Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordentliche Kündigung nach Einigungsvertrag
Normenkette
Einigungsvertrag Art. 20 Abs. 1, 37; Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1; Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 2; Personalvertretungsgesetz der DDR §§ 82, 116b; BPersVG § 82; AGB-DDR § 55 Abs. 2; KSchG §§ 4, 7; ZPO § 256
Verfahrensgang
Sächsisches LAG (Urteil vom 20.11.1992; Aktenzeichen Sa 104/92 L) |
KreisG Leipzig-Stadt (Urteil vom 22.04.1992; Aktenzeichen 11 Ca 98/91) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 20. November 1992 – Sa 104/92 L. – aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 Einigungsvertrag (künftig: Abs. 4 Ziff. 1 EV) gestützten ordentlichen Kündigung.
Die 1959 geborene Klägerin hat in der ehemaligen DDR aufgrund staatlicher Prüfung im Jahre 1980 die Befähigung zur Arbeit als Freundschaftspionierleiter und die Lehrbefähigung für Deutsch und Musikerziehung in den unteren Klassen der allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschule erworben. Anschließend besuchte sie die Kreisparteischule der SED. Von 1980 bis 1984 war sie als Freundschaftspionierleiter tätig und erteilte daneben Unterricht im Umfang von durchschnittlich 10 Wochenstunden in den Fächern Deutsch und Musik. Von August 1984 bis Juli 1987 war sie hauptamtlich Kreisvorsitzende der Pionierorganisation „Ernst Thälmann” in E., von Dezember 1986 bis Februar 1.987 zugleich Vorsitzende der Betriebsgewerkschaftsleitung auf der FDJ-Kreisleitungsebene. Nach mehreren Versetzungsanträgen wurde sie nach Ablauf eines Babyjahres im August 1988 an die Polytechnische Oberschule in E. versetzt und unterrichtete hier als Unterstufenlehrerin und Klassenleiterin Deutsch, Mathematik, Schulgarten und Musik. Seit 1991 ist sie auf eigenen Wunsch an einer Förderschule für Lernbehinderte mit 23 Wochenstunden in den Fächern Deutsch, Mathematik, Musik, Zeichnen und Sport eingesetzt. Sie hat sich bereit erklärt, die Qualifikation für die Tätigkeit an einer Behindertenschule zu erwerben.
Mit Schreiben vom 24. Oktober 1991 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin wegen mangelnder fachlicher Qualifikation und mangelnder persönlicher Eignung ordentlich zum 31. Dezember 1991.
Mit ihrer am 4. November 1991 beim Kreisgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht. Sie hat eine ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrates bestritten und die Ansicht vertreten, die Kündigungsfrist sei nicht eingehalten. Kündigungsgründe lägen nicht vor. Was ihre persönliche Eignung angehe, so sei von ihr nicht mehr Einflußnahme in der politischen Erziehung verlangt und wahrgenommen worden als von jedem anderen Pädagogen.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 24. Oktober 1991 beendet worden sei, sondern über den 31. Dezember 1991 hinaus zu unveränderten Bedingungen fortbestehe.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat vorgetragen, ihm stehe bei der Festlegung der an eine Lehrkraft zu stellenden Anforderungen in fachlicher und persönlicher Hinsicht ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Dies folge aus den Sondervorschriften des Einigungsvertrages zur Kündigung im öffentlichen Dienst und der von der öffentlichen Verwaltung vorgefundenen besonderen Situation. Seine Vorgabe über die erforderliche Ausbildung der künftigen Lehrer verbiete die Weiterbeschäftigung der Klägerin. Deren Ausbildung habe schwerpunktmäßig nicht im Berufsbild des Lehrers gelegen. Auch für den Unterstufenlehrer seien Abschlüsse in den Hauptfächern Deutsch und Mathematik sowie in einem Wahlfach notwendig. Deshalb bestehe auch kein Bedarf im Sinne des Einigungsvertrages. Es seien genügend qualifizierte Lehrkräfte mit der Fächerkombination Deutsch, Mathematik und einem Nebenfach vorhanden. Die Klägerin sei ferner wegen ihrer jahrelangen Tätigkeit als Freundschaftspionierleiter und Vorsitzende der Pionierorganisation eine exponierte Vertreterin des früheren Bildungssystems und daher für die Tätigkeit als Lehrer persönlich ungeeignet. Aufgabe der Pionierorganisation sei insbesondere die gezielte politische Beeinflussung und Lenkung der Kinder und Jugendlichen unter Ausnutzung von deren Spiel- und Abenteuerlust gewesen. Dafür sei der Kreisvorsitzende veranwortlich gewesen, der insoweit ausschließlich politische Arbeit geleistet habe. Er habe alle im Kreise tätigen Freundschaftspionierleiter angeleitet und überwacht, daß diese aktiv für die Durchsetzung der Ideologie der SED eingetreten seien. Dabei sei er in das Nomenklatursystem der SED eingebunden gewesen. In ein solches Amt seien nur bewährte Genossen berufen worden, die der SED-Parteispitze die Gewähr für besonders aktives Eintreten für die Parteiziele geboten hätten.
Kreisgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Dagegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht (§ 565 Abs. 1 ZPO).
A. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt, die Kündigung sei nicht nach Abs. 4 Ziff. 1 und 2 EV zulässig und daher rechtsunwirksam:
Die Klägerin werde durch Art. 37 EV in ihren erworbenen Befähigungsnachweisen geschützt. Sie besitze die Lehrbefähigung für untere Klassen in Fächern, die auch heute unterrichtet würden. Es könne dahinstehen, ob sie aufgrund der erworbenen Qualifikation und der damit verbundenen Fächerkombination als Klassenleiterin eingesetzt werden könne. Der Beklagte habe nichts dazu vorgetragen, daß Lehrer nur als Klassenleiter beschäftigt werden könnten. Die Klägerin sei jahrelang, auch ohne Abschluß im Fach Mathematik, als Klassenleiterin eingesetzt gewesen.
Der Vortrag des Beklagten zur mangelnden persönlichen Eignung genüge den zu stellenden Anforderungen nicht. Die Klägerin habe unwidersprochen darauf hingewiesen, daß die Tätigkeit des Freundschaftspionierleiters mit der eines normalen Lehrers nach Ausbildung und Erziehungszielen vergleichbar sei, wenn auch in unterschiedlichen Unterrichtsbereichen. Die Funktion eines Freundschaftspionierleiters sei nicht von so herausgehobener politischer Bedeutung gewesen, daß allein die Wahrnehmung dieses Amtes den Schluß auf eine ständige Indoktrination und Beeinflussung der anvertrauten Schüler zulasse. Die bei der FDJ-Kreisleitung angesiedelte Tätigkeit als Leiterin der Pionierorganisation in E. sei zwar eine hauptamtliche gewesen. Weder die Anforderungsprofile noch der Einzelvortrag des Beklagten ließen jedoch erkennen, daß sich die Klägerin bei dieser an der unteren Bedeutungsskala angesiedelten Tätigkeit besonders negativ hervorgetan habe. Ohne näheren Sachvortrag sei daher die Rechtfertigung der Kündigung aus dieser Tätigkeit nicht herzuleiten.
Der Vortrag des Beklagten zum mangelnden Bedarf sei nicht genügend substantiiert.
B. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten nicht in allen Punkten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
I. Der Feststellungsantrag der Klägerin umfaßt allein den punktuellen Streitgegenstand der §§ 4, 7 KSchG. Die Antragsbegründung behandelt ausschließlich die Frage, ob die Kündigung vom 24. Oktober 1991 wirksam ist. Die Auslegung des Klagantrags ergibt daher, daß die Klägerin nur eine Kündigungsschutzklage, keine weitergehende Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO erhoben hat (vgl. Senatsurteil vom 16. März 1994 – 8 AZR 97/93 – zur Veröffentlichung bestimmt).
II. Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 24. Oktober 1991 aufgelöst worden ist, kann nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts noch nicht abschließend beurteilt werden.
