Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordentliche Kündigung. Auflösungsantrag des Arbeitgebers
Leitsatz (redaktionell)
Die vorsätzliche Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung im Rechtsstreit mit dem Arbeitgeber kann die ordentliche oder außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Voraussetzung hierfür ist die objektive Unrichtigkeit von tatsächlichen Behauptungen; Äußerungen, die ein Werturteil enthalten, können nicht tauglicher Gegenstand einer eidesstattlichen Versicherung sein.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 1-2, § 9 Abs. 1 S. 2; BGB §§ 134, 241 Abs. 2; SGB IX § 2 Abs. 2-3, § 68 Abs. 1, 3, § 69 Abs. 1-2, § 85; GG Art. 5
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 21. November 2012 – 8 Sa 627/12 – aufgehoben.
2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 3. Juli 2012 – 31 Ca 13956/11 – wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen den Feststellungsausspruch richtet.
3. Im Übrigen wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und einen Auflösungsantrag der Beklagten.
Die Beklagte, ein US-amerikanisches Unternehmen, produziert und vertreibt medizinische Produkte. Sie hat in Deutschland eine Niederlassung mit ca. 130 Arbeitnehmern. Die 1968 geborene Klägerin trat im Januar 2005 in ihre Dienste. Seit November 2009 war die Klägerin als „Direct Marketing Supervisor” tätig. In dieser Funktion leitete sie ein Team von acht Mitarbeitern. Ihre Arbeitsaufgaben ergaben sich aus einer „Stellen-/Positionsbeschreibung” und aus jährlich getroffenen Zielvereinbarungen.
In der Zeit von Ende August bis Mitte Oktober 2011 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Am 8. September 2011 beantragte sie beim Versorgungsamt ihre Anerkennung als schwerbehinderter Mensch. Kurz darauf unterrichtete sie davon die Beklagte. Am 17. Oktober 2011 – dem Tag der Wiederaufnahme ihrer Arbeit – wurde ihr in einem Personalgespräch eröffnet, sie sei bis auf Weiteres gegenüber den Mitarbeitern ihres Teams nicht mehr weisungsberechtigt. Außerdem wurde ihr – anders als zuvor – ein Einzelbüro zugewiesen. Am 19., 20. und am 25. Oktober 2011 arbeitete sie auf Weisung der Beklagten eine Kollegin in das „Reporting” über „Direktmarketing(DM)-Aktivitäten” ein.
Am 28. Oktober 2011 beantragte die Klägerin beim Arbeitsgericht, die Beklagte im Wege der einstweiligen Verfügung zu verpflichten, sie als „Direct Marketing Supervisor” einzusetzen und tätig werden zu lassen. Hilfsweise begehrte sie die Zuweisung von Tätigkeiten, die in ihrer Wertigkeit dieser Position entsprächen. Dem Gesuch fügte sie – neben ihrem Arbeitsvertrag und der „Stellen-/Positionsbeschreibung” – eine eidesstattliche Versicherung vom 27. Oktober 2011 bei. Darin heißt es:
„In Kenntnis und im Bewusstsein der Tatsache, dass die vorsätzliche und fahrlässige Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung strafbar ist und diese eidesstattliche Versicherung Behörden und Gerichten vorgelegt wird, versichere ich […]:
…
Am 17.10.2011 fand ein Gespräch zwischen der Geschäftsleitung, der Personalleitung und mir statt, in welchem mir durch den Managing Director / Country Manager Herrn Dr. […] mitgeteilt wurde, dass mir die Teamleitung entzogen und ich in ein Einzelbüro versetzt werde. Am Abend dieses Tages erhielt ich per E-Mail die Anordnung von Herrn Dr. […], dass ich mich ab sofort morgens und abends an der Rezeption an- und abzumelden habe. Bei [der Beklagten] gibt es kein Zeiterfassungssystem. …
Am 19., 20. und 25.10.2011 musste ich meine Mitarbeiterin […] in meine bisherigen Tätigkeiten einarbeiten. Am 21.10.2011 habe ich die offizielle Anordnung erhalten, ab sofort direkt an Herrn Dr. […] zu berichten. Gleichzeitig wurde mir mitgeteilt, dass das Direct-Marketing Team ab sofort bis auf weiteres von Frau […] geleitet wird. …
Faktisch werden mir seit dem 17.10.2011 keine Aufgaben mehr übertragen. Vielmehr wurden mir sämtliche Aufgaben und Verantwortung entzogen. Ich sitze in einem „leeren Büro” und darf keinen Kontakt zu meinen Mitarbeitern und Kollegen haben und ihnen keine Weisungen mehr erteilen.”
Am 4. November 2011 schlossen die Parteien zur Beendigung des Verfahrens einen gerichtlichen Vergleich. Die Beklagte verpflichtete sich, die Klägerin zu unveränderten Arbeitsbedingungen gemäß der Stellenbeschreibung mit der Einschränkung zu beschäftigen, dass es beim Entzug der Weisungsberechtigung verbleibe. Diese Abrede sollte längstens bis zum 15. Dezember 2011 gelten.
