Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Beschwerdefrist. elektronischer Rechtsverkehr. elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach. Übermittlung eines Dokuments mit unzulässiger Container-Signatur. keine Eingangsfiktion bei unverzüglicher Nachreichung eines geeigneten Dokuments. prozessuale Fürsorgepflicht. Hinweis auf unzulässige Signatur bei Möglichkeit der Fristwahrung
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einem über das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach mit einer seit 1.1.2018 unzulässig angebrachten Container-Signatur übermittelten Dokument handelt es sich nicht um ein für das Gericht "zur Bearbeitung nicht geeignetes" Dokument, das als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen gilt, sofern es der Absender unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht.
2. Auf die unzulässige Verwendung einer Container-Signatur hat das Gericht aufgrund seiner prozessualen Fürsorgepflicht hinzuweisen, soweit die Rechtsmittelfrist bei üblichem Geschäftsgang noch eingehalten werden kann.
Normenkette
SGG § 160a Abs. 1 S. 2, § 65a Abs. 1, 2 Sätze 1-2, Abs. 3-4, 6 Sätze 1-2, § 67; ERVV § 1 Abs. 1 S. 1, § 4 Abs. 1 Nrn. 1-2, Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Dem Kläger wird hinsichtlich der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. Februar 2018 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Gründe
I. In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger den Erlass, hilfsweise die Niederschlagung von Beitragsansprüchen. Das SG Köln hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 25.11.2016). Das LSG Nordrhein-Westfalen hat die Berufung mit am 23.2.2018 dem Kläger zugestellten Beschluss vom 7.2.2018 zurückgewiesen. Gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Kläger durch am 6.3.2018 an das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) übermitteltes elektronisches Dokument vom selben Tag Beschwerde eingelegt. Die dabei verwendete qualifizierte elektronische Signatur (qeS) bezog sich nach dem Transfervermerk vom 7.3.2018 nicht auf das elektronische PDF-Dokument selbst, sondern auf den Nachrichtencontainer (sog Container-Signatur) mit den Inhaltsdaten "nachricht.xml, nachricht.xsl, herstellerinformation.xml" und dem Anhang "2018-03-06-Nichtzulassungsbeschwerde.pdf". Auf den Hinweis des Berichterstatters vom 28.3.2018, dass die Beschwerdeschrift nicht zulässig signiert worden sei, hat der Kläger am 6.4.2018 mittels eines ordnungsgemäß signierten elektronischen Dokuments erneut Beschwerde eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
II. Dem Kläger ist Wiedereinsetzung zu gewähren. Er hat die Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG vom 7.2.2018 versäumt (dazu 1.). Die am 6.4.2018 nachgereichte Beschwerde gilt nicht als bereits am 6.3.2018 eingegangen (dazu 2.). Der Kläger war allerdings ohne Verschulden verhindert, die Verfahrensfrist einzuhalten (dazu 3.).
1. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist nach § 160a Abs 1 S 2 SGG bei dem BSG innerhalb eines Monats nach Zustellung des angefochtenen Urteils einzulegen. Das Rechtsmittel gegen den dem Kläger am 23.2.2018 zugestellten Beschluss des LSG vom 7.2.2018 hätte daher bis zum 23.3.2018 bei dem BSG eingehen müssen. Die Beschwerde ist formwirksam aber erst am 6.4.2018 und damit verspätet eingegangen. Das bereits am 6.3.2018 an das EGVP übermittelte PDF-Dokument hat die notwendige Form nicht gewahrt.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist schriftlich einzulegen und durch einen postulationsfähigen Prozessbevollmächtigten zu unterschreiben (vgl BSG Beschluss vom 28.6.1985 - 7 BAr 36/85 - SozR 1500 § 160a Nr 53 S 69). Sie kann gemäß § 65a Abs 1 SGG in der ab 1.1.2018 geltenden Fassung des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013 (BGBl I 3786) nach Maßgabe der Abs 2 bis 6 aber auch als elektronisches Dokument bei Gericht eingereicht werden. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein, wobei die Bundesregierung durch Rechtsverordnung die für die Übermittlung und Bearbeitung geeigneten technischen Rahmenbedingungen bestimmt (§ 65a Abs 2 SGG). Diese sind in der zum 1.1.2018 in Kraft getretenen Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) vom 24.11.2017 (BGBl I 3803) in der Fassung der Verordnung zur Änderung der ERVV vom 9.2.2018 (BGBl I 200) geregelt. Das elektronische Dokument muss zudem mit einer qeS der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden (§ 65a Abs 3 und 4 SGG). Ein elektronisches Dokument, das mit einer qeS der verantwortenden Person versehen ist, darf lediglich auf einem sicheren Übermittlungsweg oder an das EGVP übermittelt werden (§ 4 Abs 1 ERVV). Mehrere elektronische Dokumente dürfen hingegen nicht mit einer gemeinsamen qeS übermittelt werden (§ 4 Abs 2 ERVV). Durch diese Einschränkung soll verhindert werden, dass nach der Trennung eines elektronischen Dokuments vom Nachrichtencontainer die Container-Signatur nicht mehr überprüft werden kann (BR-Drucks 645/17 S 15 zu § 4).
Nach Maßgabe dieser normativen Vorgaben für die Übermittlung elektronischer Dokumente hat der Kläger die Beschwerde am 6.3.2018 nicht formwirksam eingelegt. Das Rechtsmittel ist als elektronisches PDF-Dokument nicht auf einem sicheren Übermittlungsweg iS des § 4 Abs 1 Nr 1 ERVV iVm § 65a Abs 4 SGG, sondern über das EGVP iS des § 4 Abs 1 Nr 2 ERVV eingereicht worden. Die im EGVP-Übermittlungsverfahren eingesetzte qeS, die sich nicht auf das einzelne elektronische Dokument, sondern den mehrere Dateien umfassenden Nachrichtencontainer bezieht, genügt aber seit 1.1.2018 nicht (mehr) den Anforderungen des § 65a Abs 2 S 2, Abs 3 SGG iVm § 4 Abs 2 ERVV, wonach eine solche Container-Signatur nicht verwendet werden darf.
Zwar soll das Verbot der Container-Signatur nach einem Beschluss des OLG Brandenburg vom 6.3.2018 (13 WF 45/18) einer auf sein Regelungsziel bezogenen einschränkenden Auslegung bedürfen, um nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip des Art 20 Abs 3 GG zu verstoßen. Nach dieser Entscheidung ist die Beschränkung des Zugangs zu den Gerichten jedenfalls dann nicht zu berücksichtigen, wenn sich die Container-Signatur nur auf elektronische Dokumente bezieht, die sämtlich ein Verfahren betreffen und bei nicht elektronisch geführten Akten mit dem Ergebnis der Signaturprüfung auf Papier ausgedruckt würden. Werde das Ergebnis der Signaturprüfung auf Papier ausgedruckt und zu den Akten genommen, bleibe die Container-Signatur bis zur Vernichtung der Papierakte überprüfbar und sei die § 4 Abs 2 ERVV zugrunde liegende Überprüfbarkeit der Authentizität und Integrität der elektronischen Dokumente gegeben. Diese Beurteilung des OLG Brandenburg könnte schon deshalb zweifelhaft sein, weil sie Absender elektronischer Dokumente in Abhängigkeit davon ungleich behandelt, ob das empfangende Gericht elektronische oder (auch) Papier-Akten führt und der Absender nur dann in die Lage versetzt ist, formunwirksame Eingänge zu vermeiden, wenn er Kenntnis von der Art der gerichtlichen Aktenführung hat. Ob ihr gleichwohl zu folgen ist, kann aber dahinstehen, weil dem Kläger wegen unverschuldeter Fristversäumung jedenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist (dazu 3.).
