Entscheidungsstichwort (Thema)
Erzieherin in Wohngruppe von Behinderten. Teilweise Übereinstimmung mit den Sachen 4 AZR 381/92, 4 AZR 382/92, 4 AZR 383/92 vom 26. Mai 1993
Leitsatz (amtlich)
- Eine heilpädagogische Tätigkeit besteht in der Förderung und Betreuung behinderter Menschen mit besonderen, spezifischen Erziehungsformen. Sie kann sich nicht auf einzelne Lebensbereiche des Behinderten beschränken, sondern muß in einem umfassenden Sinn seine gesamte Persönlichkeit zum Gegenstand haben.
- Eine Wohngruppe in einer Erziehungs- und Pflegeanstalt für Behinderte ist keine heilpädagogische Gruppe i.S. der Anlage 2 zu den AVR, wenn die Arbeit der Betreuerinnen in der Wohngruppe überwiegend durch pflegerische Tätigkeiten, die Schaffung eines familienähnlichen Umfeldes und die Bewältigung der im Lebensalltag regelmäßig anfallenden Aufgaben geprägt ist.
Normenkette
Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) § 12; Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) § Anlage 2, Anm. 105 i.d.F. vom 1. Juli 1990
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 03.03.1992; Aktenzeichen 7 Sa 1793/91) |
ArbG Bocholt (Urteil vom 11.10.1991; Aktenzeichen 2 Ca 1093/91) |
Tenor
- Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 3. März 1992 – 7 Sa 1793/91 – wird zurückgewiesen.
- Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin als Erzieherin in einer heilpädagogischen Gruppe im Sinne der Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) anzusehen und dementsprechend in VergGr. 4b der Anlage 2 bzw. 2d zu den AVR einzugruppieren ist.
Die Klägerin ist Erzieherin mit staatlicher Anerkennung. Seit 1984 ist sie bei der Beklagten beschäftigt. Im Anstellungsvertrag ist für das Arbeitsverhältnis die Anwendung der AVR in ihrer jeweils geltenden Fassung vereinbart. Die Klägerin wurde im Anstellungsvertrag zunächst in VergGr. 6b Fallgruppe 20e der Anlage 2 zu den AVR eingruppiert. Seit dem 1. Juni 1985 erhält sie Vergütung nach VergGr. 5c.
Die Beklagte unterhält eine Erziehungs- und Pflegeanstalt für Behinderte, in der etwa 540 Behinderte stationär betreut werden. Diese Anstalt besteht aus Wohnbereichen, Freizeitbereichen, einer Werkstatt für Behinderte, einer Schule, einem Kindergarten sowie Fachdiensten wie einem psychologischen Dienst.
Die einzelnen Wohnbereiche sind in Wohngruppen eingeteilt, die als Grundeinheiten des Heims jeweils dem Lebensraum einer Familie entsprechen sollen. Die Klägerin ist zusammen mit anderen Erzieherinnen in einer aus elf geistig behinderten Frauen bestehenden Wohngruppe eingesetzt. Von diesen Frauen besuchen vier die Schule, andere arbeiten in der Werkstatt für Behinderte. Die Erzieherinnen sind gemeinsam für alle Frauen ihrer Wohngruppe verantwortlich. Sie arbeiten als Team, das durch die Leiterin der jeweiligen Wohngruppe koordiniert wird. Seit dem 1. April 1991 leitet die Klägerin ihre Wohngruppe.
Die Erzieherinnen arbeiten im Zwei-Schicht-System (Früh- und Spätschicht). Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts haben sie im Tagesverlauf folgende Aufgaben: Zunächst wecken sie die Bewohnerinnen und waschen sie oder leiten sie beim Waschen an. Sodann wird von ihnen gemeinsam mit der Gruppe das Frühstück vorbereitet und eingenommen. Nach dem Frühstück räumen die Erzieherinnen – nach Möglichkeit gemeinsam mit den Behinderten – die Zimmer auf, verrichten Büroarbeiten und begleiten Bewohnerinnen erforderlichenfalls zur ärztlichen Versorgung. Außerdem erledigen sie Einkäufe, halten Kontakt zur Schule sowie zur Werkstatt und nehmen an Teamgesprächen teil. Das von der Küche angelieferte Mittagessen wird in der Gruppe gemeinsam eingenommen.