Mit Schreiben vom 30. November 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Januar 2012. Sie hielt der Klägerin vor, bei Gericht eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben zu haben. Dagegen erhob die Klägerin fristgerecht die vorliegende Klage.
Mit Bescheid vom 17. Juli 2012 stellte das Versorgungsamt bei der Klägerin eine Behinderung mit einem Grad von 30 fest. Am 26. Juli 2012 beantragte diese bei der Bundesagentur für Arbeit ihre Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Mit Bescheid vom 18. September 2012 sicherte die Bundesagentur die Gleichstellung für den Fall zu, dass im Zuge ihrer Vermittlungsbemühungen oder eigener Bemühungen der Klägerin um einen Arbeitsplatz ein Arbeitgeber die Einstellung vom Vorliegen einer Schwerbehinderung abhängig machen sollte.
Die Klägerin hat geltend gemacht, die Kündigung sei schon deshalb unwirksam, weil die Beklagte – unstreitig – eine Zustimmung des Integrationsamts nicht eingeholt habe. Jedenfalls sei die Kündigung sozial ungerechtfertigt. Der Vorwurf, sie habe ihre Vertragspflichten durch ihre eidesstattliche Erklärung verletzt, sei unberechtigt. Sie habe den Sachverhalt aus ihrer damaligen Perspektive zutreffend dargestellt. Mit dem Ausdruck „leeres Büro” habe sie – erkennbar – ein „menschen- und aufgabenleeres Büro” gemeint. Die einer Kollegin übertragene Aufgabe des „Reporting” über „DM-Aktivitäten” habe neben der Personalführung den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit ausgemacht. Die betreffenden Anordnungen habe sie deshalb als den Entzug sämtlicher Aufgaben empfunden. Konkrete Arbeitsanweisungen seien ihr in der fraglichen Zeit nicht erteilt worden. Der Auswertung von Patientendatenbanken habe sie sich nur gewidmet, um nicht mit dem Vorwurf einer Arbeitsverweigerung konfrontiert zu werden. Sie sei vom innerbetrieblichen E-Mail-Verkehr abgeschnitten gewesen. Auch sonstige Post habe sie nicht mehr erreicht. Sie sei nicht zu „DM-Konferenzen” eingeladen worden, auch nicht zur Weihnachtsfeier oder anderen Treffen im Kollegenkreis. Mit ihr sei kaum mehr gesprochen worden. Sie habe davon ausgehen müssen, dies gehe auf die Beklagte zurück, nachdem diese sie bereits zu einem früheren Zeitpunkt darum gebeten habe, mit einer Kollegin während schwebender Auseinandersetzungen keinen Umgang zu pflegen.
Die Klägerin hat beantragt
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 30. November 2011 nicht aufgelöst worden ist;
- die Beklagte zu verurteilen, sie bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Bedingungen als „Direct Marketing Supervisor” weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte hat zuletzt beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise,
das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, die 15.000,00 Euro brutto nicht überschreiten möge, zum 31. Januar 2012 aufzulösen.
Die Beklagte hat gemeint, die Kündigung sei durch Gründe im Verhalten der Klägerin bedingt. Diese habe in dem vorausgegangenen Verfahren vorsätzlich eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben. Das „Reporting” und die Anleitung des nachgeordneten Bereichs hätten nur einen Teil ihrer Tätigkeiten ausgemacht. Alle sonstigen in der Stellenbeschreibung genannten Aufgaben aus dem Bereich „Daily business tasks DM Team” seien der Klägerin – bis auf die Teilnahme an Messen und Kongressen – geblieben. Die Behauptungen, sie habe eine Kollegin in „ihre bisherigen Aufgaben einarbeiten [müssen]” und ihr seien „sämtliche Aufgaben und Verantwortung entzogen [worden]”, seien deshalb objektiv falsch. Ebenso falsch sei die mit dem Hinweis auf ein „leeres Büro” verbundene Behauptung, untätig zu sein. Die Klägerin habe sich mit der Auswertung von Patientendatenbanken einer ihr originär übertragenen Arbeitsaufgabe gewidmet. Das ihr zugewiesene Büro sei voll ausgestattet gewesen. Die räumliche Veränderung sei ausschließlich durch den Wechsel von Mitarbeitern einer Schwesterfirma zu ihr – der Beklagten – bedingt gewesen. Es habe auch kein Verbot bestanden, mit Arbeitskollegen Kontakt zu pflegen. Soweit sich die Klägerin auf gegenteilige subjektive Einschätzungen berufe, handele es sich um Schutzbehauptungen. Einer Abmahnung habe es nicht bedurft. Die Klägerin habe versucht, durch eine verzerrende Darstellung der betrieblichen Verhältnisse einen Prozesserfolg zu ihrem – der Beklagten – Nachteil zu erzielen.
