Entscheidungsstichwort (Thema)
Heimzulage für Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst
Leitsatz (redaktionell)
Bestätigung der Rechtsprechung aus dem Urteil vom 20. April 1994 – 10 AZR 276/93 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen.
Normenkette
BAT §§ 22-23
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 17. Dezember 1993 – 12 Sa 72/93 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten der Revision.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, an den Kläger eine sog. Heimzulage zu zahlen.
Der Kläger ist seit dem 1. Januar 1980 als leitender Sozialarbeiter im K.-Haus, einer Einrichtung der beklagten Universitätsklinik tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung.
Das K.-Haus dient der beruflich-sozialen Rehabilitation Querschnittgelähmter und schwer Körperbehinderter. Dabei handelt es sich überwiegend um Erwachsene, die nach ihrer medizinischen Rehabilitation zum Zwecke der Ausbildung und sozialen Rehabilitation aufgenommen werden. Im Erdgeschoß des Gebäudes wird die berufliche Rehabilitation betrieben. In den darüberliegenden Geschossen sind die Rehabilitanden untergebracht und werden rund um die Uhr heimmäßig versorgt.
Die sog. Heimzulage ist in der Protokollnotiz Nr. 1 der Anlage 1 a zum BAT Teil II Abschnitt G (Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst) i.d.F.v. 24. April 1991 seit dem 1. Januar 1991 wie folgt geregelt:
„Protokollnotizen:
1. Der Angestellte – ausgenommen der Angestellte bzw. Meister im handwerklichen Erziehungsdienst – erhält für die Dauer der Tätigkeit in einem Erziehungsheim, einem Kinder- oder einem Jugendwohnheim oder einer vergleichbaren Einrichtung (Heim) eine Zulage in Höhe von 120,– DM monatlich, wenn in dem Heim überwiegend Behinderte im Sinne des § 39 BSHG oder Kinder oder Jugendliche mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten zum Zwecke der Erziehung. Ausbildung oder Pflege ständig untergebracht sind; sind nicht überwiegend solche Personen ständig untergebracht, beträgt die Zulage 60,– DM monatlich.
In den weiteren Protokollnotizen ist bestimmt:
3. Erziehungsheime sind Heime, in denen überwiegend behinderte Kinder oder Jugendliche im Sinne des § 39 BSHG oder Kinder oder Jugendliche mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten ständig untergebracht sind.
…
6. Als entsprechende Tätigkeit von Erzieherinnen gilt auch die Betreuung von über 18jährigen Personen (z.B. in Einrichtungen für Behinderte im Sinne des § 39 BSHG oder für Obdachlose).
…
11. Schwierige fachliche Tätigkeiten sind z.B.
a) Tätigkeiten in Einrichtungen für Behinderte im Sinne des § 39 BSHG und …
…
c) Tätigkeiten … mit einem Anteil von mindestens einem Drittel von Behinderten im Sinne des § 39 BSHG in Einrichtungen der Kindertagesbetreuung,
d) Tätigkeiten in Gruppen von Behinderten im Sinne des § 39 BSHG oder in Gruppen von Kindern oder Jugendlichen mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten.”
Bis zum 31. Dezember 1990 galt insoweit die Protokollnotiz Nr. 14 zu Anlage 1 a zum BAT Teil II Abschnitt G gemäß dem Tarifvertrag vom 19. Juni 1970 (Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst), die folgende Regelung enthielt:
„(1) Der Angestellte in einem Erziehungsheim, einem Kinder- oder Jugendwohnheim, in dem überwiegend körperlich, seelisch oder geistig gestörte oder gefährdete oder schwer erziehbare Kinder oder Jugendliche zum Zwecke der Erziehung. Ausbildung oder Pflege ständig untergebracht sind, erhält für die Dauer der Tätigkeit in einem solchen Heim eine Zulage in Höhe von monatlich 90,– DM.
Sind in einem solchen Heim nicht überwiegend körperlich, seelisch oder geistig gestörte oder gefährdete oder schwer erziehbare Kinder oder Jugendliche zum Zwecke der Erziehung, Ausbildung oder Pflege ständig untergebracht, beträgt die Zulage monatlich 45,– DM.”