Die der Wohngruppe angehörigen Schülerinnen werden nachmittags in der Gruppe betreut. Den Erzieherinnen obliegt es hierbei, die Behinderten je nach Bedarf zur Krankengymnastik, zum Sport oder zu sonstigen, von anderen Mitarbeitern betreuten Aktivitäten zu begleiten, mit ihnen spazieren zu gehen oder mit ihnen selbst Turnübungen im Wohnbereich durchzuführen. Bei ihrer Tätigkeit müssen die Erzieherinnen mit den anfallartigen Aggressionen einzelner Bewohnerinnen vertraut sein und durch den notwendigen Kontakt mit den Bewohnerinnen solche Anfälle möglichst zu vermeiden helfen. Die Erzieherinnen haben auch das … gesundheitliche Befinden der Bewohnerinnen zu beobachten und gegebenenfalls verordnete Medikamente zu verabreichen.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie sei in ihrer Tätigkeit richtig nicht in VergGr. 5c, sondern in VergGr. 5b Fallgruppe 67 k der Anlage 2 zu den AVR eingruppiert gewesen. Sie sei nämlich in einer heilpädagogischen Gruppe tätig und damit einer Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin gleichzustellen. Im Vordergrund ihrer Tätigkeit stehe die intensive Betreuung der Bewohnerinnen. Sie müsse diesen pädagogisch-kreative Angebote unterbreiten, sie zur Beschäftigung im musisch-kreativen Bereich anhalten, ihre Kommunikation fördern und ihr Ich-Bewußtsein unterstützen. Nachdem sie ihre Tätigkeit am 1. November 1990 schon länger als vier Jahre verrichtet habe, stehe ihr jedenfalls seit diesem Zeitpunkt aufgrund des Bewährungsaufstiegs Vergütung nach VergGr. 4b zu.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, sie ab dem 1. November 1990 in die VergGr. 4b einzugruppieren und entsprechend zu entlohnen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die Klägerin in VergGr. 5c für richtig eingruppiert. Die Klägerin arbeite nämlich nicht in einer heilpädagogischen Gruppe. Heilpädagogische Arbeit werde nur in der psychologischen Station und von den anderen wohngruppenübergreifenden Diensten geleistet, nicht dagegen in den Wohngruppen. Diese seien Familienersatz und hätten lediglich die Aufgabe, die Grundbedürfnisse wie Schlafen, Essen, Geborgenheit, Selbstentwicklung und Zusammenleben mit anderen zu befriedigen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen und am 29. Juli 1992 beim Bundesarbeitsgericht eingelegten Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.
Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 16. September 1992, beim Bundesarbeitsgericht eingegangen am 17. September 1992, die Revision begründet und zugleich wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat sie ausgeführt, sie habe mit Schriftsatz vom 25. August 1992 wegen urlaubsbedingter Überlastung des Prozeßbevollmächtigten die Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist um einen Monat beantragt. Dieser Schriftsatz, der beim Bundesarbeitsgericht nicht eingegangen ist, sei noch am 25. August 1992 von der Rechtsanwaltsgehilfin D… in der Hauptpost in M… eingeworfen worden. Zur Glaubhaftmachung hat die Klägerin eine eidesstattliche Versicherung von Frau D… vorgelegt. Erst am 7. September 1992 habe der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin durch Rückfrage beim Bundesarbeitsgericht erfahren, daß der Antrag auf Fristverlängerung dort nicht eingegangen war. Hierzu hat die Klägerin eine anwaltliche Versicherung von Rechtsanwalt Dr. F… vorgelegt.
Entscheidungsgründe
A. Die Revision ist zulässig. Zwar ist die form- und fristgerecht eingelegte Revision nicht innerhalb der am 31. August 1992 abgelaufenen Frist, sondern erst am 17. September 1992 ordnungsgemäß begründet worden. Der Klägerin ist aber insoweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, § 233 ZPO.
I. Der Wiedereinsetzungsantrag ist zulässig. Er ist am 17. September 1992 und damit innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 234 Abs. 1 ZPO gestellt worden. Erst am 7. September 1992 war dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin aufgrund der Nachfrage beim Bundesarbeitsgericht bekannt, daß der Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist, mit dessen positiver Bescheidung er rechnen konnte, dort nicht eingegangen war. Erst damit war das der Einhaltung der Frist entgegenstehende Hindernis behoben. Der Antrag ist auch formgemäß gestellt, und die den Antrag begründenden Tatsachen sind glaubhaft gemacht.
II. Der Wiedereinsetzungsantrag ist begründet. Die Fristversäumnis ist weder von der Klägerin noch von deren Prozeßbevollmächtigtem verschuldet, sondern auf Fehler der Post zurückzuführen. Der Antrag auf Fristverlängerung wäre nämlich bei normalem Postlauf spätestens am 27. August 1992, also mehrere Tage vor Fristablauf, beim Bundesarbeitsgericht eingegangen. Ihm wäre auch stattgegeben worden.