Zumindest sei der Auflösungsantrag begründet. Eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit mit der Klägerin sei nicht mehr zu erwarten. Man führe mittlerweile mehrere Rechtsstreitigkeiten gegeneinander, in denen die Klägerin bewusst falsche Tatsachenbehauptungen aufgestellt habe. Ihr fehle zudem die Bereitschaft, ihre neue Vorgesetzte zu akzeptieren.
Die Klägerin hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben; ihren Auflösungsantrag hatte die Beklagte erstinstanzlich noch nicht gestellt. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Revision begehrt die Klägerin auch mit Blick auf den Auflösungsantrag die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und im Umfang des Feststellungsbegehrens zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 563 Abs. 3 ZPO). Im Übrigen war die Sache mangels Entscheidungsreife an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
A. Die Revision ist zulässig. Dass sie vor Zustellung des Berufungsurteils eingelegt wurde, ist unerheblich. Es genügt, dass im Zeitpunkt der Rechtsmitteleinlegung – wie hier – die angefochtene Entscheidung bereits verkündet war (vgl. BAG 26. Juli 2012 – 6 AZR 52/11 – Rn. 18 mwN). Die Revisionsbegründungsfrist (§ 74 Abs. 1 Satz 1 bis 3 ArbGG) ist gewahrt.
B. Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Kündigung vom 30. November 2011 ist unwirksam (I.). Ob der damit zur Entscheidung angefallene Auflösungsantrag der Beklagten begründet ist, steht noch nicht fest (II.). Der insoweit gebotenen Zurückverweisung unterliegt auch der Antrag der Klägerin auf vorläufige Weiterbeschäftigung (III.).
I. Die Kündigung ist unwirksam. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin bedingt und deshalb sozial ungerechtfertigt (§ 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG).
1. Eine Kündigung ist iSv. § 1 Abs. 2 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht. Das wiederum ist nicht der Fall, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken (BAG 10. April 2014 – 2 AZR 684/13 – Rn. 13; 3. November 2011 – 2 AZR 748/10 – Rn. 20 mwN).
2. Gibt der Arbeitnehmer in einem Rechtsstreit mit dem Arbeitgeber vorsätzlich eine falsche eidesstattliche Versicherung ab, kann dies die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses – womöglich gar die außerordentliche – rechtfertigen (st. Rspr., BAG 24. November 2005 – 2 ABR 55/04 – Rn. 23; 20. November 1987 – 2 AZR 266/87 – zu II 2 a der Gründe mwN). Ein solches Verhalten stellt – unabhängig von seiner Strafbarkeit – eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Nebenpflicht dar, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen und sie in zumutbarem Umfang zu wahren. Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer in einem Gerichtsverfahren mit dem Arbeitgeber leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellt, deren Unhaltbarkeit auf der Hand liegt (BAG 29. August 2013 – 2 AZR 419/12 – Rn. 37; 24. März 2011 – 2 AZR 674/09 – Rn. 22).
3. Ein Arbeitnehmer kann sich für falsche Tatsachenbehauptungen nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Unrichtige Angaben sind vom Schutzbereich des Grundrechts nicht umfasst (BVerfG 25. Oktober 2012 – 1 BvR 901/11 – Rn. 19). Anderes gilt für Äußerungen, die ein Werturteil enthalten. Sie können zum einen – ebenso wie rechtliche Schlussfolgerungen oder die Wiedergabe subjektiver Einschätzungen – nicht tauglicher Gegenstand einer eidesstattlichen Versicherung sein (vgl. MünchKommStGB/ Müller 2. Aufl. § 156 Rn. 60). Im Zivilprozess können lediglich tatsächliche Behauptungen durch Versicherung an Eides statt glaubhaft gemacht werden (§ 294 Abs. 1 ZPO). Werturteile fallen zum anderen in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG 25. Oktober 2012 – 1 BvR 901/11 – Rn. 18; 8. Mai 2007 – 1 BvR 193/05 – Rn. 21).
