Entscheidungsstichwort (Thema)
Abwicklung nach Einigungsvertrag
Leitsatz (amtlich)
- Eine Einrichtung oder Teileinrichtung wurde im Sinne von Art. 13 EV überführt, wenn der Träger öffentlicher Verwaltung die (Teil-)Einrichtung unverändert fortführte oder er sie unter Erhaltung der Aufgaben, der bisherigen Strukturen sowie des Bestandes an sächlichen Mitteln in die neue Verwaltung eingliederte.
- Wurde die (Teil-)Einrichtung nur vorläufig mit dem Ziele der Auflösung fortgeführt, lag hierin keine Überführung im Sinne von Art. 13 EV.
- Die mit der Abwicklung betrauten Träger öffentlicher Verwaltung waren zu besonderem Schutz der Schwerbehinderten, älteren Arbeitnehmer und Alleinerziehenden verpflichtet. Dieser Schutzpflicht hatten sie bei Neueinstellungen im Rahmen ihres gemäß Art. 33 Abs. 2 GG bestehenden Beurteilungsspielraums zu entsprechen. Eine Pflicht, einen bestimmten Arbeitnehmer einzustellen, bestand nur dann, wenn jede andere Entscheidung rechtswidrig gewesen wäre.
Normenkette
GG Art. 33 Abs. 2; EV Art. 13, 20 Abs. 1; Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 2; ZPO § 565 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
- Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 19. Februar 1992 – 8 Sa 71/91 – und – 8 Sa 13/92 -aufgehoben.
- Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis der Klägerin gemäß Art. 20 Abs. 1 Einigungsvertrag in Verbindung mit Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 2 Sätze 2 und 5 Einigungsvertrag (im folgenden Nr. 1 Abs. 2 EV) ab 3. Oktober 1990 geruht und mit Ablauf des 2. April 1991 geendet hat.
Die am 14. September 1944 geborene Klägerin war seit dem 1. September 1963 beim Meteorologischen Dienst der DDR beschäftigt. Seit 1970 arbeitete sie als Fachwissenschaftlerin, zuletzt im Forschungsinstitut für Hydrometeorologie Berlin (FIH). Das FIH war eine der Forschungsdienststellen des Meteorologischen Dienstes der DDR. Es unterstand einem Direktor und war gegliedert in die Abteilungen Hydrometeorologische Forschung, Operative Hydrometeorologie, Verwaltung, Sekretariat, Information und Dokumentation.
Mit Schreiben vom 24. September 1990 teilte der Präsident des Deutschen Wetterdienstes der Klägerin mit, das Forschungsinstitut für Hydrometeorologie werde nicht gemäß Art. 13 Abs. 2 Einigungsvertrag übernommen, deshalb komme das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum Ruhen.
Der Bundesminister für Verkehr ordnete in einem an den Deutschen Wetterdienst und den Meteorologischen Dienst der DDR gerichteten Erlaß vom 25. September 1990 an:
“
Mit Wirksamwerden des Beitritts der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) zur Bundesrepublik Deutschland tritt nach Artikel 8 des Einigungsvertrages das Gesetz über den Deutschen Wetterdienst (DWD) vom 11. November 1952 (BGBl. I S. 738) auch auf dem Gebiet der bisherigen DDR in Kraft. Damit sind die nach diesem Gesetz dem DWD obliegenden Aufgaben auch für dieses Gebiet vom DWD zu erfüllen.
Der Meteorologische Dienst der DDR untersteht nach Art. 13 Abs. 2 des Einigungsvertrages ab dem Wirksamwerden des Beitritts dem Bundesminister für Verkehr (BMV), der die Überführung in den DWD bzw. die Abwicklung zu regeln hat.
Mit Wirkung ab dem 3. Oktober 1990 wird folgendes geregelt:
…
Forschungsinstitut für Hydrometeorologie Berlin
Das Forschungsinstitut für Hydrometeorologie wird aufgelöst. Ein Teil der Aufgaben wird durch die Außenstelle der Abteilung Klimatologie des Zentralamtes in P… weitergeführt.”