2. Der Formmangel der fehlerhaften Signatur ist nicht dadurch geheilt worden, dass der Kläger am 6.4.2018 eine ordnungsgemäß signierte Beschwerde nachgereicht hat. Ist ein elektronisches Dokument entgegen § 65a Abs 2 S 1 SGG für das Gericht nicht zur Bearbeitung geeignet, ist dies dem Absender unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs und die geltenden technischen Rahmenbedingungen unverzüglich mitzuteilen (§ 65a Abs 6 S 1 SGG). Ein solches Dokument gilt zwar als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt (§ 65a Abs 6 S 2 SGG). Diese Eingangsfiktion greift allerdings nicht bei fehlerhaft signierten elektronischen Dokumenten. Das ergibt sich aus dem Wortlaut des § 65a SGG sowie dem nach den Gesetzesmaterialen mit der Eingangsfiktion verfolgten Zweck.
Nach dem Wortlaut des § 65a Abs 2 S 1 und Abs 6 SGG müssen elektronische Dokumente für die "Bearbeitung" durch das Gericht geeignet sein. Von dieser "Bearbeitung" ist die "Übermittlung" von Dokumenten zu unterscheiden. Sowohl die Ermächtigungsgrundlage des § 65a Abs 2 S 2 SGG für die ERVV als auch die ERVV selbst (vgl § 1 Abs 1 S 1 ERVV) differenziert zwischen den für die Übermittlung einerseits und die Bearbeitung andererseits geeigneten technischen Rahmenbedingungen. § 4 Abs 2 ERVV über den Ausschluss einer Container-Signatur betrifft nach seiner Überschrift und seinem Wortlaut indes nicht die Bearbeitung, sondern die Übermittlung elektronischer Dokumente. Bei einer wegen Verstoßes gegen § 4 Abs 2 ERVV fehlerhaften Signatur liegt daher ein nicht ordnungsgemäß übermitteltes, nicht aber ein nicht zur Bearbeitung geeignetes elektronisches Dokument vor.
Diese Auslegung entspricht dem mit § 65a Abs 6 SGG verfolgten Zweck. Dem Absender eines elektronischen Dokuments soll es nicht zum Nachteil gereichen, dass er zunächst ein "falsches Dateiformat" verwendet hat, wenn er unverzüglich nach Erhalt der Fehlermeldung ein "technisch lesbares Dokument" einreicht (BR-Drucks 818/12 S 34 f zu Abs 6). Die verwendete Signatur betrifft hingegen weder die Formatvorgaben noch die Lesbarkeit eines Dokuments. § 65a Abs 6 SGG soll sich nur auf elektronische Dokumente beziehen, die die unmittelbar im Gesetz vorgesehenen Formvoraussetzungen erfüllen, also formgerecht entweder mit qualifizierter Signatur oder auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht wurden (BR-Drucks 818/12 S 35 zu Abs 6).