4. Eine Tatsachenbehauptung zeichnet sich dadurch aus, dass die Erklärung einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist (BAG 29. August 2013 – 2 AZR 419/12 – Rn. 35; BGH 22. Februar 2011 – VI ZR 120/10 –Rn. 22; jeweils mwN). Falsch ist eine Behauptung, wenn sie im Hinblick auf ihren Gegenstand der Wahrheit nicht entspricht, also die Wirklichkeit unzutreffend wiedergibt. Das ist der Fall, wenn der Inhalt der Aussage mit der objektiven Sachlage nicht übereinstimmt. Auch das Verschweigen von Tatsachen macht eine Behauptung falsch, wenn die spezifische Unvollständigkeit nicht offenbart, sondern die Aussage als vollständige ausgegeben wird und dadurch ihr Gegenstand in einem falschen Licht erscheint (BGH 26. Oktober 1999 – VI ZR 322/98 – zu II 2 a der Gründe mwN; Cramer Jura 1998, 337). Dabei ist freilich zu berücksichtigen, dass jede Äußerung in ihrem Kontext zu sehen ist und nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden darf (BAG 29. August 2013 – 2 AZR 419/12 – Rn. 40; BGH 26. Oktober 1999 – VI ZR 322/98 – zu II 2 der Gründe). Das gilt auch im Rahmen der Beurteilung, ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil anzusehen ist (vgl. BVerfG 24. Juli 2013 – 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 – Rn. 18; BAG 29. August 2013 – 2 AZR 419/12 – aaO). Die jeweilige Einstufung durch das Berufungsgericht unterliegt der uneingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle (vgl. BGH 16. November 2004 – VI ZR 298/03 – zu II 2 a aa der Gründe; zum Fehlen einer Bindung an die Feststellungen der Tatsachengerichte siehe auch BVerfG 19. April 1990 – 1 BvR 40/86, 1 BvR 42/86 – zu B II 1 der Gründe, BVerfGE 82, 43).
5. Danach war eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien nicht gerechtfertigt.
a) Die Beklagte stützt ihre Kündigung auf die eidesstattliche Versicherung der Klägerin vom 27. Oktober 2011. Diese scheidet nicht deshalb als Kündigungsgrund aus, weil sich die Parteien in dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf einen Vergleich verständigt haben. Dadurch hat die Beklagte nicht zum Ausdruck gebracht, sie werde aus dem vorausgegangenen Verhalten der Klägerin keine nachteiligen Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses mehr ableiten. Mit der Kündigung hat sich die Beklagte auch nicht in einen nach § 242 BGB beachtlichen Widerspruch zu den materiellen Regelungen des Vergleichs gesetzt. Die Verständigung über die Modalitäten einer Beschäftigung der Klägerin bezieht sich auf das ungekündigte Arbeitsverhältnis. Die Regelungen sollten überdies allenfalls bis zum 15. Dezember 2011 gelten und hatten dementsprechend nur vorläufigen Charakter. Jedenfalls an einer ordentlichen, für einen späteren Zeitpunkt erklärten Kündigung war die Beklagte aufgrund des Vergleichs nicht gehindert. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.
b) Nicht frei von Rechtsfehlern ist seine Würdigung, die eidesstattliche Erklärung enthalte in allen beanstandeten Punkten falsche Tatsachenbehauptungen.
aa) Bei der Äußerung der Klägerin, sie habe eine Kollegin in „ihre bisherigen Tätigkeiten” einarbeiten müssen, mag es sich zwar um eine Tatsachenbehauptung handeln. Diese ist aber nicht deshalb objektiv falsch, weil die Klägerin ihre Kollegin – unstreitig – lediglich in die „Patientenselektion der Datenbank” und das monatliche Berichtswesen, demnach nur in einem Teil ihrer Arbeitsaufgaben einweisen musste. Soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, die Klägerin habe in ihrer Versicherung – fälschlich – zum Ausdruck gebracht, sie habe die Kollegin in sämtliche ihrer Tätigkeiten einarbeiten müssen, übersieht es, dass die beanstandete Aussage einen solchen Sinn schon dem Wortlaut nach nicht enthält.
bb) Ein solches Verständnis ist nicht deshalb geboten, weil die Klägerin im letzten Absatz ihrer Versicherung angegeben hat, ihr seien „sämtliche Aufgaben und Verantwortung entzogen worden”. Die Äußerung schließt sich unmittelbar an die Behauptung an, ihr seien seit dem 17. Oktober 2011 „faktisch” keine Aufgaben mehr übertragen worden. Das lässt zum einen die Interpretation zu, dass sie mit der beanstandeten Aussage – erneut – nur auf das Fehlen konkreter Arbeitsaufgaben hat hinweisen wollen. Der aufgezeigte Kontext spricht zum anderen – ausgehend vom verständigen Empfängerhorizont – dafür, dass die Klägerin mit ihrer Aussage einen wertenden, von ihrem subjektiven Dafürhalten und Meinen geprägten Schluss hat ziehen wollen, der auf dem Ausbleiben von Aufgabenzuweisungen beruhte. Darauf, ob diese Wertung objektiv vertretbar war, kommt es nicht an. Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, wird dadurch die Äußerung nicht zu einer reinen Tatsachenbehauptung.