Seit dem 3. Oktober 1990 ist in den zuvor vom Forschungsinstitut für Hydrometeorologie Berlin genutzten Räumen die Außenstelle P… des Deutschen Wetterdienstes tätig. In ihr werden 28 der ehemals 52 Mitarbeiter des Forschungsinstitutes beschäftigt.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Deutsche Wetterdienst habe das FIH überführt. Deshalb habe ihr Arbeitsverhältnis nicht geruht und über den 2. April 1991 hinaus fortbestanden. Hilfsweise hat sie geltend gemacht, sie sei Alleinerziehende im Sinne der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. April 1991 und hätte deshalb weiterverwendet werden müssen.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien im Zeitraum vom 3. Oktober 1990 bis 2. April 1991 nicht ruhte und über den 2. April 1991 hinaus fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat geltend gemacht, es sei die Auflösung des FIH beschlossen und umgesetzt worden. Auch die Forschungsaufgaben, mit denen die Klägerin hauptsächlich befaßt gewesen sei, würden nicht weitergeführt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben. Die Sache ist zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 ZPO). Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, das Arbeitsverhältnis bestehe zwischen den Parteien unverändert fort.
I. Gemäß Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 2 Satz 1 EV trat das Ruhen des Arbeitsverhältnisses nicht ein, wenn die (Teil-)Einrichtung, in der der Arbeitnehmer vor dem 3. Oktober 1990 beschäftigt war, gemäß Art. 13 Abs. 2 EV auf die Beklagte überführt wurde.
1. Die Überführung einer Einrichtung gemäß Art. 13 EV bedurfte einer auf den verwaltungsinternen Bereich zielenden Organisationsentscheidung der zuständigen Stelle. Diese Überführungsentscheidung konnte eine Einrichtung als ganze oder als eine Teileinrichtung betreffen, die ihre Aufgabe selbständig erfüllen konnte (BAG Urteil vom 3. September 1992 – 8 AZR 45/92 – DB 1993, 44, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt). Die Überführungsentscheidung war mangels außenwirksamer Regelung kein Verwaltungsakt (BAG, aaO; BVerwG Urteil vom 12. Juni 1992 – 7 C 5/92 – ZIP 1992, 1275). Sie konnte formfrei ergehen, also auch konkludent verlautbart werden.
2. Eine überführungsfähige Teileinrichtung war gegeben, wenn sie ihre Aufgabe selbständig erfüllen konnte. Dies setzte eine organisatorisch abgrenzbare Funktionseinheit mit eigener Aufgabenstellung und der Fähigkeit zu einer aufgabenbezogenen Eigensteuerung voraus. Die Organisationsentscheidung nach Art. 13 EV war weder personen- noch arbeitsplatzbezogen. Sie betraf funktionsfähige Organisationseinheiten, die vor dem 3. Oktober 1990 die Fähigkeit zu aufgabenbezogener Eigensteuerung und selbständiger Aufgabenerfüllung besaßen.
3. Bei der Feststellung einer organisatorischen Abgrenzbarkeit der Teileinrichtung ist nicht abzustellen auf die für Behörden typischen internen Untergliederungen wie Abteilung, Referat oder Dezernat, die lediglich zu Zwecken der Geschäftsverteilung gebildet werden. Entscheidend ist vielmehr, daß der betroffene Teil als organisatorisch abgrenzbare Funktionseinheit auch nach außen mit einem gewissen Grad an Selbständigkeit handeln konnte, ohne daß ihm damit zugleich eigene Rechtspersönlichkeit oder Behördencharakter zukommen müßte. Auf eine entsprechende organisatorische Eigenständigkeit lassen eine eigene interne Geschäftsverteilung sowie eine zumindest teilweise selbständige Wahrnehmung von Dienst- und Organisationsangelegenheiten innerhalb des der betroffenen Einheit zugewiesenen Aufgabenbereiches schließen. Insofern ist die Verwaltungsorganisation der DDR zu beurteilen.
4. Eine Einrichtung oder Teileinrichtung wurde im Sinne von Art. 13 EV überführt, wenn der Träger öffentlicher Verwaltung die (Teil-)Einrichtung unverändert fortführte oder er sie unter Erhaltung der Aufgaben, der bisherigen Strukturen sowie des Bestandes an sächlichen Mitteln (wie Grundstücken, Büro- und Diensträumen sowie Arbeitsmitteln) in die neue Verwaltung eingliederte.
Wurde die (Teil-)Einrichtung nur vorläufig mit dem Ziele der Auflösung fortgeführt, lag hierin keine Überführung im Sinne von Art. 13 EV.