1. Nach Art. 20 Abs. 1 EV gelten für die Rechtsverhältnisse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zum Zeitpunkt des Beitritts die in der Anlage I vereinbarten Regelungen. Die Klägerin unterrichtete zum Zeitpunkt des Beitritts an einer allgemeinbildenden Schule, gehörte daher dem öffentlichen Dienst an. Der Änderungsvertrag vom 28. August 1991 aktualisierte lediglich das bestehende Arbeitsverhältnis durch Umstellung auf die Bedingungen des BAT-O.
2. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, daß die Kündigung nicht schon wegen mangelnder fachlicher Qualifikation der Klägerin gemäß Abs. 4 Ziff. 1 EV wirksam ist.
a) Nach Abs. 4 Ziff. 1 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder fachlicher Qualifikation den Anforderungen nicht entspricht. Der Arbeitgeber kann unter sachlichen Gesichtspunkten die Qualifikationsvoraussetzungen festlegen, indem er die Anforderungsprofile bestimmt, die er mit einem Arbeitsplatz verbindet. Eine Kündigung ist dann möglich, wenn unter Berücksichtigung der festgelegten Qualifikationsmerkmale eine Beschäftigung für den Arbeitnehmer, der diesen Anforderungen nicht genügt, nicht mehr vorhanden ist. Wie der Unternehmer durch freie Unternehmerentscheidung kann auch das Land in seinem Zuständigkeitsbereich die Qualifikationen festlegen, die es zur Ausfüllung des Arbeitsplatzes für erforderlich hält.
Abs. 4 Ziff. 1 EV wird ergänzt durch Art. 37 EV. Nach Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV gelten in der Deutschen Demokratischen Republik erworbene oder staatlich anerkannte schulische, berufliche und akademische Abschlüsse oder Befähigungsnachweise in dem in Art. 3 EV genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) weiter. Die Regelung in Art. 37 Abs. 1 Satz 2 und 3 EV, wonach im Beitrittsgebiet oder in den anderen Ländern der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin (West) abgelegte Prüfungen oder erworbene Befähigungsnachweise einander gleichstehen und die gleichen Berechtigungen verleihen, wenn sie gleichwertig sind, erfaßt den Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsstreits nicht; denn es ist nicht darüber zu entscheiden, ob die Klägerin im alten Bundesgebiet unterrichten könnte. Somit hat der Arbeitgeber bei Festlegung der Qualifikationsmerkmale die Regelung in Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV zu beachten, der die Zielsetzung zugrunde liegt, beruflich tätigen Arbeitnehmern jedenfalls im Beitrittsgebiet ihre Qualifikationen nicht abzuerkennen, die sie zur bisherigen Berufsausübung in der ehemaligen DDR befähigten (vgl. nur Senatsurteil vom 25. Februar 1993 – 8 AZR 246/92 – AP Nr. 1 zu Art. 37 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II 2 – 4 der Gründe; Senatsurteil vom 4. November 1993 – 8 AZR 127/93 – AP Nr. 18 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu B II der Gründe).
b) Die Klägerin hat Befähigungen in den Fächern Deutsch und Musikerziehung erlangt, die dem Beruf eines Lehrers zuzuordnen sind. Sie hat den Fachschulabschluß erworben und neben der Befähigung zur Arbeit als Freundschaftspionierleiter auch die Lehrbefähigung für die Fächer Deutsch und Musikerziehung der unteren Klassen der allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschule erhalten. Nach der Stundentafel hatte sie in ihrem Haupt- und Wahlfach die gleiche Ausbildung wie die Unterstufenlehrer. Da sie mehrjährig auch – seit 1988 sogar ausschließlich – als Lehrerin eingesetzt war, besteht eine anzuerkennende fachliche Qualifikation als Lehrerin mit den Fächern Deutsch und Musik. Die Klägerin besitzt entsprechende arbeitsplatzbezogene Kenntnisse und Fähigkeiten. Fachliche oder didaktische Mängel sind von dem Beklagten nicht vorgetragen worden. Die Qualifikation kann nicht mit der Begründung in Abrede gestellt werden, es fehle ein anzuerkennender Abschluß in einem dritten Fach. Dagegen hatte die Klägerin aufgrund ihrer kurzen einschlägigen Tätigkeit zum Kündigungszeitpunkt keine Qualifikation für den Unterricht an Förderschulen für Lernbehinderte. Die Kündigung kann darauf nicht gestützt werden, weil die Klägerin jedenfalls an Grundschulen einsetzbar ist.