cc) Ob es sich bei den Ausführungen zum „faktischen” Fehlen einer Aufgabenübertragung um eine Tatsachenbehauptung oder um ein Werturteil handelt, kann dahinstehen. Die Beklagte hat für den erstgenannten Fall nicht dargetan, die Aussage sei erweislich falsch. Sie hat lediglich auf die Stellenbeschreibung und der Klägerin darin übertragene Arbeitsaufgaben verwiesen. Darauf kommt es ebenso wenig an wie auf die zwischen den Parteien umstrittene Frage, ob zu diesen der Klägerin allgemein übertragenen Tätigkeiten die Auswertung von Patientendatenbanken zählte. Die fragliche Äußerung in der eidesstattlichen Versicherung hebt erkennbar auf das – unstreitige – Ausbleiben einer Zuweisung spezifischer zu erledigender Arbeiten in der Zeit nach dem 17. Oktober 2011 ab.
dd) Soweit die Klägerin versichert hat, sie sitze in einem „leeren Büro”, sprechen schon die von ihr gesetzten Anführungszeichen deutlich dafür, dass es sich insoweit um eine Wertung und nicht um eine Tatsachenbehauptung handelt. Umstände, die einem solchen Verständnis widersprechen, sind nicht ersichtlich. Die beanstandete Aussage kann nicht tauglicher Inhalt einer eidesstattlichen Versicherung sein. Das gilt unabhängig davon, ob die Äußerung sich auf die technische Ausstattung des Büros oder darauf bezog, dieses sei „leer” an Aufgaben und anderen Menschen.
ee) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin habe mit der Äußerung, sie „dürfe” keinen Kontakt zu Mitarbeitern und Kollegen haben, objektiv und wahrheitswidrig behauptet, die Beklagte habe ihr gegenüber ein entsprechendes Verbot ausgesprochen, liegt fern. Zwar schließt der Wortlaut der Erklärung eine solche Deutung nicht gänzlich aus. Sie kann aber ebenso gut als wertende Beschreibung eines tatsächlichen Zustands verstanden werden. Im Ergebnis liegt ein solches Verständnis näher. Zum einen schließt sich die Aussage unmittelbar an die Ausführungen zur „Leere” des zugewiesenen Büros an. Zum anderen hat die Klägerin, wenn sie bestimmte konkrete Anordnungen und Weisungen seitens der Beklagten behauptet hat, dies jedes Mal – insbesondere durch zeitliche Eingrenzung – eigens deutlich gemacht.
c) Die Kündigung ist selbst dann nicht durch Gründe iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt, wenn zugunsten der Beklagten angenommen wird, jedenfalls die Äußerung der Klägerin, ihr seien „sämtliche Aufgaben […] entzogen [worden]”, stelle eine unzutreffende, die wahren Gegebenheiten verzerrende Tatsachenbehauptung dar. Die im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen tragen nicht das Ergebnis, die Klägerin habe insoweit vorsätzlich falsche Angaben gemacht.
aa) Vorsatz besteht im Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung. Bedingter Vorsatz reicht dafür aus (BAG 11. Juli 2013 – 2 AZR 994/12 – Rn. 22; 28. April 2011 – 8 AZR 769/09 – Rn. 50; für den Anwendungsbereich von § 156 StGB vgl. Fischer StGB 61. Aufl. § 156 Rn. 17; MünchKommStGB/Müller § 156 Rn. 79). Der an Eides statt Erklärende muss demnach wissen, welche Tatsachen seine Erklärungspflicht begründen. Er muss zudem die Unrichtigkeit seiner Behauptungen erkennen und deren Unwahrheit in seinen Erklärungswillen aufnehmen. Er muss die Unvollständigkeit und Unrichtigkeit zumindest für möglich halten und billigend in Kauf nehmen (BAG 11. Juli 2013 – 2 AZR 994/12 – aaO).
bb) Die Bewertung eines Fehlverhaltens als vorsätzlich oder fahrlässig liegt im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet. Sie ist Gegenstand der tatrichterlichen Würdigung iSv. § 286 ZPO. Das Revisionsgericht kann die Feststellung innerer Tatsachen nur daraufhin prüfen, ob das Tatsachengericht von den richtigen Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist, die wesentlichen Umstände berücksichtigt und keine Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt hat (BAG 11. Juli 2013 – 2 AZR 994/12 – Rn. 24; 9. Juni 2011 – 2 AZR 381/10 – Rn. 16).
cc) Die angefochtene Entscheidung hält auch dieser eingeschränkten Überprüfung nicht stand.
(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe die Unwahrheit ihrer Aussage erkannt und in ihren Willen aufgenommen. Die behaupteten Umstände seien Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen und es gebe keine Anhaltspunkte für die Annahme, sie habe bei der Abfassung der eidesstattlichen Erklärung nicht genügend Sorgfalt walten lassen.