III. Die Klägerin hat mit der Revisionsbegründung am 17. September 1992 die versäumte Prozeßhandlung rechtzeitig innerhalb der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag nachgeholt (§ 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
B. Die Revision ist jedoch nicht begründet.
I. Die Klage ist zwar zulässig. Es handelt sich um eine Eingruppierungsfeststellungsklage, die auch außerhalb des öffentlichen Dienstes allgemein üblich ist und nach ständiger Senatsrechtsprechung keinen prozeßrechtlichen Bedenken begegnet (vgl. Senatsurteile vom 25. September 1991 – 4 AZR 87/91 – EzA § 4 TVG Großhandel Nr. 2, zu I der Gründe, m.w.N.; vom 11. November 1992 – 4 AZR 117/92 –, n.v., zu II 1 der Gründe).
II. Die Klage ist aber nicht begründet. Die Klägerin ist nach den auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren AVR zutreffend in VergGr. 5c eingruppiert. Sie hat keinen Anspruch auf Vergütung nach VergGr. 5b oder 4b.
1. Auf das Arbeitsverhältnis sind, wovon übereinstimmend auch die Parteien ausgehen, die AVR in ihrer jeweils geltenden Fassung anzuwenden.
a) Zwar können die AVR nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keine normative Wirkung entfalten, sondern nur kraft einzelvertraglicher Bezugnahme auf ein Arbeitsverhältnis Anwendung finden (vgl. BAG Urteil vom 6. Dezember 1990, BAGE 66, 314, 320 = AP Nr. 12 zu § 2 BeschFG 1985, zu II 2b der Gründe, m.w.N.). Eine solche Vereinbarung liegt hier aber vor.
b) Für die Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch kommt es auf folgende Bestimmungen der AVR in der am 1. November 1990 geltenden Fassung an:
Anlage 2 zu den AVR
…
Vergütungsgruppe 5c
Vergütungsgruppe 5b
Vergütungsgruppe 4b
- …
- Sozialarbeiter oder Sozialpädagogen mit staatlicher Anerkennung nach vierjähriger Tätigkeit in der Vergütungsgruppe 5b Ziff. 67 (Anm. 105)
- …
Anmerkungen zu den Tätigkeitsmerkmalen der Vergütungsgruppen 1 – 12
Die nachstehenden Anmerkungen sind bei der Einstufung der Mitarbeiter in das Vergütungsgruppenverzeichnis zu beachten.
- …
- Erzieher … mit staatlicher Anerkennung als Erzieher … werden nach diesem Tätigkeitsmerkmal eingruppiert, wenn sie am 1. April 1970 die in dem Tätigkeitsmerkmal geforderte Tätigkeit ausüben oder ihnen bis zum 31. Dezember 1990 diese Tätigkeit übertragen wird.
2. Die Klägerin erfüllt, was zwischen den Parteien auch unstreitig ist, jedenfalls die Voraussetzungen für die Eingruppierung in VergGr. 5c Fallgruppe 17e.
a) Sie ist Erzieherin mit staatlicher Anerkennung, arbeitet in einer Gruppe von geistig Behinderten und wies bereits am 1. Juni 1985 die zusätzlich erforderliche einjährige Berufsausübung in dieser Tätigkeit bei der Beklagten auf.
b) Der Eingruppierung in VergGr. 5c steht nicht entgegen, daß im Arbeitsvertrag der Klägerin ihre Eingruppierung in VergGr. 6b Fallgruppe 20e vermerkt ist, denn die Angabe der Vergütungsgruppe im Arbeitsvertrag hat nicht rechtsbegründende (konstitutive), sondern nur erläuternde (deklaratorische) Bedeutung.
aa) Der Arbeitsvertrag zwischen den Parteien kann als typischer Vertrag vom Revisionsgericht frei ausgelegt werden, denn es handelt sich um einen von der Beklagten verwandten Formularvertrag (vgl. Senatsurteil vom 12. Dezember 1990 – 4 AZR 306/90 – EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 4).
