Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung nach Einigungsvertrag. Beteiligung der Personalvertretung
Normenkette
Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 2, Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 3, Nr. 15a; Einigungsvertrag AnlageI Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 15c; PersVG-DDR/BPersVG § 79 Abs. 4; PersVG-DDR/BPersVG § 82 Abs. 1; PersVG-DDR/BPersVG § 82 Abs. 5; PersVG-DDR/BPersVG § 92 Nr. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 4. Januar 1994 – 12 Sa 94/93 – aufgehoben, soweit es das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und dem Feststellungsantrag des Klägers stattgegeben hat.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 2, 3 Einigungsvertrag (künftig: Abs. 4 EV) gestützten ordentlichen Kündigung.
Der im Jahre 1938 geborene Kläger war seit 1962 Musikarchivar im „E.” der Nationalen Volksarmee der DDR. Mit Inkrafttreten des Einigungsvertrages wurde er als Musikarchivar im „M. der Bundeswehr” weiterbeschäftigt. Für diese Dienststelle der Bundeswehr war ein Personalrat gebildet.
Nachdem die Beklagte entschieden hatte, das M. der Bundeswehr zum 30. Juni 1991 aufzulösen, wurde der Kläger in einem für die Abwicklung gebildeten Nachkommando beschäftigt. Dieses beendete seine Arbeit am 31. März 1992. Die Bestände des Musikarchivs wurden auf das Bundesarchiv übertragen. Sie werden seitdem im militärischen Zwischenarchiv in Potsdam gelagert. Geplant ist die Zuordnung zum Militärarchiv in Freiburg. Seit dem 1. April 1992 ist die Dienststelle „M. der Bundeswehr” endgültig aufgelöst und der Kläger von der Arbeit freigestellt.
Die Beklagte hatte das Arbeitsverhältnis bereits am 28. August 1991 ordentlich zum 30. April 1992 gekündigt. Das Arbeitsgericht Berlin hat diese Kündigung durch rechtskräftig gewordenes Urteil vom 18. Juni 1992 für unwirksam erklärt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Personalrat des „M. der Bundeswehr” sei nicht ordnungsgemäß beteiligt worden.
Mit Schreiben vom 22. Oktober 1992, dem Kläger zugegangen am 27. Oktober 1992, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30. Juni 1993. Die Kündigung wurde ausgesprochen von der Wehrbereichsverwaltung VII als der für personelle Maßnahmen zuständigen Dienststelle. Eine Beteiligung der dort gebildeten Stufenvertretung unterblieb.
Mit der am 13. November 1992 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Kündigung vom 22. Oktober 1992 sei unwirksam. Er hat vorgetragen, das Musikarchiv als solches sei nicht aufgelöst worden, dessen Bestände müßten weiter gepflegt und bearbeitet werden. Angesichts seines Lebensalters sei er in besonderem Maße schutzbedürftig. Er hätte bei einer anderen Dienststelle der Bundeswehr weiterbeschäftigt werden können. Im Rahmen von Personalgesprächen sei ihm erklärt worden, er werde als Archivar vom Militärarchiv Freiburg übernommen. Vor Ausspruch der Kündigung hätte der bei der Wehrbereichsverwaltung VII gebildete Bezirkspersonalrat beteiligt werden müssen.