(2) Diese Beurteilung lässt außer Acht, dass der Klägerin mit ihren Weisungsbefugnissen und dem Berichtswesen wesentliche, für ihre Leitungstätigkeit charakteristische Aufgaben entzogen worden waren. Unabhängig vom zeitlichen Umfang dieser Tätigkeiten ist es nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin in ihnen subjektiv den Kern ihrer Tätigkeit erblickt hat. Da ihr nach dem 17. Oktober 2011 bis auf die Einarbeitung einer Kollegin keine anderen konkrete Arbeitsanweisungen mehr erteilt worden waren, mag bei ihr durchaus der Eindruck entstanden sein, sie habe „nichts mehr zu tun” und dies sei auch so gewollt. Dem steht die Aufgabe, Patientendaten auszuwerten, nicht zwingend entgegen. Die Klägerin rechnete diese Tätigkeit nicht zu ihrem originären Zuständigkeitsbereich. Selbst wenn sie insoweit geirrt haben sollte, bedeutet dies nicht, es könne sich bei ihrer Einlassung, sie habe den Sachverhalt aus ihrer damaligen subjektiven Sicht zutreffend geschildert, nur um eine Schutzbehauptung handeln.
(3) Unabhängig davon liegen keine Anhaltspunkte für die Annahme vor, die Klägerin habe gemeint, die ihr angelasteten Übertreibungen seien erforderlich gewesen, um das angestrebte Verfahrensziel – eine tatsächliche Beschäftigung als „Direct Marketing Supervisor” – zu erreichen. Als wesentlichen Kern ihrer Leitungstätigkeit hat sie die ihr entzogenen Weisungsbefugnisse gegenüber nachgeordneten Mitarbeitern und das monatliche Reporting über „DM-Aktivitäten” angesehen. Ob dies ausgereicht hätte, den geltend gemachten Beschäftigungsanspruch vor Gericht durchzusetzen, kann dahinstehen. Jedenfalls muss die Klägerin nicht etwa notwendig davon ausgegangen sein, sie habe auf die Rechtssache durch die Behauptung, ihr seien „sämtliche” Aufgaben entzogen worden, ein völlig falsches Licht geworfen.
d) Der Senat konnte über den Kündigungsschutzantrag selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Eine weitere Sachaufklärung wäre auch nach einer Zurückverweisung nicht zu erwarten. Gegen die Klägerin kann allenfalls der Vorwurf erhoben werden, sie habe die eidesstattliche Erklärung nicht vorsichtig genug formuliert und habe in Teilen leichtfertig falsche Angaben gemacht. Angesichts dessen ist die Kündigung unverhältnismäßig. Als Mittel zur Herbeiführung künftiger Vertragstreue hätte eine Abmahnung ausgereicht.
aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (vgl. BAG 11. Juli 2013 – 2 AZR 994/12 – Rn. 21; 25. Oktober 2012 – 2 AZR 495/11 – Rn. 16).
bb) Im Streitfall wiegt das Verhalten der Klägerin nicht so schwer, dass eine Abmahnung entbehrlich gewesen wäre. Zwar mag die Klägerin einer Fehlvorstellung Vorschub geleistet haben, soweit sie behauptet und durch ihre eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht hat, ihr seien „sämtliche Aufgaben entzogen [worden]”. Auch mag das dieser Äußerung innewohnende überschießende Element für sie leicht erkennbar gewesen sein. Ihr kann aber mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht unterstellt werden, sie habe durch eine verzerrende Darstellung den Ausgang des Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entscheidend zu ihren Gunsten beeinflussen wollen. Auch hatte sie ihrem Antrag eine Stellenbeschreibung beigefügt, aus der sich der Umfang der ihr obliegenden Arbeitsaufgaben ergab. Danach und angesichts ihrer Behauptung, ihr sei mit dem Entzug der Teamleitung gleichzeitig aufgegeben worden, zukünftig unmittelbar an den „Managing Director/Country Manager” zu berichten – was einer gänzlichen Beschäftigungslosigkeit widersprach – musste ihre Behauptung, ihr seien „sämtliche Aufgaben […] entzogen [worden]”, wenn nicht als substanzlos, so doch als erläuterungsbedürftig erscheinen. Dies hat das Arbeitsgericht, das im Ursprungsverfahren Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt hatte, ersichtlich nicht anders bewertet. Überdies war die Klägerin durch den unvermittelten Entzug der Führungsverantwortung emotional stark belastet. Die Beklagte hatte die Maßnahme der Klägerin gegenüber nicht näher begründet. Auch im vorliegenden Rechtsstreit hat sie keine konkreten Vorfälle benannt, die ihr Anlass gegeben hätten, der Klägerin Führungsqualitäten und/oder teamorientiertes Arbeiten abzusprechen. Dies vermag deren hier zu beurteilendes Verhalten zwar nicht gänzlich zu entschuldigen. Es lässt ihr Vorgehen aber in einem milderen Licht erscheinen.
cc) Ob die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, das maßgeblich auf die Strafbarkeit des in Rede stehenden Verhaltens abgestellt hat, auch deshalb keinen Bestand haben kann, weil das Amtsgericht gegenüber der Klägerin den Erlass eines Strafbefehls wegen falscher eidesstattlicher Versicherung mittlerweile abgelehnt hat, bedarf keiner Erörterung (zur grundsätzlichen Verpflichtung der Gerichte für Arbeitssachen, den Sachverhalt selbst aufzuklären vgl. BAG 24. Mai 2012 – 2 AZR 206/11 – Rn. 25 mwN).