Der Kläger vertritt die Auffassung, ihm stehe für die Zeit vom 1. Januar 1991 bis zum 30. September 1992 die Heimzulage von 120,– DM monatlich in Höhe von insgesamt 2.520,– DM brutto zu. Er sei als Angestellter im Sozialdienst im K.-Haus beschäftigt. In dieser Einrichtung seien überwiegend Behinderte i.S.v. § 39 BSHG zum Zwecke ihrer Ausbildung ständig untergebracht. Beim K.-Haus handele es sich um ein Heim als vergleichbare Einrichtung i.S. der Protokollnotiz Nr. 1. Die Protokollnotiz erfasse, anders als die bis zum 31. Dezember 1990 geltende Protokollnotiz Nr. 14, auch Heime, in denen erwachsene Behinderte untergebracht seien.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.520,– DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem entsprechenden Nettobetrag ab Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte vertritt die Auffassung, dem Kläger stehe die Heimzulage nicht zu. Die Protokollnotiz Nr. 1 gelte nur für Heime, in denen Kinder und Jugendliche untergebracht seien. Dies folge aus dem Wortlaut, dem systematischen Zusammenhang und der Entstehungsgeschichte der tariflichen Bestimmung. Vergleichbare Einrichtungen seien nur Heime zur Unterbringung von Kindern und Jugendlichen. Durch die Neufassung der Protokollnotiz ab 1. Januar 1991 sollte nur der Umfang der Behinderung sprachlich anders ausgedrückt, nicht aber der Geltungsbereich verändert werden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Klageabweisung. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat mit Recht erkannt, daß der Kläger für die Zeit vom 1. Januar 1991 bis zum 30. September 1992 einen Anspruch auf die Heimzulage hat.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die tariflichen Voraussetzungen für den Anspruch auf die Heimzulage lägen im Klagezeitraum vor. Der Kläger sei unstreitig Angestellter im Sozial- und Erziehungsdienst, für den die Protokollnotiz Nr. 1 gelte. Er sei auch in einer vergleichbaren Einrichtung (Heim) im tariflichen Sinne tätig. In dem Heim seien überwiegend Behinderte i.S.v. § 39 BSHG zum Zwecke der Ausbildung und sozialen Rehabilitation untergebracht. Die Protokollnotiz erfasse ihrem Wortlaut nach nicht nur behinderte Kinder und Jugendliche, sondern auch behinderte Erwachsene. Hätte ihr Anwendungsbereich – wie in der früheren Fassung – auf Kinder und Jugendliche beschränkt sein sollen, so hätte dies im Wortlaut zum Ausdruck kommen müssen.
II. Den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist in vollem Umfange zuzustimmen.
1. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts übt der Kläger eine Tätigkeit als Angestellter im Sozial- und Erziehungsdienst i.S.d. Anlage 1 a zum BAT Teil II Abschnitt G aus, für die die Zahlung einer Heimzulage gem. der Protokollnotiz Nr. 1 in Betracht kommt.
2. Der Kläger ist auch in einem Heim i.S.d. Protokollnotiz Nr. 1 beschäftigt.
a) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist der Kläger als Sozialarbeiter im K.-Haus beschäftigt. Diese Feststellung hat die Beklagte mit einer formellen Rüge nicht angegriffen, so daß sie für den Senat bindend ist. Soweit die Beklagte in der Revisionsbegründung erstmalig vorträgt, der Kläger sei nicht im K.-Haus, sondern in der beklagten Universitätsklinik tätig, handelt es sich um neuen Sachvortrag, der in der Revisionsinstanz nicht mehr berücksichtigt werden kann (§ 561 Abs. 2 ZPO).
b) Das K.-Haus gehört zu den Heimen, die in den Geltungsbereich der Protokollnotiz Nr. 1 fallen.
aa) Der Senat hat im Urteil vom 20. April 1994 (– 10 AZR 276/93 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen) im einzelnen ausgeführt, daß die Protokollnotizen zur Anlage 1 a zum BAT Teil II Abschnitt G in der ab 1. Januar 1991 geltenden Fassung dahingehend auszulegen sind, daß unter vergleichbaren Einrichtungen (Heime) auch Heime zu verstehen sind, in denen überwiegend erwachsene Behinderte i.S.v. § 39 BSHG untergebracht sind.