Die auf Lehrbefähigung und praktischer Tätigkeit beruhende Qualifikation der Klägerin für den Unterricht genügt für einen Einsatz als Lehrerin. Der Streitfall erfordert keine Stellungnahme zu der Frage, in welcher Form der öffentliche Arbeitgeber Qualifikationsvoraussetzungen festlegen kann, insbesondere, ob es einer Regelung durch Gesetz oder Rechtsverordnung bedarf. Sofern die formlose Festlegung von Qualifikationsvoraussetzungen genügt, muß sich diese doch im Rahmen von Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV halten. Die Forderung, als Grundschullehrer seien nur solche Lehrkräfte fachlich qualifiziert, die in beiden Hauptfächern und zusätzlich in einem Wahlfach unterrichten könnten, läßt sich mit Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV nicht vereinbaren.
3. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zum mangelnden Bedarf nach Abs. 4 Ziff. 2 EV sind ebenfalls nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat keinerlei konkreten Vortrag zum Beschäftigungsbedarf erbracht. Die Revisionsbegründung geht auf diesen Kündigungsgrund auch nicht mehr ein.
4. Soweit das Landesarbeitsgericht die Kündigung wegen mangelnder persönlicher Eignung gemäß Abs. 4 Ziff. 1 EV für unzulässig erachtet hat, tragen seine Feststellungen die Entscheidung nicht.
a) Nach Abs. 4 Ziff. 1 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht. Der Senat hat in seinen Entscheidungen vom 18. März 1993 und 4. November 1993 (– 8 AZR 356/92 – und – 8 AZR 127/93 –, m.w.N., AP Nr. 12 und 18 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, jeweils auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) die Wirksamkeit der Kündigung nach einer auf den Kündigungszeitpunkt bezogenen Einzelfallprüfung beurteilt und hierzu im einzelnen folgende Grundsätze entwickelt:
aa) Die mangelnde persönliche Eignung im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft. die sich auch aus der bisherigen Lebensführung herausgebildet haben kann. Die persönliche Eignung eines Angestellten des öffentlichen Dienstes erfordert, daß er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen muß. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.
bb) Die hiernach zu stellenden Anforderungen haben sich an den Aufgaben des Angestellten auszurichten. Ein Lehrer muß den ihm anvertrauten Schülern glaubwürdig die Grundwerte des Grundgesetzes vermitteln. Er muß insbesondere die Gewähr dafür bieten, daß er in Krisenzeiten und ernsthaften Konfliktsituationen zu den Grundwerten der Verfassung steht.
cc) Der Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV liegt zugrunde, daß Arbeitnehmer von einem früheren Arbeitgeber eingestellt worden sind, mit denen der jetzige Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag nicht geschlossen hätte, wenn er an ihrer persönlichen Eignung berechtigte Zweifel gehabt hätte. Abs. 4 Ziff. 1 EV zwingt deshalb den öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber nicht, gleichsam die rechtsstaatliche Einstellung eines Arbeitnehmers zunächst zu erproben. Ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen des Abs. 4 EV ist damit nicht verbunden. Es gelten nicht die Grundsätze für Einstellungen in den öffentlichen Dienst, sondern die für Kündigungen; denn durch eine auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützte Kündigung wird in besonderer Weise in das Grundrecht der Berufsfreiheit des einzelnen Beschäftigten eingegriffen. Ein Beurteilungsspielraum kann sich nur im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung auf eine Abwägung besonders belastender Umstände bei der Identifikation mit den Staats- und Parteizielen in der ehemaligen DDR gegenüber spezifisch entlastenden Tatsachen zur persönlichen Eignung des Arbeitnehmers beziehen.