bb) Die Auslegung der im Arbeitsvertrag enthaltenen Verweisung auf die AVR in der jeweils geltenden Fassung ergibt, daß für die Eingruppierung der Klägerin unabhängig von der bei Vertragsabschluß festgelegten Vergütungsgruppe jeweils die einschlägigen Bestimmungen der AVR maßgeblich sein sollen. Es ist nämlich, wie der Senat in seinem Urteil vom 12. Dezember 1990 (EzA, aaO) ausführlich begründet hat, davon auszugehen, daß eine Verweisung auf die AVR in ihrer jeweils geltenden Fassung nur widerspiegeln soll, was nach den AVR rechtens ist. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte muß bei Vorliegen einer solchen Verweisung angenommen werden, daß die Arbeitsvertragsparteien zum Ausdruck bringen wollten, daß sich die Vergütung jeweils nach der Vergütungsgruppe richten soll, deren Voraussetzungen der Arbeitnehmer mit seiner Tätigkeit erfüllt.
3. Die Wertung des Landesarbeitsgerichts, wonach die Klägerin nicht die Voraussetzungen für die von ihr begehrte Höhergruppierung nach VergGr. 4b erfüllt, weil sie keine Tätigkeit in der VergGr. 5b Fallgruppe 67 ausübt, ist im Ergebnis zutreffend. Die Klägerin ist nämlich nicht, wie in VergGr. 5b Fallgruppe 67 und VergGr. 4b Fallgruppe 50 gefordert, Sozialarbeiterin oder Sozialpädagogin mit staatlicher Anerkennung. Sie gehört auch nicht zum Kreis der Erzieherinnen, die nach Anmerkung 105 zu diesen Fallgruppen Sozialarbeiterinnen und Sozialpädagoginnen gleichzustellen sind. Die Klägerin übt ihre Tätigkeit nämlich nicht in einer heilpädagogischen Gruppe aus.
a) Der Begriff “heilpädagogische Gruppe” ist in den AVR nicht definiert. Zu seiner Bestimmung ist in erster Linie auf den Wortsinn zurückzugreifen. Dieser richtet sich nach dem Begriff der Heilpädagogik, wie er sich aus dem Sprachgebrauch der beteiligten Fachkreise ergibt. Danach ist, wie der Senat mit eingehender Begründung zur gleichlautenden Bestimmung der VergGr. Vb Fallgruppe 1k des Teils II Abschn. G Unterabschn. II der Anlage 1a zum BAT ausgeführt hat, unter einer heilpädagogischen Tätigkeit eine Tätigkeit zu verstehen, die mit besonderen, spezifischen Erziehungsformen die Förderung und Betreuung behinderter Menschen umfaßt (BAG Beschluß vom 3. Dezember 1985, BAGE 50, 241; BAG Urteil vom 6. Dezember 1989 – 4 AZR 450/89 – AP Nr. 148 zu §§ 22, 23 BAT 1975; BAG Urteil vom 4. April 1990 – 4 AZR 20/90 – ZTR 1990, 380, 381). Dabei kann sich die heilpädagogische Förderung nicht auf einzelne Lebensbereiche des Behinderten beschränken, sondern muß in einem umfassenden Sinn seine gesamte Persönlichkeit zum Gegenstand haben (vgl. Senatsurteil vom 4. April 1990, ZTR, aaO).
Daß für eine heilpädagogische Tätigkeit nicht die übliche erzieherische Tätigkeit mit Behinderten ausreicht, sondern die Anwendung spezifischer Erziehungsformen erforderlich ist, ergibt sich auch aus dem Regelungszusammenhang der AVR. Die AVR enthalten nämlich mehrere Bestimmungen, in denen ausdrücklich die Eingruppierung von Mitarbeitern, die als Erzieher in einer Gruppe von Behinderten arbeiten, in die VergGr. 5c vorgesehen ist. Eine solche Eingruppierung enthalten neben der oben (2.) erörterten Fallgruppe 17e auch die Fallgruppe 27 für Heilerziehungspfleger in Gruppen von körperlich, seelisch oder geistig Behinderten, die Fallgruppe 49a für Erzieher am Arbeitsplatz als Leiter von Behindertengruppen in einer Werkstatt für Behinderte und die Fallgruppe 49c für Handwerker mit Gesellenbrief und sonderpädagogischer Zusatzqualifikation als Leiter einer Behindertengruppe in einer Werkstatt für Behinderte nach vierjähriger Bewährung. Allen diesen Tätigkeiten ist gemeinsam, daß sie von pädagogisch qualifizierten Personen in der Betreuung von Behinderten ausgeübt werden und pädagogischen Charakter haben. Die in den genannten Fallgruppen zur VergGr. 5c enthaltenen, auf genau umschriebene Einzeltätigkeiten bezogenen Eingruppierungsbestimmungen wären gegenstandslos, wenn die von den dort angeführten Personen ausgeübte pädagogische – und damit fördernde – Betreuung Behinderter ohne weiteres zugleich als heilpädagogische Tätigkeit zu qualifizieren wäre. Wenn die Tätigkeit der Betreuer nämlich eine heilpädagogische ist, handelt es sich bei der betreuten Gruppe um eine heilpädagogische Gruppe mit der Folge, daß Betreuer mit den genannten Qualifikationen entgegen den dort enthaltenen ausdrücklichen Vorgaben nicht in VergGr. 5c, sondern in VergGr. 5b oder 4b einzugruppieren sind.