5. Die gesetzliche Folge der Abwicklung trat ein, wenn es an einer positiven, gegebenenfalls auch konkludenten Organisationsentscheidung fehlte. Jedenfalls im Bundesbereich sollte nach den Vorstellungen der Vertragsparteien des Einigungsvertrages in der Regel bis zum 3. Oktober 1990 über die Überführung von Einrichtungen gemäß Art. 13 EV entschieden sein. Dies ergibt sich aus der Fußnote zu Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 2 der Anlage I (künftig: Nr. 1 Abs. 2 EV). Danach sollte der Ruhensbeginn der Arbeitsverhältnisse um bis zu drei Monate hinausgeschoben werden können, wenn “eine Entscheidung nach Art. 13 Abs. 2 bis zum Tage des Wirksamwerdens des Beitritts nicht möglich” wäre. Demgegenüber enthält die für Organisationsentscheidungen maßgebliche Norm des Art. 13 EV keine zeitliche Befristung. Die Überführungsentscheidung konnte vor und nach dem 3. Oktober 1990 erfolgen. Aus der Fußnote zu Nr. 1 Abs. 2 EV könnte allenfalls zu folgern sein, daß die Überführungsentscheidung spätestens am 2. Januar 1991 ergehen mußte. Hingegen gibt diese Fußnote keine Veranlassung anzunehmen, daß bei unterlassenem Hinausschieben des Ruhensbeginns eine Überführungsentscheidung ab dem 3. Oktober 1990 ausgeschlossen gewesen wäre. Unterblieben bis zum 3. Oktober 1990 sowohl die Überführung als auch das Hinausschieben des Ruhensbeginns, trat kraft Gesetzes die Abwicklung der Einrichtung ein (BAG Urteil vom 3. September 1992 – 8 AZR 45/92 –, aaO). Die Abwicklung der Einrichtung löste das Ruhen der Arbeitsverhältnisse der an dieser Einrichtung beschäftigten Arbeitnehmer aus. Wurde erst nach dem Wirksamwerden des Beitritts entschieden, die Einrichtung zu überführen, beseitigte dies die eingetretenen Rechtsfolgen der zuvor unterlassenen Überführungsentscheidung. Hatte die zuständige Stelle gemäß der Fußnote zu Nr. 1 Abs. 2 EV den Beginn des Ruhens der Arbeitsverhältnisse hinausgeschoben, wurde dadurch zugleich der für den Eintritt der Abwicklung maßgebliche Zeitpunkt hinausgeschoben.
6. Macht ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes der ehemaligen DDR geltend, sein Arbeitsverhältnis sei gemäß Nr. 1 Abs. 2 Satz 1 EV auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen und bestehe als aktives fort, hat er die Überführung der (Teil-)Einrichtung darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen (BAG Urteil vom 15. Oktober 1992 – 8 AZR 145/92 – zur Veröffentlichung bestimmt).
II. Die Klägerin hat die tatsächlichen Voraussetzungen einer Überführung bisher nicht dargetan. Der Klägerin muß Gelegenheit gegeben werden, ihren Tatsachenvortrag an den Rechtsausführungen des Senats gemäß § 278 Abs. 3 ZPO auszurichten.
1. Es sind die Tatsachen darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, aus denen zu folgern ist, daß das FIH eine Einrichtung oder Teileinrichtung im Sinne von Art. 13 EV war.
2. Kann das Landesarbeitsgericht dies aufgrund des neuen Sachund Streitstandes feststellen, wird zu prüfen sein, ob das FIH im Sinne von Art. 13 Abs. 2 EV überführt wurde. Ausgehend von dem Erlaß des Bundesministers für Verkehr vom 25. September 1990 ist festzustellen, ob es zu einer Überführung einer (Teil-)Einrichtung im Sinne von Art. 13 EV gekommen ist. Der Wortlaut des Organisationserlasses gibt einen ersten Anhaltspunkt, ist aber auslegungsfähig. Danach sollte das FIH zwar aufgelöst werden, ein Teil der Aufgaben aber durch die (neuzubildende) Außenstelle der Abteilung Klimatologie des Zentralamtes in P… weitergeführt werden. Eine Konkretisierung unterläßt der Organisationserlaß. Es ist deshalb zu klären, ob nicht mit der “Auflösung” im Sinne des Organisationserlasses lediglich die Aufhebung der organisatorisch selbständigen Einrichtung “FIH” gemeint war. Diese Aufhebung würde nicht in jedem Falle einer “Überführung” im Sinne von Art. 13 EV entgegenstehen. Die angeordnete Weiterführung eines Teiles der Aufgaben des FIH durch die Außenstelle P… in den bisherigen Räumen des FIH läßt offen, ob die neue Organisation in ihrer Eigenständigkeit der (noch nicht festgestellten) alten Regelung entspricht. Es bedürfte neben der Ermittlung der eine (Teil-) Einrichtung im Sinne von Art. 13 EV ausmachenden Umstände auch der Feststellung, ob und gegebenenfalls in welcher Weise diese Umstände ab dem 3. Oktober 1990 neu geregelt wurden.