Diese Auslegung beruht auf dem Tarifwortlaut und dem tariflichen Gesamt Zusammenhang, die für die Tarifauslegung maßgebend zu berücksichtigen sind (BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Schon nach dem Tarifwortlaut wird mit der Bezugnahme auf „Behinderte i.S.v. § 39 BSHG” nicht ein bestimmtes Alter der Behinderten gefordert. Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Protokollnotiz Nr. 1 ergibt sich, daß mit „Behinderten i.S.v. § 39 BSHG” auch erwachsene Behinderte gemeint sind. Die Tarifvertragsparteien fordern nämlich, daß in der Einrichtung „Behinderte i.S.v. § 39 BSHG oder Kinder oder Jugendliche … untergebracht sind”. Diese Verknüpfung macht deutlich, daß mit Behinderten i.S.v. § 39 BSHG nicht nur Kinder und Jugendliche gemeint sein können.
Für diese Auslegung spricht auch der weitere Inhalt der Protokollnotizen in der ab 1. Januar 1991 geltenden Fassung. So sind in Ziffer 3 der Protokollnotizen „… behinderte Kinder oder Jugendliche i.S. des § 39 BSHG …” aufgezählt, während in Ziffer 1 allgemein, also ohne nähere Altersbestimmung „Behinderte i.S. des § 39 BSHG …” genannt sind. In Ziffer 6 sprechen die Tarifvertragsparteien ausdrücklich von „… über 18-jährigen Personen …” und geben damit zu erkennen, daß die Protokollnotizen auch solche, über 18-jährige Personen einschließen; das können aber nicht Kinder (§ 2 Abs. 1 JArbSchG) oder Jugendliche (§ 2 Abs. 2 JArbSchG) sein, sonderen nur „Behinderte i.S. von § 39 BSHG”. Auch in Ziffer 11 der Protokollnotizen ist eine Unterscheidung insofern aufgenommen, als in Buchstabe a) „… Behinderte i.S. des § 39 BSHG …” und in Buchstabe c) „… Behinderte i.S. des § 39 BSHG in Einrichtungen der Kindertagesbetreuung …” aufgeführt sind (BAG Urteil vom 20. April 1994 – 10 AZR 276/93 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).
Soweit die Beklagte unter Hinweis auf die bis zum 31. Dezember 1990 geltende Regelung über die Heimzulage in Protokollnotiz Nr. 14 vorträgt, bei der Neufassung der Protokollnotiz sei es nur darum gegangen, die diskriminierenden Begriffe des „körperlich, seelisch oder geistig gestörten Kindes oder Jugendlichen” durch die wertneutrale Formulierung „Behinderte i.S. von § 39 BSHG” zu ersetzen, hat dies im Tarifwortlaut bzw. im tariflichen Gesamtzusammenhang keinen Niederschlag gefunden und kann deshalb entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung (Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, VKA, Band 2, Bl. 650 e; Uttlinger/Breier/Kiefer, BAT, Band III, S. B 100.32) nicht berücksichtigt werden.
bb) Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts sind auch die übrigen tariflichen Anforderungen, die an ein „Heim” im tariflichen Sinne zu steilen sind, erfüllt.
Unter einem Heim ist nach dem Sprachgebrauch eine Wohnung, ein Haushalt bzw. ein Ort zu verstehen, an dem jemand lebt und zu dem er eine gefühlsmäßige Bindung hat. Diese Voraussetzung ist bei einer gemeinschaftlichen Wohnstätte für Behinderte i.S.v. § 39 BSHG dann erfüllt, wenn die Behinderten dort aufgrund einer ununterbrochenen Versorgung ihren Lebensmittelpunkt haben (vgl. BAG Urteil vom 20. April 1994 – 10 AZR 276/93 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).
Diese Voraussetzung ist bei den im K.-Haus untergebrachten Rehabilitanden erfüllt. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts erfahren sie dort nicht nur eine berufliche Rehabilitation, sondern werden rund um die Uhr heimmäßig versorgt. Für die Zeit ihrer beruflichen Rehabilitation bildet das K.-Haus somit ihren Lebensmittelpunkt.
Daraus folgt zugleich, daß die tarifliche Anforderung einer ständigen Unterbringung zum Zwecke der Ausbildung vorliegt.
Soweit die Beklagte mit der Revisionsbegründung erstmalig vorträgt, ein Teil der Rehabilitanden wohne nicht im K.-Haus und ein anderer Teil fahre am Wochenende nach Hause, ist dies unerheblich. Zum einen beziehen sich die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nur auf die Rehabilitanden, die heimmäßig ununterbrochen versorgt werden. Zum anderen handelt es sich insoweit um neuen Sachvortrag, der in der Revisionsinstanz nicht mehr berücksichtigt werden kann.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Matthes, Dr. Freitag, Hauck, Brose, Paul
Fundstellen