Der Kläger hat, soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung, beantragt,
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die fristgemäße Kündigung der Beklagten vom 22. Oktober 1992 nicht aufgelöst worden sei.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, mit der endgültigen Auflösung des M. sei die Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger entfallen. Eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit habe danach nicht mehr bestanden. Die Arbeitsverhältnisse aller anderen Arbeitnehmer der Dienststelle seien bereits beendet gewesen. Eine Beteiligung des Bezirkspersonalrats bei der Wehrbereichsverwaltung VII sei nicht erforderlich gewesen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Einen in der Berufungsinstanz erstmals gestellten Antrag des Klägers auf Weiterbeschäftigung als Archivar hat es als unbegründet abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit dieses der Klage stattgegeben hat, und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§§ 564 Abs. 1, 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
I. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt: Die Kündigung vom 22. Oktober 1992 sei gem. § 79 Abs. 4 BPersVG unwirksam. Der Bezirkspersonalrat bei der Wehrbereichsverwaltung VII als die gem. § 82 Abs. 1 BPersVG bei der zuständigen Dienststelle gebildete Stufenvertretung hätte beteiligt werden müssen. Die Dienststelle „M. der Bundeswehr” sei während ihres Bestehens nicht zur Entscheidung über die Kündigung befugt gewesen. Die Notwendigkeit einer Beteiligung der Stufenvertretung ergebe sich erst recht, da die Dienststelle, der der Kläger ursprünglich angehört habe, nicht mehr existiert habe und deren Personalrat sein Amt verloren habe. Ein Ausschluß jeglicher Beteiligung komme nur in Betracht, wenn in der – fortbestehenden – Dienststelle ein Personalrat, z.B. wegen mangelnder Aktivitäten der Arbeitnehmer, nicht bestehe.
II. Diese Ausführungen halten der revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand. Das Landesarbeitsgericht hätte nach den bisher getroffenen Feststellungen der Klage nicht stattgeben dürfen.
1. Die Beteiligungsrechte des Personalrats gem. § 79 PersVG-DDR/BPersVG finden auch auf Kündigungen gem. Abs. 4 EV Anwendung (ständige Rechtsprechung des BAG seit dem Senatsurteil vom 23. September 1993 – 8 AZR 262/92 – AP Nr. 9 zu Art. 20 Einigungsvertrag). Die gesetzlichen Bestimmungen des PersVG-DDR bzw. des BPersVG sind keine eigenständigen oder abweichenden Regelungen im Sinne der Anlage I zum Einigungsvertrag. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das BPersVG oder das PersVG-DDR vom 22. Juli 1990 (GBl. DDR I S. 1014) nach EV Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 15 a und c Anwendung findet; denn die Regelungen sind inhaltsgleich (im folgenden zur Abkürzung nur noch BPersVG). Hiervon ist auch das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgegangen.
2. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch die Voraussetzungen für eine Anwendung des § 82 Abs. 1 BPersVG nicht vollständig beachtet.
a) Gem. § 82 Abs. 1 BPersVG ist in Angelegenheiten, in denen die Dienststelle nicht zur Entscheidung befugt ist, an Stelle des Personalrates die bei der zuständigen Dienststelle gebildete Stufenvertretung zu beteiligen.
aa) Das BPersVG geht von der Partnerschaft zwischen Dienststelle und dem bei ihr gebildeten Personalrat aus. In allen Angelegenheiten, zu deren Entscheidung die Dienststelle befugt ist, ist der bei ihr gebildete Personalrat zu beteiligen (BAG Urteil vom 26. Oktober 1995 – 2 AZR 629/94 – zur Veröffentlichung vorgesehen, zu II 2 a der Gründe; BAG Urteil vom 26. Oktober 1995 – 2 AZR 639/94 – n.v., zu II 2 a der Gründe; Lorenzen, BPersVG, Stand Februar 1996, § 82 Rz. 9, jeweils m.w.N.).