3. Dem Kläger ist nach § 67 Abs 1 SGG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er ohne Verschulden verhindert war, die gesetzliche Verfahrensfrist zur Einlegung der Beschwerde einzuhalten. Ohne Verschulden iS dieser Vorschrift ist eine Frist nur versäumt, wenn der Beteiligte diejenige Sorgfalt angewendet hat, die einem gewissenhaft Prozessführenden nach den gesamten Umständen zuzumuten ist (BSG Beschluss vom 7.10.2004 - B 3 KR 14/04 R - SozR 4-1750 § 175 Nr 1 RdNr 15 und BSG Beschluss vom 21.8.2000 - B 2 U 230/00 B - SozR 3-1500 § 67 Nr 19 S 50, jeweils mwN). Ob das vorliegend im Hinblick darauf der Fall ist, dass zwar der sichere Übermittlungsweg zwischen dem besonderen Anwaltspostfach (beA) nach § 31a Bundesrechtsanwaltsordnung und der elektronischen Poststelle des Gerichts (§ 65a Abs 4 Nr 2 SGG) auf Veranlassung der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) wegen Sicherheitsrisiken seit dem 23.12.2017 vorübergehend eingestellt worden ist, die BRAK in ihrem Newsletter zum beA vom 16.11.2017 aber auf die Unzulässigkeit der Container-Signatur hingewiesen hat, kann hier dahingestellt bleiben. Denn Wiedereinsetzung ist auch unabhängig vom Verschulden des Beteiligten zu gewähren, wenn dies wegen einer Verletzung der prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichts geboten ist. In solchen Fällen tritt ein in der eigenen Sphäre des Beteiligten liegendes Verschulden hinter das staatliche Verschulden zurück (BSG Beschluss vom 17.11.2015 - B 1 KR 130/14 B - Juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 31.10.2012 - B 13 R 165/12 B - SozR 4-1500 § 67 Nr 11 RdNr 18 mwN). Ohne Verschulden "verhindert", eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist ein Beteiligter nach der Rechtsprechung des BSG auch dann, wenn ein Verschulden des Beteiligten zwar vorgelegen hat, dieses aber für die Fristversäumnis nicht ursächlich gewesen ist oder ihm nicht zugerechnet werden kann, weil die Frist im Fall pflichtgemäßen Verhaltens einer anderen Stelle gewahrt worden wäre (BSG Urteil vom 30.1.2002 - B 5 RJ 10/01 R - SozR 3-1500 § 67 Nr 21 S 60). Das ist hier der Fall, denn das Fristversäumnis beruht (zumindest auch) auf Umständen, die im Verantwortungsbereich des Gerichts liegen.
Allerdings liegt nicht schon ein Verstoß gegen die Hinweispflicht des § 65a Abs 6 S 1 SGG vor, wonach der Absender über den Eingang eines zur Bearbeitung nicht geeigneten Dokuments unverzüglich zu informieren ist. Ebenso wie die Eingangsfiktion des § 65a Abs 6 S 2 SGG greift auch die Mitteilungspflicht aus den zu 2. dargelegten Gründen nicht bei bearbeitungsfähigen, jedoch fehlerhaft signierten elektronischen Dokumenten. Seine prozessuale Fürsorgepflicht hat das Gericht vielmehr dadurch verletzt, dass der gebotene Hinweis auf die fehlerhafte Signatur (vgl BR-Drucks 818/12 S 35 zu Abs 6) unterblieben ist. Eine prozessuale Fürsorgepflicht des Gerichts besteht immer dann, wenn es darum geht, eine Partei oder ihren Prozessbevollmächtigten nach Möglichkeit vor den fristbezogenen Folgen eines bereits begangenen Fehlers zu bewahren. Ein Prozessbeteiligter kann daher erwarten, dass ein unzulässig eingelegtes Rechtsmittel in angemessener Zeit bemerkt wird und innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs die notwendigen Maßnahmen getroffen werden, um ein drohendes Fristversäumnis zu vermeiden (vgl BSG Beschluss vom 17.11.2015 - B 1 KR 130/14 B - Juris RdNr 5 mwN). Der Kläger hätte daher auf die fehlerhafte Signatur hingewiesen werden müssen. Ein solcher Hinweis erfordert keine außerordentlichen Maßnahmen, da sich die Art der verwendeten Signatur regelmäßig ohne Schwierigkeiten dem Transfervermerk über die Übermittlung des elektronischen Dokuments an das EGVP entnehmen lässt. Das fehlerhaft signierte elektronische Dokument war auch bereits am 6.3.2018 und damit so rechtzeitig vor Ablauf der Beschwerdefrist am 23.3.2018 eingegangen, dass die Frist bei einem Hinweis des Gerichts innerhalb des üblichen Geschäftsgangs hätte eingehalten werden können (vgl BSG Beschluss vom 20.12.2011 - B 4 AS 161/11 B - Juris RdNr 9).
Fundstellen