Neben diesen Voraussetzungen wird auch die Frage bedeutsam sein, ob ein gegebenenfalls vorübergehender Betrieb auf die Abwicklung der Einrichtung oder die Fortsetzung früherer Tätigkeit gerichtet war. Der entsprechende Sachvortrag der Beklagten ist erheblich. Dabei wird das Berufungsgericht zu beachten haben, daß die Überführung im Sinne von Art. 13 EV nicht nach den Regeln des Anscheinsbeweises beurteilt werden kann. Sie ist eine Rechtstatsache und leitet sich aus festzustellenden Tatsachen ab. Die Rechtfertigung für den Anscheinsbeweis liegt in dem typischen Geschehensablauf einer bestimmten Fallgestaltung (vgl. Stein/Jonas/Schumann/Leipold, ZPO, 20. Aufl., § 286 Rz 94). Der Anscheinsbeweis beruht auf der Lebenserfahrung, wonach bestimmte Geschehensabläufe eine gleichbleibende Ursache haben. Typische Geschehensabläufe sind solche Tatbestände, bei denen die allgemeine Lebenserfahrung ohne weiteres eine naheliegende Erklärung bietet und bei denen die konkreten Umstände angesichts des typischen Charakters ohne Belang sind (Stein/Jonas/Schumann/Leipold, aaO, Rz 88). Ein gesicherter Erfahrungssatz ist dafür unverzichtbar. Dieser muß in jederzeit überprüfbarer Weise zu formulieren sein, anderenfalls würde es sich lediglich um ein Vorurteil handeln (vgl. Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl., 1986, § 114 II 1).
III. Die Hilfsbegründung des Berufungsurteils, das Arbeitsverhältnis der Klägerin habe aufgrund eines Schadensersatzanspruches als aktives fortbestanden, ist unzutreffend. Für den vom Berufungsgericht angenommenen Schadensersatzanspruch ist keine Anspruchsgrundlage ersichtlich. Insbesondere sind die Voraussetzungen der vom Berufungsgericht angedeuteten positiven Forderungsverletzung nicht gegeben.
Die Beklagte war arbeitsvertraglich nicht verpflichtet, die Klägerin weiterzuverwenden. Wurde das FIH nicht überführt und wurde es dementsprechend abgewickelt, wie das Berufungsgericht im Rahmen seiner Hilfsbegründung unterstellt, war über die Neueinstellung ehemaliger Mitarbeiter des Meteorologischen Dienstes der DDR als Mitarbeiter des Deutschen Wetterdienstes gemäß Art. 33 Abs. 2 GG zu entscheiden. Die dazu notwendige Feststellung, ob ein Bewerber geeignet ist, setzt eine vorausschauende Bewertung der Persönlichkeit der Bewerber voraus. Diese gründet sich auf eine Vielzahl von Elementen, deren Bewertung und Gewichtung auch vom persönlichen Eindruck abhängen. Die Beurteilung des Einstellungsberechtigten kann durch ein Gericht nur daraufhin überprüft werden, ob er von einem richtigen Sachverhalt ausgegangen ist, ob er sich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen und ob er die Entscheidung in einem fehlerfreien Verfahren gebildet hat (BAGE 33, 43 = AP Nr. 6 zu Art. 33 Abs. 2 GG). Eine Pflicht zum Abschluß konkreter Arbeitsverträge kann hieraus nur dann folgen, wenn jede andere Entscheidung rechtswidrig wäre. Ein derartiger Sonderfall wäre vom Bewerber darzulegen. Hieran fehlt es im vorliegenden Fall, zumal nicht ersichtlich ist, welcher neue Arbeitsplatz in der neustrukturierten Verwaltung der Beklagten mit der Klägerin zu besetzen gewesen sein könnte.