II. Wegen ihres Unterliegens im Kündigungsrechtsstreit fällt der Hilfsantrag der Beklagten zur Entscheidung an. Dazu war die Sache mangels Entscheidungsreife an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
1. Der Auflösungsantrag der Beklagten ist aufgrund des Rechtsmittels der Klägerin in die Revision gelangt, auch wenn das Landesarbeitsgericht über ihn folgerichtig nicht entschieden hat. Einer Anschlussrevision der Beklagten bedurfte es nicht (vgl. BAG 10. Oktober 2002 – 2 AZR 598/01 – zu A I der Gründe; 20. August 1997 – 2 AZR 620/96 – zu II 4 der Gründe).
2. Die Voraussetzungen, unter denen der Arbeitgeber berechtigt ist, den Auflösungsantrag nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG zu stellen, liegen im Streitfall vor. Die Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 30. November 2011 beruht allein auf ihrer Sozialwidrigkeit (zu dieser Voraussetzung BAG 24. November 2011 – 2 AZR 429/10 – Rn. 19 mwN, BAGE 140, 47). Sie ist – wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat – nicht nach § 85 SGB IX iVm. § 134 BGB unwirksam. Einer Zustimmung des Integrationsamts bedurfte es nicht.
a) Die Klägerin ist nicht schwerbehindert iSv. § 2 Abs. 2 SGB IX. Der Grad ihrer Behinderung beträgt gemäß dem Bescheid des Versorgungsamts vom 17. Juli 2012 lediglich 30.
b) Die Klägerin war zum Zeitpunkt der Kündigung einem schwerbehinderten Menschen nicht gleichgestellt. Eine Gleichstellung ist auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt. Durch Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 18. September 2012 ist ihr eine Gleichstellung lediglich für den Fall zugesichert worden, dass ein Arbeitgeber ihre Einstellung von einer solchen Gleichstellung abhängig mache. Selbst wenn ein solcher „Zusicherungsbescheid” (zu den Voraussetzungen vgl. LSG Hessen 11. Juli 2007 – L 7 AL 61/06 –) kündigungsrechtlich wie eine Gleichstellung zu behandeln sein sollte, wirkte er frühestens auf den Tag der Antragstellung – den 26. Juli 2012 – zurück. Vor diesem Zeitpunkt kommt ein Sonderkündigungsschutz der Klägerin nicht in Betracht.
aa) Nach § 85 SGB IX iVm. § 68 Abs. 1 und 3, § 2 Abs. 3 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers, der einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist, der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Gemäß § 68 Abs. 2 SGB IX erfolgt die Gleichstellung eines behinderten Menschen mit schwerbehinderten Menschen auf dessen Antrag durch eine Feststellung nach § 69 SGB IX seitens der Bundesagentur für Arbeit.
bb) Die Gleichstellung wird gemäß § 68 Abs. 2 Satz 2 SGB IX mit dem Tag des Eingangs des Antrags wirksam. Die behördliche Entscheidung ist für die Rechtsposition des Betroffenen konstitutiv. Im Unterschied zu den kraft Gesetzes geschützten Personen, bei denen durch die Anerkennung als schwerbehinderter Mensch der gesetzlich bestehende Rechtsschutz nur festgestellt wird, wird der Schutz des Behinderten durch die Gleichstellung erst begründet (BAG 10. April 2014 – 2 AZR 647/13 – Rn. 39; 24. November 2005 – 2 AZR 514/04 – zu B II 1 a der Gründe). Die Bundesagentur für Arbeit darf die Gleichstellung rückwirkend nicht über den Tag des Eingangs des Antrags hinaus aussprechen (Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 68 Rn. 24). Einer erst nach Zugang der Kündigung beantragten Gleichstellung kommt demzufolge für die Wirksamkeit der Kündigung – selbst bei einem positiven Bescheid – keine Bedeutung zu (vgl. BAG 10. April 2014 – 2 AZR 647/13 – aaO; 24. November 2005 – 2 AZR 514/04 – aaO).
cc) Die Klägerin hat ihren Antrag auf Gleichstellung erst am 26. Juli 2012 und damit nach Zugang der Kündigung gestellt. Im Verhältnis zur Beklagten ist es unerheblich, ob sie ihn, wäre ihr Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch schneller beschieden worden, schon früher gestellt hätte. Der Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch wiederum enthält – anders als die Klägerin meint – nicht zugleich einen Antrag auf Gleichstellung für den Fall, dass ein Grad der Behinderung von weniger als 50, aber mindestens 30 festgestellt werden sollte.