dd) Ein Lehrer ist nicht schon deshalb ungeeignet, weil er nach den früheren gesetzlichen Bestimmungen bei der Verwirklichung der Staatsziele der DDR mitzuwirken hatte. Eine mangelnde persönliche Eignung ist aber indiziert, wenn er sich in der Vergangenheit in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert hat. Dies ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer nicht nur kurzfristig Funktionen wahrgenommen hat, aufgrund derer er in hervorgehobener Position oder überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken hatte. Der kündigende Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes hat die vom Arbeitnehmer wahrgenommene Funktion einschließlich ihrer Grundlagen und ihrer Bedeutung in der Verfassungswirklichkeit der DDR darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, die Annahme der besonderen Identifikation durch substantiierten Sachvortrag zu entkräften. Dabei können neben den Umständen der früheren Tätigkeit auch sonstige die Eignung des Arbeitnehmers begründende Tatsachen berücksichtigt werden. Liegt ein dahingehender schlüssiger und nachprüfbarer substantiierter Vortrag vor, hat der Arbeitgeber darzutun, daß die behaupteten erheblichen nachprüfbaren Tatsachen nicht vorliegen oder daß trotz dieser Umstände aus weiteren Tatsachen auf eine Ungeeignetheit zu schließen ist. Eine Umkehr der im Kündigungsschutzprozeß allgemein bestehenden Beweislast findet nicht statt (vgl. Senatsurteil vom 28. April 1994 – 8 AZR 57/93 – zur Veröffentlichung bestimmt, zu B II 3 b der Gründe).
b) Das Landesarbeitsgericht hat zunächst die Funktion der Klägerin als Freundschaftspionierleiter rechtsfehlerfrei gewürdigt. Nach der Rechtsprechung des Senats stellt diese Tätigkeit einen Grund dar, die persönliche Eignung eines Lehrers kritisch zu prüfen. Wer als Freundschaftspionierleiter eingesetzt war, ist aber nicht allein deshalb als Lehrer persönlich ungeeignet im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV (BAG Urteil vom 4. November 1993, aaO, zu B III 2 b der Gründe).
Die Revision rügt aber zu Recht, daß dem Landesarbeitsgericht bei der Bewertung der Funktion der Klägerin als Kreisvorsitzende und Leiterin der Pionierorganisation Rechtsfehler unterlaufen sind. Das Landesarbeitsgericht durfte den Vortrag des Beklagten zur politischen Aufgabe dieser Ämter nicht außer acht lassen. Zu Unrecht hat es lediglich darauf abgestellt, der Vortrag des Beklagten lasse nicht erkennen, daß sich die Klägerin bei dieser an der unteren Bedeutungsskala angesiedelten Tätigkeit besonders negativ hervorgetan habe. Offenbar ging die Bedeutung der Funktion über die eines Freundschaftspionierleiters hinaus. Das Landesarbeitsgericht hätte aufgrund der Darlegungen des Beklagten aufklären müssen, ob die Klägerin in der Pionierorganisation überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken hatte. Insbesondere ist klärungsbedürftig, welche Verantwortung für die politische Indoktrination von Kindern und Jugendlichen bestand oder ob sich die Tätigkeit, wie die Klägerin behauptet, im wesentlichen auf Verwaltungs- und Organisationsarbeit beschränkte. Nach der Richtlinie zur Tätigkeit der hauptamtlichen Freundschaftspionierleiter (Arbeitsrichtlinie) und Regelungen für die Leitungen der FDJ zur Auswahl, zur Delegierung und zum Einsatz der Freundschaftspionierleiter vom 17. April 1984 (Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Volksbildung Nr. 6/1984, S. 77) liegt die Annahme nahe, die Klägerin habe als hauptamtliche FDJ-Funktionärin in der Pionierorganisation erhebliche Kontroll- und Überwachungsfunktionen gegenüber der Schulleitung und den in den Schulen tätigen Freundschaftspionierleitern gehabt. Ferner kann von Bedeutung sein, in welchem Maße das Amt wie das der Freundschaftspionierleiter, Lehrer und Erzieher in den einheitlichen sozialistischen Bildungsauftrag eingebunden war, oder ob es eine mehr selbständige Umsetzung von politischer Indoktrination erforderte.