bb) § 82 Abs. 1 BPersVG regelt den Fall, daß eine Entscheidung in einer beteiligungspflichtigen Angelegenheit mit Wirkung für die Beschäftigten einer Dienststelle nicht von dieser getroffen wird, sondern von einer ihr übergeordneten Dienststelle, bei der die Entscheidungskompetenz liegt (Altvater u.a., BPersVG, 3. Aufl., § 82 Rz. 5; Dietz/Richardi, BPersVG, 2. Aufl., § 82 Rz. 3 f.; Fischer/Goeres, Personalvertretungsrecht des Bundes und der Länder, § 82 BPersVG Rz. 5, 7; Grabendorff u.a., BPersVG, 8. Aufl., § 82 Rz. 7; Lorenzen, a.a.O., § 82 Rz. 10). Das ergibt sich gerade aus der Zuständigkeit der „Stufenvertretung”. § 82 Abs. 1 BPersVG betrifft danach die Zuständigkeit der Personalvertretung innerhalb des vertikal gegliederten Behördenaufbaues. Dagegen greift nicht § 82 Abs. 1 BPersVG, sondern § 82 Abs. 5 BPersVG ein, wenn eine Dienststelle Entscheidungen mit Wirkung für Beschäftigte anderer Dienststellen trifft, die ihr nicht nachgeordnet sind (BAG Urteile vom 26. Oktober 1995, a.a.O., jeweils zu II 2 c der Gründe, m.w.N.). Auch in diesem Falle ist die Dienststelle der von der Entscheidung betroffenen Beschäftigten „nicht zur Entscheidung befugt”. Die entscheidende Dienststelle ist aber nicht „zuständige Dienststelle” im Sinne von § 82 Abs. 1 BPersVG. Damit sind nur Dienststellen im Geschäftsbereich der betroffenen Beschäftigten gemeint. Es fehlt im Sinne von § 82 Abs. 5 BPersVG an einer für die Beteiligung zuständigen Personalvertretung (Altvater u.a., a.a.O., § 82 Rz. 14 a.E.; Dietz/Richardi, a.a.O., § 82 Rz. 19; Fischer/Goeres, a.a.O., § 82 Rz. 14; Grabendorff u.a., a.a.O., § 82 Rz. 26; Lorenzen, a.a.O., § 82 Rz. 43; vgl. auch BAG Urteil vom 31. August 1989 – 2 AZR 453/88 – AP Nr. 1 zu § 77 LPVG Schleswig-Holstein, zu I 2 a, b der Gründe sowie BAG Beschluß vom 9. Februar 1993 – 1 ABR 33/92 – BAGE 72, 211, 216 f. = AP Nr. 16 zu Art. 56 ZA-Nato-Truppenstatut).
b) Danach steht die Anwendbarkeit von § 82 Abs. 1 BPersVG im Streitfalle nicht fest.
aa) Der Kläger war zuletzt bei der Dienststelle „M. der Bundeswehr” beschäftigt. Diese Dienststelle hatte, wie das Landesarbeitsgericht unangefochten festgestellt hat, keine Befugnis zur Entscheidung über die Kündigung. Entscheidungsbefugt war die Wehrbereichsverwaltung VII.
Zum Zeitpunkt der Kündigung war die Dienststelle des Klägers bereits aufgelöst. Der Kläger ist bei Auflösung der Dienststelle nicht einer anderen Dienststelle zugeordnet, sondern von der Arbeit freigestellt worden. Auch das hat das Landesarbeitsgericht für den Senat bindend (§ 561 Abs. 2 ZPO) festgestellt. Für die personalvertretungsrechtliche Beteiligung ist auf die Dienststelle abzustellen, der der Kläger zuletzt angehört hat, auch wenn sie zur Zeit der Kündigung bereits aufgelöst war. Daß der Personalrat deswegen nicht mehr im Amt war, hindert nicht, die Stufenvertretung „an Stelle des Personalrates” zu beteiligen.
bb) Die Stufenvertretung bei der Wehrbereichsverwaltung VII war aber nach § 82 Abs. 1 BPersVG nur dann zu beteiligen, wenn es sich bei der Wehrbereichsverwaltung VII um eine übergeordnete Dienststelle gehandelt hat. Nur in diesem Falle konnte die dort gebildete Stufenvertretung zuständige Personalvertretung für die Beteiligung nach § 79 BPersVG sein. Diese Voraussetzung ist vom Landesarbeitsgericht nicht festgestellt. Das wird nachzuholen sein. Angesichts der Trennung von Streitkräften und Bundeswehrverwaltung (vgl. z.B. Altvater u.a., a.a.O., § 92 Rz. 1 ff., 5 ff., 10 ff.; Dietz/Richardi, a.a.O., § 92 Rz. 2 ff.; Grabendorff u.a., a.a.O., § 92 Rz. 2 ff.; Lorenzen, a.a.O., § 92 Rz. 3 ff.; vgl. auch Fischer/Goeres, a.a.O., § 92 Rz. 2 ff.) liegt es nahe, daß kein Stufenverhältnis zwischen dem „M. der Bundeswehr” und der Wehrbereichsverwaltung VII bestand.
