstelle gelangt sei.
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist begründet.
Das angefochtene Urteil ist als nicht mit Gründen versehene Entscheidung anzusehen, so daß es nach § 551 Nr. 7 ZPO auf die entsprechende Rüge des Revisionsklägers ohne weitere Sachprüfung aufzuheben war.
1. Aus dem Vermerk der Kanzlei des Landesarbeitsgerichts Hamm, der sich in den Akten befindet, ergibt sich, daß das angefochtene Urteil erst am 15. Juni 1993 – also später als fünf Monate nach seiner Verkündung – zwecks Ausfertigung und Zustellung an die Parteien zur Geschäftsstelle des Landesarbeitsgerichts gelangt ist.
Der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes hat in seinem Beschluß vom 27. April 1993 (– GmS-OGB 1/92 – NJW 1993, 2603) entschieden, daß ein bei Verkündung noch nicht vollständig abgefaßtes Urteil im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit
Gründen versehen ist, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf Monaten nach der Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle des Gerichts übergeben worden sind. Der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes hat dies u. a. damit begründet, § 552 ZPO ordne aus Gründen der Rechtssicherheit an, daß „zur Vermeidung von Fehlerinnerungen” der an der Urteilsfällung beteiligten Richter das Urteil innerhalb von fünf Monaten nach der Verkündung in vollständig abgefaßter Form vorliegen müsse. Dies gelte für alle Gerichtsbarkeiten.
Der Senat schließt sich dieser zu der mit § 551 Nr. 7 ZPO wortgleichen Bestimmung des § 138 Nr. 6 VwGO ergangenen Rechtsprechung an (so auch BAG Urteil vom 4. August 1993 – 4 AZR 500/92 –, nicht veröffentlicht; BAG Urteil vom 4. August 1993 – 4 AZR 501/92 –, zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung und in der Fachpresse vorgesehen; BAG Urteil vom 6. Oktober 1993 – 5 AZR 289/91 –, nicht veröffentlicht).
Die dieser Rechtsprechung entgegenstehenden früheren Entscheidungen anderer Senate des Bundesarbeitsgerichts (vgl. statt aller: BAGE 39, 217 = AP Nr. 19 zu § 9 Bergmanns VersorgScheinG NRW; BAG Urteil vom 14. September 1984 – 7 AZR 528/83 – AP Nr. 13 zu § 551 ZPO; BAG Urteil vom 11. November 1986 – 3 AZR 228/86 – AP Nr. 6 zu § 2 ArbGG 1979) begründen keine Pflicht zur Vorlage der Rechtsfrage an den Großen Senat nach § 45 Abs. 2 ArbGG, weil über die bisherige Rechtsauffassung durch den Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes im durch den Senat vertretenen Sinne entschieden worden ist (vgl. Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, § 45 Rn 21).
2. Nach § 565 Abs. 1 ZPO war die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Matthes, Richter Dr. Freitag ist durch Urlaub an der Unterschrift verhindert., Böck, Schömburg, Wolf
Fundstellen