Sofern das Landesarbeitsgericht im erneuten Berufungsverfahren die Indizwirkung der von der Klägerin hauptamtlich ausgeübten FDJ-Tätigkeit für eine mangelnde persönliche Eignung wiederum verneint, folgt nichts anderes aus einer Gesamtbetrachtung aller Funktionen der Klägerin. Das Amt einer Vorsitzenden der Betriebsgewerkschaftsleitung kann schon deshalb vernachlässigt werden, weil es nur drei Monate ausgeübt wurde. Ebenso kommt dem – für SED-Mitglieder üblichen – Besuch der Kreisparteischule keine besondere Bedeutung zu. Bei Annahme einer Indizwirkung wird das Landesarbeitsgericht näher in die Einzelfallprüfung eintreten müssen. Dabei ist der Klägerin insbesondere Gelegenheit zu geben, zu ihrer konkreten Amtsausübung im einzelnen vorzutragen. Auch werden ihre Versetzungsanträge einschließlich der Gründe hierfür zu würdigen sein. Die Klägerin wird die ihr zur Verfügung stehenden Beweismittel angeben müssen (§ 138 Abs. 2 ZPO).
III. Soweit die Klägerin erstinstanzlich gemeint hat. die Kündigung sei schon aus personalvertretungsrechtlichen Gründen unwirksam, kann ihr nicht gefolgt werden.
1. Kündigungsberechtigt war das Oberschulamt Leipzig. Die Schule, an der die Klägerin zuletzt beschäftigt wurde, war nicht zur Kündigung berechtigt. Nach § 82 Abs. 1 PersVG-DDR/BPersVG wäre die Stufenvertretung zu beteiligen gewesen. Eine solche bestand bei der Schulaufsichtsbehörde nicht. Daher entfiel eine personalvertretungsrechtliche Beteiligung.
2. Aus den §§ 82 Abs. 6, 116 b Abs. 2 Nr. 5 PersVG-DDR ergab sich keine Notwendigkeit, einen bestehenden Schul- oder Kreisschulpersonalrat zu beteiligen. Diese Vorschriften sicherten lediglich ein mehrstufiges Beteiligungsverfahren und setzten das Vorhandensein einer erstzuständigen Personalvertretung voraus (ausführlich u.a. Senatsurteil vom 17. Februar 1994 – 8 AZR 68/93 – n.v., zu B V 2 der Gründe).
3. Die Bildung der Stufenvertretung während des Kündigungsrechtsstreits hat die Wirksamkeit der Kündigung nicht berührt, weil es hierfür allein auf die notwendige Beteiligung zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruches ankommt. War zu diesem Zeitpunkt keine beteiligungsfähige zuständige Personalvertretung vorhanden, kann die einmal in personalvertretungsrechtlicher Hinsicht wirksame Kündigung nicht nachträglich unwirksam werden.
4. Die Unwirksamkeit der Kündigung kann auch nicht daraus abgeleitet werden, daß das Sächsische Staatsministerium für Kultus die Einleitung der Wahl eines Hauptpersonalrates bzw. Bezirkspersonalrates in rechtswidriger Weise unterlassen haben soll. Eine Rechtsvorschrift, aus der eine solche Folge hergeleitet werden könnte, existiert nicht. Dem in der Denkschrift zum Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18. Mai 1990 geäußerten Anliegen hat das PersVG-DDR Rechnung getragen.
IV. Nicht zu beanstanden ist, daß der Beklagte die zweimonatige Kündigungsfrist des § 55 Abs. 2 AGB-DDR angewendet hat (vgl. nur Senatsurteile vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 613/92 – n.v., zu B III der Gründe; vom 17. Februar 1994 – 8 AZR 128/93 – n.v., zu B V der Gründe; vom 28. April 1994 – 8 AZR 57/93 – zur Veröffentlichung bestimmt, zu B III der Gründe).
Unterschriften
Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Dr. Mikosch, Morsch, Hennecke
Fundstellen