Demnach erfordert die zu einer höheren Eingruppierung führende Tätigkeit in einer heilpädagogischen Gruppe mehr als die mit der Arbeit von Erziehern in Behindertengruppen zwangsläufig verbundene pädagogische Einwirkung. Es genügt hierfür nicht, daß diese pädagogische Arbeit in Formen erfolgt, die auf die besonderen Belange Behinderter zugeschnitten sind, denn dies ist schon Grundvoraussetzung jeder in VergGr. 5c eingestuften pädagogischen Arbeit in Behindertengruppen. Hinzukommen muß vielmehr, daß die individuelle und umfassende Förderung eines jeden Behinderten nach seiner spezifischen Behinderung und Persönlichkeit im Vordergrund der Betreuungsarbeit in der Gruppe steht.
b) Die Wohngruppe, in der die Klägerin arbeitet, ist keine heilpädagogische Gruppe, weil die dort von den Erzieherinnen geleistete Betreuungsarbeit zumindest weit überwiegend keine heilpädagogische Arbeit ist.
aa) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wird in der Anstalt der Beklagten zwar heilpädagogisch gearbeitet. Diese auf die individuelle Förderung der Behinderten gerichtete und durch Anwendung spezifischer, ihre gesamte Persönlichkeit umfassende Erziehungsformen gekennzeichnete Tätigkeit findet aber in erster Linie außerhalb der Wohngruppen statt. So werden heilpädagogische Leistungen im Freizeitbereich, in der Schule und durch psychologische Betreuung erbracht.
Dagegen ist die Arbeit der Erzieherinnen in der Wohngruppe, wie sich aus dem vom Landesarbeitsgericht festgestellten Tagesablauf ergibt, weit überwiegend durch pflegerische Tätigkeiten, die Schaffung eines familienähnlichen Umfeldes und die Bewältigung der im Lebensalltag regelmäßig anfallenden Aufgaben geprägt.
Zwar kann zugunsten der Klägerin unterstellt werden, daß die Erzieherinnen bei ihrer Tätigkeit auch Maßnahmen ergreifen, die als heilpädagogisch zu qualifizieren sind. Solche Maßnahmen können nach dem vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt aber allenfalls einen geringen Teil der in der Wohngruppe der Klägerin geleisteten Betreuungsarbeit ausmachen und ihr daher nicht das Gepräge geben.
bb) Die Revision mußte auch erfolglos bleiben, soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang das Urteil des Landesarbeitsgerichts mit Verfahrensrügen angreift.
Zu der im angefochtenen Urteil enthaltenen Beschreibung des Alltags in der Wohngruppe hat die Klägerin eine Tatbestandsberichtigung nach § 320 ZPO nicht beantragt.
Auch die Rüge der Klägerin, das Berufungsgericht habe seine sich aus § 139 ZPO ergebende Erörterungs- und Hinweispflicht verletzt, weil es bei der Auslegung des Begriffs “heilpädagogische Gruppe” die “umfassende Förderung” der Behinderten als ein Tatbestandsmerkmal angesehen habe, ohne den Prozeßparteien Gelegenheit zu einer Stellungnahme gegeben zu haben, kann nicht durchgreifen. Die Klägerin mußte damit rechnen, daß das Landesarbeitsgericht die umfassende Förderung der Behinderten als eine Voraussetzung für das Vorliegen einer heilpädagogischen Gruppe ansehen würde. Diese Voraussetzung ist nämlich in Entscheidungen des Senats (Beschluß vom 3. Dezember 1985, BAGE, aaO; Urteil vom 4. April 1990, ZTR, aaO) enthalten, welche die Klägerin zur Stützung ihres Klagebegehrens selbst angeführt hat.
C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Schaub, Schneider, Dr. Wißmann, Gotsche, Kamm
Fundstellen
Haufe-Index 848132 |
NZA 1994, 95 |