Abweichendes ergibt sich nicht aus der verfassungskonformen Auslegung der Regelungen des Einigungsvertrages in Art. 13, 20 in Verbindung mit Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 durch das Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 24. April 1991 (BVerfGE 84, 133, 154). Danach ist die Regelung des Einigungsvertrages für einige Betroffene, zu denen namentlich die Schwerbehinderten, die älteren Arbeitnehmer und die Alleinerziehenden gehören, nur vertretbar, wenn der Staat zu ihrer Wiedereingliederung in das Berufsleben besondere Bemühungen unternimmt und ihnen eine begründete Aussicht auf eine neue Stelle im öffentlichen Dienst bietet. Dies müsse bei der Besetzung von Stellen angemessen berücksichtigt werden.
Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts an der Bindungswirkung gemäß § 31 BVerfGG teilhaben (vgl. LAG Berlin Urteil vom 30. Juni 1992 – 3 Sa 41/92 – BB 1993, 74; Urteil vom 31. August 1992 – 12 Sa 56/92 – BB 1993, 75 f.; Berger-Delhey, ZTR 1991, 418, 421), denn den Erfordernissen der verfassungskonformen Auslegung der Art. 13, 20 EV kann im Rahmen der Anwendung von Art. 33 Abs. 2 GG entsprochen werden.
Wird mit dem Bundesverfassungsgericht davon ausgegangen, daß es zur Weiterverwendung von Arbeitnehmern aus der Warteschleife des Abschlusses von Arbeitsverträgen oder der erstmaligen Berufung in ein Beamtenverhältnis bedurfte, war über die Weiterverwendung gemäß Art. 33 Abs. 2 GG zu entscheiden. Dabei kam den mit der Abwicklung der DDR-Verwaltung betrauten Trägern öffentlicher Verwaltung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Aufgabe zu, die Pflicht des Staates zu besonderem Schutz der Schwerbehinderten, älteren Arbeitnehmer und Alleinerziehenden umzusetzen (vgl. Korinth, Deutsch-deutsche Rechtsfragen, Teil 8/3.4, Seite 15). Zugleich hat das Bundesverfassungsgericht aber ausgesprochen, daß der notwendige rasche Aufbau einer modernen, effektiven und nach rechtsstaatlichen Maßstäben arbeitenden Verwaltung ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut ist (BVerfGE 84, 133, 151), das nach der vom Bundesverfassungsgericht geteilten Einschätzung der Bundesregierung einen Abbau des “erheblich überbesetzten” Personalbestandes erfordert. Angesichts der erdrückenden Aufgabenlast der öffentlichen Verwaltung im Beitrittsgebiet kommt dem verfassungsrechtlich geforderten Leistungsprinzip besondere Bedeutung zu. Wegen des im Interesse der Effizienz der Verwaltung und der öffentlichen Haushalte mit einer unverzichtbaren Verwaltungsreform einhergehenden Personalabbaues im öffentlichen Dienst des Beitrittsgebietes ist die vom Bundesverfassungsgericht geforderte “begründete Aussicht” mit den anderen verfassungsrechtlichen Vorgaben in praktischer Konkordanz zu realisieren. Wenn das Bundesverfassungsgericht ausführt, dies müsse bei der Besetzung von Stellen angemessen berücksichtigt werden, legt es ein im Rahmen des der einstellenden Behörde zukommenden Beurteilungsspielraumes zu berücksichtigendes Kriterium, aber keinen Einstellungsanspruch Einzelner fest. Hieraus kann die Pflicht zum Abschluß eines konkreten Arbeitsvertrages nur dann folgen, wenn jede andere Entscheidung rechtswidrig wäre. Lägen diese Voraussetzungen vor, bestünde ein Anspruch des im Wartestand befindlichen Beschäftigten auf erstmalige Berufung in ein Beamtenverhältnis oder Abschluß eines Arbeitsvertrages. Jedoch wäre der Eintritt des Ruhens des vor dem 3. Oktober 1990 begründeten Arbeitsverhältnisses gemäß Nr. 1 Abs. 2 Satz 2 EV hiervon unberührt geblieben.
Unterschriften
Michels-Holl, Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Schömburg, Schmitzberger
Fundstellen
Haufe-Index 845845 |
BAGE, 176 |
JR 1993, 440 |
NZA 1993, 1037 |
AuA 1993, 283 |