c) Sofern keine Über/Unterordnung der genannten Dienststellen gegeben war, ist folgendes zu beachten: Die für diesen Fall an sich vorgesehene Regelung des § 82 Abs. 5 BPersVG kommt nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 92 Nr. 1 BPersVG für den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung nicht zur Anwendung. Statt dessen ist der Personalrat der Beschäftigungsdienststelle zu beteiligen, nachdem zuvor ein Einvernehmen zwischen den Dienststellen über die beabsichtigte Maßnahme hergestellt worden ist. Eine Beteiligung des Personalrats des „M. der Bundeswehr” kam aber nicht mehr in Betracht, da dessen Amtszeit aufgrund der Auflösung der Dienststelle geendet hatte (vgl. BAG Urteil vom 15. Januar 1974 – 1 AZR 234/73 – BAGE 25, 470, 473 = AP Nr. 1 zu § 68 PersVG Baden-Württemberg; Dietz/Richardi, a.a.O., § 27 Rz. 55 ff.; Fischer/Goeres, a.a.O., § 26 Rz. 17, § 27 Rz. 12; Grabendorff u.a., a.a.O., § 26 Rz. 11; Lorenzen, a.a.O., § 26 Rz. 6). Ein sogenanntes Restmandat für die Kündigung des Klägers bestand nicht. Die Beteiligung an der Kündigung war keine mit dem Wegfall der Dienststelle verbundene, noch fortbestehende und abzuwickelnde Aufgabe (vgl. BVerwG Beschluß vom 3. Oktober 1983 – 6 P 23.81 – Buchholz 238.3 A § 83 BPersVG Nr. 22, m.w.N. aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts; Altvater u.a., a.a.O., § 26 Rz. 7). Eine Beteiligung der Stufenvertretung im Instanzenzug ist für diesen Fall gesetzlich nicht vorgesehen.
III. Der Rechtsstreit ist nicht deswegen zugunsten des Klägers zur Endentscheidung reif, weil das Arbeitsgericht Berlin mit Urteil vom 18. Juni 1992 rechtskräftig entschieden hat, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 28. August 1991 nicht aufgelöst worden ist. Die streitgegenständliche Kündigung vom 22. Oktober 1992 wird von der Rechtskraftwirkung dieses Urteils nicht erfaßt. Eine Präjudizwirkung kommt nicht in Betracht (zu Präjudizwirkung und Präklusion bei wiederholter Kündigung vgl. BAG Urteil vom 26. August 1993 – 2 AZR 159/93 – BAGE 74, 143 ff. = AP Nr. 113 zu § 626 BGB; KR-Friedrich, 4. Aufl., § 4 KSchG Rz. 262 ff., 272 f.; Hueck/von Hoyningen-Huene, KSchG, 11. Aufl., § 4 Rz. 90 f.; Herschel/Löwisch, Kommentar zum Kündigungsschutzgesetz, 6. Aufl., § 4 Rz. 54; Ascheid, Kündigungsschutzrecht, Rz. 785; ders., Festschrift für Stahlhacke, 1995, S. 1 ff.). Das Arbeitsgericht hat seine Entscheidung allein darauf gestützt, daß der Personalrat des „M. der Bundeswehr” nicht ordnungsgemäß beteiligt worden sei. Zum Kündigungsgrund hat es nichts gesagt. Im vorliegenden Rechtsstreit geht es dagegen darum, ob bei der späteren Kündigung vom 22. Oktober 1992 überhaupt noch eine Beteiligung nach dem BPersVG erforderlich war.
IV. Der Senat kann die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts auch nicht aus materiell-rechtlichen Gründen im Ergebnis bestätigen. Das Landesarbeitsgericht hat zu den Kündigungsgründen keine abschließenden Feststellungen getroffen und ist in den Entscheidungsgründen hierauf nicht eingegangen. Deswegen sieht der Senat von weiteren Hinweisen ab.
Unterschriften
Ascheid, Müller-Glöge, Mikosch, Scholz, Hickler
Fundstellen