(1) Die Klägerin hat nicht behauptet, sie habe schon beim Versorgungsamt einen solchen (Hilfs-)Antrag ausdrücklich angebracht.
(2) Ohne entsprechende Erklärung wiederum kann in dem Anerkennungsantrag nicht zugleich ein (vorsorglicher) Antrag auf Gleichstellung erblickt werden. Dies folgt schon daraus, dass für die Anträge unterschiedliche Behörden zuständig sind. Die Entscheidung über die Anerkennung obliegt den zuständigen Versorgungsämtern oder den durch Landesrecht bestimmten Behörden (§ 69 Abs. 1 SGB IX) bzw. den in § 69 Abs. 2 SGB IX genannten Dienststellen. Die Entscheidung über die Gleichstellung fällt in die ausschließliche Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit (§ 68 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Unabhängig davon sind die Feststellung einer Schwerbehinderung und die Gleichstellung an unterschiedliche rechtliche Voraussetzungen gebunden, die zu unterschiedlichen Prüfungen der jeweils zuständigen Stellen führen. Im Übrigen kann nicht als selbstverständlich unterstellt werden, dass ein behinderter Mensch für den Fall der Erfolglosigkeit eines Anerkennungsantrags seine Gleichstellung beantragen will.
(3) Die Trennung der Verfahren erschwert es Arbeitnehmern mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50 nicht in unzumutbarer Weise, Sonderkündigungsschutz zu erlangen. Sie können vielmehr beide Verfahren von Beginn an parallel betreiben, insbesondere den Gleichstellungsantrag bei der Bundesanstalt vorsorglich für den Fall stellen, dass der Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft wegen eines GdB unter 50 beim Versorgungsamt erfolglos bleiben sollte (Dau in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 68 Rn. 11). Auch wenn die Versorgungsämter gehalten sein sollten, auf die Möglichkeit einer vorsorglichen Antragstellung bei der Bundesanstalt hinzuweisen (vgl. dazu Dau in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 68 Rn. 10, 11; Lampe in Großmann GK-SGB IX § 90 Rn. 65, 103; Schorn in Müller-Wenner/Schorn SGB IX Teil 2 § 68 Rn. 34), folgte daraus selbst bei einer Verletzung der Hinweispflicht nicht, dass einer Gleichstellung Wirkung auf einen Zeitpunkt vor Eingang des Antrags bei der Bundesagentur für Arbeit zukommen könnte. Für die bloße Zusicherung einer erforderlich werdenden Gleichstellung gilt nichts anderes.
c) Die kündigungsrechtlich unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50 und schwerbehinderten Arbeitnehmern iSv. § 2 Abs. 2 SGB IX stellt keine Diskriminierung der weniger stark behinderten Arbeitnehmer nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG L 303 vom 2. Dezember 2000 S. 16) dar. Ebenso wenig liegt ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG vor. Die weniger stark behinderten Arbeitnehmer erfahren nicht „wegen ihrer Behinderung” eine ungünstigere Behandlung. Sie werden nicht weniger günstig als nicht behinderte Arbeitnehmer behandelt, sondern weniger günstig als stärker behinderte (vgl. BAG 10. April 2014 – 2 AZR 647/13 – Rn. 39).
3. Der Senat kann nicht abschließend beurteilen, ob der Auflösungsantrag im Übrigen begründet ist. Das Landesarbeitsgericht hat nicht geprüft, ob Gründe vorliegen, die einer den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit der Parteien entgegenstehen. Es hat sich mit den dafür behaupteten Tatsachen nicht befasst und insoweit keine Feststellungen getroffen. Dies wird es nachholen müssen.
III. Der Zurückverweisung unterliegt auch der Antrag der Klägerin auf vorläufige Weiterbeschäftigung. Er ist darauf gerichtet, die Beklagte zu verurteilen, sie „bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens” in der zuletzt ausgeübten Funktion weiter zu beschäftigen. Zum Kündigungsschutzverfahren zählt der Auflösungsantrag der Beklagten. Aus diesem Grund ist der von der Klägerin aufrechterhaltene Weiterbeschäftigungsantrag als unechter Hilfsantrag zu verstehen, über den nur unter der Voraussetzung zu entscheiden ist, dass sie mit ihrem Feststellungsantrag obsiegt und der Auflösungsantrag der Beklagten abgewiesen wird. Keine dieser Prämissen ist bislang erfüllt. Ob ein Antrag nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG, solange er nicht abschlägig beschieden worden ist, ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers zu begründen vermag (vgl. BAG 16. November 1995 – 8 AZR 864/93 – zu E der Gründe, BAGE 81, 265), bedarf deshalb keiner Entscheidung.
Unterschriften
Kreft, Niemann, Berger, Bartz, Alex
Fundstellen
Haufe-Index 9666992 |
BB 2015, 436 |